Du bist Deutschland

Social-Marketing-Kampagne
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Vorlage:Neuigkeiten Du bist Deutschland ist eine auf ein neues, deutsches Nationalgefühl zielende Medienkampagne der Initiatoren "Partner für Innovation", einem Zusammenschluss aus rund 200 Unternehmen, Verbänden und Institutionen. Die großangelegte Kampagne wird derzeit kontrovers diskutiert.

Inhalt

Die Kampagne umfasst ein Statement, welches als gesellschaftliches "Manifest" bezeichnetes wird. Es trägt viele Metaphern und die Kernbotschaft zielt auf positive Gefühle der Rezipienten. Leistung und Nationalgefühl werden als schön dargestellt. Das Statement macht auch den Inhalt des Werbespots aus. Die bis zu zwei Minuten langen Fernsehspots zeigen größtenteils prominente Menschen an historischen, landschaftlichen und urbanen Schauplätzen. Diese tragen Sinnsprüche und Metaphern vor ("Du bist das Wunder von Deutschland", "Du bist der Baum"), die unterschiedlich interpretiert werden.

Allgemeine Daten

Datei:Du bist Deutschland.jpg
Logo der Kampagne „Du Bist Deutschland“

Die Kampagne läuft vom 26. September 2005 bis zum 31. Januar 2006. Die Gestaltung stammt von der Werbeagentur Jung von Matt, die fischerAppelt Kommunikation GmbH (Hamburg) leitet das "Kampagnenbüro". Im Zentrum der Arbeit stehen großformatige Printmedien-Anzeigen, Plakatierungen und bis zu zweiminütige Fernseh- und Kinowerbespots. Laut Presseprospekt handelt es sich um "die größte Social Marketing-Kampagne in der Mediengeschichte der Bundesrepublik". Die Höhe des Werbevolumens wird mit 30 Millionen Euro beziffert und kommt durch den aufsummierten Honorarverzicht der beteiligten Personen und Firmen zusammen. Die bisher größte Kampagne der deutschen Geschichte war die der 1933 gegründete Winterhilfswerk-Stiftung. Auch damals stellen sich viele Künstler und Personen aus der Politik zum Zwecke des nationalsozialistischen Hilfswerkes ohne eine Bezahlung zur Verfügung. Eine gewisse Analogie ist somit vorhanden und irrtümlicherweise wird angenommen "Du bist Deutschland" ist die größte Kampagne.

Die Begleitmusik der Kampagne stammt vom US-amerikanischen Komponisten Alan Silvestri und ist bekannt aus dem USA-Spielfilm Forrest Gump (1994).

Das für die Kampagne erstellte Piktogramm besteht aus drei Flächen, deren Farbgebung die deutschen Nationalfarben enthält. Es weist stilistisch eine starke Ähnlichkeit zum Logo der Olympischen Spiele in Barcelona [1](1992) auf, welches ebenfalls eine fortschreitende Person darstellen soll.

Slogan

Das Motto Du bist Deutschland spricht die Menschen auf einer persönlichen Ebene an ("Du"). Es trägt dabei eine Botschaft, das Individuum gehöre zu einem übergeordneten Ganzen ("bist 82 Millionen", "bist Deutschland"). Die bewusste Betonung des Einzelnen als Teil eines sich als Nationalstaat konstituierenden Kollektivs rückte viele Kritiker auf den Plan, das dies ein den Willen einschränkendes Handeln wie im deutschen Nationalsozialismus oder wie in anderen nationalistisch motivierten, teilweise auch gewaltsamen, Krisen (Jugoslavien, Zypern) unterstützt. Der Slogan findet sich über verschiedene Medien auch in modifizierter Form mit deutschen Führungspersönlichkeiten publiziert, was unter gesellschaftspsychologischen Faktoren bedenklich ist. Unter anderem "Du Bist Max Schmeling", Alice Schwarzer oder Albert Einstein, dem damit eine gesonderte Aufmerksamkeit zu Teil wurde. Im Rahmen der Kampagne wird er wegen seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse als großer Denker der Nation instrumentalisiert. Die Aussage einer großen Kampagne besagt, dass auch Einstein "alles aus sich herausgeholt" habe. Auch bei geringerer Intelligenz könne man "nach den Sternen greifen", würde man sich für das Land aufopfern. Der Wissenschaftler legte jedoch bereits Ende des 19. Jahrhunderts Einstein die deutsche Staatsbürgerschaft bewusst ab. Und spätestens seit dem Nationalsozialismus wollte er mit Deutschland als Nation nichts mehr zu tun haben.

