Hugo Chávez
Hugo Rafael Chávez Frías (* 28. Juli 1954 in Sabaneta, Bundesstaat Barinas, Venezuela) ist seit 1999 venezolanischer Staatspräsident. Chávez wurde als Sohn des Dorfschullehrers Hugo de los Reyes Chávez und seiner Frau Elena Frías de Chávez geboren, er war zweimal verheiratet und hat fünf Kinder (Rosa, Virginia, María Gabriela, Hugo Rafael und Rosiné).

Hintergrund
Geschichtlicher Abriss
1958 wurde der Diktator Marcos Pérez Jiménez von der sozialdemokratischen Acción Democrática (AD) und der Kommunistischen Partei gestürzt. Nach dem Sturz verbündete sich die AD jedoch mit der christdemokratischen COPEI und vereinbarte mit dieser im Punto-Fijo-Abkommen eine regelrechte Aufteilung der Herrschaft über Venezuela. Die so isolierte Kommunistische Partei eröffnete zwar einen Guerillakrieg, wurde aber entweder von der Allianz assimiliert oder militärisch zerschlagen. Bis in die neunziger Jahre waren so die herrschenden Parteien entweder die Acción Democrática oder die COPEI, sie stellten auch die Präsidenten.
Nach der Ölkrise von 1973 stiegen in der ersten Amtszeit von Carlos Andrés Pérez (1974 bis 1979) die Einkünfte des Landes aus dem Erdölexport so rapide, dass das Land eines der wohlhabendsten Länder Südamerikas wurde, „[…] durch den Verkauf von Erdöl hat Venezuela von 1973 bis 1983 rund 240 Milliarden US-Dollar eingenommen“ (Arturo Uslar Pietri); die damit einhergehende Verteilungspolitik führte zu einer für lateinamerikanische Verhältnisse außerordentlich hohen politischen Stabilität des Landes. Mit dem eklatanten Verfall des Ölpreises seit 1983 brachen diese Einkünfte jedoch weg. Da es keine Investitionen in andere Wirtschaftszweige gegeben hatte, die die drastisch sinkenden Erdöleinnahmen zu kompensieren vermochten, führte dies, gemeinsam mit den immer höher werdenden Auslandsschulden (1993 etwa 35 Milliarden Dollar) zu einer anhaltenden Wirtschaftskrise.
Der in der zweiten Amtszeit Carlos Andrés Pérez' (1989–1993) als Folge von Weisungen des Internationalen Währungsfonds begonnene neoliberale Wirtschaftskurs führte ab dem 27. Februar 1989, ausgelöst durch eine Preiserhöhung im öffentlichen Verkehr, zum sogenannten Caracazo. Von den Barrios, den Slums der Hauptstadt, ausgehend, kam es über mehrere Tage zu schweren Aufständen und Plünderungen der wohlhabenderen Viertel. Die Regierung Pérez ließ die Aufstände gewaltsam niederschlagen, zwischen 400 und 5000 Menschen kamen dabei ums Leben. Nach zwei Putschversuchen im Jahre 1992, einem am 4. Februar durch Hugo Chávez und einem am 27. November, sowie 1993 einem Jahr mit volkswirtschaftlichem Minuswachstum und der schlussendlichen Absetzung des Präsidenten durch den Obersten Gerichtshof wegen Veruntreuung und Korruption, wurde Rafael Caldera 1994 Präsident. Bis 1998 gelang ihm zwar die politische Stabilisierung, der Wirtschaftskrise wurde aber auch er nicht Herr. (So lag bei seinem Amtsantritt 1994 die Inflationsrate bei 71 %, es gab eine schwere Währungskrise und einen Zusammenbruch des Bankensystems.)
Chávez' Bolivarismus und die „Bolivarischen Zirkel“
Chávez war bereits seit seiner Jugend ein begeisterter Anhänger des südamerikanischen Freiheitshelden Simón Bolívar. Auch die spätere Gründung seiner Bewegung, der MBR-200, fand bewusst am 24. Juli 1983, dem 200. Geburtstag Simón Bolívars statt. Während seiner Studienzeit entwickelte Chávez im Laufe mehrerer Jahre gemeinsam mit anderen Offizieren eine linksgerichtete Doktrin namens Bolivarismus. Diese orientierte sich zwar hauptsächlich an Bolívar, war aber stark beeinflusst von den Schriften des marxistischen Historikers Federico Brito Figueroa, denen Chávez im Studium begegnet war, integrierte aber auch Einflüsse aus der südamerikanischen Tradition des Sozialismus, z. B. Fidel Castros, Che Guevaras oder Salvador Allendes. Diese Auffassungen wurden maßgeblich für sein späteres politisches Handeln.
