Ideologie

politisch-soziale Weltanschauung
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Der Begriff Ideologie (griechisch ιδεολογία - die Ideenlehre) bezeichnet

  • allgemein eine Weltanschauung, ein Ideal oder ein System von Wertvorstellungen
  • heute im deutschen Sprachraum meist ein fixiertes Weltbild. In einer Ideologie werden bestimmte Thesen oder Grundannahmen für axiomatisch gehalten bzw. ein Wahrheitsanspruch verfochten.

Begriffsgeschichte

Der Begriff "Ideologie" (gr. idea, Erscheinung, und logos, Wort) entstand im Zuge der Aufklärung, deren Ziel es war, sich von Aberglauben, Irrtümern und Vorurteilen zu befreien, die den mittelalterlichen Machthabern zur Legitimation ihrer Herrschaft dienten. Der Begriff wurde dann 1796 von dem französischen Philosophen Destutt de Tracy geprägt. Die Schule der Ideologen verstand sich als Gegenströmung zum Rationalismus von René Descartes. Die Ideologen versuchten den Ursprung von Ideen als biologischen Prozess zu erklären, der ihrer Ansicht nach nicht ohne sinnliche Erfahrungen auskäme. Die französischen "Ideologen" standen in der Tradition der Aufklärung und waren demokratisch orientiert. Unter Napoleon, der den Begriff gezielt abwertend benutzte - was bis heute nachwirkt - verloren die Ideologen an Einfluss in der französischen Geisteswelt.

Später haben Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche, Vilfredo Pareto (dieser als "Derivation"), Ferdinand Tönnies, Karl Mannheim, Ernst Topitsch, Karl Popper, Hans Albert, Bertrand Russell, Louis Althusser, Hannah Arendt und Jürgen Habermas den Themenkomplex behandelt.

Theodor W. Adorno unterscheidet zwischen der Gesamtideologie eines Individuums und seiner Ideologie in verschiedenen Bereichen des sozialen Lebens wie Politik, Wirtschaft oder Religion. Ideologien verschiedener Epochen seien Ergebnis historischer Prozesse. Die Anhänger geschlossener Ideologien sind zumeist eine kleine Minderheit, da im Normalfall unterschiedliche ideologische Systeme absorbiert und zu einem Denkmuster verwoben werden.

Beispiele für Ideologien

Ideensysteme sind umso ideologischer, so auch Demokratie, desto mehr sie als Allheilmittel begriffen werden. Weitere Beispiele:

Anarchismus, Evangelikalismus, Faschismus, Feminismus, Imperialismus, Kommunitarismus, Konservatismus, Maoismus, Nationalismus, Neokonservatismus, Panarabismus, Panturkismus, Pazifismus, Rassismus, Sozialismus, Wahabismus, Zionismus

Die aufgeführten Ideenrichtungen verstehen sich teils sogar als anti-ideologisch, in dem Sinne, dass sie vorherrschende oder konkurrierende Ideologien in Frage stellen.

Charakter von Ideologien

Allgemein

Ideologien wirken orientierend, lenken die Wahrnehmung – zudem steuern sie Handlungsprogramme, z.B. in der Forschung oder Politik. Innere Widerspruchsfreiheit wird teils erst durch Ausblendung entgegenstehender Auffassungen, Sichtweisen und Erfahrungen erreicht. Sie beanspruchen zumeist einen Wahrheitsanspruch für ihre Grundannnahmen, es werden also bestimmte Thesen, Dogmen oder Grundideen für axiomatisch gehalten. Die Abänderung dieser Grundannahmen wird meist abgelehnt.

In Ideologien werden Grundideen als gegeben vorausgesetzt, mit denen die Hauptideen und weitere Ideen begründet werden. Da die Wahrnehmung der Welt Grundideen voraussetzt, sei jegliche Aussage über die Realität ideologisch geprägt. Ideologiekritik ist demnach das Hinterfragen dieser Grundideen und der Grundkategorien, in denen wir denken.

Ideologien finden sich besonders häufig im Bereich Politik und Gesellschaft, wo sie auch Werturteile sowie erwünschte politische Veränderungen rechtfertigen bzw. begründen. Fanatiker und Fundamentalisten neigen zu rigiden Ideologien und streben nach Hegemonie.

Ideologisch geprägter Blickwinkel

Typisch für einen Ideologen ist häufig, dass er die Erfahrungstatsachen, auf die er sich beruft, sehr stark nach den Notwendigkeiten der Ideologie zusammenstellt, interpretiert oder die jeweils vorgefundene komplexe Wirklichkeit v.a. aus dem Licht der Ideologie heraus betrachtet - es bildet sich ein ideologisch geprägter Blickwinkel.

