Daniel Goldhagen

US-amerikanischer Soziologe, Politikwissenschaftler und Autor
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 2. Juni 2006 um 13:40 Uhr durch Linksrechts (Diskussion | Beiträge) (Kritik an Goldhagen: "vor allem aber z.T." raus). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Daniel Jonah Goldhagen (* 30. Juni 1959 in Boston, Massachusetts) ist ein US-amerikanischer Soziologe und Politologe.

Biographie

Goldhagen war einige Jahre lang Assistenzprofessor an der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts), USA. Er beschäftigte sich in dieser Zeit in seiner Forschungsarbeit mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust. Gegenwärtig (2005) ist er freischaffend als Schriftsteller tätig und schreibt ein Buch über den Völkermord in unserer Zeit.

Die Goldhagen-Debatte

Mit seinem Buch "Hitler's Willing Executioners" (dt. "Hitlers willige Vollstrecker") sorgte Goldhagen 1996 in Deutschland für eine erneute Debatte um die Ursachen des Holocaust.

Goldhagens Thesen

Goldhagen untersucht in seinem Werk die Ursprünge des, seiner Ansicht nach, spezifisch deutschen eliminatorischen Antisemitismus. Zwar sei der moderne Antisemitismus ein gesamteuropäisches Phänomen, aber die Option, die Juden tatsächlich physisch zu vernichten, sei nur in Deutschland in größerem Ausmaß diskutiert worden. Goldhagen weist diesen Diskurs denn auch im deutschen antisemitischen Schrifttum bis ins frühe 19. Jahrhundert nach. Kern seiner Arbeit in Anlehnung an Christopher Brownings Untersuchungen ist die Beschreibung eines Polizeibataillons, das für Massenerschießungen polnischer Juden im Generalgouvernement eingesetzt wurde. Anhand von Feldpostbriefen der Bataillonsangehörigen weist Goldhagen nach, dass diese Männer ihre Taten ohne Unrechtsbewußtsein und mit Überzeugung ausführten. Sie seien unfähig gewesen, so Goldhagen, Mitgefühl für ihre Opfer zu empfinden, weil sie diese nur als zu beseitigendes Übel betrachteten. Wichtig für die Analyse Goldhagens ist der Umstand, dass dieses Polizeibataillon hauptsächlich aus Durchschnittsbürgern bestand, deren politische Sozialisation lange vor der Machtergreifung stattgefunden hatte. Es habe sich also nicht um typische Nazis, sondern um "ganz normale Deutsche" gehandelt. Seine daraus folgende These lautete: Die Nationalsozialisten hätten die Judenvernichtung nur ausführen können, weil im deutschen Volk ein jahrhundertelang gewachsener eliminatorischer Antisemitismus verbreitet gewesen sei.

Kritik an Goldhagen

Goldhagens These stieß international, auch bei deutschen Historikern, auf Widerspruch. Die Kritiker betonen, dass es im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert außerhalb Deutschlands genauso starke, zum Teil sogar stärkere antisemitische Strömungen gegeben habe. Sie weisen etwa auf die Geschehnisse um die Dreyfus-Affäre in Frankreich hin sowie auf die seit den 1880er Jahren immer wieder mit staatlicher Duldung oder gar Unterstützung verübten Pogrome an Juden im zarischen Russland. Der methodische Haupteinwand gegen Goldhagen ist, dass er die Ursprünge des eliminatorischen, angeblich spezifisch deutschen Antisemitismus nur ins 19. Jahrhundert verlagere, die Gründe für dessen Entstehung aber ebenso wenig erkläre wie andere Forscher vor ihm. Auch gehe er nicht vergleichend auf die Kollaboration bei der Judenvernichtung durch Administration, Polizei und Bevölkerung im Krieg besetzter Länder ein, die der deutschen Unterstützung einschließlich jenes exemplarisch untersuchten Polizeibataillons teils beachtlich nahekomme. Der am weitesten verbreitete Vorwurf gegen Goldhagen lautet, er weise den Deutschen eine Kollektivschuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus zu. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe seines Bestsellers betont Goldhagen jedoch, dass er nicht alle Deutschen kollektiv für schuldig erachte. Sehr viele Deutsche hätten sich jedoch tatsächlich schuldig gemacht.

Der bisher schärfste Angriff auf Goldhagen erschien 1997 in England. Das „Cambridge Historical Journal” (CHJ) der Universität Cambridge enthält einen Beitrag von Ruth B. Birn, derzeit leitende Historikerin des kanadischen Regierungsamtes für Kriegsverbrechen. Seit Ende der 70er Jahre betreibt Birn ihre Forschungen im Archiv für NS-Verbrechen in Ludwigsburg, dem Goldhagen den größten Teil der angeblichen Belege für seine These entnahm, viele „gewöhnliche Deutsche” hätten sich voller Hingabe am Massenmord an den Juden beteiligt.

Goldhagen bedankt sich in seinem Werk u.a. bei Birn für die Unterstützung seiner Arbeit. Nun hat Birn allerdings seine „Forschungen” vernichtend kritisiert. Sie erklärt zu ihrem Artikel im CHJ, sie kenne Goldhagen seit langem und der Angriff auf sein Buch sei »schmerzlich« für sie, aber »man ist der Wahrheit verpflichtet«. Birn schreibt, Goldhagen habe Originaltexte eindeutig falsch wiedergegeben und ein »Netz von Phantasien« gesponnen. In seinem Buch sei »alles in Konjunktivform geschrieben wie in schlechten historischen Romanen«. Aus dem »tonnenweise« vorliegenden Material in Ludwigsburg stütze er sich auf ganze 166 Aussagen vor Kriegsverbrechertribunalen. »Mit Goldhagens Methoden im Umgang mit Beweismaterial könnte man aus dem Ludwigsburger Material leicht die nötigen Zitate heraussuchen, um das genaue Gegenteil von dem zu beweisen, was Goldhagen behauptet.« Er habe selektiv zitiert, so daß er die Dokumente eigentlich verfälscht: »Er nimmt selektive Ausschnitte und bläht sie überproportional auf [...]. Er verwendet Material als Beleg für eine vorgefaßte Theorie.« Für eine akademische Fachzeitschrift ist Birns Polemik gegen Goldhagen von ganz ungewöhnlicher Schärfe.

Werke

Literatur

  • Jürgen Elsässer: Die Fratze der eigenen Geschichte, 1999, ISBN 3-88520-756-7
  • Michael F. Feldkamp, : Goldhagens unwillige Kirche. Alte und neue Fälschungen über Kirche und Papst während der NS-Herrschaft. 2003 ISBN 3789281271
  • Dieter Pohl: Die Holocaustforschung und Goldhagens Thesen. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 45(1997), Seite 1-48
  • Matthias Küntzel: Goldhagen und die deutsche Linke. Oder die Gegenwart des Holocaust, 1997, ISBN 3-88520-639-0