Die zentralen Punkte des Bolivarismus sind:
- nationale Unabhängigkeit
- politische Beteiligung der Bevölkerung durch Volksentscheide und Referenden
- ökonomische Eigenständigkeit
- eine Ethik des Dienstes am Volk
- gerechte Verteilung der umfangreichen Erdöleinnahmen
- Bekämpfung von Korruption
Seine Politik wird auch als „Bolivarianische Revolution“ bezeichnet. Da sich Chávez' Politik stark auf die Unterstützung durch die Bevölkerung stützt und die Integration basisdemokratischer Elemente in die Politik ein wesentlicher Zug des Bolivarismus ist, rief er 2000 zur Gründung der sogenannten Bolivarischen Zirkel auf und ermächtigte den Vizepräsidenten Diosdado Cabello, diese Gründungen finanziell zu unterstützen. Diese dezentral auf Stadtteil- und Blockebene organisierten und trotz ihres Ursprungs autonomen Zirkel sollten eigentlich die bolivaristischen Ideen in die Bevölkerung tragen und ein Forum zur praktischen Mitarbeit bilden. Anders aber als z. B. Nachbarschaftskomitees waren sie in ihrer Kompetenz nicht auf lokale Politik beschränkt, sondern äußerten sich auch zu gesamtpolitischen Fragen. Die je nach Quelle zwischen 60.000 und 2,3 Millionen Anhänger starke Bewegung wurde allerdings aus Oppositionskreisen auch der Anwendung von Gewalt und sogar politischer Morde beschuldigt. Die Bolivarischen Zirkel sind nicht auf Venezuela beschränkt; es existieren auch im Ausland Unterstützergruppen, im deutschsprachigen Raum zum Beispiel in Wien, Tübingen oder Bielefeld.
Der Konflikt zwischen Chávez und der Opposition
Chávez ist eine heftig umstrittene Persönlichkeit. Seine Anhänger erklären, er sei ein Verteidiger der Armen, ein Revolutionär, der die Macht der Reichen zerstören und den Reichtum Venezuelas gleichmäßiger verteilen wolle. Seine Gegner wiederum behaupten, Chávez habe seine Revolution ausgenutzt, um das Missmanagement zu rechtfertigen – mit dem Ergebnis, dass die Korruption noch wesentlich zugenommen habe.
Wie erwähnt, wurde Venezuela 40 Jahre lang wechselnd von zwei Parteien, der Acción Democrática und der konservativen COPEI, beherrscht. Dabei entwickelte sich, gefördert vor allem durch den rapiden Anstieg des Ölpreises seit der Ölkrise 1973, zunehmend eine dünne Oberschicht mit kleptokratischer und oligarchischer Struktur, die fast alle gesellschaftlichen Institutionen dominierte. Der Wahlsieg von Chávez' Bewegung 1998 bedeutete somit ihre Vertreibung aus der Regierung, die Eigentumsverhältnisse blieben aber (bisher) weitgehend unangetastet. Während die Chávez-Regierung zwar die Regierungsmacht in der Hand hat, zeigt sich häufig der gebliebene Einfluss der – sich vor allem aus den wohlhabenden Schichten der Gesellschaft rekrutierenden – „alten“ Eliten in Wirtschaft, Verwaltung, Polizei und Militär (auch wenn sich die Situation für die Chávez-Regierung stabilisiert hat). Insbesondere die Medien befinden sich fast komplett in den Händen der Opposition und spielen eine wesentliche Rolle im Konflikt mit dieser. Die Macht der Medien zeigte sich besonders im Putsch gegen Hugo Chávez im Jahr 2002.
Chávez, der seit 1999 Staatspräsident ist, hat es mit einer sehr starken Opposition zu tun, die nicht nur die gegnerischen Parteien, sondern strukturell und personell unverändert gebliebene gesellschaftliche Machtgruppen wie Unternehmerverbände, einige Gewerkschaften, fast alle Massenmedien und die Kirchen einschließt. Hinter Chávez hingegen stehen wesentliche Teile des Militärs sowie der Bevölkerung. Raul Zelik vergleicht Chávez' Situation mit der der Regierung von Salvador Allende 1972 und zitiert dazu die italienische Publizistin Rossana Rossandra, nach der „ihr größtes Problem sei, dass sie zwar an der Regierung, aber nicht an der Macht sei.“ Auf eine akute innenpolitische existenzielle Bedrohung der Regierung Chávez darf daraus aber nicht geschlossen werden.
