Ingo Kühl (* 29. Juni 1953 in Bovenau, Schleswig-Holstein) ist ein deutscher Maler, Bildhauer und utopischer Architekt.

Leben
Ingo Kühl erlebte seine Kindheit mit seinem drei Jahre älteren Bruder Jan in Bovenau, einem Dorf in der Nähe von Kiel, in dem der Vater, Rudolf Kühl, Polizist war. Seine Mutter, Gisela, geborene Stuhr, Tochter eines Maurers und Bauunternehmers und einer Kolonialwarenhändlerin aus Schülldorf, starb 1957 im Alter von fünfunddreißig Jahren. Ein Jahr später heiratete sein Vater wieder, Hannchen Bockmeyer, die Tochter eines Landwirtes aus Börm. Aus dieser Ehe gingen ein Sohn, Jens, und zwei Töchter, Jutta und Antje, hervor. 1964 zog die Familie nach Hanerau-Hademarschen. Nach Abschluss der dortigen Theodor Storm-Realschule, Lehrjahren als Zimmerer und Technischer Zeichner und dem Besuch des Technischen Gymnasiums in Rendsburg, absolvierte er von 1973 bis 1976 ein Architekturstudium an der Fachhochschule Kiel in Eckernförde (Graduierung: Dipl.-Ing.), arbeitete im Architekturbüro Dr. Jüchser & Ressel in Haale und später als freier Mitarbeiter in Berlin im Krankenhausbau, immatrikulierte sich an der Technischen Universität Berlin (Institut für Krankenhausbau), wechselte zur Hochschule der Künste Berlin (HdK) und studierte 1977 bis 1982 Architektur und Bildende Kunst bei den Professoren Helmut Fritz (Maler), Rainer W. Ernst (Architekt), Curt Grützmacher und Robert Kudielka (Kunstwissenschaftler) sowie den Künstler-Architekten Jasper Halfmann und Clod Zillich.
In dieser Zeit entwickelte Ingo Kühl seine vom Surrealismus beeinflussten Zeichnungen zum Thema Architektur-Phantasien und wandte sich der freien Malerei zu. Er unternahm Reisen nach London, Paris, Prag, Israel (Jerusalem, Sinai-Halbinsel) und nahm an einer von Rainer W. Ernst geleiteten Exkursion der HdK nach Teheran (mit Aufenthalt in Isfahan) teil.
Neben Berlin richtete er sich in Garding auf der Nordsee-Halbinsel Eiderstedt ein Atelier ein (1980 bis 1995). Das Erleben der Landschaft am Meer führte ihn, vom abstrakten Expressionismus ausgehend, zur Landschaftsmalerei. Parallel dazu entstanden Zeichnungen, Ölbilder und Skulpturen zur phantastischen Architektur. Diese Arbeiten reflektieren u. a. die utopische Literatur der Gläsernen Kette, einer Vereinigung von jungen Architekten und Schriftstellern 1919/1920, wozu Hermann Finsterlin, Walter Gropius, Wenzel Hablik, Hans und Wassili Luckhardt, Hans Scharoun, Bruno und Max Taut u. a. gehörten.
1982 verbrachte er zwei Monate in New York mit einem Atelier in Brooklyn. Zurückgekehrt nach Berlin war er zeitweilig freier Mitarbeiter im Architekturbüro Just und Kehr (Krankenhausbau), und baute sich im Wedding ein Dachatelier aus (1983 bis 1995). Gemeinsam mit dem Maler und Bildhauer Ulrich-Oliver Selka versuchte er 1984 eine der Architekturvisionen Hermann Finsterlins zu realisieren (Projekt Finsterlin „Architektur 1917“ für die Landesgartenschau Sindelfingen). In diesem Zusammenhang kam es zur Begegnung mit Sergius Ruegenberg, der 1963 im Briefwechsel mit Hermann Finsterlin stand und die Bedeutung des Rocaille für die Architektur hervorhob. Von 1984 bis 1987 war Ingo Kühl Mitglied der Architektenkammer Berlin als Freischaffender Architekt.
