Alfred Kantorowicz

deutscher Jurist, Schriftsteller, Publizist und Literaturwissenschaftler
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Werdegang und Jugend: 1899-1929

Alfred Kantorowicz (AK) wuchs in Berlin auf. Gleich nach dem Abitur – er war erst 17 – meldete er sich freiwillig zum Dienst im Ersten Weltkrieg und kehrte nach Kriegsende mit einer Verwundung – und daher dekoriert mit dem Eisernen Kreuz – zurück.

Zum Jurastudium ging er zunächst nach Freiburg, dann nach München. In dieser Zeit lernte er Menschen kennen, denen er teilweise sein (oder deren) ganzes Leben lang verbunden geblieben ist, Lion Feuchtwanger, Ernst Bloch und viele Andere, deren Namen uns heute aus dem Who-Is-Who der deutschen Exilliteratur bekannt sind. Obwohl er nur der Abstammung nach Jude war, entschloss er sich, seine juristische Doktorarbeit (Erlangen, 1923) über völkerrechtliche Aspekte des Zionismus zu schreiben, denn er wollte in Zeiten des immer rabiater werdenden Antisemitismus Flagge zeigen. Die Jahre von 1924 bis 29 waren die Zeit, auf die er später als "die gute alte Zeit" seiner Generation zurückblickte – als die neue Republik sich gefestigt hatte und man sich mit Enthusiasmus dem neuen Zeitgeist hingab. (Alfred Kantorowicz, Deutsches Tagebuch. Erster Teil, Berlin 1978, S.20)

Nach Abschluss seines Studiums wurde er Journalist und schrieb für die verschiedensten links bis liberalen Blätter in Berlin. Von 1928 bis 1929 war er als Kulturkorrespondent für die Vossische Zeitung und für die Ullstein-Presse in Paris, eine Stelle, die vor ihm Kurt Tucholsky und nach ihm Arthur Koestler inne hatte. Alfred Kantorowicz war eigentlich ein Individualist, er verstand sich als Schriftsteller und war durchaus auch gewissen bürgerlich-elitären Tendenzen zugeneigt. Trotzdem trat er 1931 unter dem Eindruck des Prozesses gegen Carl von Ossietzky in die KPD ein, weil er der Überzeugung war, dass diese Partei die einzige sei, die wirklich kompromisslos und prinzipientreu gegen den immer stärker werdenden Faschismus Front machte.

In den kommenden Jahren lebte und arbeitete er im legendären "Künstlerblock" am Laubenheimer Platz in Berlin-Wilmersdorf. Er nannte diese Zeit später "ein ehrenhaftes Kapitel des Widerstandes freier, unabhängiger Geister gegen gewalttätige Diktatur – mit zweifach tragischem Ausgang: nach 1933 und nach 1945." Der Künstlerblock kämpfte mit Wort und Tat gegen die Nazibanden, und war bei der Wahl der Mittel dabei nicht zimperlich. Es wurde auch nicht lange bei den kommunistischen Parteioberen um Erlaubnis für irgend Etwas gefragt. (ebda., S.31)


Antifaschismus und Spanischer Bürgerkrieg: 1933-1940

1933 verließ Alfred Kantorowicz gleich nach der Machtübernahme Hitlers Berlin und Deutschland – es hat ihn bis zu seinem Lebensende mit Stolz erfüllt, unter den ersten hundert von den Nazis Ausgebürgerten gewesen zu sein. (Alfred Kantorowicz, Exil in Frankreich. Bremen 1971, S.9) Die erste Station war Paris, wohin ihm seine erste Frau Friedel im März 1933 folgte. Die deutschen Emigranten hielten engen Kontakt untereinander und versuchten, sich auf eine gemeinsame Strategie zu einigen, nach der man gegen die Nazi-Herrschaft vorgehen wollte, so weit das vom Exil aus möglich war. AK engagierte sich als Mitbegründer des "Schutzverbandes deutscher Schriftsteller im Exil", und der "Freiheitsbibliothek" und veröffentlichte die Titel "In unserem Lager ist Deutschland" sowie "Deutschland, vom Feinde besetzt", beide 1936. Schon die allererste Zeit dieses Pariser Exils war von Reibereien mit der Parteiführung geprägt, und Alfred Kantorowicz war nicht der Einzige, der in dieser Zeit schon an Absprung dachte. AK war mit Heinrich Mann befreundet und wurde deshalb von der Partei beauftragt, diesen dafür zu gewinnen, einer Exilregierung als Präsident vorzustehen. Er kolportiert Heinrich Manns Kommentar zu Walter Ulbricht: "Sehen Sie, ich kann mich nicht mit einem Mann an einen Tisch setzen, der plötzlich behauptet, der Tisch, an dem wir sitzen, sei kein Tisch, sondern ein Ententeich, und der mich zwingen will, den zuzustimmen." (ebda, S.18)