Seit Chávez' Amtsantritt hat die oppositionelle Allianz auf verschiedensten Wegen versucht, Chávez zu stürzen, per Amtsenthebungsverfahren 2000, durch einen Putsch 2002, zwei Generalstreiks 2002 und 2003 sowie durch ein Referendum zur Amtsenthebung 2004. Chávez wiederum hat im Gegenzug vielfach versucht, die Allianz zu schwächen, zu zerschlagen oder zu spalten, und hat dabei auch nicht vor gelegentlich drastischen Mitteln zurückgeschreckt. So ließ er ein Referendum über eine personelle Reorganisation der Gewerkschaften durchführen oder wehrte sich gegen eine Anti-Chávez-Kampagne der privaten, in konservativer Hand befindlichen Fernsehsender mit einem Gesetz, das Medien auf „Wahrheitsgemäßheit“ verpflichtete.
Chávez und die USA
Wie kaum ein anderes Land Lateinamerikas mit Ausnahme Panamas war Venezuela seit den 1930er Jahren an die USA gebunden, für die die venezolanischen Ölreserven von strategischer Bedeutung sind. Chávez' Politik, die sich an Simón Bolivar und seiner Betonung der nationalen Unabhängigkeit orientierte, kollidierte mit der amerikanischen Monroe-Doktrin, die Mittel- und Südamerika als „Hinterhof der USA“ definiert und schon mehrfach als Rechtfertigung massiver Interventionen in Südamerika diente, zum Beispiel in Chile, Kuba, Panama und Nicaragua; dementsprechend stand Chávez seit Beginn seiner Amtszeit unter starkem Druck der USA. Insbesondere als der Umbau der Ölindustrie nicht nur die einheimische Oberschicht einiger Pfründe beraubte, sondern vor allem die amerikanischen Ölgesellschaften Privilegien verloren und finanziell stärker belastet wurden, zog Chávez die Feindschaft der USA auf sich. Verstärkt wurde das auch durch die Revitalisierung der OPEC auf Betreiben Venezuelas, die das Ziel hatte, den Ölpreis wieder zu stärken; eine Notwendigkeit für das Land, das seit dem Kollaps des Ölmarktes 1983 unter einer schweren Wirtschaftskrise litt. Eine Verdoppelung des Ölpreises auf 20 US-Dollar pro Barrel war die Folge. Die enge Freundschaft Chávez' mit Fidel Castro steigerte die Antipathie der Vereinigten Staaten noch zusätzlich.
Die USA unterstützen die Oppositionsparteien seitdem sowohl materiell und logistisch als auch organisatorisch. Während des Putsches wurden beispielsweise Teile der Funkkommunikation der Putschisten über Schiffe der US Navy abgewickelt, die vor der venezolanischen Küste lagen, außerdem finanzierte die Regierung von Präsident George W. Bush die venezolanische Opposition weiter umfangreich durch die Behörde National Endowment for Democracy, allein im Putschjahr 2002 flossen von ihr 877.000 Dollar an die Opposition.
Mitglieder der amerikanischen Regierung beschuldigten Chávez wiederholt der Begünstigung des internationalen Terrorismus, insbesondere der kolumbianischen Guerillagruppe FARC. Auch Querverbindungen zu Al-Qaida wurden behauptet. Keine dieser Behauptungen aber konnte bisher bewiesen werden. Es wurden dadurch Vermutungen laut, dass es in solchen Erklärungen darum gehe, „Venezuela medial für die Einreihung in die Achse des Bösen vorzubereiten“, eine von Präsident George W. Bush als Gegner der freien Welt benannte Gruppe mehrerer Staaten, die den Iran, Myanmar (Birma) und Nordkorea umfasst.
Im Oktober und November 2003 veröffentlichten venezolanische Parlamentsabgeordnete Material, das die Vorbereitungen eines erneuten Putsches rechter Kreise Venezuelas in Zusammenarbeit mit der CIA nahelegte. Diesbezüglich bestätigten die USA zwar die militärische Ausbildung oppositioneller Kräfte, dementierte aber jede direkte Beteiligung der CIA.
Wegen seiner Unterstützung des Umsturzes gegen den demokratisch gewählten haitianischen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide nannte Chávez den amerikanischen Präsidenten George W. Bush im Februar 2004 einen „pendejo“. Der Begriff ist eine schwere Beleidigung und bedeutet im venezolanischen Spanisch soviel wie „Idiot“ oder „Arschloch“.
