Islam in Frankreich

Überblick über den Islam in Frankreich
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Der Islam in Frankreich läßt sich trotz seines traditionell bedeutenden Einflusses auf die französische Politik nur vage in Zahlen erfassen, da entsprechend französischer Staatsbürgerschafts- und Antidiskrimierungsgesetze offizielle Befragungen zur ethnischen und religiösen Zugehörigkeit unzulässig sind.

Muslime in Frankreich

Minimalschätzungen nichtmuslimischer Demographen geben aber die Zahl ethnischer Muslime, d.h. Einwanderer aus islamischen Ländern und deren Nachkommen, mit 3,7 Millionen an, beziehen sich allerdings nur auf nordafrikanische und schwarzafrikanische Einwandererfamilien. Demnach wären von 3 Millionen Maghrebinern und 0,7 Millionen Schwarzafrikanern nur 1,7 Millionen eigentliche Einwanderer, aber weitere 1,7 Millionen deren Kinder, während sich nur 0,3 Millionen Enkel als Einwanderer ausgaben. (Insgesamt leben 14 Millionen „Mischlinge“ in Frankreich, das sind 23% der Bevölkerung, deren Elternteile und Vorfahren aber größtenteils Einwanderer aus anderen europäischen Staaten sind.)

Eine ähnliche Studie des französischen Innenministeriums schätzt anhand der Einwanderungsdaten 4,1 Millionen ethnische Muslime (ohne Berücksichtigung "illegaler" Immigranten und ohne Einwanderernachkommen), davon 1,5 Millionen Algerier, 1 Million Marokkaner, jeweils 0,35 Millionen Tunesier und Türken, aber nur 0,2 Millionen schwarzafrikanische Muslime. Hinzu kommen 30-40.000 französische Konvertiten.

Schätzungen islamischer Organisationen geben die Zahl der Konvertiten mit 70.000 Franzosen an und die Gesamtzahl der Muslime in Frankreich mit 5-6 Millionen (meist 5,5 Millionen, Maximalschätzungen sogar 8 Millionen), da sich 1,5 Millionen Muslime vor allem der dritten Einwanderergeneration als Franzosen bezeichnen. Das sind insgesamt knapp 10 Prozent der Gesamtbevölkerung, unter den Muslimen wiederum machen Algerier 35%, Marokkaner 25% und Tunesier 10% aus.

In der Wahrnehmung vieler nichtmuslimischer Franzosen werden jedoch Zuordnungen wie Maghrebiner, Algerier, Araber, Muslime und Nordafrikaner synonym verwendet, obwohl z.B. libanesische, syrische und ägyptische Araber z.T. Christen sind oder 1,5 bis 2 Millionen Maghrebiner eher Berber als Araber sind (so z.B. Fußballnationalheld Zineddine Zidane). Daher entsteht gelegentlich der falsche Eindruck, daß über 60% der muslimischen Einwanderer Algerier seien.

Frankreich und der Islam: Geschichte

Der Islam in Frankreich ist sogar älter als die Geschichte Frankreichs selbst. Die arabische Eroberung Narbonnes 719 (nur acht Jahre nach dem arabischen Sieg über die spanischen Westgoten) lag noch vor Aufstieg (737, 751), Kaiserkrönungen (800, 814) und Reichsteilungen (843, 870, 880) der Karolinger, und erst mit ihrem endgültigen Sturz durch die Kapetinger begann 987 die Geschichte des eigentlichen Frankreich.

