Grenzwert (Funktion)

Wert, dem sich die Funktion in der Umgebung der betrachteten Stelle annähert
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In der Mathematik bezeichnet der Limes oder Grenzwert einer Funktion an einer bestimmten Stelle denjenigen Wert, dem sich die Funktion in der Umgebung der betrachteten Stelle annähert. Ein solcher Grenzwert existiert jedoch nicht in allen Fällen. Existiert der Grenzwert, so konvergiert die Funktion, andernfalls divergiert sie. Der Grenzwertbegriff wurde im 19. Jahrhundert formalisiert. Es ist eines der wichtigsten Konzepte der Analysis.

Formale Definition des Limes einer reellen Funktion

 
Der Grenzwert der Funktion f für x gegen p ist gleich L dann und nur dann, wenn zu jedem ε > 0 ein δ > 0 existiert, so dass für alle x mit 0<|x-p| < δ auch |f(x)-L| < ε gilt.

Das Symbol  , gelesen „Limes f von x für x gegen p“, bezeichnet den Limes der reellen Funktion   für den Grenzübergang der Variablen   gegen  . Dabei kann   sowohl eine reelle Zahl sein als auch einer der symbolischen Werte   und  . Im ersten Fall muss   nicht unbedingt im Definitionsbereich   von   liegen, aber es muss ein Häufungspunkt von   sein, d. h., in jeder Umgebung von   müssen unendlich viele Elemente von   liegen. Im Falle   bzw.   muss der Definitionsbereich von   nach oben bzw. unten unbeschränkt sein.

Dementsprechend gibt es mehrere Definitionsvarianten des Limesbegriffs:

Argument endlich, Grenzwert endlich

  • Definition: Sei   eine Teilmenge von   und   ein Häufungspunkt von  . Die Funktion   hat für   den Limes  , wenn es zu jedem (noch so kleinen)   ein (im Allgemeinen von   abhängiges)   gibt, sodass für alle  -Werte aus dem Definitionsbereich   von  , die der Bedingung   genügen, auch   gilt.[1]

Qualitativ ausgedrückt bedeutet die Definition: Der Unterschied zwischen dem Funktionswert   und dem Limes   wird beliebig klein, wenn man   genügend nahe bei   wählt.

Zu beachten ist, dass es keine Rolle spielt, welchen Wert die Funktion   an der Stelle   einnimmt; die Funktion braucht nicht einmal an der Stelle   definiert zu sein. Entscheidend ist lediglich das Verhalten von   in den punktierten Umgebungen von  . Manche Autoren verwenden allerdings eine Definition mit Umgebungen, die nicht punktiert sind; siehe dazu den Abschnitt Neuerer Grenzwertbegriff.

Im Gegensatz zur von Augustin-Louis Cauchy verwendeten Formulierung, dass sich „die Funktion dem Grenzwert annähert“, ist   keine Variable, die „läuft“, sondern einfach nur ein Element einer vorgegebenen Menge. Diese heute verwendete statische ε-δ-Definition geht im Wesentlichen auf Karl Weierstraß zurück und stellte den Grenzwertbegriff auf ein solides mathematisches Fundament, die sogenannte Epsilontik.[2]

Beispiel:  

Argument endlich, Grenzwert unendlich

  • Definition: Die Funktion   hat für   (mit  ) den Limes  , wenn es zu jeder (noch so großen) reellen Zahl   ein (im Allgemeinen von   abhängiges)   gibt, sodass für beliebige  -Werte aus dem Definitionsbereich von  , die der Bedingung   genügen, auch   erfüllt ist.
In diesem Falle nennt man den Grenzwert   bestimmt divergent.

Entsprechend wird der Fall des Grenzwertes   definiert.

Beispiel:  

Argument unendlich, Grenzwert endlich

  • Definition: Die Funktion   hat für   den Limes  , wenn es zu jedem (noch so kleinen)   eine (im Allgemeinen von   abhängige) reelle Zahl   gibt, sodass für beliebige  -Werte aus dem Definitionsbereich von  , die der Bedingung   genügen, auch   erfüllt ist.
In diesem Falle nennt man den Grenzwert   konvergent.

Entsprechend lassen sich Grenzwerte des Typs   bzw.   definieren.

Beispiel:  

Definition mit Hilfe von Folgen

In den reellen Zahlen lässt sich ein Häufungspunkt folgendermaßen charakterisieren:

Sei   eine Teilmenge von   und  .   ist ein Häufungspunkt von   genau dann, wenn es eine Folge   mit   gibt, die  erfüllt, siehe dazu Grenzwert (Folge).

Mit dieser Eigenschaft lässt sich eine alternative Grenzwertdefinition formulieren:

  • Definition: Sei   eine Funktion,   ein Häufungspunkt von   und  . Dann definiert man   genau dann, wenn für jede Folge   mit   und   gilt:  .

