Urartäische Sprache

Sprache
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Die Urartäische Sprache (in der älteren Fachliteratur auch Chaldische Sprache) wurde im 1. Jahrtausend v. Chr. von den Urartäern im Gebiet der heutigen Ost-Türkei und Armeniens gesprochen. Die ältesten überlieferten Texte stammen aus der Regierungszeit von Sarduri I., aus dem späten 9. Jahrhundert v. Chr. Mit dem Untergang des Reiches von Urartu ca. 200 Jahre später verschwinden auch die schriftlichen Quellen aus dieser Zeit. Über die weitere Entwicklung des Urartäischen ist nichts bekannt.

Urartäisch

Gesprochen in

vormals in Urartu
Sprecher ausgestorben
Linguistische
Klassifikation
  • Hurritisch-Urartäische-Sprachfamilie
    Urartäische Sprache
Offizieller Status
Amtssprache in Urartu (9. Jh. bis 7. Jh. v. Chr.)
Sprachcodes
ISO 639-1

ISO 639-2 (B) – (T) –
ISO 639-3

xur

Urartäische Inschrift in Keilschrift, ausgestellt im Erebuni-Museum in Eriwan]. Die Inschrift lautet: "Dem Gott Ḫaldi, dem Herrn, hat Argišti I., Sohn des Menua, diesen Tempel erbaut und diese mächtige Burg. Ich bestimmte Irbuni (=Erebuni) als ihren Namen, den Biai-Länder (=Urartu) die Herrschaft und den Lului-Länder (=Fremdländer) die Unterwerfung. Durch die Größe des Ḫaldi bin ich, Argišti, Sohn des Menua, der starke König, der König der Biai-Länder, der Hirte der Stadt Tušpa." Für eine Transliteration und grammatikalische Analyse des Textes siehe weiter unten.

Nach der Entzifferung der (neu-assyrischen) Keilschrift wurde die Sprache der Forschung wieder zugänglich, blieb aber bis in die 1930er-Jahre relativ unbekannt, vgl. dazu Forschungsgeschichte von Urartu.

Klassifikation

Urartäisch ist mit dem Hurritischen nahe verwandt. Allerdings konnte die Hurritisch-Urartäische-Sprachfamilie bisher noch keiner anderen, größeren Sprachfamilie zugeordnet werden. Eine Verwandtschaft mit den Nordostkaukasischen Sprachen wird von vielen Wissenschaftlern vermutet, ist jedoch noch nicht bewiesen. Ein effektiver Beweis würde zudem dadurch erschwert, dass die Gruppe der Nordostkaukasischen Sprachen stark diversifiziert ist und die Rekonstruktion einer gemeinsamen Nordostkaukasischen Protosprache unklar ist.

Urartäisch ist eine agglutinierende Ergativsprache mit Satzbau Subjekt-Objekt-Prädikat. Wie in vielen anderen Ergativsprachen gibt es das Phänomen der Suffixaufnahme, untypisch ist dagegen des Fehlen eines Antipassivs.

Verwandtschaft mit dem Hurritischen

Trotz der geographischen und zeitlichen Differenz – Hurritisch ist wurde ein ganzes Jahrtausend früher gesprochen – sind Urartäisch und Hurritisch nahe verwandte Sprachen. Weitgehende Übereinstimmungen sind z. B. bei der Nominalmorphologie vorhanden; auch Personalpronomen ähneln sich, dagegen weichen die Relativpronomen und die Verbalmorphologie stark ab. Es wird von einer gemeinsamen Vorgängersprache ausgegangen, von der jedoch keine Zeugnisse mehr vorliegen. Das wesentlich besser bekannte und von der Forschung bereits früher untersuchte Hurritische hat demzufolge auch einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Urartäischen geleistet.

Die folgende Tabelle soll Änhnlichkeiten und Abweichungen in Wortschatz und Grammatik zwischen den beiden Sprachen an einigen Beispielen aufzeigen.

urartäisch hurritisch Bedeutung
esi eše Ort
šuri šauri Waffe
mane mane 3. Sg. Pers.
-ḫi -ḫi Zugehörigkeitssuffix
-še Ergativ
-di -tta 1. Sg. Abs.
ag- ag- führen
ar- ar- geben
man- mann- sein
nun- un- kommen
-di -da Direktiv
-u- -o- Transitivitätsmarkierung
qiura eše Erde
lutu ašte Frau
-uki- -iffu- 1. Sg. Poss.