Mauren und Sarazenen

 
Karl Martell 732 in der Schlacht vor Tours

Von Narbonne aus eroberten die Muslime im 8. Jahrhundert Arles, Avignon und die Provence im Osten, Bordeaux und Toulouse im Westen, im Norden stießen sie vom Rhonetal über Lyon und Dijon bis Sens an der Loire vor sowie bis Langres und zur Frankenhauptstadt Autun, die sie 726 und 731 plünderten. Faktisch ganz Frankreich bzw. das Frankenreich südlich der Loire (von den Arabern Firandja genannt) fiel vorübergehend ihn ihre Hand, der Herzog von Aquitanien verbündete und verschwägerte sich mit ihnen gegen den fränkischen König. Die Plünderung des reichen Klosters von Tours aber scheiterte 732 durch die Niederlage in der Schlacht zwischen Tours und Poitiers, die in der christlichen Geschichtsschreibung allerdings fälschlich als Rettung des Abendlandes vor islamischer Herrschaft überhöht wird. Im Gegenstoß eroberten die Franken 739/751 Septimanien und 759 auch Narbonne. Arabische Einfälle in Aquitanien und die Provence hielten aber bis 765 an, ein Gegenstoß Karls des Großen scheiterte 778 vor Saragossa.

Zum Schutz vor den Muslimen errichtete Karl als Pufferzone 781 das Teilkönigreich Aquitanien unter seinem Sohn Ludwig dem Frommen, doch Narbonne und Carcassonne wurden von ihnen 793 nochmals kurz zurückerobert. Daraufhin schuf Karl 795 die vorgeschobene Spanische Mark (812 bis zum Ebro erweitert) unter den Markgrafen von Barcelona, die Geburtsstunde Kataloniens (Barcelona 801, 827 und 852, letztmals 985 von Mauren erobert, bis 1137 französisch).

 
Kalif Harun schenkte Kaiser Karl 801 einen weißen Elefanten namens Abul Abbas

War schon der fränkische Zug nach Saragossa in Absprache mit den irakischen Abbasiden gegen die spanischen Umayyaden erfolgt, so tauschten Kaiser Karl und Bagdads Kalif Harun ar-Raschid in der Folgezeit weitere Gesandtschaften und Geschenke aus. (Etwa 1.200 Jahre später, von der Ölkrise 1973 bis zum Sturz Saddam Husseins 2003, hatte Frankreich erneut privilegierte Beziehungen zum Irak.)

Im 9. Jahrhundert setzten sich die Muslime trotz einer fränkischen Intervention auf Korsika fest (810/860-930/1020), während Ludwigs I. (des "Frommen") Enkel Ludwig II. den Islam in Italien bekämpfte. Ab 838 überfielen sie erneut Südfrankreich und das Rhonetal, plünderten z.B. 832 und 848 Marseille bzw. 813, 859 sowie 880 Nizza und errichteten 888 auch wieder in der Provence mit Fraxinetum einen neuen Brückenkopf, der sich den spanischen Mauren unterstellte. Von dort unternahmen sie im 10. Jahrhundert Plünderungszüge im Westen bis nach Arles und Nimes sowie entlang der Rhone bis Avignon, Vienne (bei Lyon) und Grenoble, stießen im Norden über Genf (939) auch zu den Schweizer Alpenpässen und im Osten über Nizza (942) nach Oberitalien vor und beherrschten dann längere Zeit die Schweiz (952-960), Savoyen (942-965) und die Provence (906-972), ehe sie 975 auch Fraxinetum aufgaben.

Im 11., 12. und 13. Jahrhundert beteiligten sich französische Ritter an den Kreuzzügen. In Spanien halfen sie der Reconquista 1064 bei der Plünderung Barbastros, 1118 bei der Einnahme Saragossas und 1212 in der Schlacht bei Las Navas de Tolosa. 1098-1291 griffen sie vor allem Syrien und Palästina an und errichteten dort Kreuzfahrerstaaten, französische Adelige wurden Könige von Jerusalem und (lateinische) Kaiser von Konstantinopel. Frankreichs König Ludwig IX. griff 1254 und 1270 vergeblich auch das ayyubidische Ägypten und das hafsidische Tunesien an.