1985 – im Centro Cultural São Lourenço, Almancil, Algarve, Portugal – begegnete er Ute und Günter Grass. Grass war dort, wie Ingo Kühl, Künstler der Galerie. Durch ihn lernte er Christiane und Heinz Ludwig Arnold kennen, die Sammler seiner Bilder wurden. Anlässlich der Vergabe des Weinpreises für Literatur, den Arnold 1986 an Sarah Kirsch verlieh, kam es in Göttingen zur Begegnung mit der Schriftstellerin. Sie schrieb Gedichte zu Bildern von Ingo Kühl, die 1988 in dem Buch Luft und Wasser im Steidl Verlag veröffentlicht wurden.
1989 richtete er sein Hauptatelier für zwei Jahre auf Eiderstedt in einem verfallenen Haubarg ein. Dort kam es zu einem künstlerischen Austausch mit dem Maler Bruno Kirstein, bevor er nach Berlin zurückkehrte und sporadisch wieder für das Architekturbüro Just und Kehr arbeitete.
1995 war er Artist in Residence im Centro Cultural São Lourenço, mit einem Atelier in Golda in der Algarve. Während einer Reise über Bergen auf die Färöer und nach Island aquarellierte er Landschaften. Er ging eine Lebensgemeinschaft mit der in Frankfurt am Main geborenen Kunstpädagogin Annette Huber in Berlin-Schöneberg ein.
1999 reiste er ins Baltikum und nach Skandinavien und richtete sich ein Atelier in Reine auf den Lofoten ein. Es folgte im Jahr 2000 eine Reise um die Welt, durch Thailand zu den Bergstämmen der Akha und Lisu, auf dem Mekong durch Laos, zur Nord- und Südinsel Neuseelands, auf die Cook-Inseln in der Südsee und nach Peru zur Ruinenstadt Machu Picchu.
2001 heiratete er Annette Kühl, geborene Huber. Anschließend verbrachte er mit seiner Frau ein Jahr in der Südsee auf den Cook-Inseln Rarotonga, Atiu und Aitutaki, in Französisch-Polynesien auf Bora Bora, Huahine, Tahiti, in Fidschi auf Viti Levu, Kadavu und in Vanuatu auf Efate, Ambrym – wo sie den aktiven Vulkan Marum bestiegen – und auf Espiritu Santo. Nach der Teilnahme an einer Expedition des Cultural Center zu Zeremonien der Eingeborenen auf Malakula wurden die dort in Lamap und danach in seinem Atelier in Port Vila entstandenen Zeichnungen, Aquarelle und Ölbilder im Nationalmuseum von Vanuatu in einer Ausstellung gezeigt. Insgesamt sind in der Südsee 69 Ölbilder, 154 Arbeiten auf Papier und 280 Blätter in Skizzenbüchern entstanden.
Seit 2002 hat Ingo Kühl ein Atelier in Keitum auf Sylt.
2009 – in den Tempelanlagen von Angkor Wat in Kambodscha zeichnete er nach den Skulpturen und Architekturen.
2010 – im Rahmen eines internationalen Künstleraustausch-Projekts des Nordelbischen Missionszentrums in Hamburg malte er in Papua-Neuguinea gemeinsam mit dem einheimischen Bildhauer und Maler Tomulopa Deko das Gemälde The Creation. Die beiden fuhren von Goroka im Hochland Papua-Neuguineas ins Flussgebiet des Sepik. Diese Expedition wiederholten sie 2012 in Begleitung seiner Frau, mit der er anschließend auf die Trobriand-Inseln reiste, wo er Zeichnungen u. a. nach den Schnitzereien an Kula-Kanus anfertigte.[1] Noch im selben Jahr unternahm er eine Zugreise über Paris, Bilbao und Sevilla nach Portugal, auch auf diesen Reisen zeichnete und aquarellierte er in Skizzenbücher.
2013 reiste er nach Rom und Istanbul. Seit 2014 unterhält Ingo Kühl ein Atelier in Berlin-Friedenau in den Goerz-Höfen. Er lebt aktuell in Berlin und Keitum auf Sylt.
Werk
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Farbraum 1986
Öl auf Leinwand 100 x 100 cm
Besitz Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum -
Seebild 2014
Öl auf Leinwand 150 x 200 cm -
Architektur-Skulptur 1988
Bronze 69 x 35 x 20 cm -
Architektur-Skulptur 2009
Epoxidharz 400 x 220 x 110 cm
Malerei
Sein Frühwerk weist Einflüsse des Surrealismus, Abstrakten Expressionismus, des Actionpaintings und Tachismus auf. Das erste Gemälde „Fruchtbares Chaos“ (1979) ist mit den Händen gemalt. Ab 1983 stellte er sich der Landschaftsmalerei.