Schrift

Für das Urartäische sind nachweislich drei verschiedene Schrifttypen bezeugt:

  • Keilschrift
  • Urartäische Hieroglyphen
  • Luwische Hieroglypen

Keilschrift

Die Urartäische Keilschrift geht auf die neuassyrische Keilschrift zurück. Sie ist hauptsächlich eine Silbenschrift, es werden aber auch Logogramme verwendet. Die Schrift zeigt im Gegensatz zu anderen Keilschriften eine große Regelmäßigkeit, d. h., die Schriftzeichen sind weitgehend standardisiert. Bezeugt sind grundsätzlich zwei Varianten der Schrift, die eine für das Schreiben auf Tontafeln, die andere für Felsinschriften. Bei Felsinschriften überkreuzen sich die Keile nicht, was die 'Schreibarbeit' des Steinmetzen vereinfachen soll.

Im Gegensatz zum Akkadischen entspricht ein Zeichen genau einem Lautwert, KVK-Zeichen sind selten, es kommen fast ausschließlich Zeichen mit Lautwerten V, VK und KV vor (V=Vokal, K=Konsonant). Doppelkonsonanz wird in der Schrift nicht ausgedrückt. Um Hiate in der Schrift zu vermeiden, wird das Zeichen gi verwendet, z. B. wird der Name Uīšdi (assyr.) geschrieben als u-gi-iš-ti.

Urartäische Hieroglyphen

Die Urartäischen Hieroglyphen sind noch nicht entziffert worden; es sind bis jetzt zuwenig schriftliche Quellen entdeckt/publiziert worden, um eine erfolgreiche Entzifferung vorzunehmen. Lediglich einige Hieroglyphen auf Gefäßen konnten als Maßangaben interpretiert werden.

Luwische Hieroglyphen

Luwische Hieroglyphen sind für das Urartäische der am seltensten belegte Schrifttyp und nur aus Altıntepe (tr) bekannt. Dennoch führten die wenigen Belege zu einigen Änderungen in der Lesung der luwischen Hieroglyphen (Lesung einer Pfeil-ähnlichen Hieroglyphe   als za, vorher als T gelesen). Liste luwischer Hieroglyphen

Phonetik und Phonologie

Die Kenntnisse der urartäischen Phonologie stützen sich auf die in neu-assyrischer Keilschrift geschriebenen Texte und die dort unterschiedenen Sprachlaute. Die tatsächliche Aussprache bleibt somit unklar, die hier gegebene Darstellung orientiert sich an der wahrscheinlichen Aussprache der Keilschrift im Akkadischen.

Konsonanten

  bilabial labio-
dental
alveolar palatal velar glottal
stl. sth. stl. sth. stl. sth. stl. sth. stl. sth. stl. sth.
Ejektive         t’ (ṭ), ts’ (ṣ)       k’ (q)      
Plosive p b     t d     k g [[Stimmloser glottaler Plosiv|Vorlage:Unicode]] (ʾ)  
Affrikaten         ts (s), [[Alveolare laterale Affrikate|Vorlage:Unicode]] (š) dz (z)            
Frikative     f           x (ḫ)      
Nasale   m       n            
Vibranten           r            
laterale Approximanten           l            
zentrale Approximanten       w       j (y)        

Die Existenz der Konsonanten q, ṭ, f und des Verschlusslautes ʾ ist umstritten, sie werden in der Schrift nicht konsequent unterschieden, ein mögliches f wird zudem immer als p wiedergegeben, ist also spekulativ. Die Unterscheidung zwischen s und š wird in der Schrift ebenfalls nicht immer konsequent vorgenommen, weshalb nicht klar ist, ob diese Konsonanten im Urartäischen wirklich verschieden sind.

Vokale

Das Urartäische kennt die Vokale a, e, i und u – und zwar sowohl die kurzen als auch die langen Varianten der Vokale. Lange Vokale werden in der Schrift gelegentlich durch Plene-Schreibung angezeigt, allerdings steht in einigen Fällen Plene-Schreibung auch dann, wenn kurze Vokale zu erwarten wären.