Der Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges ließ jedoch wieder alle "internen" Gegensätze unwichtig erschienen und Kantorowicz schloss sich, zusammen mit etwa fünftausend anderen Deutschen und zwanzigtausend weiteren Freiwilligen aus dem übrigen Europa und den USA, den Internationalen Brigaden an. Seine Erlebnisse in diesem Krieg hat er im "Spanischen Kriegstagebuch" geschildert. (Neuausgabe Hamburg, 1979) Die Sowjetunion war die einzige ausländische Macht, die die demokratische Spanische Republik gegen Franco und seine faschistischen Helfershelfer Hitler und Mussolini konkret unterstützte. Während dieser Jahre erkannten immer mehr Antifaschisten, dass der sowjetisch/kommunistische Antifaschismus nichts Anderes als ein mit dem faschistischen konkurrierender Herrschaftsanspruch war und wendeten sich enttäuscht von der kommunistischen Partei ab. (Vgl. Gustav Regler, "Das Ohr des Malchus", oder Arthur Koestler, "Sonnenfinsternis", auch George Orwell, "Homage to Catalonia", Ernest Hemingway, "The Fifth Column")

Alfred Kantorowicz kehrte 1938 zunächst nach Paris zurück. Seine Frau Friedel sorgte teilweise für den Lebensunterhalt der Beiden, indem sie als Schreibkraft tätig war, während AK hoffte, endlich wieder zum Schreiben zu kommen. Wie andere Exilierte wurde er auch vom Schriftstellerverband der USA unterstützt, was Thomas Mann von dort aus vermittelt hatte, außerdem zeigte sich Ernest Hemingway äußerst großzügig. Er hat in diesen Jahren Etliche, die er in Spanien kennen gelernt hatte, durch regelmäßige Zuwendungen unterstützt und ihnen damit das Leben gerettet. (Exil in Frankreich, S.19f, 148) AK und Friedel erlebten den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Südfrankreich. Wie andere Exilierte Deutsche in Frankreich wurden sie nach Kriegsausbruch interniert, konnten aber 1940 mit knapper Not in die USA ausreisen (ebda., S. 235)


Im amerikanischen Exil: 1940-1946

In den USA ging es den Exilierten gut, denn sie durften arbeiten.(Deutsches Tagebuch, S. 66) Alfred Kantorowicz blieb in New York und fand eine Stelle beim Rundfunksender CBS. Seine Aufgabe war das Abhören und Auswerten der Feindsender – er musste sich also fast vier Kriegsjahre lang berufshalber das Propagandagebrüll der Nazis anhören. (ebda., S. 77). Nach Kriegsende kehrten AK und Friedel Ende 1946 nach Deutschland zurück – in die vermeintlich bessere Hälfte, die von der Sowjetunion besetzte.


Ost und West: 1947-1957

Schon im Juli 1947 erschien die erste Nummer von "Ost und West", einer literarischen Zeitschrift, die AK herausgab und in der er sich um Vermittlung der beiden Lager bemühte. In den Inhaltsverzeichnissen erscheinen Autoren aus allen Lagern. (Ost und West. Beiträge zu kulturellen und politischen Fragen der Zeit. Herausgegeben von Alfred Kantorowicz. Nachdruck in fünf Bänden, Königstein, 1979) Neben der Vermittlung zwischen den Nachkriegslagern ging es ihm auch darum, die Deutschen mit Gedankenwelten bekannt zu machen, die ihnen durch die 12 Jahre der Diktatur verschlossen worden waren. 30 Nummern lang konnte sich dieses idealistische Projekt halten, dann wurde es auf Druck der Parteioberen 1949 wieder eingestellt, obwohl es sich in beiden Teilen Deutschlands einer großen Beliebtheit erfreute. AK wurde an die Humboldt-Universität "weggelobt". Er hatte dort den Lehrstuhl für Neueste Deutsche Literatur inne, später wurde er Direktor des Germanistischen Instituts und Fachrichtungsleiter für Germanistik, sowie Leiter des Heinrich-Mann-Archivs bei der Deutschen Akademie der Künste.