Aussagen

Grundsatz der Kampagne

Im Kern der Kampagne steht ein Statement, welches über einige Medien publiziert wird.

Ein Schmetterling kann einen Taifun auslösen. Der Windstoß, der durch seinen Flügelschlag verdrängt wird, entwurzelt vielleicht ein paar Kilometer weiter Bäume. Genauso wie sich ein Lufthauch zu einem Sturm entwickelt, kann Deine Tat wirken. [...] Dein Wille ist wie Feuer unterm Hintern. [...] Doch einmal haben wir schon eine Mauer niedergerissen. Deutschland hat genug Hände, um sie einander zu reichen und anzupacken. Wir sind 82 Millionen. Machen wir uns die Hände schmutzig. Du bist die Hand. Du bist 82 Millionen. Behandle Dein Land doch einfach wie einen guten Freund. Meckere nicht über ihn [...] Du bist Deutschland.“ - Auszüge aus der Präambel der Kampagne "Du Bist Deutschland", hier in voller Länge.

Elena Lange, Sängerin der Band Stella wies im Rahmen einer Veranstaltung der Initiative "I Can't Relax in Deutschland" am 8. Oktober 2005 in Frankfurt darauf hin, dass sich die Kampagne "Du Bist Deutschland" „sich den Mitteln der Romantik durch das Spielen mit primitiven Metaphern“ bediene. Durch dieses Stilmittel gewinnen traumatische, rauschähnliche Zustände an Bedeutung für den Zuschauer der Kampagne. Die gezielte Irrationalität setzt bei "Du Bist Deutschland" auf ein divergierendes Prinzip des menschlichen Geistes. Hier wird die rationale Wirklichkeit (Ängste, Probleme) durch surreale Phantasma (sehnliche Wünsche) und Sehnsucht nach Rückkehr (in nationale Zeiten) ersetzt. Damit würde der Anschein erweckt werden, als seien mit Hilfe eines Automatismus keine Schranken mehr gesetzt und gemeinsam schaffe "man das schon". Strukturelle und wirtschaftliche Zusammenhänge würden somit jedoch verklärt und der Blick auf das Wesentliche verblendet. André Breton meinte dazu, es die „die Rache des Lustprinzips am Realitätsprinzip“ sei.

Ferner wird der Leistungsdruck in einer kapitalistischen, an Leistung und ökonomischen Erfolg orientierten Gesellschaft stark betont. Dies steht im Widerspruch zum integrativen Charakter, der eigentlich eine humanere Gesellschaft, in der auch Benachteiligte angeblich ihren Platz fänden (siehe Median). Somit ist "Du bist Deutschland" eine indirekte Motivationsaufforderung, durch die ökonomischer Erfolg in Deutschland lediglich durch eine Stimmung verbesserbar werde. Somit vertritt die Kampagne eine Position, in der Menschen ähnlich einer künstlich gezüchteten Nation behandelt werden. Schon Charles Darwin meinte zu solche neoliberalen, leistungsorientierten Forderungen:

"Diese Erhaltung vorteilhafter individueller Unterschiede und Veränderung und diese Vernichtung nachteiliger nenne ich natürliche Zuchtwahl."