Bündnis mit den Türken

Erst im 16. Jahrhundert trat Frankreich dann wieder mit dem Islam in Kontakt. Gegen die Umkreisung durch spanische und österreichisch-deutsche Habsburger, die damals auch Belgien und Italien beherrschten, schloss Frankreich 1536 ein bedeutsames Bündnis mit dem Reich der osmanischen Türken. Es war das erste und über Jahrhunderte das einzige Bündnis eines abendländischen Staates, dessen König sich (seit 1469) vom Papst immerhin „allerchristlichste Majestät“ nennen ließ, mit den orientalischen Sultanen von Istanbul, die als kalifale Nachfolger der Abbasiden auch oberste Führer des (sunnitischen) Islam zu sein beanspruchten.

Dieses überlebenswichtige Bündnis isolierte Frankreich vorübergehend in der katholischen Welt, die Protestanten schlossen jedoch Bündnisse mit Frankreich und verweigerten dem katholischen Kaiser die Reichstürkenhilfe. Auf dem Höhepunkt der französisch-spanischen Kämpfe um Italien griffen türkische Truppen Österreich 1529 (erfolglos) an, während algerisch-türkische Piraten mit französischer Unterstützung italienische und spanische Küstenstädte plünderten, so z.B. gemeinsam mit einem französischen Landheer 1543 Nizza. Frankreich war das einzige katholische Land, in dem nach der türkischen Niederlage in der Seeschlacht von Lepanto 1571 nicht das Te Deum anlässlich des christlichen Sieges über die Muslime angestimmt wurde.

Nach der zweiten Niederlage seiner türkischen Verbündeten vor Wien 1683 griff Frankreich in einem (vergeblichen) Entlastungsangriff Österreich von Westen an und zog damit das Deutsche Reich erstmals in einen Zweifrontenkrieg. Von da an entschieden sich auch immer wieder einzelne Franzosen für eine Konversion zum Islam, so z.B. der Artilleriegeneral Bonneval, der die Türken 1739 zum letzten Sieg über Österreich führte. Im Österreichischen Erbfolgekrieg kämpften Türken und Tataren ab 1743 als französische Freiwillige in den Volontaires de Saxe. Um 1750 schloß Frankreich auch Bündnisse mit dem Nizam von Hydarabad und anderen muslimischen Fürsten Indiens, bis 1799 unterstützte zudem auch das revolutionäre Frankreich Tipu Sultan von Maisur, während die Briten dessen hinduistischen Gegnern beistanden.

Doch unter Napoleon Bonaparte, der 1798 als Revolutionsgeneral dem Osmanischen Reich Ägypten entriss, zerbrach das französisch-türkische Bündnis. Napoleon hatte im gleichen Jahr übrigens auch in Rom den Papst entthront und dann in Ägypten seine Proklamationen mit „Sultan kabir“ (großer Sultan) unterzeichnet, woraufhin ihn radikale Katholiken ebenso wie später auch russische Orthodoxe als vom Glauben abgefallener „Antichrist“ ansahen.

Frankreich und Ägypten

 
Nach seinem Sieg im Schatten der Pyramiden unterwarf Napoleon 1798 die Mamluken und Ägypten, dann zog er gegen Syrien
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Francisco Goya: Die mitgebrachten Mamluken bekämpften 1808 Madrider Aufständische

Die Ägyptische Expedition der Franzosen hatte dennoch bedeutende Auswirkungen sowohl für Frankreich als auch für die gesamte Arabische Welt. Zwar blieb Ägypten nur bis 1801 französisch, doch der letzte Gouverneur (General Menou) nahm den Islam an, und Napoleon brachte aus Ägypten einige Hundert Muslime (Mamluken) mit, die in französischen Diensten z.B. 1808 den Aufstand in Madrid niederschlagen halfen. Der Mameluck Roustam diente Napoleon viele Jahre als Kammerdiener, und die neugewonnenen Kenntnisse über den Islam und die Region beflügelten die französische Orientalistik erheblich. Auf orientalischer Seite wiederum löste das französische Vorbild (z.T. überstürzte) Modernisierungsbestrebungen der türkischen Sultane und der ägyptischen Vizekönige aus, Rifa'a Rafi' al-Tahtawi und andere Studienreisende entdeckten Frankreich und Europa ebenso wie Al-Afghānī und sein Schüler Muhammad Abduh, doch mit der Moderne drang fortan auch der dem Islam fremde Nationalismus in den gesamten Orient ein.