Sobald man auch   als Grenzwert in der Definition des Häufungspunktes zulässt, kann man genauso auch   und   definieren.

Man kann zeigen, dass die  - -Definition des Grenzwerts äquivalent zur Folgendefinition ist.

Einseitige Grenzwerte

Definition

Sei   eine Teilmenge von   und   ein Häufungspunkt von  . Die Funktion   hat für   den Limes  , wenn es zu jedem (noch so kleinen)   ein (im Allgemeinen von   abhängiges)   gibt, sodass für alle  -Werte aus dem Definitionsbereich   von  , die der Bedingung   genügen, auch   gilt.

In diesem Falle nennt man den Grenzwert   konvergent.

Entsprechend werden Grenzwerte des Typs   beziehungsweise für   definiert.

Beispiele

Funktion rechtsseitiger Grenzwert linksseitiger Grenzwert beidseitiger Grenzwert
      existiert nicht
      existiert nicht
       

Notation

rechtsseitiger Grenzwert  
 
     
linksseitiger Grenzwert  
 
     

Einseitiger und beidseitiger Grenzwert

Um Verwechslungen zu vermeiden, spricht man im Falle von   mitunter auch vom beidseitigen Grenzwert. Falls   ein Häufungspunkt von   und von   ist, so gilt[3]:   existiert genau dann, wenn die beiden einseitigen Grenzwerte   und   existieren und übereinstimmen. In diesem Falle gilt die Gleichheit  .

Grenzwertsätze

Sei  ,   und   zwei reellwertige Funktionen, deren Grenzwerte   und   existieren, wobei   und   ein Häufungspunkt von   aus den erweiterten reellen Zahlen   ist. Dann existieren auch die folgenden Grenzwerte und lassen sich wie angegeben berechnen:

  •  
  •  

Ist zusätzlich  , so existiert auch  , und es gilt

  •  .

Gilt sowohl   als auch  , so lässt sich der Grenzwertsatz nicht anwenden. In vielen Fällen kann man den Grenzwert aber mit der Regel von L’Hospital bestimmen.

Darüber hinaus gilt der folgende Schachtelungssatz:

  • Ist   und ist  , so ist auch  .

Anwendung

Die Anwendung des Grenzwertbegriffs auf Differenzenquotienten hat sich als besonders ergiebig erwiesen. Er bildet die eigentliche Grundlage der Analysis.

Differentialquotient und Differenzierbarkeit

Differentialquotienten (auch Ableitungen genannt) sind die Grenzwerte der Differenzenquotienten einer Funktion, also Ausdrücke der Form

 ,

worin   und   bezeichnen. Schreibweisen sind z.B.   oder  , sofern dieser Grenzwert existiert. Mit den Eigenschaften und der Berechnung von Differentialquotienten befasst sich die Differentialrechnung.

Existiert ein Differentialquotient einer Funktion an der Stelle  , dann heißt die Funktion differenzierbar an der Stelle  .[4]

Wichtige Grenzwerte

Der bei der Ableitung der Potenzfunktion     auftretende Grenzwert lässt sich mit dem binomischen Lehrsatz berechnen:

 

Der bei der Ableitung der Exponentialfunktionen     auftretende Grenzwert benötigt die Einführung der eulerschen Zahl   und den darauf beruhenden natürlichen Logarithmus:

 

Die Ableitung der Winkelfunktionen führt letztlich auf den Grenzwert  . Für die Berechnung dieses Grenzwerts gibt es unterschiedliche Zugänge, je nachdem, wie die Winkelfunktionen und die Zahl Pi analytisch definiert werden [5]. Misst man den Winkel im Bogenmaß, so erhält man

 

Neuerer Grenzwertbegriff

In jüngerer Zeit wird auch eine Variante des Grenzwertbegriffs verwendet, der mit Umgebungen arbeitet, die nicht punktiert sind. Unter Verwendung von Folgen definiert diese Variante den Grenzwert folgendermaßen: Sei   eine Funktion,   ein Element der abgeschlossenen Hülle   und  . Dann definiert man   genau dann, wenn für jede Folge   mit   und   gilt:  .[6][7]

Der Unterschied zur oben gegebenen punktierten Variante besteht erstens darin, dass jetzt   nicht mehr verboten ist, falls  . Zweitens ist dadurch eine Definition auf allen Punkten in der abgeschlossene Hülle   möglich, insbesondere also auch auf isolierten Punkten von  .

Eine äquivalente nichtpunktierte  - -Definition des Grenzwerts lässt sich ebenfalls leicht angeben: In der oben gegebenen  - -Definition braucht nur   durch   ersetzt werden, also ebenfalls der Fall   ausdrücklich erlaubt werden.