Auf die Existenz des Vokals o kann aufgrund der Schrift nicht geschlossen werden, seine Existenz ist möglich, aber ausgehend von den schriftlichen Quellen nicht zu beweisen. Die Differenzierung zwischen i und e wird in der Schrift meistens nicht gemacht, was zum Teil zu Problemen bei der Textinterpretation führt, da entsprechende Morpheme existieren, die sich nur um i/e unterscheiden.

Lautentwicklungen

Oft vorkommende Lautentwicklungen sind:

  • ai kann zu a werden, Bsp. gibt es die Form kauki neben kaiuki ("vor mir/mich")
  • iu kann zu i werden, Bsp. qira neben qiura ("Erde")
  • Der Konsonant n ist sehr schwach und geht manchmal verloren, wenn er in Form des Suffixes -ni oder -na angehängt wird und noch weitere Suffixe hinzukommen, zum Beispiel entsteht šurawe aus šuri+na+we.

Grammatik

Ergativität

Das Urartäische ist eine Ergativsprache, d. h., es gibt zwei unterschiedliche Kasus für das Subjekt: einerseits den Ergativ für das Subjekt des transitiven Verbums und andererseits den Absolutiv für das Subjekt des intransitiven Verbums. Der Absolutiv wird zusätzlich für das direkte Objekt transitiver Verben benutzt.

Beispiele zur Ergativkonstruktion:

Urartäisch Übersetzung Bemerkung
ereli+Ø nun+a+bi Der König kommt. ereli ("König") steht im Absolutiv. Das Verbum trägt die Intransitivitätsmarkierung -a-.
ereli+še esi+Ø tur+u+Ø+ni Der König vernichtet einen Ort. ereli steht im Ergativ, esi ("Ort") im Absolutiv. Das Verbum trägt die Transitivitätsmarkierung -u-.

Nominalmorphologie

Die meisten Nomina sind i-Stämme, aber auch a- und u-Stämme kommen vor. Es gibt nur eine Deklination für alle Nomina, ohne Unterschied nach Geschlecht oder Stammklasse.

Urartäische Kasus und ihre Funktionen sind:

Kasus Funktion Kasusendung Singular Kasusendung Plural
Absolutiv intransitives Subjekt, direktes Objekt, Prädikatsnomen -li/-Ø
Ergativ transitives Subjekt -še -še
Genitiv Zugehörigkeit -i/-ie/-ei -we
Dativ indirektes Objekt, Ziel einer Bewegung -e/-ie -we
Lokativ Ortsangabe -a -a
Ablativ Herkunft -tane -štane
instrumentaler Ablativ Herkunft, Mittel -ni/-ne -ni/-ne
Komitativ Begleitung -rani -rani
Direktiv Ziel einer Bewegung -edi -edi/-šte

Im Singular ist es oft nicht möglich, Genitiv und Dativ zu unterscheiden, zudem fällt im Singular die Genitiv- oder Dativ-Endung manchmal weg; im Plural sind die Formen von Genitiv und Dativ identisch.

Die Beziehung zwischen Ergativ und Absolutiv wurde im Abschnitt über Ergativität bereits erläutert. Genitiv und Dativ entsprechen in ihren Funktionen im Wesentlichen der in anderen Sprachen, etwa dem Lateinischen oder dem Deutschen. Der Direktiv findet neben seiner primären Funktion als Angabe des Ziels einer Bewegung auch Verwendung als zweites indirektes Objekt, wenn der Absolutiv für das direkte Objekt und der Dativ für ein erstes indirektes Objekt bereits belegt sind.

Artikel

Im Urartäischen gibt es einen bestimmten Artikel, der als Suffix vor die Kasusendung tritt. Seine Funktion entspricht jedoch nicht genau der des bestimmten Artikels der deutschen Sprache. Die genaue Bedeutung ist umstritten, aber in der Übersetzung wird er traditionellerweise als bestimmer Artikel wiedergegeben, da ihm diese Bedeutung in den meisten Fällen am nächsten kommt.

Singular Plural
Absolutiv -nili
Andere Kasus -ni -na

Im Absolutiv Singular kann nicht direkt entschieden werden, ob ein Wort den bestimmten Artikel trägt, da der bestimmte Artikel in diesem Fall nicht speziell markiert wird.