Sogenannte "Patentrezepte" in gesellschaftlichen Fragen deuten auf ideologischen Gehalt hin. Widerstehende Tatsachen werden tendenziell abgestritten, mitunter sogar systematisch, oder für unerheblich erklärt. Ausgestaltete Ideologien verfügen zur Abwehr konkurrierender Ideen oftmals über regelrechte Einwandbehandlungen. Fanatische Ideologen zeichnen sich sogar durch ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit aus, oft in Verbindung damit, dass sie Widerspruch aggressiv abwehren oder gar unterdrücken. In diesem Abwehrcharakter strikter Ideologien liegt eine gewisse Gefahr des Totalitarismus.

Wird ein Ideensystem im Ton einer "wissenschaftlichen Weltanschauung" formuliert, um damit Autorität zu beanspruchen, obwohl es stark von Glaubensannahmen und Werturteilen geprägt ist, und setzt es dabei stark wiederholend und selbstreferenziell auf unbewiesene Grundaxiome, dann ist dieses Ideensystem tendenziell ideologisch.

Machtausübung über Ideologien

Von kritischer Seite werden Ideologien mit Einseitigkeit, Intoleranz, Manipulation und Herrschaft über andere Menschen verbunden. Diese Sichtweise geht davon aus, dass rigide Ideologien die Tendenz in sich tragen, anderen eine bestimmte Sichtweise aufzudrängen oder sogar das Zusammenleben von Menschen bestimmen wollen.

Die Freiräume der Mitmenschen würden einem Idealbild untergeordnet und durch Dogmatisierung die Individualität der Gemeinschaftsmitglieder verletzt. Dabei wird oft auch ein abgeschlossenes Weltbild kritisiert, das Kritik an ebendiesem mit schlechten Absichten oder mangelnder Information des Kritikers erklärt. Das Weltbild selbst wird dabei nicht hinterfragt.

Ideologie in der Politik

Der Vorwurf einer durch Ideologie bestimmten Argumentation findet sich häufig im politischen Diskurs. Damit wird unterstellt, dass ein Standpunkt deswegen nicht stichhaltig sei, weil er auf einer Ideologie basiere - und gemeint, der eigene Standpunkt beruhe auf einer nüchternen Analyse der Wahrheit oder auf einer nicht in Frage zu stellenden Ethik. Dies könnte indes die jeweilige Gegenseite in vielen Fällen mit dem gleichen Recht für sich in Anspruch nehmen. Unausgesprochene Ideologeme (einzelne Elemente einer Ideologie) beherrschen oft die politische Debatte, ohne dass dies in der Diskussion immer zu Bewusstsein käme.

Totalitäre politische Ideologien mit umfassendem Wahrheitsanspruch weisen oftmals Elemente von Mythenbildung, Geschichtsklitterung, Wahrheitsverleugnung und Diskriminierung konkurrierender Vorstellungen auf. Nach den Erfahrungen mit den Nationalsozialismus und dem Zusammenbruch des Kommunismus ist die Skepsis gegenüber umfassenden und mit Heilsversprechungen durchsetzten Theoriengebäuden gewachsen, insbesondere wenn sie mit Handlungsaufforderungen oder mit der Unterdrückung abweichender Ideen verbunden sind.

Ideologischer Extremismus führt i.d.R., wenn er sich in seinem Streben nach Hegemonie durchsetzt, zu Totalitarismus, oder, wenn er keine Chance auf Durchsetzung hat, zu sektiererischen Abschottungen z.B. nach dem Muster von K-Gruppen.

Ideologie und Wissenschaft

Die Abgrenzung von der Ideologie wurde im Zuge der Aufklärung zu einem Bestandteil der Wissenschaften, die sich im Gegensatz zu Ideologie und Glauben als explizit wertfrei, neutral und objektiv setzten, auf überprüfbare Erfahrungstatsachen beruhend.

Wissenschaftliche Denkmuster, Paradigmen bzw. Ideenschulen können auch einen ideologischen und abwehrenden Charakter entwickeln, und damit wissenschaftlichen Fortschritt hemmen. Thomas Kuhn analysierte in seinem Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen wissenschaftliche Paradigmen auch unter dem Aspekt als konkurrierende Ideenschulen. Diese legen fest:

  • was beobachtet und überprüft wird
  • die Art der Fragestellungen in Bezug auf ein Thema
  • die Interpretationsrichtung von Ergebnissen der wissenschaftlichen Untersuchung

Von einzelnen Wissenschaftstheoretikern (u.a. Bruno Latour) wird die Entgegensetzung von Ideologie und objektiver Wissenschaft als Machtmechanismus und Verschleierungstechnik betrachtet.