Präsident Hugo Chávez hatte am 18. März 2004 zudem gedroht, dass eine gewaltsame Entfernung von ihm aus dem Amt einen Anstieg des Ölpreises auf über 50 US-Dollar zur Folge haben wird. Dies sagte er gegenüber US-Offiziellen und inländischen Oppositionellen vor dem Hintergrund eines möglichen Referendums im Zuge seiner Wahl. In einem Interview mit der „New York Times“ hatte Chávez die USA zudem davor gewarnt, sich weiter in die inneren Angelegenheiten von Venezuela einzumischen. Dies könnte für die USA gefährliche Folgen haben. Die USA beziehen aktuell rund 15% ihres Öls aus Venezuela. Chávez hatte wiederholt damit gedroht, dass er im Fall einer Invasion oder Blockade die Öllieferungen an die USA einstellen werde. Einige Beobachter sehen diese 'Bedrohung' durch die USA als Instrument der innenpolitischen Meinungsmache.
Im August 2005 verschärfte sich der Tonfall, als der bekannte ultrakonservative Fernseh-Prediger und ehemalige Präsidentschaftskandidat Pat Robertson öffentlich zum Mord an Chávez aufrief. „Wir haben die Fähigkeit, ihn auszuschalten und ich glaube die Zeit ist gekommen, dass wir diese Fähigkeit nutzen“, so Robertson über den „gefährlichen Feind“ der USA. Nach einem Sturm der Entrüstung in den Medien reagierte die US-Administration: Ein Außenamtssprecher ließ verlauten, sie teilten die Meinung Robertsons nicht und hielten sie für unüberlegt. Donald Rumsfeld verwehrte sich gegen „jede Unterstellung“, die USA wollten sich in Angelegenheiten Venezuelas einmischen, seine Abteilung „tut so etwas nicht“.
Chávez als Symbolfigur
Wohl kaum ein lateinamerikanischer Politiker seit dem Tod von Salvador Allende hat so starken Widerhall in der internationalen Politik gefunden wie Hugo Chávez. In Lateinamerika gilt er vielen als undogmatischer Modernisierer linksdemokratischer Ideen. Er wird aber vom bürgerlich-konservativen Lager ebenso verabscheut wie von der Unterschicht geliebt. Auch international setzt sich diese Spaltung fort, Michael Lingenthal zum Beispiel, Landesbeauftragter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Venezuela, betitelte im Mai 2003 einen Bericht „Ein Land am Abgrund – Venezuela im Würgegriff seines Präsidenten“ [1], wohingegen sich Chávez' Politik bei der westlichen Linken, als Gegenkonzept zum Neoliberalismus, einiger Unterstützung erfreut (siehe [2]).
Politische Biografie
Armeezeit
Chávez trat mit 17 Jahren in die venezolanische Armee ein, war unter anderem als Fallschirmjäger aktiv und absolvierte später ein Studium der Sozialwissenschaften auf der Militärakademie in Caracas. 1990 schloss er dort einen weiteren Studiengang in Politikwissenschaft an der Universität Simón Bolívar ab.
Am 24. Juli 1983 gründete Chávez das Movimiento Bolivariano Revolucionario 200 (Revolutionäre Bolivarianische Bewegung 200), abgekürzt MBR-200, eine linke paramilitärische Widerstandsbewegung mit Zellenstruktur im Grenzgebiet zu Kolumbien, die er bis Mitte der 90er Jahre führte. Zu dieser Zeit wies Chávez noch jede Beteiligung an Wahlen von sich. Seine bis heute guten Beziehungen zu Fidel Castro rühren aus dieser Zeit.
Vom Putschisten zum Parteiführer
Als der sozialdemokratische Präsident Carlos Andrés Pérez ein rigoroses Sparprogramm einleitete, das besonders die armen Schichten hart traf, führte Chávez am 4. Februar 1992 einen Putsch der MBR-200 gegen die Regierung an, der nach 12 Stunden scheiterte. Chávez erhielt jedoch die Möglichkeit, sich über das Fernsehen mit einer Rede an die Bevölkerung zu wenden. Nach zwei Jahren im Gefängnis wurde er von Präsident Rafael Caldera begnadigt. Er galt aufgrund seiner Ansprache nach Ende des Putsches weiterhin als politisch ernst zu nehmende Persönlichkeit und organisierte nach seiner Haftentlassung eine eigene Partei, die MVR, Movimiento V [Quinta] Republica („Bewegung für eine Fünfte Republik“).
Die erste Präsidentschaft
Chávez gewann die Präsidentschaftswahlen am 6. Dezember 1998 mittels einer Antikorruptions- und Antiarmutskampagne mit einem Stimmenanteil von 56%, der größten Mehrheit in Venezuela seit vier Jahrzehnten. Die beiden etablierten Parteien, denen er Vetternwirtschaft, Kleptokratie und Korruption vorwarf, erlitten dabei massive Stimmenverluste und erhielten nurmehr 9% Zustimmung. Paradoxerweise lud er zu seiner Vereidigung am 2. Februar 1999 den letzten Diktator Venezuelas, General Marcos Pérez Jiménez, ein, was Irritationen hervorrief.