Suffixaufnahme

Ein Substantiv, das mit einem anderen Substantiv als Attribut im Genitiv oder mit dem Zugehörigkeitssuffix -ḫi verbunden ist, muss mit diesem sogenannten Leitwort in der attributiven Konstruktion kongruieren, was bedeutet, dass es die Suffixe des Leitwortes aufnimmt. Dieses Verhalten wird als Suffixaufnahme bezeichnet. Im endungslosen Absolutiv, der im Singular auch keine Markierung für den bestimmten Artikel kennt, findet keine Suffixaufnahme statt.

Beispielsweise heißt es im Absolutiv (endungslos) esi ušmaši+i "Ort der Macht" und im Direktiv mit Artikel (Endung +ni+edi) esi+ni+edi ušmaši+i+ni+edi "zu dem Ort der Macht"

Die Anordnung der verschiedenen Suffixe, die sogenannte Suffixkette, unterliegt einer streng festgelegten Reihenfolge:

1 2 3 4 5
Substantiv Artikel Possessivpronomen Kasus aufgenommene Suffixe

Formen mit gleichzeiter Besetzung der Stellen 2 und 3 sind nicht bekannt, der sogenannte bestimmte Artikel verhält sich also in dieser Hinsicht wie ein Pronomen.

Beispiele

Analyse Grammatik Übersetzung
Biainili Biai+nili "Biai" + Artikel Pl. die Biai-Länder = Urartu
Bianaidi Bia(i)+na+edi "Biai" + Artikel Pl. + Direktiv in die Biai-Länder hinein = nach Urartu
erelawe ereli+na+we "König" + Artikel Pl. + Gen./Dat. Pl. den Königen
taršuanarani taršuani+na+rani "Mensch" + Artikel Pl. + Komitativ Pl. mit den Menschen
Ḫaldinawe šeštinawe Ḫaldi+i+na+we šešti+na+we "Ḫaldi" + Gen. Sg. + Suffixkette "Tor" + Artikel Pl. + Gen./Dat. Pl. den Toren des Ḫaldi
Argištiše Menuaḫiniše Argišti+še Menua+ḫi+ni+še "Argišti" + Erg. Sg. + "Menua" + Zugehörigkeit + Artikel Sg. + Suffixkette Argišti, Sohn des Menua, ... (Erg.)

Pronomina

Personalpronomen

Das Personalpronomen tritt in zwei Formen auf: einer selbständigen Form und enklitisch, wenn es als Suffix an ein anderes Wort angehängt wird. Nur eine 1. und 3. Person sind belegt.

Im Absolutiv lauten die bekannten Formen folgendermaßen:

Singular, selbständig Singular, enklitisch Plural, enklitisch
1. Person ište -di
3. Person mane -ni/-bi -li

Zudem ist in der 1. Person Singular ein Ergativ yeše und ein Dativ -me bekannt. Das enklitische Personalpronomen dient bei der Konjugation des intransitiven Verbs zur Angabe der handelnden Person.

Weitere Pronomina

Einzelne Formen von Possessiv-, Demonstrativ-, Relativ- und Indefinitpronomen sind ebenfalls bekannt. Dazu sei auf die angegebene Literatur verwiesen.

Verbalmorphologie

Die Verbalmorphologie des Urartäischen ist nur lückhaft bekannt, viele Formen fehlen oder sind in ihrer Bedeutung unklar.

Unterschieden werden 2 Numeri, Singular und Plural, sowie 3 Personen, wobei die zweite Person nur im Imperativ belegt ist. (Briefe, wo die 2. Person zu erwarten wäre, sind unverständlich und tragen nicht zu einem besseren Verständnis der Verbalmorphologie bei.) Die Verben besitzen keine Tempusmarkierung. Dagegen sind neben dem Indikativ zahlreiche modale Formen belegt, die z. T. auch passivische Bedeutung anzeigen. Antipassivische Formen sind nicht bekannt.

Indikativ

Die bekannten Formen sind bis auf wenige Ausnahmen alle präterial zu übersetzen, insbesondere ist nur eine einzige transitive Verbform bekannt, welche als Präsens zu deuten ist: ali "er sagt".

Beim intransitiven Verbum steht die Intransitivitätsmarkierung -a- hinter dem Stamm. Zur Kennzeichnung des intransitiven Subjekts wird ein enklitisches Personalpronomen im Absolutiv angehängt. Bsp. nun+a+di "ich kam", nun+a+bi "er kam", nun+a+li "sie kamen".