Das auf dem Höhepunkt der „Orientalischen Krise“ geschlossene französisch-ägyptische Bündnis von 1830-40 isolierte Frankreich gegenüber der Quadrupelallianz kurzzeitig erneut und führte zum endgültigen Zusammenbruch der „Heiligen Allianz“ in Europa, während der ebenfalls zum Islam übergetretene französische Artilleriegeneral Seve die ägyptische Armee modernisierte. Die Ägyptenexpedition war auch der Auftakt zu französischen Kolonialerwerbungen islamischer Gebiete auf Kosten des Osmanischen Reiches, wenn auch Frankreich unter Napoleon III. im Krimkrieg 1853-56 nochmals auf Seiten der Osmanen gegen Russland kämpfte.

Von vergleichsweise größter Bedeutung war dabei 1830 die Besetzung der algerischen Küstenstädte Algier, Oran und Bone (Annaba), die zum Ausgangspunkt der Eroberung des gesamten Maghreb einschließlich Tunesiens (1881), Mauretaniens (1905) und Marokkos (1912) wurden. Erst nach dem Ersten Weltkrieg kamen in der Levante bzw. im arabischen Osten (Maschriq) 1920 auch Syrien und der Libanon unter französische Mandatsherrschaft, eine erste Welle muslimischer Einwanderung folgte. Ein 1925 gleichzeitig in Marokko und Syrien ausgebrochener Aufstand wurde mit nationalistischer Begeisterung 1927 niedergeschlagen.

Frankreich und Algerien

 
Algerische Muslime im französischen Heer: Turkos rechts und hinten, Zuave links (1897)

Obwohl seit 1637/1659 und 1791/1859 auch Senegal (älteste dauerhafte islamische Kolonie Frankreichs), seit 1654 Reunion, seit 1841/1885 die Komoren (bis 1975) und seit 1862 Dschibuti (bis 1977) französisch waren, spielte Algerien die zentrale und besondere Rolle im französischen Kolonialreich, vergleichbar der Indiens im britischen Empire. Das wurde nach der bürgerlich-demokratischen Revolution 1848 durch die Einbeziehung dreier algerischer Departements ins französische Mutterland noch verstärkt bzw. verkompliziert: Algier, Oran und Constantine (Hinterland von Bone/Annaba, von dort kamen die Zuaven). Algerien war nun geteilt: die Sahara stand unter kolonialer bzw. seit 1871 unter Militärverwaltung, während die von Algeriern und einer Minderheit französischer Siedler bewohnte Küstenregion als unmittelbarer Teil der Republik selbstverständlich keine Autonomie erhalten konnte.

Als Franzosen fielen Hunderttausende Algerier und Senegalesen im Deutsch-Französischen Krieg sowie auf den Schlachtfeldern beider Weltkriege. Am Ersten Weltkrieg hatten allein in Frankreich über 400.000 Nord- und Schwarzafrikaner, davon 170.000 Algerier teilgenommen, 70.000 von ihnen waren gefallen, davon 25.000 Algerier - zum Dank an die im Ersten Weltkrieg bei Verdun getöteten Muslime wurde 1922 die Große Moschee in Paris errichtet. Im Zweiten Weltkrieg spielten der Senegal bzw. der Tschad und 500.000 afrikanische Soldaten auf der Seite der „Freien Franzosen“ eine Schlüsselrolle bei der Befreiung des französischen Mutterlandes (250.000 kämpften in Tunesien und Libyen, 15.000 auf Korsika, 200.000 in Frankreich selbst, fast 400.000 in Italien, Tausende wurden Besatzungstruppen in Deutschland und Österreich). Die „Freien Franzosen“ hatten 1943/44 Syrien und den Libanon in die Unabhängigkeit entlassen müssen, als aber nach Kriegsende 100.000 entlassene algerische Soldaten zumindest Autonomie auch für ihre Heimat forderten, wurden sie 1945 zusammengeschossen (Massaker von Sétif, 40.000 Algerier wurden dabei getötet), bereits 1944 waren ähnliche Proteste der Tiraileurs Sénégalais blutig niedergeschlagen worden). Algeriens Muslime erhielten zwar französische Bürgerrechte, Algerien selbst wurde so aber nur noch enger an Frankreich gebunden, da in der Sahara Erdöl gefunden wurde.