Bereits kurz nach Amtsantritt 1999 ließ sich Chávez vom Parlament eine Reihe von Sondervollmachten vor allem im Bereich der Wirtschaft einräumen, um den verschuldeten Staatshaushalt zu sanieren und die Armut zu bekämpfen. Im April 1999 veranlasste Chávez ein Referendum, das ihm die Zustimmung zur Erarbeitung einer neuen Verfassung gab. Auf deren Grundlage sollte das gesamte System reformiert werden. In der verfassungsgebenden Versammlung Asamblea Nacional Constituyente, die daraufhin gewählt wurde, erhielt Chávez' MVR über 90% der Mandate. Am 12. August 1999 rief die Constituyente per Dekret den Notstand aus und übertrug sich die Vollmacht, in die Arbeit sämtlicher staatlicher Organe einzugreifen und sie gegebenenfalls auch aufzulösen. Eine Woche später verhängte sie den Ausnahmezustand über die gesamte Justiz, wenig später entmachtete sie auch das Parlament. Im Ausland wurde dies als schleichender Staatsstreich kommentiert.
Am 14. November 1999 ließ Chávez die seit 1961 geltende Verfassung per Volksentscheid durch eine neue ersetzen. Die Etablierung dieser neuen Verfassung wird vielfach als Chávez bisher bedeutendste politische Leistung erachtet. Sie erweitert zwar auch die Machtbefugnisse des Präsidenten, führt aber darüberhinaus beträchtliche basisdemokratische Elemente in die venezolanische Politik ein, verbietet jedwede Privatisierung der staatlichen Ölressourcen, gibt Armeeangehörigen erstmals das Wahlrecht und gesteht der indigenen Bevölkerung 54% des Landes zu. Aufgrund der Erneuerung der Verfassung ließ Chávez für 2000 Neuwahlen ansetzen, diese bestätigten Chávez im Amt bis 2006.
Die zweite Präsidentschaft
Am 30. Juli 2000 wurde Chávez mit fast 60% der abgegebenen Stimmen im Amt bestätigt. Aus den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen ging Chávez' MVR mit 99 von insgesamt 165 Mandaten als absolut stärkste Kraft hervor, und auch die Gouverneurswahlen erbrachten eine Mehrheit für den MVR. Durch die absolute Mehrheit im Parlament erließ Chávez immer mehr Dekrete, die seine Macht stärkten, was zunehmend im In- und Ausland, vor allem aber in den USA, auf Kritik stieß.
Im Dezember 2000 ließ Chávez ein äußerst umstrittenes Referendum über die Neuorganisation der Gewerkschaften durchführen; zur Entscheidung stand sein Plan, innerhalb eines halben Jahres alle führenden Funktionäre der Gewerkschaften ihrer Ämter zu entheben und die Gewerkschaftsmitglieder ihre Führungspersonen neu wählen zu lassen. Damit hoffte er, sich der alten der Opposition eng verbundenen Führungsriege zu entledigen. In diesem Referendum entfielen etwa zwei Drittel der Stimmen auf Chávez' Antrag. Daraufhin beantragte die größte Oppositions- und ehemalige Regierungspartei des Landes, die Acción Democrática (AD), ein Amtenthebungsverfahren, das jedoch scheiterte.
Der Putsch
Einen neuen Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung zwischen Chávez und großen Teilen der venezolanischen Gesellschaft Anfang 2002, nachdem Chávez im Februar 2002 die Führungsriege des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA durch neue, regierungstreue Manager austauschte. Dieser Angriff auf den oligarchischen Kern der Wirtschaft, zusammen mit der weiterhin andauernden wirtschaftlichen und sozialen Krise, veranlasste einen Verbund aus Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden, katholischer Kirche, der vorherigen Regierungspartei und privaten Fernsehsendern Venezuelas am 9. April 2002 zum Generalstreik, mit dem sie den Rücktritt von Chávez erzwingen wollten. Am dritten Streiktag schlugen die Massenproteste in Unruhen um, bei denen in Folge eines massiven Polizeieinsatzes über ein Dutzend Demonstranten getötet und Hunderte verletzt wurden. Da die Polizei dem Bürgermeister von Caracas untersteht, zu der Zeit dem offen antichávezistischen Alfredo Peña, und zahlreiche Beweise die Verwicklung der Stadtpolizei in den Putsch belegen [3], gilt als wahrscheinlich, dass Peña Teil der Putschisten war. Einige Teile des Militärs traten auf die Seite der Gewerkschaften und Unternehmer über und nahmen Chávez am 12. April 2002 in Haft. Noch am selben Tag ließ sich Pedro Carmona als Übergangspräsident vereidigen. Dieser löste als seine erste Amtshandlung das Parlament und das Oberste Gericht auf, was national wie international auf scharfe Kritik stieß. Der Staatsstreich löste Massenproteste bei weiten Teilen der Bevölkerung aus, die zu dieser Zeit fest hinter Chávez standen. Während der Siegesfeier setzte die Garde des Präsidentenpalastes die Putschisten fest und verhaftete sie, nur Carmona gelang die Flucht. Am 15. April 2002 wurde Chávez aus der Militärhaft befreit und wieder ins Präsidentenamt eingesetzt.