Beim transitiven Verbum steht dagegen die Transitivitätsmarkierung -u- hinter dem Stamm, und folgende Endungen werden zur Kennzeichnung des transitiven Subjekts (Ergativ) verwendet:

Singular Plural
1. Person -še
3. Person -Ø/-a -itu

Zusätzlich wird an das transitive Verbum meistens ein enklitisches Pronomen zur Kennzeichnung des direkten Objektes angehängt. Eine Besonderheit stellt die vom Subjekt abhängige Wahl des enklitischen Pronomens dar, welches das direkte Objekt bezeichnet: Für das direkte Objekt steht in der 3. Person entweder -bi, wenn das Subjekt in der 1. Person Singular steht, oder -ni, wenn das Subjekt in der 3. Person Singular steht. Dadurch wird die Unklarkeit behoben, die durch die Verwendung der Subjektsmarkierung sowohl im Falle der 1. und 3. Person entstehen kann. In den anderen Fällen werden die üblichen enklitischen Personalpronomen verwendet. Selten wird zusätzlich auch noch das indirekte Objekt markiert, es tritt dann das Pronomen -me für den Dativ hinzu.

Weitere Formen

  • Imperativ Aktiv
Singular Plural
2. Person -i
3. Person -inini -tinini
  • Wunschformen mit Infix -i-, Interpretation noch nicht völlig gesichert
Singular Plural
1. Person -i-li
2. Person -i-Ø
3. Person -i-n -i-tini
  • Weitere Verbformen nicht vollständig geklärter Bedeutung (u. a. wahrscheinlich Potentialis und Finalis) sind bekannt.
  • Mit den Suffixen -auri bzw. -uri werden Partizipien zu transitiven bzw. intransiviten Verben gebildet. Das Partizip eines transitiven Verbs ist von seiner Bedeutung her als Passiv zu übersetzen, das Partizip eines intransitiven Vers als Aktiv.

Beispiele

Analyse Grammatik Übersetzung
uštadi ušt+a+di "ausziehen" + intrans. 1. Sg. ich zog aus
nunabi nun+a+bi "kommen" + intrans. + 3. Sg. Abs. er/sie kam
terubi ter+u+Ø+bi "bestimmen" + trans. + 1. Sg. Erg. + 3. Sg. Abs ich bestimmte es
arume ar+u+Ø+ni+me "geben" + trans. + 3. Sg. Erg. + 3. Sg. Abs. + 3. Sg. Dat. er gab es mir
turutinini tur+u+tinini "vernichten" + trans. + Imp. Pl. vernichten sie ...!

Wortbildung

Das Urartäische kennt keine Komposita wie das Deutsche, statt dessen werden ersatzweise Genitivverbingundungen benutzt. Somit sind die Wörter jeweils von einem einzigen Wortstamm abgeleitet. Allerdings sind eine Reihe von Wortbildungssuffixen bekannt, die zur Ableitung neuer Wörter herangezogen werden können; die wichtigsten sind hier dieser Übersicht zusammengestellt.

Suffix Bedeutung Beispiel
-še bildet Abstrakta
-uše bildet deverbale Substantiva aruše "Geschenk" von ar- "geben"
-tuḫi bildet Abstraka erelituḫi "Königtum" von ereli "König"
-ḫi bildet Zugehörigkeitsadjektiva Išpuiniḫi "Sohn des Išpuini" (Adjektiv!)
-ḫali leitet Adektive von Toponymen ab
-(u)si leitet Adjektiva von Substantiva oder Pronomina ab

Besonders häufiger Verwendung erfreut sich in urartäischen Texten das Zugehörigkeitssuffix -ḫi. Es findet in Königsinschriften Verwendung, um nach dem Muster (Name) (Name des Vater)+ḫi den Namen des Vaters des Königs anzugeben, z.B. Menua Išpuini+ḫi ("Menua, Sohn des Išpuini"). Der Suffix taucht aber auch in Städtenamen auf, z.B. Rusa+i+ḫi+ni+li ("die Stadt des Rusa")

Die Verben haben grundsätzlich eine einsilbige Wurzel, es treten aber dafür Wurzelerweiterungen mit noch nicht genau geklärter Funktion auf, beispielsweise wird šid-išt- "bauen" aus der Verbwurzel šid- "gründen" mit der Wurzelerweiterung -(i)št- gebildet.