„Seine Landschaftsdarstellungen reduzierten sich von den frühen achtziger Jahren an, angeregt durch die nordfriesische Ebene, immer mehr, zuletzt auf einfachste Räume von flachen Feldern und Himmel und auf den Himmel allein.“
Nach einer Phase der nahezu monochromen, meditativen Farbräume, die ihn formal in die Nähe der Malerei Gotthard Graubners brachte, wurde seine Malerei wieder gegenständlicher, expressiver, naturbezogener. Folgende Werke zeigen diese Entwicklung:
- 1995 – auf den Färöern malte er Aquarelle, danach in Berlin den neunteiligen Bilderzyklus Färöer.
- Der 24-teilige Bilderzyklus Winterreise entstand im strengen Winter 1995/96 in Berlin nach dem gleichnamigen Liederzyklus von Franz Schubert und den Gedichten von Wilhelm Müller, gesungen von Barry McDaniel, begleitet von Jonathan Alder (Klavier).
- 1998 malte er nach dem gewonnenen Kunst-am-Bau Wettbewerb für die Gestaltung der Eingangshalle des Johanniter-Krankenhauses im Fläming vier großformatige Bilder zum Thema „Vier Jahreszeiten“ im ehemaligen Kultursaal des Gutshofes in Treuenbrietzen.
- Viele der 2001 bis 2002 in der Südsee entstandenen Bilder wurden in der Ausstellung Südsee — Wellen, kuratiert von Markus Schindlbeck, in der Südsee-Abteilung des Ethnologischen Museums in Berlin-Dahlem gezeigt.
- 2005 – in Patagonien (Atelier in Punta Arenas an der Magellan-Straße), auf Feuerland (Atelier in Puerto Williams am Beagle-Kanal) und während eines Segeltörns zu den Gletschern der Darwin-Kordillere – malte er die Bilderserie Landschaften am Ende der Welt. Antonio Skármeta schrieb einen Text dazu.
- 2009 reiste er zum zweiten Mal nach Feuerland und Patagonien, umsegelte an Bord der Tari II das Kap Hoorn. Danach malte er auf Sylt die Kap-Hoorn-Serie, großformatige Ölbilder, die in der Botschaft der Republik Chile in Berlin ausgestellt wurden.
- 2012 – in Vanuatu entstanden in Port Vila vier großformatige Seebilder The Sea I-IV.
- 2013/2015 – Das Haus am Watt ist eine Serie von Ölbildern und zahlreichen Aquarellen in Skizzenbüchern, gemalt in Kampen und Keitum auf Sylt.
Plastische Arbeiten
Seit 1986 formt er nach seinen Zeichnungen zum Thema Architektur-Phantasien Skulpturen in Ton und Gips, wovon 1988 eine in der Bildgießerei Hermann Noack in Bronze gegossen wurde. Sie diente als Modell für eine begehbare, unvollendete und temporäre Architektur-Skulptur Der achte Tag auf dem Obermarkt in Görlitz (1996) sowie für mehrere Güsse in Gips, Acrystal und Zellan. Des Weiteren schuf er acht farbige Tonreliefs zum Thema Seligpreisungen der Bergpredigt für das Seniorenheim neben der Christuskirche in Görlitz (1997) und die fünfteilige Serie Westküste, angeregt durch die Westküste Neuseelands. 2008 wurden drei Architektur-Skulpturen mit dem Titel Raum (Die ganze Stadt) in Bronze gegossen. Eine vergrößerte Version der Architektur-Skulptur von 1988 wurde 2009 in der Bildhauerwerkstatt Berlin (im Maßstab 5:1) hergestellt und in der Ausstellung Kunst am Strand in Rantum auf Sylt gezeigt. 2010 – in Keitum auf Sylt schuf er mit Tomulopa Deko zwei mit farbigen Schnitzereien versehene Skulpturen Hochzeitsstühle / Wedding Chairs in Form von Kundu-Trommeln.
Grafik
Auf Architekturzeichnungen, Baupläne und technische Konstruktionen folgten Studien nach „alten und neueren Meistern“ und Dingen aus der sichtbaren Realität.