Überraschend erklärte der spanische Außenminister Miguel Angel Moratinos Ende November 2004 bei einem Besuch von Chávez, dass Spanien unter José María Aznar den Putschversuch unterstützt habe. Er bezeichnete dies als ein „Vorgehen […], das sich nicht wiederholen dürfe“ und versicherte, dass Spanien „künftig die Demokratie in Lateinamerika unterstützen“ wolle.
Der Streik
Aus verschiedenen Gründen kam es in der Folgezeit immer wieder zu Protesten und Streiks. Am 2. Dezember 2002 riefen einige Gewerkschaftsverbände und die Unternehmerverbände erneut einen Generalstreik aus, der zunächst mehrmals um jeweils einen Tag verlängert und schließlich für unbefristet erklärt wurde. Die zentrale Forderung der Streikenden war der Rücktritt des Präsidenten. Chávez lehnte jedoch seinen Rücktritt ab, was zur Folge hatte, dass sich der Streik über zwei Monate hinzog und dadurch für den Staat Verluste von circa 4 Milliarden Euro entstanden. Mehrere zehntausend Menschen verloren in Folge ihre Arbeit. Auf Initiative des neuen brasilianischen Präsidenten Lula da Silva bildete sich eine Gruppe der Freunde Venezuelas, bestehend aus Brasilien, Chile, Mexiko, den USA, Spanien und Portugal, daneben schaltete sich auch der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter in die Vermittlungen zwischen Chávez und der Opposition ein. Carter unterbreitete zwei Vorschläge: Eine Verfassungsänderung, die Chávez' Amtszeit von sechs auf vier Jahre verkürzt hätte, oder eine Volksabstimmung zur Halbzeit von Chávez' Amtszeit über dessen Verbleib im Präsidentenamt, die am 19. August 2003 hätte stattfinden sollen. Beide Parteien konnten sich jedoch nicht auf einen Vorschlag einigen; dennoch gab die Opposition auf internationalen Druck am 3. Februar 2003 ihren Streik auf.
Das Referendum
Am 3. Juni 2004 gab der Präsident des Nationalen Wahlrats, Francisco Carrasquero bekannt, dass von 3,4 Millionen von der Opposition für ein Referendum gegen Chávez gesammelten Stimmen 2,54 Millionen anerkannt würden und so das Referendum mit knapp 15.738 Stimmen Überschuss zugelassen würde. Diesem musste sich Chávez am 15. August 2004, vier Tage vor Beendigung des vierten Jahres seiner sechsjährigen Amtszeit, stellen. Um Chávez des Amtes zu entheben, benötigte die Opposition in einer Volksabstimmung allerdings mehr als die 3,7 Millionen Stimmen, die der Politiker bei seiner Wiederwahl für eine zweite Amtszeit 2000 erhielt.
Endgültiges Ergebnis Referendum 2004 | Stimmenzahl | % |
---|---|---|
Zugelassene Wähler | 14.027.607 | |
Wahlbeteiligung | 9.815.631 | 69,98% |
Gültige Stimmen | 9.789.637 | |
Ungültige Stimmen | 25.994 | |
JA-Stimmen | 3.989.008 | 40,74% |
NEIN-Stimmen | 5.800.629 | 59,25% |
Gemäß den Verlautbarungen der Wahlkommission hatte das Referendum, das eine extrem hohe Wahlbeteiligung in Höhe von etwa 70 Prozent aufwies, (zweimal wurde die Schließung der Wahllokale am Wahltag verschoben), nicht zur Ablösung der Regierung geführt. Laut dem Endergebnis votierten 59,25 Prozent gegen Chávez' Amtsenthebung und 40,74 Prozent dafür.