Syntax

Die Syntax des Urartäischen ist noch wenig erforscht, und die Rekonstruktion der Syntax wird dadurch erschwert, dass nur wenige Textgattungen (s.u.) überliefert sind, die sich oft – zum Beispiel bei Bauinschriften – an einen relativ starr vorgegebenen Satzbau halten.

Der Satzbau folgt im Wesentlichen dem Muster Subjekt – direktes Objekt – Verb, eine freiere Wortstellung ist jedoch problemlos möglich, etwa zur Hervorhebung eines Sachverhaltes; häufig wird der Name eines Gottes vorangestellt Ḫaldi+e Argišti+še E2 sidišt+u+ni dt. "Für (den Gott) Ḫaldi hat Argišti den Tempel gebaut.

Bei Genitivkonstruktionen können die Attribute sowohl vor als auch nach dem Leitwort stehen. Das weiter oben erwähnte Prinzip der Suffixaufnahme begünstigt dies, da aufgrund der Suffixkette sofort klar wird, welches Wort das Leitwort und welches das Attribut ist, also ist einerseits Ḫaldi+i+ni+ni alsuiši+i+ni dt. "durch die Grösse des Ḫaldi" und andererseits Menua+še Išpuini+ḫi+ni+še dt. "Menua, der (Sohn) des Išpuini" möglich.

Für Ergativ-Sprachen eher untypisch ist das Fehlen eines Antipassivs zur Bildung patiensloser Sätze (in Analogie zum Passiv bei Akkusativsprachen), obwohl in dem dem Urartäischen verwandten Hurritischen eine entsprechende Konstruktion vorhanden ist. Es besteht aber grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass aufgrund der noch unvollständigen Kenntnis der urartäischen Grammatik die antipassivischen Verbformen noch nicht als solche erkannt worden sind.

Textgattungen

Viele typische Textgattungen fehlen, insbesondere sind keine literarischen Texte überliefert. Am besten erhalten und gut verständlich sind die in Stein gemeißelten Inschriften, darunter fallen die Gattungen der Annalen, der Feldzugsberichte, der Bauinschriften und der Opferlisten (v.a. in Meher-Kapısı).

Auf Tontafeln überlieferte Texte sind größtenteils unklar, es handelt sich dabei meist um Briefe und Erlasse der Verwaltung sowie um Abrechnungen und um Maßgaben. Weiter gibt es Weihinschriften auf zahlreichen Gegenständen, u.a. Stelen, Gefäßen, Helmen und Pfeilspitzen. Schliesslich sind auch zahlreiche Ton-Bullen und eine Reihe unklarer Vermerke auf Ton und Bronze erhalten.

Textbeispiel: Gründungsinschrift in Erebuni

Bei diesem Text handelt es sich um eine der vielen überlieferten Bau- und Gründungsinschriften, welche von den Urartäer oft in mehrfacher Ausführung an Bauten oder Felsen angebracht worden sind. Es ist der gleiche Text, der eingangs des Artikels abgebildet ist. In der folgenden Transliteration wird der Text Zeichen für Zeichen in lateinischer Umschrift wiedergegeben, die Trennung der einzelnen Zeichen ist dabei durch Bindestriche und Leerzeichen markiert; Bindestriche sollen anzeigen, dass die damit verbundenen Zeichen ein Wort bilden. Sogenannte Determinative, welche das nachfolgende Wort genauer spezifieren, sind zur besseren Lesbarkeit hochgestellt, etwa d für "Gott" oder KUR für "Land". Spezielle Zeichen mit Symbolwert, die mit der Keilschrift als Logogramme indirekt aus dem Sumerischen übernommen wurden, sind in sumerischer Lesung gross geschrieben, ihre urartäische Aussprache ist nicht bekannt.

Transliteration

dḫal-di-e e-ú-ri-e i-ni E2

mar-gi-iš-ti-še mme-nu-a-ḫi-ni-še

ši-di-iš-tú-ni E2.GAL ba-du-si

te-ru-bi URUir-bu-ú-ni-ni ti-ni

KURbi-a-i-na-ú-e uš-ma-a-še

KURlu-lu-i-na-ú na-pa-ḫi-a-i-de

dḫal-di-ni-ni al-su-i-ši-ni

mar-gi-iš-ti-ni mme-nu-a-ḫi

LUGAL2 DAN.NU LUGAL2 KURbi-i-a-na-ú-e

a-lu-si URUtu-uš-pa-a-e URU

Übersetzung

Dem Gott Ḫaldi, dem Herrn, hat Argišti, Sohn des Menua, diesen Tempel erbaut und diese mächtige Burg.