Ideologietypen

Kurt Lenk schlägt in seinem Aufsatz Zum Strukturwandel politischer Ideologien im 19. und 20 Jahrhundert in seinem Buch Rechts, wo die Mitte ist. Studien zur Ideologie eine Klassifizierung der Ideologien vor. Er unterscheidet zwischen:

  • Rechtfertigungsideologien

Rechtfertigungsideologien sind modellbildende Ideologien, die sich auf die gesamten gesellschaftlichen Beziehungen erstrecken. Das zu Grunde liegende Modell ist meist eine sich auf Rationalität und Wissenschaftlichkeit pochende Deutung der Realität. Ideologisch ist ein solches Modell, weil es die Realität verständlich zu machen versucht als die einzig mögliche gesellschaftliche Realität.

  • Komplementärideologien

Lenk beschreibt Komplementärideologien als „für jene Gesellschaften lebensnotwendig, in denen der Mehrheit der Menschen ein relativ hohes Maß an Triebverzicht abverlangt werden muss, damit die Reproduktion der Gesellschaften gewährleistet ist.“ Komplementärideologien vertrösten die benachteiligten Gesellschaftsmitglieder. Zum einen beinhaltet diese Ideologie eine die Realität verleugnende Verheißung auf einen objektiv unmöglichen besseren Zustand. Diese Trost spendende Zukunftserwartung soll die eigenstädnige Interessensdurchsetzung der benachteiligten Gesellschaftsmitglieder lähmen und sie zur Gefolgschaft mit ihren Bedrückern verpflichten.

  • Verschleierungsideologien

Verschleierungs- oder Ablenkungsideologien ist die Erzeugung von Feindbildern. So wird ideologisch Arbeitslosigkeit nicht als Folge von Systemmängeln erklärt sondern als Konsequenz eines Andrangs von Gastarbeitern.

  • Ausdrucksideologien

Ausdrucksideologien setzen bei den seelischen tieferen Schichten der Menschen an. Es wird ein Freund-Feind-Bild inszeniert und Behauptungen aufgestellt, an die die Massen fanatisch glauben sollen.

Ideologiekritik

Die Ideologiekritik geht von einer verblendeten Wahrnehmung der gesellschaftlichen Realität aus. Indem die Ideologiekritik die Verblendung aufdeckt, möchte sie den Zugang zu wirklichen Verhältnissen freilegen.

Geschichte

Als früher Kritiker gilt Francis Bacon (1561 - 1626), der in seiner Idolenlehre die Reinigung des Denkens von Idolen (Trugbildern) als Voraussetzung von Wissenschaft sieht. Quellen dieser Trugbilder können Tradition, Sprache, Herkunft und Sozialisation sein. Die französischen Materialisten, u.a. Paul Heinrich Dietrich von Holbach und Claude Adrien Helvétius, kritisierten insbesondere die Religion und bezeichneten deren - im Interesse der Machterhaltung verbreiteten - Behauptungen als Priestertrug.

Ideologiekritik in der Aufklärung

Der Begriff "Ideologie" entstand im Zuge der Aufklärung, deren Ziel es war, sich von Aberglauben, Irrtümern und Vorurteilen zu befreien, die den mittelalterlichen Machthabern zur Legitimation ihrer Herrschaft dienten. Der Begriff wurde dann 1796 von dem französischen Philosophen Destutt de Tracy geprägt. Die Schule der Ideologen verstand sich als Gegenströmung zum Rationalismus von René Descartes. Die Ideologen versuchten den Ursprung von Ideen als biologischen Prozess zu erklären, der ihrer Ansicht nach nicht ohne sinnliche Erfahrungen auskäme. Die französischen "Ideologen" standen in der Tradition der Aufklärung und waren demokratisch orientiert. Unter Napoleon, der den Begriff gezielt abwertend benutzte - was bis heute nachwirkt - verloren die Ideologen an Einfluss in der französischen Geisteswelt.