Eine Zeit lang ließ es sich in dieser "inneren Emigration" noch leben, doch dann kam der erste schwere Gewissenskonflikt nach dem 17. Juni 1953, als das SED-Regime begann, von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu verlangen, ihr Einverständnis zur gewaltsamen Niederschlagung des Aufstandes zu bekunden. Nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Ungarn im November 1956 wiederholte sich das in noch aggressiverer Form. Zudem hatte es in vielen Warschauer-Pakt-Staaten Schauprozesse gegeben, und viele Anzeichen sprachen dafür, dass auch die SED in Ostdeutschland welche vorhatte, vorzugsweise gegen solche heimgekehrten Emigranten, die die Kriegsjahre im Westen verbracht hatten. AK erhielt Hinweise, dass auch er als Opfer ausersehen war und flüchtete schließlich im August 1957 in den Westen Berlins. (Alfred Kantorowicz, Warum ich mit dem Ulbricht-Regime gebrochen habe. Berlin, Der Tagesspiegel vom 23. August 1957, S. 3)


Die ewige Unperson 1958-1979

Im Westen angekommen, waren seine Probleme nicht zu Ende. Er konnte publizieren und wurde interviewt, auch Akklamationen wurden ihm nicht abverlangt, aber er er musste in einem neunjährigen Prozess bis zum Bundesverwaltungsgericht gehen, um einen Flüchtlingsausweis und die damit verbundenen Rentenansprüche zuerkannt zu bekommen. Man warf ihm vor, in der DDR privilegiert gewesen zu sein und immer noch dem Kommunismus nahe zu stehen. "Auf Seiten der Roten" im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft zu haben gereichte in der Bundesrepublik jener Jahre auch nicht gerade zur Ehre, und AK hat sich bis zu seinem Lebensende strikt geweigert, sich an der Verteufelung alles Linken zu beteiligen.

Rezensenten seiner Bücher wiederholen häufig während der Sechziger Jahre die Frage "warum der Groschen bei ihm erst so spät fiel", eine Frage, die Ludwig Marcuse in seiner Rezension des Deutschen Tagebuches 1959 zuerst gestellt hat. (Ludwig Marcuse, Ein Don Quichote, kein Cervantes. Die Zeit vom 10.4.1959)

Mit dieser Frage taten sie ihm Unrecht – der Groschen war schon recht früh gefallen, nur hatte AK sich nie überwinden können, irgend Etwas zu äußern, was nur im Entferntesten nach Verrat aussah – weder an einer Sache noch an Personen. Es war ihm auch sehr wichtig, sich nie namentlich über Beteiligte zu äußern, wenn diese etwa noch in der DDR lebten, um ihnen nicht zu schaden. (Alfred Kantorowicz, Die Geächteten der Republik. Berlin 1977, passim) Viele hatten gute Gründe, in der DDR zu bleiben: Frühere Spanienkämpfer und KPD-Mitglieder hatten in Westdeutschland – im Gegensatz zu SS- Obersturmbannführern und ihren Hinterbliebenen – keine Rentenansprüche (s.o.).

1969, im Jahr seines 70. Geburtstages, erhielt AK den Thomas-Dehler-Preis des damaligen Ministeriums für Gesamtdeutsche Fragen. Es fällt auf, dass dieses Ereignis in der westdeutschen Presse über kurze Mitteilungen hinaus kaum gewürdigt wurde – auch der 70. Geburtstag wurde nicht weiter erwähnt.

Trotzdem kann man diese Preisverleihung als den Beginn einer späten Rehabilitierung sehen. Bis zu seinem Tod hat AK dann noch zahlreiche Titel veröffentlicht, und er ist seit seinem Tod immer wieder gewürdigt worden, zuletzt 1999 mit einer Ausstellung der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek anlässlich seines 100. Geburtstages.

Literatur

  • Heinz J. Heydorn (Hrsg.): Wache im Niemandsland. Zum 70. Geburtstag von Alfred Kantorowicz. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik 1969.
  • Ursula Schurig: Alfred Kantorowicz (Bibliographie). Eingeleitet von Jürgen Rühle. Hamburg: Christians 1969. (Hamburger Bibliographien 3)
  • Abendroth, Wolfgang (Hrsg.): In memoriam Alfred Kantorowicz. Berlin: Verlag Europäische Ideen 1979.(Europäische Ideen 44)
  • Klaus Täubert (Hrsg): Alfred Kantorowicz 100. Texte, Zeugnisse, Dokumente, Briefe, Gedichte. Berlin: Zimmermann 1999.