Internationale Wahlbeobachter bescheinigten der Wahl entgegen bereits vorab geäußerten Befürchtungen der Opposition über einen möglichen Wahlbetrug einen einwandfreien Verlauf, der amerikanische Ex-Präsident Jimmy Carter nannte sie „eine Übung in Sachen Demokratie“. Als zentraler Faktor für Chávez' Erfolg galt die wirtschaftliche Erholung des Landes. Insbesondere durch den Anstieg des Ölpreises war die venezolanische Wirtschaft im ersten Quartal 2004 um 30 Prozent gewachsen, auch für das zweite Quartal wurde ein Wachstum von zwölf bis 14 Prozent erwartet, dies stärkte Chávez' Position. Ein weiterer Faktor für die Niederlage war auch die äußerst schwache Mobilisierung der Opposition, deren innere Gespaltenheit einen ungünstigen Eindruck auf die Wähler gemacht haben dürfte.
Unmittelbar nach der Bekanntgabe des Ergebnisses kam es in Caracas zu teilweise gewaltsamen Demonstrationen von Anti-Chavisten, die das Ergebnis inakzeptabel fanden und weiterhin von einem Wahlbetrug ausgehen. Dabei fielen mehrere Schüsse und eine Frau wurde tödlich verletzt. Von welcher Seite die Schüsse fielen, ist nicht geklärt.
Aktuelles
Bei einem Besuch in Libyen am 22. November 2004 erhält Chávez von Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi den Gaddafi-Menschenrechtspreis für seinen Einsatz für die Armen in Venezuela.
Chávez' Rede auf dem Weltsozialforum in Porto Allegre 2005 sorgte für viel Aufsehen. Er bekannte in dieser Rede, dass er den Sozialismus für die richtige Lösung hält, und lobte besonders den brasilianischen Präsidenten Lula.
Pat Robertson, ein US- amerikanischer Fernsehprediger, forderte im August 2005 die Ermordung von Chávez, da Venezuela unter seiner Führung eine Plattform für kommunistische Infiltration und islamistischen Extremismus in Südamerika darstelle [4]. Robertson entschuldigte sich – nach Protesten – einen Tag später für diesen Aufruf.
Chávez hat die christliche Missionsgesellschaft New Tribes Mission aus dem Land verbannt, da er ihnen „imperialistische Infiltration“ und Verbindungen zur CIA vorwarf. Zur selben Zeit übergab er 6800 Quadratkilometer Land an die Ureinwohner Venezuelas. Chávez sagte hierzu, er führe eine Revolution für die Armen, und die Verteidigung der Rechte der Ureinwohner des Landes sei eine der Prioritäten hierfür.
Am 20. Oktober 2005 warnte Chávez bei einem Treffen mit französischen Geschäftsleuten in Paris US-Präsident George W. Bush vor einer eventuellen Invasion seines Landes. Vor dem Hintergrund der Verknappung der US-amerikanischen Erdölreserven im Zuge mehrerer Hurrikans im Golf von Mexiko hatte der Fernsehprediger Pat Robertson, der als geistiger Berater Bushs gilt, die Ermordung Chávez' und Vereinnahmung der dortigen Öl- und Gasbestände gefordert. Robertson hatte sich zwar für seinen Ausfall entschuldigt, was den bekannten Globalisierungs- und Imperialismusgegner Chávez dennoch nicht beruhigte. Jeden Tag sende Venezuela 1,5 Million Barrel Rohöl in die Vereinigten Staaten, was man jederzeit stoppen könne. Ein Preis von 160 US-Dollar pro Barrel wäre dann durchaus im Bereich des Möglichen. Obwohl der Sprecher des US-Departements Sean McCormack die Wogen zu glätten versuchte, passte die auf Druck der USA erfolgte Stornierung der Lieferung von F-16-Lizenzkampfjets durch Israel gegenüber den südamerikanischen Staat ins derzeitige Stimmungsbild beider Staaten.
Nachdem Chávez in seiner Ansprache am Heiligabend 2005 behauptet hatte, dass "die Nachfolger derer, die Christus ans Kreuz geschlagen haben, die Nachfolger derer, die Bolivar verjagten und gewissermaßen ebenfalls kreuzigten, in Santa Marta, drüben in Kolumbien -- diese Minderheit hat sich die Reichtümer der Welt zueigen gemacht", warf ihm das Simon-Wiesenthal-Zentrum vor, er bediene das antisemitische Vorurteil, die Juden seien Christusmörder und kontrollierten die Weltwirtschaft. Diese Interpretation von Chavez' Äußerungen ist allerdings nicht unumstritten.