Unmittelbar nach der französischen Niederlage im Indochinakrieg 1954 brach der algerische Aufstand aus, gefördert durch nasseristische Agitatoren aus Ägypten. Bereits 1953 hatten sich die Marokkaner erhoben. Nach einer gescheiterten Intervention in Ägypten und der „Schlacht von Algier“ mußte Frankreich 1956 Marokko und Tunesien in die Unabhängigkeit entlassen, 1958 bzw. 1960 auch Senegal und ganz Schwarzafrika, in Algerien aber putschten französische Siedler gegen einen französischen Rückzug oder die 1959 angebotene Autonomie. Dennoch endete der Algerienkrieg, der die algerische Gesellschaft gespalten und auch Frankreich selbst an den Rand eines Bürgerkrieges gebracht hatte, nach über 500.000 Toten (anderen Angaben zufolge 1,5 Millionen) 1962 mit der Unabhängigkeit Algeriens.

Zusammen mit zwei Millionen Siedlern und profranzösischen Algeriern flohen fast 100.000 algerische Söldner, sogenannte "Harkis", nach Frankreich (weitere 150.000 Harkis sollen der algerischen Rache überlassen worden sein). Fast zeitgleich mit den Harkis strömte in den 1960er Jahren als ins Land gerufene Gastarbeiter die zweite Welle muslimischer Einwanderer nach Frankreich. Wegen des einstigen Sonderstatus´ Algeriens haben zur Zeit der französischen Herrschaft geborene Algerier und sogar deren Kinder bis heute ein automatisches Anrecht auf die französische Staatsbürgerschaft (anders als etwa Marokkaner, Tunesier oder Senegalesen).

Zusammenfassung (Zeittafel)

  • 8./9. Jahrhundert - islamische Angriffe auf Südwestfrankreich (Narbonne 719-759 arabisch), aber Freundschaft des Frankenkaisers mit dem Kalifen in Bagdad
  • 9./10. Jahrhundert - islamische Angriffe auf Südostfrankreich (Korsika 810-930/1020 und Fraxinetum 888-975 arabisch)
  • 11.-13. Jahrhundert - französische Kreuzzüge gegen den Islam in Spanien, Palästina, Ägypten und Tunesien
  • 16.-18. Jahrhundert - französisch-osmanisches Bündnis (1536-1798)
  • 17. Jahrhundert - Eroberung Senegals und Reunions
  • 18. Jahrhundert - Bündnis Frankreichs mit muslimischen Fürsten Indiens
  • 19. Jahrhundert - französisch-ägyptisches Bündnis und Eroberung Algeriens
  • 20. Jahrhundert - Erwerb weiterer islamischer Kolonien (Maghreb und Levante) und Verlust derselben trotz Einbürgerung der Muslime, Algerienkrieg und muslimische Einwanderung trotz Integrationsproblemen, Freundschaft Frankreichs zum Irak (1973-2003)

Generationenkonflikt und soziale Probleme

 
Einanderer aus 41 Nationen leben im Pariser Arbeitervorort Aubervilliers

Die geringe Selbstidentifikation vor allem der dritten Einwanderergeneration als ethnische Muslime ist Ausdruck eines Generationskonfliktes. Während vor allem die älteren muslimischen Einwanderer eher ländlich, traditionell sowie orientalisch geprägt sind und auch die meisten Imame aus dem Orient kommen, gelten große Teile ihrer jugendlichen Nachkommen als verstädtert, europäisiert bzw. franzosisiert und favorisieren einen Euro-Islam (Bassam Tibi und Tariq Ramadan) sowie eine von westlichen Einflüssen geprägte Mischkultur (z.B. Raï-Musik oder Französischer Hip-Hop).

