Die Protokolle der Weisen von Zion sind ein aus mehreren fiktionalen Texten zusammengestelltes Machwerk in Form eines "Geheimdokumentes", das zu Beginn des 20. Jahrhunderts die antisemitische Behauptung einer Weltverschwörung durch das Judentum beweisen sollte.
Der Autor der Protokolle ist nach wie vor unbekannt. Viele Experten haben ihn bisher in den Kreisen der zaristischen Geheimpolizei Okhrana vermutet. Besonders Piotr Rachkovskii (1853-1910), Leiter der Abteilung für Auslandsfragen in Paris und sein Assistent Matvei Golovinskii (1865-1920) standen unter Verdacht, die Protokolle gefälscht zu haben, doch ihr Anteil an der Ausgestaltung des Machwerks ist umstritten.
Ein Vorläufer der Protokolle ist die satirische Schrift Dialogue aux enfers entre Machiavel et Montesquieu (Dialog in der Hölle zwischen Macchiavelli und Montesquieu), die der Franzose Maurice Joly 1864 herausgab. Diese Satire enthielt noch keinerlei antisemitische Züge. Sie attackierte vielmehr Napoleon III. Joly wurde für diese Schrift fünfzehn Monate inhaftiert. Joly selbst hat, wie Umberto Eco in einer Untersuchung zu den Protokollen zeigte, Anleihen bei Eugène Sue, einem französischen Autor des 19. Jahrhunderts gemacht, dessen Roman Les Mystères du Peuple eine Quelle für die Dialoge gewesen ist.
Bei der Ausformung des Mythos spielte auch ein Groschenroman des Deutschen Herrmann Goedsche, ein ehemaliger Beamter bei der preußischen Post, eine Rolle. Goedsche publizierte 1868 unter dem Pseudonym "Sir John Retcliff" einen Sensationsroman namens Biarritz, in dem von einer Versammlung auf dem Friedhof von Prag die Rede ist, in der Vertreter der zwölf Stämme Israels einen Plan für die Eroberung der Welt besprechen.
Diese Szene taucht 1876 in einer russischen Hetzschrift erneut auf, schildert aber die bei Goedsche noch fiktive Geschichte als Tatsachenbericht, ein Jahr später taucht die Rede in Deutschland, Frankreich und Österreich auf.
1881 druckte die französische katholische Zeitung Le Contemporain die Geschichte etwas modifiziert ab (die zwölf Reden werden nun zu einer einzigen zusammengefasst). Die Le Contemporain gibt an, den "Bericht" aus einem bald erscheinenden Buch des englischen Diplomaten "Sir John Readcliff" übernommen zu haben.
Die wohl früheste Version der eigentlichen Protokolle wurde im August und September 1903 in der St. Petersburger Zeitung Znamia abgedruckt, doch die Version, die schließlich weltweit verbreitet wurde, stammt aus der zweiten Ausgabe des Buchs von Sergej Nilus (1862-1929), Das Große im Kleinen, erschienen 1905. 1920 gibt es überall in Europa Übersetzungen der Protokolle.
In Deutschland avancierten die Übersetzungen der Antisemiten Ludwig Müller, alias Gottfried zur Beek und Theodor Fritsch zur Grundlage des Nationalsozialismus und zu einem Motiv für den Holocaust. Die britische Übersetzung der Protokolle unter dem Titel The Jewish Peril kam Anfang 1920 auf den Markt. In den USA brachte der Industrielle Henry Ford The International Jew: The world's foremost problem heraus, das die Protokolle propagierte und in 16 Sprachen übertragen wurde. Fortan reisten die Protokolle um die Welt, nach Frankreich, Norwegen, Dänemark, Polen, Bulgarien, Italien, Griechenland und erreichten schließlich sogar Japan und China.
Auch juristische Maßnahmen gegen die Herausgeber der Protokolle zwischen 1933 und 1935 in Bern halfen nicht. In ihrem Urteil von Mai 1935 erklärten die Richter die Protokolle zwar als Plagiat und Schundliteratur und verurteilten die Herausgeber zu einer Geldstrafe, das Urteil wurde jedoch im November 1937 aus formaljuristischen Gründen kassiert.
Auch wenn die Protokolle seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem Blickfeld verschwunden sind, hat sich der Glaube an das jüdische Welteroberungsprogramm um die ganze Welt verbreitet. Bis 1970 wurden mindestens neun Editionen der Protokolle in der arabischen Welt gedruckt. Heute schätzt man ihre Verbreitung auf 60 verschiedenen arabische Editionen, die in den Metropolen zirkulieren und leicht zugänglich sind.
Sie tauchten Mitte der Neunziger in Osteuropa wieder auf, wurden zuvor in Afrika und Südamerika, Pakistan, Malaysia und Japan veröffentlicht. In den USA sorgten in den siebziger Jahren die rechtsextremen Gruppierungen National States Rights Party und die California Noontide Press für den Vertrieb. Von Vertretern der rechtsextremen Militias werden sie heute ebenso propagiert wie von den Anhängern der fundamentalistischen Nation of Islam.
Siehe auch: Zion
Literatur
- Ben-Itto, Hadassa: „Die Protokolle der Weisen von Zion". Anatomie einer Fälschung. Berlin: Aufbau-Verlag, 1998.
- Bronner, Eric Stephen: Ein Gerücht über die Juden. Die Protokolle der Weisen von Zion und der alltägliche Antisemitismus. Berlin 1999.
- Cohn, Norman: Die Protokolle der Weisen von Zion: der Mythos der jüdischen Weltverschwörung. Baden-Baden, Zürich 1998.
- Eco, Umberto: Fiktive Protokolle, in: ders., Im Wald der Fiktionen. Sechs Streifzüge durch die Literatur, München 1994, S. 155-184. Vorabdruck unter dem Titel: Eine Fiktion, die zum Albtraum wird. Die Protokolle der Weisen von Zion und ihre Entstehung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2.7.1994. Siehe: Diskussion:Protokolle_der_Weisen_von_Zion
- Hagemeister, Michael: Die 'Protokolle der Weisen von Zion'. Einige Bemerkungen zur Herkunft und zur aktuellen Rezeption. Aus: Wegner, Michael (Hrsg.): Rußland und Europa. Historische und kulturelle Aspekte eines Jahrhundertproblems. Leipzig u.a. 1995. S. 195-206.
- Pfahl-Traughber, Armin: Die Protokolle der Weisen von Zion: Der Nachweis der Fälschung und die tatsächliche Entstehungsgeschichte. In: Beiträge zum Verständnis des jüdischen Schicksals in Vergangenheit und Gegenwart, 46. Jg. (1990), H. 1, S. 22-31.
- Sammons, Jeffrey L. (Hrsg.): Die Protokolle der Weisen von Zion: die Grundlage des modernen Antisemitismus - eine Fälschung. Text und Kommentar. Zweite, unveränderte Auflage 2001. Göttingen 1998.
Weblink
- http://lexikon.idgr.de/p/p_r/protokolle-der-weisen-von-zion/protokolle.php
- http://www.comlink.de/cl-hh/m.blumentritt/agr269s.htm - Überlegungen zur Forschungslage bzgl. der Protokolle
- http://www.fritz-bauer-institut.de/rezensionen/nl15/erb.htm - Rezension der Bücher von Ben-Itto, Cohn und Sammons.