Dokumentation
Grundlagenartikel in der Wikipedia
- Venezuela
- Geschichte Venezuelas
- Simón Bolívar
- Federico Brito Figueroa
- Liste der Staatspräsidenten von Venezuela
Tageszeitungen
- „Bush Officials Met With Venezuelans Who Ousted Leader“, New York Times, 16. April 2002
- „U.S. Cautioned Leader of Plot Against Chávez“, New York Times, 17. April 2002
- „American Navy helped Venezuelan coup“, The Guardian, 30. April 2002
- „Zapatero anuncia que Moratinos explicará al Parlamento su acusación contra Aznar“, El Pais, 23. November 2004
Periodika
- „Die vielen Gesichter des Hugo Chávez“, Schwerpunkt- und Titelthema der Lateinamerika Nachrichten, Heft 318 vom Dezember 2000, ISSN 0174-6342(?!?!)
- Arturo Uslar Pietri, „Venezuela für Chávez und gegen Korruption“, in: Le Monde diplomatique Nr. 5709 11. Dezember 1998, [5]
- Ignacio Ramonet, „Chávez“, in: Le Monde diplomatique Nr. 5965 15. Oktober 1999, [6]
- Gabriel García Márquez, „Die zwei Gesichter des Hugo Chávez“, in: Le Monde diplomatique Nr. 6216 11. August 2000, [7]
- Pablo Aiquel, „Was meint Hugo Chávez mit Bolivarismus?“, in: Le Monde diplomatique Nr. 6293 vom 10. November 2000, [8]
- Maurice Lemoine, „Der Herbst des Populisten Hugo Chávez“, in: Le Monde diplomatique Nr. 6751 vom 17. Mai 2002 [9]
Bücher
- Richard Gott: „In The Shadow of The Liberator: Hugo Chávez and the Transformation of Venezuela“. London 2000. ISBN 1-85984-775-7
- André Scheer: „Kampf um Venezuela – Hugo Chávez und die Bolivarianische Revolution“, Essen 2004, ISBN 3910080499
- Raul Zelik, Sabine Bitter, Helmut Weber: „Made in Venezuela – Notizen zur Bolivarianischen Revolution“, Berlin 2004, ISBN 3935936281
- Hugo Chávez, David Deutschmann, Javier Salado (Hrsg.): „Chávez: Venezuela and the New Latin America“, 2004, ISBN 1920888004
- Kollektiv p.i.s.o. 16: „Venezuela. Welcome to our Revolution. Innenansichten des bolivarianischen Prozesses“, München 2004, ISBN 3-9809970-1-4
- Rafael Sevilla, Andreas Boekh (Hrsg.): „Venezuela – Die Bolivarische Republik“. Bad Honnef 2005, ISBN 3-89502-197-0
- Sahra Wagenknecht: „Aló Presidente – Hugo Chávez und Venezuelas Zukunft“. Berlin, ISBN 3360010558
Dokumentarfilme
- Kim Bartley & Donnacha O'Briain: „Chávez – Ein Staatsstreich von innen“, (IMDb-Eintrag)
(Der vielprämierte Film entstand während des Putsches gegen Chávez im Präsidentenpalast.),
Weblinks
Allgemein
- Venezuela Watch (engl.)
- Venezuela-info.net – Aktuelles und Hintergründe zur Bolivarischen Revolution in Venezuela
- Netzwerk Venezuela
- venezuelanalysis.com
- Venezuela Avanza
- Texte zu Venezuela von Raul Zelik
- Texte zu Venezuela von André Scheer
- Internationale Hands Off Venezuela Kampagne
Zur Person
Zum Putsch
- Zur Verwicklung der Stadtpolizei in den Putsch
- Finanzierung und Unterstützung aus dem Norden für die Opposition
- Die Historie der US-amerikanischen Einflussnahme
Nach dem Putsch
- Telepolis: Chávez & Venezuela nach dem Putsch 2003
- Telepolis: Das Referendum gegen Chávez 2004
- Telepolis: Ruhe vor dem Sturm? – Die venezolanische Opposition führt einen erstaunlich lustlosen Wahlkampf 2004
- Telepolis: Parteipresse zur Pressepartei 2004
- Telepolis: ALBA gegen ALCA – Venezuela und Kuba knüpfen Bündnisse gegen den Einfluss der USA in Lateinamerika 2005
- Telepolis: Aufbruch oder Niedergang?
- Telepolis: Populisten unter sich: Chávez gegen Bush
- Harald Neuber: Chávez für Revolution in den USA Präsident Venezuelas zu Besuch in der Bronx (junge Welt, 19. September 2005)
Personendaten | |
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NAME | Chávez Frías, Hugo Rafael |
ALTERNATIVNAMEN | Hugo Chávez |
KURZBESCHREIBUNG | seit 1999 venezolanischer Staatspräsident |
GEBURTSDATUM | 28. Juli 1954 |
GEBURTSORT | Sabaneta, Bundesstaat Barinas, Venezuela |