Unterscheidung
Vorlage:DDR-URV Unterscheidung bezeichnet ein Verfahren, etwas aus einem Ganzen herauszulösen (von ihm zu "scheiden") und es damit allererst als etwas wahrnehmen, denken, fühlen oder sich vorstellen zu können.
Damit ist Unterscheidung die Voraussetzung zur Herstellung und Erkenntnis eines jeden Gegenstands und Begriffs. Sie ist außerdem die Voraussetzung für Kommunikation und Sprache.
Unterscheidung in der Wahrnehmung
Welchen Unterschied eine gelungene Unterscheidung macht, kann man recht eindrucksvoll beim Erlernen einer Sprache erleben. Die Stimmen der Menschen, die in einer unbekannten Sprache sprechen, erscheinen zunächst wie Geräusche. Um uns zu orientieren, treffen wir erste Unterscheidungen wie: klingt freundlich, klingt wütend usw. Nach und nach lernen wir, Silben und Worte zu unterscheiden usw.
Ähnlich ist es, wenn wir lernen, Jazz zu hören oder moderne Gemälde zu betrachten, wobei wir unter Umständen zunächst nur "Gedudel" oder "Farbkleckse" wahrnehmen.
Unterscheidung in der Religion
Da die Unterscheidung von solch grundlegender Bedeutung dafür ist, dass überhaupt etwas ist, spielt sie in Schöpfungsmythen und Religionen eine große Rolle. "Wie wurde die erste Unterscheidung getroffen? Wie wurde der erste Gegenstand geschaffen?" lautet die Frage.
Die Genesis berichtet von den ersten Unterscheidungen Gottes:
- Da schied Gott das Licht von der Finsternis ... Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern ... (1. Mose, 4ff).
Häufig haben Schöpfungen - wie das Wort auch schon sagt - mit Wasser zu tun. Aus dem in sich Ununterscheidbaren tauchen Gestalten auf.
- Haben die Ungläubigen nicht gesehen, daß die Himmel und die Erde in einem einzigen Stück waren, dann zerteilten Wir sie? Und Wir machten aus Wasser alles Lebendige, heißt es im Koran (21:30).
In den Upanishaden führt die Unterscheidung nicht zur Zerteilung und es entsteht keine Feste zwischen den Wassern. Das Ganze heißt dort "neti neti" - "weder das noch das":
Es ist das, :vor dem Worte und Gedanken umkehren, denn sie erreichen es nicht. (Taittiriya Upanishad 2.4, zit. n. Heinrich Zimmer, Philosophie und Religion Indiens, Suhrkamp 1973, S. 309 )
Diese Grundidee wird verstärkt in modernen epistemologischen Betrachtungen gewürdigt, so etwa im Begriff der Differenz (Systemtheorie) oder der différance.
Unterscheidung in Wissenschaft und Philosophie
In der Wissenschaft wurde eine spezielle Methode der Unterscheidung entwickelt: die Analyse.
Eine besondere Bedeutung hat die Unterscheidung in einer Forschungsrichtung, die als Radikaler Konstruktivismus bezeichnet wird. Diese Forschungsrichtung geht davon aus, dass sich uns Gegenstände nicht von selbst zeigen und dass wir Unterschiede wie zum Beispiel Farben und Formen nicht unmittelbar und ohne eigenes Zutun mit den Sinnesorganen erfassen. Alle Gegenstände und alle ihre Qualitäten entstehen allein, weil wir selbst die Unterscheidungen treffen.
Unterscheidung in der Gesellschaft
Gesellschaftliche Formen der Unterscheidung sind u. a.: Individualismus, Identität, Diskriminierung und Rassismus.
Wohl den meisten gesellschaftlichen Formen der Unterscheidung liegt ein bestimmtes Prinzip zugrunde, nach dem üblicherweise die Menschen ihre gesamte Wahrnehmung organisieren. Dieses Prinzip lautet: die Unterschiede, die ich wahrnehme, sind Eigenschaften des Objekts, das ich wahrnehme.
Gemäß diesem Prinzip beruht Diskriminierung darauf, dass Eigenschaften von Menschen dazu missbraucht werden, diese Menschen von anderen zu trennen, um sie zu unterdrücken. Im Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus geht es daher darum, die Eigenschaften der Diskriminierten von negativen Bewertungen und Unterdrückung zu befreien. So kämpfen beispielsweise Lesben für Toleranz gegenüber ihrer speziellen Eigenschaft, sich emotional und sexuell zu anderen Frauen hingezogen zu fühlen.
Der Antisemitismus steht vor dem Problem, dass die zu diskriminierenden Menschen häufig keine Eigenschaften aufweisen, die ihre Unterscheidung von nicht zu diskriminierenden Menschen ermöglichen. Um dem abzuhelfen, führte der Nationalsozialismus den Judenstern ein.
Das Prinzip "die Unterschiede, die ich wahrnehme, sind Eigenschaften des Objekts, das ich wahrnehme" ist nicht das einzig mögliche, nach dem sich Wahrnehmungen organisieren lassen. Ein anderes mögliches Prinzip ist zum Beispiel: "die Unterschiede, die ich wahrnehme, sind die Unterschiede, die ich mache".
Gemäß diesem Prinzip beruht Diskriminierung darauf, dass Unterschiede auf eine spezielle Weise gemacht werden, nicht schon darauf, dass Unterschiede "bestehen". Die spezielle Weise diskriminierender Unterscheidung besteht in der Konstruktion von Eigenschaften, die Menschen unabhängig von ihrer Individualität zugewiesen werden können und ihnen Identität verleihen. Solche Eigenschaften sind z. B. "männlich" und "weiblich", "homosexuell", "schwarz", "behindert". Mit der Frage, wie solche Konstruktionen funktionieren und zu Stande kommen, befassen sich Gender Studies und Queer Theory.
Unterscheidung im Sinne der Systemtheorie
Eine Unterscheidung ist eine Differenz, die als Operation beschrieben wird. "Die Unterscheidung ist die eine Differenz der Einheit Beobachtung. Ein Beobachter muss eine Entscheidung treffen, die darin besteht, dass er eine ganz bestimmte Unterscheidung händeln muss, um diese zu bezeichnen." Dorniok, Daniel (2004) : Vom operativen Konstruktivismus zu Luhmanns Systemtheorie als selbstreferenziell-zirkulären Universaltheorietheorie und ihre Konsequenzen für Wissen und Wissenschaft (http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/36662.html