Heterosexismus
Heterosexismus und Homophobie (von griech. homo gleich / gemeinsam und griech. Φοβος (Fóbos), Angst). Beide Begriffe umfassen Haltungen und Verhalten gegen die gleichgeschlechtliche Liebe und gegen homosexuelle Personen. Heterosexismus bezeichnet ein gesellschaftliches und institutionalisiertes Denk- und Verhaltenssystem, das Heterosexualität anderen Formen sexueller Orientierung als überlegen einordnet.[1] Homophobie bezeichnet eine soziale, gegen Lesben und Schwule gerichtete homophobische Aversion bzw. Feindseligkeit.[1]
Abgrenzung Heterosexismus und Homophobie
Ideologie / Weltanschauung | Identitätsform[2] | Abwehrform | ||
---|---|---|---|---|
Heteronormativität Heterosexismus |
Heterosexuell |
Sexuelle Identität | Homophobie | Heterosexismus |
Geschlechtsidentität Geschlechterrolle |
Sexismus z.B. Transphobie[3] | |||
Nationalismus | Rassismus | Kulturelle Identität | Ethnisch | Xenophobie | Ethnische Säuberung | ||
Religion | Religiöse Identität | z.B. Antisemitismus |
Heterosexismus ist nicht nur eine Abwehrform, sondern auch ein ideologisches System, das jede nicht heterosexuelle Form von Identität, Verhalten, Beziehung oder Gemeinschaft verweigert, verunglimpft und stigmatisiert[4], und ist zu verstehen als eine nicht hinterfragte gesellschaftliche Setzung heterosexueller Lebensentwürfe und -weisen, als die sexuelle „Normalität“, die z. B. die schwule und lesbische Existenz als Randerscheinung oder weniger „natürliches“ Phänomen, als bloße „sexuelle Vorliebe“ abhandelt[5].
„Heute“[6] versteht man Homophobie, wie auch Homosexualität, nicht als eine körperliche oder psychische „Krankheit“. Homophobie bezeichnet einerseits eine irrationale Angst vor Homosexualität, und anderseits den Hass, Ekel und die Vorurteile, welche wiederum Angst und infolgedessen Aggression und Gewalt produzieren. Somit gilt Homophobie auch als ein Erklärungsansatz für die Neigung von Jugendlichen, Schwulen und Lesben mit Gewalt zu begegnen.[5][7] Aus tiefenpsychologischer Sicht handelt es sich bei Homophobie – wie bei Sexismus, Rassismus oder Antisemitismus – um eine meist unbewusste Angst, die eigene Identität in Frage zu stellen.[2] Der Begriff Phobie wird im umgangssprachlichen Sinne auch für Abneigungen aller Art gebraucht.[8] Homophobe Menschen beschäftigen sich häufig exzessiv mit Homosexualität und wollen sie bekämpfen.
Unabhängig davon, ob als Heterosexismus oder Homophobie bezeichnet, müssen die verschiedenen Formen antihomosexueller Gewalt (seitens Gesellschaft, Gruppierungen oder Individuen, usw.) als gestörte Verhaltensweisen bezeichnet werden, die ihrerseits Lesben und Schwule in ihrer Entfaltung teilweise massiv beeinträchtigen und unter denen sich sekundär psychische Störungen entwickeln können.[9]
Ausprägungen
Je nach Ausprägung reicht Heterosexismus bzw. Homophobie von Vorurteilen über ausgeprägte Abneigung und Befürwortung staatlicher Repressionen gegen Homosexuelle bis hin zu äußerstem Hass und körperlicher Gewalt gegen Homosexuelle. Es sind auch Fälle bekannt, in denen Homosexuelle nur wegen ihrer sexuellen Orientierung ermordet wurden (z.B. der Tod von Matthew Shepard). In einigen Staaten ist die Tötung von Homosexuellen sogar staatlich organisiert (in vielen islamischen Ländern sieht die Scharia die Todesstrafe für Schwule vor). Auch in Deutschland trugen Heterosexismus und Homophobie lange zur Homosexuellenverfolgung bei.