Die nichtpunktierte Version ist nicht äquivalent zur punktierten Version. Sie unterscheidet sich insbesondere an Unstetigkeitsstellen:

In der punktierten Version ist   stetig in   genau dann, wenn der Grenzwert von   für   existiert und   gilt oder wenn   ein isolierter Punkt ist.[8] In der nichtpunktierten Version hingegen reicht es für Stetigkeit, die Existenz des Grenzwerts zu fordern, die Gleichung   ist damit automatisch erfüllt.[9]

Beispiel:

 

Diese Funktion ist nicht stetig. Der Grenzwert im nichtpunktierten Sinn existiert nicht. Der Grenzwert im punktierten Sinn existiert allerdings:  , da ausdrücklich   verlangt wird und für diese Werte   gilt. Offensichtlich ist allerdings  .

Zur Vermeidung von Missverständnissen empfehlen die Vertreter der nichtpunktierten Variante daher, den punktierten Grenzwert von   für   folgendermaßen zu bezeichnen:[10]

 

Die Vertreter der neueren Variante sehen den Vorteil ihrer Variante gegenüber der klassischen punktierten Variante von Weierstraß darin, dass sich Grenzwertsätze mit der neueren Variante leichter formulieren lassen, weil die Sonderfälle, die sich durch die Punktierung ergeben, nicht mehr berücksichtigt werden müssen.[11]

Grenzwert einer Funktion bezüglich eines Filters

Sowohl der klassische Grenzwertbegriff von Weierstraß als auch der neuere Grenzwertbegriff lassen sich als Spezialfälle des allgemeinen Grenzwertbegriffs einer Funktion bezüglich eines Filters auffassen:

Sei   eine Funktion von   nach  , wobei   mit einer Topologie versehen ist, und   ein Filter auf  . Ein Punkt   heißt Grenzwert der Funktion   bezüglich des Filters  , wenn der von der Filterbasis   erzeugte Filter gegen   konvergiert, also wenn der von der Filterbasis   erzeugte Filter feiner ist als der Umgebungsfilter von  .[12]

Die neuere Definition für den Grenzwert einer Funktion im Punkt   entspricht nun dem Spezialfall, dass   als der Umgebungsfilter von   gewählt wird[13]; die klassische Definition von Weierstraß entspricht dem Spezialfall, dass   als der von den punktierten Umgebungen von   erzeugte Filter gewählt wird[14].

Einzelnachweise

  1. Harro Heuser, Lehrbuch der Analysis. Teil 1. 8. Auflage, B. G. Teubner, Stuttgart 1990. ISBN 3-519-12231-6. Definition 38.1
  2. Harro Heuser, Lehrbuch der Analysis. Teil 2. 5. Auflage, B. G. Teubner, Stuttgart 1990. ISBN 3-519-42222-0. Kapitel 245 Die neue Strenge, S. 697.
  3. Harro Heuser, Lehrbuch der Analysis. Teil 1. 8. Auflage, B. G. Teubner, Stuttgart 1990. ISBN 3-519-12231-6. Satz 39.1
  4. Harro Heuser, Lehrbuch der Analysis. Teil 1. 8. Auflage, B. G. Teubner, Stuttgart 1990. ISBN 3-519-12231-6. (46.1)
  5. Wikibooks: Beweisarchiv: Analysis: Differentialrechnung: Differentiation der Sinusfunktion
  6. H. Amann, J. Escher: Analysis I, Birkhäuser, Basel 1998. ISBN 3-7643-5974-9. Seite 255
  7. G. Wittstock: Vorlesungsskript zu Analysis 1 Wintersemester 2000-2001 Definition 2.3.27
  8. Harro Heuser, Lehrbuch der Analysis. Teil 1. 8. Auflage, B. G. Teubner, Stuttgart 1990. ISBN 3-519-12231-6. Satz 38.2
  9. G. Wittstock: Vorlesungsskript zu Analysis 1 Wintersemester 2000-2001 Bemerkung 2.3.28 Punkt 1.
  10. G. Wittstock: Vorlesungsskript zu Analysis 1 Wintersemester 2000-2001 Definition 2.3.2, Bemerkung 3
  11. G. Wittstock: Vorlesungsskript zu Analysis 1 Wintersemester 2000-2001 Bemerkung 2.3.28 Punkt 5.
  12. N. Bourbaki, Éléments de mathématique. Topologie Générale, Springer, Berlin, ISBN 978-3-540-33936-6. Chapitre I, §7, Définition 3.
  13. N. Bourbaki, Éléments de mathématique. Topologie Générale, Springer, Berlin, ISBN 978-3-540-33936-6. Chapitre I, §7.4
  14. N. Bourbaki, Éléments de mathématique. Topologie Générale, Springer, Berlin, ISBN 978-3-540-33936-6. Chapitre I, §7.5