Ich bestimmte Irbuni als ihren Namen, den Biai-Länder (=Urartu) die Herrschaft und den Lului-Länder (=Fremdländer) die Unterwerfung.

Durch die Grösse des Ḫaldi ist das Argišti, Sohn des Menua, der starke König, der König der Biai-Länder, der Hirte der Stadt Tušpa.

Analyse

Transliteration dḫal-di-e e-ú-ri-e i-ni E2
Analyse Ḫaldi+e ewri+e ini+Ø E2
Grammatik "Ḫaldi" + Dat. Sg. "Herr" + Dat. Sg. "dieser" +Abs. Sg. "Tempel" + Abs. Sg.
mar-gi-iš-ti-še mme-nu-a-ḫi-ni-še
Argišti+še Menua+ḫi+ni+še
"Argišti" + Erg. Sg. "Menua" + Zugehörigkeit + Art. Sg. + Suffixkette
ši-di-iš-tú-ni E2.GAL ba-du-si
šid-išt+u+ni E2.GAL+Ø bad-usi+Ø
"bauen"+Trans. + 3. Sg. "Burg" + Abs. Sg. "mächtig" +
te-ru-bi URUir-bu-ú-ni-ni ti-ni
ter+u+Ø+bi Irbuni+ni+Ø tin+i+Ø
"bestimmen" + trans. + 1. Sg. Erg. + 3. Sg. Abs. "Irbuni" + Art. Sg. + Abs. Sg. "Name" + Poss. + Abs. Sg.
KURbi-a-i-na-ú-e uš-ma-a-še
Biai+na+we ušmaši+Ø
"Biai" + Art. Pl. + Dat. Pl. "Herrschaft" + Abs. Sg.
KURlu-lu-i-na-ú na-pa-ḫi-a-i-de
Lului+na+we napaḫi+ia+edi
"Lului" + Art. Pl. + Dat. Pl. "unterwerfen" + ? + Dir. Sg.
dḫal-di-ni-ni al-su-i-ši-ni
Ḫaldi+i+ni+ni alsui-ši+ni
"Ḫaldi" + Gen.Sg. + Art.Sg. + Suffixkette "Grösse" + Instr.
mar-gi-iš-ti-ni mme-nu-a-ḫi
Argišti+Ø+ni Menua+ḫi
Argišti + Abs. Sg. + 3. Sg. Abs. "Menua" + Zugehörigkeit
LUGAL2 DAN.NU LUGAL2 KURbi-i-a-na-ú-e
LUGAL2+Ø DAN.NU+Ø LUGAL2+Ø Biai+na+we
"König" + Abs. Sg. "stark" + Abs. Sg. "König" + Abs. Sg. "Biai" + Art. Pl. + Gen. Pl.
a-lu-si URUtu-uš-pa-a-e URU
alusi+Ø Tušpa+i URU(+i)
"Hirte" + Abs. Sg. "Tušpa" + Gen. Sg. "Stadt" + Gen. Sg.

Literatur

  • Paul E. Zimansky: Ancient Ararat: A handbook of Urartian Studies. Delmar, New York 1998 (Bibliographie). ISBN 0-88206-091-0

Grammatiken

  • Joost Hazenbos: Hurritisch und Urartäisch. in: Sprachen des Alten Orients. Hrsg. Michael P. Streck. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2005. ISBN 3-534-17996-X
  • Joost Hazenbos: Urartäisch: Grammatik (Skript), 2004
  • Erlend Gehlken: Ein Skizzenblatt zum urartäischen Verbum in: N.A.B.U., Paris 2000 : No. 29
  • Mirjo Salvini: Geschichte und Kultur der Urartäer. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995. ISBN 3-534-01870-2
  • Giorgi A. Melikischvili: Die urartäische Sprache. Studia Pohl 7, Rom 1971

Texte

  • Nicolay Haroutyunyan: Corpus of Urartian Cuneiform Inscriptions. Academy of Sciences of Armenia, Erewan 2001 (russisch)
  • Friedrich Wilhelm König: Handbuch der chaldischen Inschriften. Archiv für Orientforschung. Beiheft 8, Graz 1957. ISBN 3-7648-0023-2