Die Situation der Maghrebiner in Frankreich ist z.T. ähnlich jener der Türken in Deutschland, die sozialen Probleme scheinen die gleichen: Ghettoisierung (in Frankreich die Vorstädte), bis zu 30%ige Arbeitslosigkeit, Armut, Perspektivlosigkeit und eine vermeintlich höhere Ausländerkriminalität, schlechte bzw. mangelhafte Integration. Diese explosive Situation entlud sich seit 1979 immer wieder und fand ihren vorläufigen Höhepunkt spätestens im November 2005 in den Pariser Vorstadtunruhen. Der französische Innenminister Sarkozy verschärfte die Situation noch, in dem er die revoltierenden Jugendlichen zumeist nordafrikanischer Herkunft als „Abschaum“ und „Gesindel“ titulierte. In die berechtigten Proteste mischte sich islamischer Antisemitismus, muslimische Nordafrikaner gaben der jüdischen Abstammung Sarkozys (über seine Mutter) Mitschuld für die Ausfälle des Innenministers.

Religionsausübung und Islamismus

 
Zinédine Zidane: französischer Fußballheld, algerischer Berber und liberaler Muslim

Hinzu kommen Bildungsunterschiede und Sprachprobleme. Da im laizistischen Frankreich nirgendwo Religionsführer herangebildet werden, erhalten die islamischen Geistlichen ihre Ausbildung allesamt im Ausland. Nur ein Drittel der Imame spricht daher fließend Französisch, je ein weiteres Drittel hat gerade mal durchschnittliche bzw. nur mangelhafte Französischkenntnisse. Einige von ihnen stehen unter dem Einfluss ausländischer Islamisten, die französische Regierung hat einige radikale Imame der Pariser Moschee ausgewiesen.

Für 4-6 Millionen Muslime gibt es etwa 1.500 Moscheen in Frankreich, die erste Moschee der Neuzeit wurde 1535 gegründet, die erste in ganz Westeuropa seit dem Fall Granadas. Diese scheinbar große Moscheenzahl ist aber unbedeutend im Vergleich zu z.B. 1.700 protestantischen Kirchen für nur 500.000 Protestanten oder 40.000 Kirchen für knapp 48 Millionen Katholiken in Frankreich. Eine muslimische Schule gab es zunächst nur in Reunion, erst 2001 wurde im Pariser Vorort Aubervilliers ein erstes muslimisches Gymnasium eröffnet. Zentren des Islam in Frankreich sind heute die Pariser Vororte (z.B. Saint Denis), Lyon, Straßburg und vor allem Marseille als Nachfolger von Narbonne und Fraxinetum. Bezeichnenderweise ist das andalusische Cordoba die Partnerstadt von Saint-Denis.

Ideologisch konkurrieren ein aufgeklärter Euro-Islam, ein zunehmend republikanisch-laizistisches Alltagsleben vor allem der Einwanderer-Enkel und islamistische Strömungen miteinander. Die muslimischen Strömungen wiederum treffen auf einen rechten Rassismus französischer Nationalisten, die das Gespenst einer Islamisierung beschwören. Etwa 1987 entlud sich dieser Konflikt an der französischen Politik gegenüber dem schiitischen Iran (Frankreich unterstützte im irakisch-iranischen Krieg massiv den Irak) und dem Libanon, Paris wurde Ziel zahlreicher blutiger Terroranschläge. In den Jahren 1994/95 trugen die algerischen Extremistengruppen GIA und MIA erneut den Terrorismus nach Paris und Marseille, u.a. gegen die Pariser Metro, während Frankreich die Anti-Terror-Einheiten in Algerien unterstützte.