Ideologiekritik im Marxismus

Nach dem sozialistischen Utopisten Saint Simon griffen Mitte des 19. Jahrhunderts Marx und Engels den seit Napoleon stigmatisierten Begriff wieder auf und bewerteteten die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft und Philosophie als Ideologie, während sie den Marxismus als wissenschaftliche Analysemethode dagegen setzen. Dem Marxismus zufolge manifestiert sich die Ideologie in Gestalt von Philosophie, Religion und Recht. Ideologie wird hier nicht als bewusste Verführung, sondern als ein "notwendig falsches Bewusstsein" konzipiert, das sowohl den Beherrschten wie den Herrschenden zu eigen sei. Bestandteile der kapitalistischen Ideologie seien der Lohn-, Geld-, und Warenfetisch sowie die Verdinglichung. Zusammen verschleiern sie gesellschaftliche Verhältnisse, die als scheinbare Naturgesetze dargestellt werden (siehe auch Biologismus). Das Denken über die eigentlichen Probleme der Gesellschaft werde behindert und so das bestehende Wirtschafts- und Herrschaftssystem gestützt. Gesellschaftliche Emanzipation beinhaltet demnach stets eine Form der Ideologiekritik. Dieses Konzept wurde im 20. Jahrhundert vom westlichen Marxismus aufgenommen. So zum Beispiel Ernst Bloch (Geist der Utopie, 1918) oder Georg Lukács (Geschichte und Klassenbewußtsein, 1923), für dessen Verdinglichungsanalyse die Idee einer ideologischen Verblendung zentral war. Danach ist Ideologie "notwendig falsches Bewusstsein". Die Bilder von der Wirklichkeit, die das Subjekt sich bildet, sind beeinflusst von subjektiven Faktoren oder von diesen Faktoren bestimmt. Daher sind sie nicht objektiv, sondern verfälschen die Wirklichkeit. Nach Ulrich Enderwitz sind diese subjektiven Faktoren allerdings nicht einfach nur negative Bestimmungen. Sie lassen sich letztlich nicht durch Mangel oder Defizienz der Sinneswahrnehmung oder der Urteilskraft erklären. Wären das die Begründungen müsse von Versehen, Irrtum, Unverstand gesprochen werden. Dagegen sind sie positiv bestimmt, z.B. durch "persönlicher Vorteil, dieses oder jenes Interesse, Vorurteile, religiöser Glaube, kulturelle Tradition, soziale Abhängigkeit, Klassenlage und so weiter". Diese Faktoren wirken im Subjekt und sind ideologiebildend, weil das Subjekt diese Faktoren nicht für sich wahrnimmt.

Ideologiekritik bei Nietzsche

In den Arbeiten von Friedrich Nietzsche lassen sich ebenfalls frühe ideologiekritische Gedanken ausmachen. So etwa in der Parabel Über das Pathos der Wahrheit:

In irgend einem abgelegnen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Thiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmüthigste und verlogenste Minute der Weltgeschichte, aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Athemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Thiere mussten sterben. Es war auch an der Zeit: denn ob sie schon viel erkannt zu haben, sich brüsteten, waren sie doch zuletzt, zu grosser Verdrossenheit, dahinter gekommen, dass sie alles falsch erkannt hatten. Sie starben und fluchten im Sterben der Wahrheit. Das war die Art dieser verzweifelten Thiere, die das Erkennen erfunden hatten.[1]

Auch im Zarathustra setzt sich Nietzsche mit Ideologien auseinander; der wandernde Prophet Zarathustra bringt den Menschen Kunde von seinen Eingebungen, wobei unterschiedliche Muster der Verbreitung dieser Weltanschauung eingesetzt werden; mal Predigt er vor den Vielen, mal zieht er mit kleinen Zahlen von Schülern durch die Lande.

Ideologiekritik in der Frankfurter Schule

Auch Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die Begründer der Frankfurter Schule, übernahmen und erweiterten das Konzept der Ideologiekritik (Dialektik der Aufklärung, 1945). Aufgrund ihrer Auffassung von "totaler" Ideologie, wird die Kritik hier als Negation des ganzen Verblendungszusammenhangs verstanden, und beschränkt sich nicht nur auf die vom Warentausch zwangsabstrahierte Verdinglichung (Marx, Georg Lukács). Jene ökonomische Rationalität ist nämlich, im totalisierenden Ansatz der Dialektik der Aufklärung, einer historisch wirksamen, instrumentellen Vernunft untergeordnet.

Über diese Konzeption der frühen Frankfurter Schule führt Jürgen Habermas die Ideologiekritik in die Hermeneutikkontroverse ein. Hier wird sie dem Gadamerschen Konzept affirmativen Verstehens als kritisches Moment gegenübergestellt.

Zitate

  • "Die Ideologie ist immer die Ethik der anderen." Hansjörg Grafen
  • "Ideologie ist Ordnung auf Kosten des Weiterdenkens." Friedrich Dürrenmatt

Siehe auch

Literatur

Wiktionary: Ideologie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikiquote: Ideologie – Zitate