Heterosexistische Vorurteile
Zu den Vorurteilen, die zur heterosexistischen Ideologie gehören, können gerechnet werden:
Vorurteil | w[10] | m[11] | Realität |
---|---|---|---|
Homosexuelle entsprechen dem Stereotyp des Geschlechtes dem sie nicht angehören. Schwule verhalten sich „weiblich“ und umgekehrt sind Lesben eher „Mannweiber“. | w | m | Es kommt vor, dass einzelne Schwule (analoges gilt für Lesben) sich betont feminin geben. Meist dient das als Hilfe bei der Emanzipation von männlichen Rollenklischees. |
In gleichgeschlechtlichen Beziehungen gibt es in Alltag und Bett immer eine fix (immer derselben Person) zugewiesene „männliche“ und „weibliche“ Rolle. | w | m | In der Praxis der meisten homosexuellen Beziehungen ergeben sich die übernommenen Rollen nicht aus männlichen und weiblichen Klischees sonder werden frei definiert. |
Schwule sind unfruchtbar bzw. zeugungsunfähig. | m | Offensichtlich können Schwule nicht mit ihrem Lebenspartner Kinder bekommen, sie können aber wie jeder Mann mit einer Frau auf klassischem oder künstlichem Wege Kinder zeugen. | |
Alle Schwulen haben viele und häufig wechselnde Sexualpartner, sind also promisk. | m | Hier gibt es in der Praxis zwei Strömungen. Viele Schwule leben genauso (seriell-)monogam wie Heterosexuelle. Es gibt aber eine durchaus große Gruppe, die viele Sexualkontakte hat und es kommt auch nicht so selten vor, dass sogenannte „Offene Partnerschaften“ eingegangen werden. Vor 1982 (AIDS) war die Anzahl der promisk lebenden Männer allerdings höher. | |
Schwule sind heterosexuellen Männern an Körperkraft und Geschicklichkeit unterlegen. Typisches Klischee: Schwule können nicht Fußball spielen. | m | Es sind keine Unterschiede nachweisbar. | |
Schwule und Lesben sind problemlos an Äußerlichkeiten erkennbar. | w | m | Die selektive Wahrnehmung sorgt dafür, dass jene Homosexuellen, die ihre Erscheinung bewusst einem der gängigen Klischees entsprechend gestalten, auf die Gesamtheit aller Homosexuellen verallgemeinert wird. In der Praxis sind jedoch die meisten Homosexuellen vollkommen „heterolike“ und nicht unterscheidbar. |
Der Anteil homo- und bisexueller Menschen an der Gesamtbevölkerung ist verschwindend gering und diese Gruppe hat daher keine gesellschaftliche Relevanz. | w | m | Verlässliche Schätzungen geben den Anteil Homosexueller mit 5% an. Dazu kommen noch viele Bisexuelle die eine mehr oder weniger stark ausgeprägte homosexuelle „Ader“ haben. In absoluten Zahlen sind 5% der über 15 jährigen Bevölkerung (die 85,8% der Gesamtbevölkerung ausmachen – 34,5 Mio. männl. und 36,3 Mio. weibl.) insgesamt 3,5 Millionen Menschen in Deutschland.[12] In Österreich (84,6% der Bevölkerung - 3,4 Mio. männl. und 3,6 Mio. Frauen) sind es 347.000 Menschen[13] und in der Schweiz (83,7% der Bevölkerung - 3,1 Mio. männl. und 3,2 Mio. Frauen) sind es 347.000 Menschen[14] (Siehe auch „Häufigkeit von Homosexualität“) |
Diskriminierung von (männlicher) Homosexualität
Beim Heterosexismus – anders als beim Sexismus – sind Männer oft in stärkerem Maße negativ betroffen als Frauen. Weibliche Homosexualität bleibt öfter unbeachtet.[15] „Subtilere“ Formen von Diskriminierung werden immer noch (z.B.) in Wörterbüchern dokumentiert und zementiert, z.B. „Medizinisches Wörterbuch“:[16] Homosexualität: „Sexuelle Beziehungen zwischen Männern. (Entsprechende Beziehungen zwischen Frauen: Lesbische Liebe).“ Bemerkenswert daran ist,
- die pauschale Beschränkung auf „sexuell“ bei Männern, und die vergleichsweise „Euphemisierung“ zur „Liebe“ bei Frauen.
- dass im Wörterbuch kein eigener Eintrag unter den Stichworten „Lesbe“, „lesbische Liebe“, oder ähnlich, zu finden ist.
- die Tatsache, daß Homosexualität nach wie vor als ein medizinisches Phänomen gesehen wird, implizit also als „heilbar“, „heilungsbedürftig“ oder „Krankheit“.
Der Trend zur stärkeren Beachtung von männlichen Homosexuellen setzt sich auch in diesem Artikel fort. Im Abschnitt „Wissenschaftliche Untersuchungen“ bleibt die Frage nach vergleichbaren Untersuchungen mit weiblichen Homosexuellen unbeachtet.
- Der Paragraph 175 des deutschen Strafgesetzbuchs existierte von 1871 bis 1994. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe.
Ursachen
Der medizinische Begriff „Homophobie“ sieht Angst als Ursache, wogegen umgangssprachlich der Fokus auf das feindselige Verhalten gerichtet ist. Der Begriff „Heterosexismus“ unterstellt als Ursache des ablehnenden Verhaltens eher Arroganz oder Chauvinismus.
Heterosexismus bzw. Homophobie basieren meist auf tradierten konservativen Vorstellungen von Geschlechterrollen: der Glaube, diese würden durch Homosexualiät drastisch in Frage gestellt, führt zu einer tiefgreifenden Verunsicherung der Betroffenen. Somit kann hier auch die Projektion eigener Unsicherheiten in Bezug auf die Geschlechterrolle auf andere Menschen vorliegen. Eine Verstärkung kann darüber hinaus bewirkt werden durch die Verdrängung homosexueller Anteile der eigenen Sexualität. Eine weitere Ursache kann darin liegen, dass Vorurteile und Erwartungshaltungen der Umgebung oder einer Religion gedanken- und kritiklos übernommen werden. Insbesondere religiöse Überzeugungen führen oft zu heterosexistischen bzw. homophobischen Ansichten und Verhalten.