Als 2003 aber der britische Innenminister medienwirksam hinter einem vermeintlich geplanten Giftanschlag ("Rizin-Komplott") auf die Londoner U-Bahn eine von Algeriern gebildete „Nordafrikanische Befreiungsfront“ ausgemacht haben wollte, erklärten jedoch französische, algerische und marokkanische Geheimdienste gleichlautend, allein schon von der bloßen Existenz einer solchen Front keinerlei Kenntnis zu haben.

Im Gegensatz zu Vorstadtunruhen und Terroranschlägen war der Kopftuchstreit ein weiteres, aber gewaltloses Beispiel für Auseinandersetzungen mit und innerhalb des französischen Islam (Schulausschluss zweier Mädchen in Aubervilliers). Das Verschleierungsverbot wird von den Mehrheit der französischen Muslime ebenso abgelehnt wie der Terrorismus – von Männern und Frauen, ethnischen Muslimen und Konvertiten gleichermaßen. Die Mehrheit der Konvertiten sind übrigens junge, unverheiratete und intellektuelle Frauen, d.h. nicht vorrangig nur französische Ehefrauen muslimischer Einwanderer. Zu den populärsten Konvertiten zählt der als Nachwuchsfußballer gefeierte Nationalspieler und WM-Finalist von 2006, Franck Ribery.

berühmte französischsprachige Konvertiten

Organisationen

Dem 2002 vom französischen Innenminister Sarkozy zwecks staatlicher Einflußnahme geschaffenen Französischen Rat Muslimischen Glaubens (Conseil Francais du Culte Musulman) gehören die von Marokkanern dominierte Nationale Föderation Französischer Muslime, der von Algerien geleitete Pariser Moschee sowie die von Moslembrüdern beeinflusste Union Islamischer Organisationen Frankreichs (UOIF) an. Die französische Regierung hofft so, aus dem Islam in Frankreich einen "französischen Islam" zu machen. Dieser Rat, dessen formaler Vorsitzender Dalil Boubakeur, der algerische Imam der Großen Moschee in Paris ist, setzt die Muftis von Paris und Marseille ein (und ab), in Marseille allerdings machte sich der von Boubakeur zum Großmufti erhobene liberale Saudi-Araber Soheib Bencheikh unabhängig und will sogar für die Präsidentschaftswahlen 2007 kandidieren.

Weitere, aber kleinere Parteien sind die Tariq Ramadan nahestehende Konföderation der Muslime Frankreichs sowie einige dem Konvertiten René Guénon folgende Organisationen. Zudem haben zahlreiche Exilgruppen ausländischer Politiker Asyl in Frankreich gefunden, z.B. der islamisch-sozialistische Nationale Widerstandsrat Irans unter „Präsidentin“ Maryam Radschawi. Neben iranischen leben auch zahlreiche kurdische Emigranten in Frankreich.

Literatur

  • Mohammed Arkoun: L´islam et les musulmans dans le monde. Paris 1993
  • Günter Kettermann: Atlas zur Geschichte des Islam. Darmstadt 2001
  • Burchard Brentjes: Die Mauren. Leipzig 1989
  • Ulrich Haarmann: Geschichte der Arabischen Welt. C.H. Beck München, 2001 ISBN 3406381138
  • Constanze von Krosigk: Der Islam in Frankreich - Laizistische Religionspolitik von 1974 bis 1999. Hamburg 2000
  • Alexandre Escudier: Der Islam in Europa - Der Umgang mit dem Islam in Frankreich und Deutschland. Göttingen 2003
  • Thomas Deltombe: L’islam imaginaire - La construction médiatique de l’islamophobie en France 1975 – 2005. Paris 2005

wegen einiger Fehler, Ungenauigkeiten und Vorurteile mit gewisser Vorsicht zu genießen

  • Hans Leicht: Sturmwind über dem Abendland - Europa und der Islam im Mittelalter. Wiesbaden 2002

Siehe auch

englische und französische Wikipedia

weitere