„Ich zeichnete in meinen handschriftlichen Aufzeichnungen; aus Buchstaben, Schriftzeichen, Wörtern, Zeilen wuchsen Gebilde, die ich imaginäre, vegetative Architekturen nannte, auf intuitive Weise entstanden, ohne Absicht, ohne Zweck, der zeichnenden Hand freien Lauf lassend. Irgendwann kam die Farbe hinzu, spürte ich die Wirkung der Kräfte von Farbe und Form, freie farbige Kompositionen lösten sich heraus aus Geschriebenem, Gezeichnetem, zum größeren Format, zu anderer Technik, zu mehr Komplexität, hinein in die Welt der Phantasie, auch diese Wirklichkeit.“
Das grafische Werk umfasst Zeichnungen, Arbeiten Öl auf Papier, Aquarelle, Lithografien und Radierungen. Landschaftseindrücke hielt er in Skizzenbüchern fest.
Ausstellungen (Auswahl)
Einzelausstellungen
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Beteiligungen
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Werke in öffentlichen Sammlungen
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Publikationen (Auswahl)
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Schriften über Ingo Kühl (Auswahl)
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Einträge in Lexika (Auswahl)
- Wer ist wer? Das Deutsche Who’s Who, Verlag Schmidt-Römhild, seit der XXIX. Ausgabe, Lübeck 1990.
- Kürschners Handbuch der Bildenden Künstler, 2 Bde., S. 615, De Gruyter Saur Verlag, München, seit 2007, ISBN 978-3-598-24737-8 (früher: 3-59824-737-0).[17]
- Das neue Sylt Lexikon, herausgegeben von Harry Kunz und Thomas Steensen, S. 210, Wachholtz Verlag, Neumünster 2007, ISBN 978-3-529-05518-8.
- Europäisches Künstlerlexikon, digitales Künstlerlexikon für den deutschsprachigen Kulturraum Europas, seit 2011.
- Taschenlexikon Sylt, herausgegeben von Harry Kunz und Thomas Steensen, S. 210, Wachholtz Verlag, Neumünster/Hamburg 2014, ISBN 978-3-529-05525-6.
- AKL (Allgemeines Künstlerlexikon - Internationale Künstlerdatenbank) - Online, De Gruyter Saur Verlag.[18]
Weblinks
- Literatur von und über Ingo Kühl im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Website von Ingo Kühl
- Werke von Ingo Kühl im Museumsportal Schleswig-Holstein
- Ingo Kühl in der Artothek der Deutschen Zentralbücherei Apenrade, Aabenraa, Dänemark
- Dadabase The Museum of Modern Art, New York
- The Getty Research Institut, Los Angeles, CA.
- WorldCat
Einzelnachweise
- ↑ Skizzenbuch Trobriand Islands (Link)
- ↑ Ausstellungs-Website Ethnologisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin – Museen Dahlem
- ↑ Webseite Landeskulturverband Schleswig-Holstein, Bernd Brandes-Druba: Beständig ist nur der Wandel
- ↑ Ausstellung in der Botschaft der Republik Chile
- ↑ Just Sylt "Meereslust" im Werk von Ingo Kühl
- ↑ Webseite Galerie Hovestadt, Nottuln
- ↑ Ein Reisender in Sachen Kunst.
- ↑ Ingo Kühl Winterreise nach Franz Schubert (Exquisit-Ausgabe) in der Anhaltischen Landesbücherei
- ↑ Inhaltsverzeichnis der Gedichte von Sarah Kirsch
- ↑ Datensatz der Deutschen Nationalbibliothek
- ↑ Bibliothek der Stiftung Calouste Gulbenkian, Lissabon (Link)
- ↑ Datensatz der Deutschen Nationalbibliothek
- ↑ Thomas J. Watson Bibliothek - Metropolitan Museum of Art (Met), New York [1]
- ↑ Datensatz im WorldCat
- ↑ Thomas J. Watson Bibliothek - Metropolitan Museum of Art (Met), New York [2]
- ↑ Webseite des Verlag Kettler, Dortmund: Ingo Kühl - Das Haus am Watt, Edition Schöne Bücher
- ↑ Eintrag in Kürschners Handbuch der Bildenden Künstler
- ↑ Eintrag im AKL
Personendaten | |
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NAME | Kühl, Ingo |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Maler, Bildhauer und utopischer Architekt |
GEBURTSDATUM | 29. Juni 1953 |
GEBURTSORT | Bovenau |