Wissenschaftliche Untersuchungen
Im Jahr 1996 wurde in einer Untersuchung an der University of Georgia durch Professor Henry E. Adams festgestellt, dass 54,3% der 35 homophoben Probanden (zum Vergleich – 24,1% der 29 nicht homophoben Probanden), sexuell eindeutig erregt wurden beim Betrachten von Videos, die sexuelle Handlungen zwischen Männern zeigten. An der Untersuchung nahmen insgesamt 64 Männer teil, die sich alle selbst als ausschließlich heterosexuell bezeichnet hatten.[17]
Gesellschaftskritische Analysen von Homophobie entstanden und entstehen vor allem im Umkreis der Queer Theory. Insbesondere Eve Kosofsky Sedgwicks Arbeiten sind diesbezüglich von Bedeutung.
Literatur
- Eric Anderson, „Openly gay athletes: Contesting hegemonic masculinity in a homophobic environment“ in: Gender & Society 16(6), Dezember 2002, pp. 860-877.
- Ian Ayres and Jennifer Gerarda Brown, Straightforward : how to mobilize heterosexual support for gay rights, Princeton, NJ [u.a.] : Princeton Univ. Press, 2005
- Dictionnaire de l'homophobie, publ. sous la dir. de Louis-Georges Tin, Paris : Presses Univ. de France, 2003
- David K. Johnson.,The Lavender Scare: The Cold War Persecution of Gays and Lesbians in the Federal Government, Chicago: University of Chicago Press, 2004
- Susanne zur Nieden (Hg.), Homosexualität und Staatsräson. Männlichkeit, Homophobie und Politik in Deutschland 1900-1945, Frankfurt am Main /New York: Campus 2005
Siehe auch
Weblinks
- Psychologische Aspekte – Lesbische und Schwule Basiskirche Basel
- Erster Teil: Heterosexismus und Homophobie von Kurt Wiesendanger
- Zweiter Teil: Die lesbische Frau als Homosexuelle und als Frau in unserer Gesellschaft von Jacqueline Frossard
- Opfer, Täter, Angebote - Gewalt gegen Schwule und Lesben – Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport, Berlin (2002) – PDF-Datei
- Google-Suche nach Ursprüngen, auch begrifflichen:
- englisch - „origin term heterosexism homophobia“
- deutsch - „ursprung begriff heterosexismus homophobie“
Fußnoten
- ↑ a b Siehe Abschnitt Weblinks: „Psychologische Aspekte“, erster Teil – Abschnitt „Überhöhte Hetero-Werte“.
- ↑ a b Siehe Abschnitt Weblinks: „Psychologische Aspekte“, erster Teil – Abschnitt „Angst und Abwehr“.
- ↑ „Transphobie“ – siehe englischen Wikipedia Artikel „Transphobia“
- ↑ Heterosexismus: „What is heterosexism?“ – FAQ der „Essex Police Internet Unit“, UK.
- ↑ a b Siehe Abschnitt Weblinks: „Opfer, Täter, Angebote - Gewalt gegen Schwule und Lesben“ – Seite 32/33
- ↑ Matthias Reisaus, Diplomarbeit – „Normalität, Integration oder Ausgrenzung gleichgeschlechtlich orientierter Personen am Arbeitsplatz“ (2003)
- „3.2 Homophobie“, Seite 22(24) – lt. Duden, Fremdwörterbuch 2001 immer noch „krankhaft“ – PDF-Datei
Google-Suche: Duden, Fremdwörterbuch 1997: „Homophobie - krankhafte Angst vor und Abneigung gegen Homosexualität“. - ↑ Weinberg definierte Homophobie als die Angst, mit Homosexuellen zusammen zu sein (G. Weinberg, „Society and the Healthy Homosexual“, New York, 1972).
- ↑ Siehe Artikel: Phobie (Einleitung).
- ↑ Siehe Abschnitt Weblinks: „Psychologische Aspekte“, erster Teil – Einleitung.
- ↑ „w“ = weiblich
- ↑ „m“ = männlich
- ↑ „CIA - The World Factbook“ - Germany - Stand 20. April 2006
- ↑ „CIA - The World Factbook“ - Austria - Stand 20. April 2006
- ↑ „CIA - The World Factbook“ - Switzerland - Stand 20. April 2006
- ↑ Diskussion Heterosexismus, „Heterosexismus vs Sexismus“, „Benutzer:Irene1949“, 13:46, 22. Apr 2006
- ↑ „Medizinisches Wörterbuch“, m-press münchen gmbh, Ho-Hz: „Homosexualität“
- ↑ Wissenschaftliche Untersuchung: Zeitungsbericht von Peter Tatchell („The Sunday Sun“, 5. Feb 2006).
Siehe auch Pressemitteilung der „American Psychological Association (APA)“ (1996).