Statements der Repräsentanten

Ich kann mein Land nicht behandeln wie den letzten Dreck. Sondern mein Land ist mein Kumpel“ - Johannes B. Kerner
Wenn wir im Kopf einfach einen Schalter umlegen [...], glaube ich dass das dann besser wird.“ - Günther Jauch
Wir können uns dafür engagieren, eine ganze Reihe von Dingen, die sich in den Köpfen festgesetzt haben, dort raus zu kriegen “ - Ulrich Wickert
Wenn die Leute freudig sind, dann können sie noch mehr leisten.“ - Oliver Pocher

Diskussion und Kritik

Die Kampagne ist Gegenstand heftiger Kontroversen. Sie wird wegen des nationalen Bezugs als bedenklich empfunden und vielfach parodiert.

Hierbei wird angemerkt, dass sich in einer funktionierenden Demokratie Meinungen und Stimmungen in einem offenen Diskurs frei entwickeln sollten und nicht über Medienkampagnen manipuliert werden dürften. Dabei würden Assoziationen eines weitläufigen Spektrums geweckt, das bei Methoden autoritärer Herrschaftssysteme wie Propaganda beginnet und mit der Erinnerung an den deutschen Nationalsozialismus endet. Auch hier wurde Nationalismus überhoben und zur kollektiven Vernichtung instrumentalisiert.

"Du bist Deutschland" trägt mit der bewussten Ansprache der Emotionen und der Instrumentalisierung bekannter Persönlichkeiten manipulative Wurzeln. Durch die Wiederkennung bekannter Medienleute möchte man auch weniger elitäre Schichten ansprechen und Ihnen ein Nationalgefühl vermitteln, das auf ihnen als Gesichter der Medien fußt.

Auf der anderen Seite wird dem Slogan eine positive, integrative Botschaft zugesprochen, da insbesondere Bürger mit Eltern aus verschiedenen kulturellen Kontexten, körperlich Benachteiligte, Juden und andere Gruppen angesprochen werden. Sozial integrative Suggestionen sind durch Betonung der individuellen Verantwortung für die Gemeinschaft "Deutschland" erkenntlich. Ferner werde die Vielfalt der Bevölkerung verallgegenwärtigt.

Medien

Die Taz spricht davon, dass mittels einer "neoliberalen Wundertüte" die "von Depressionen und Zukunftsängsten geschüttelten Deutschen wieder auf gute Laune getrimmt werden" würden (taz v.26.9.05) und die Verantwortung von Staat und Wirtschaft für das „Schicksal des Landes“ dabei auf den Einzelnen abgeschoben werde (taz v. 29.9.05). Die Berliner Zeitung kritisiert die "Volkskörperrhetorik" der Kampagne und hält die Aktion für eine "Verhöhnung des Publikums", da hier "Prominente gegen Realitäten anschwärmen" würden, die "deutsche Misere" aber nicht durch "mentales Training" zu beseitigen sei (BZ v.30.9.05). Die Zeit spricht von "Propaganda", "Schwachsinn" und einem "Höhepunkt an Zynismus" (Die Zeit v. 6.10.05).

Der Appell an die Verantwortung des Einzelnen für sich selbst und das Gemeinwohl sei zu begrüßen, die Medienkampagne dürfe aber nicht ablenken von der Verantwortung der Entscheidungsträger für die Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme, da diese nicht vom Einzelnen allein durch positives Denken bewältigt werden könnten, so Sabine Eichler im Main-Rheiner (MR v.8.10.05).

Ein Kommentar von Jens Jessen in Die Zeit setzt die Kampagne in den Kontext von kapitalistischer Umdeutung von "Arbeitslosigkeit und [sinkenden Löhnen]" als ein Grund von schlechter Laune, der jederzeit abgeändert werden könne. Die Kampagne sei "Schwachsinn" und würde mit Zynismus abzulehnende Ressiments bedienen:

"Den Höhepunkt an Zynismus gewinnt die Kampagne aber in dem Fernsehspot, der Schwule und Behinderte auf dem Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals versammelt. Der Bildeinfall ist in seiner Häufung diskriminierter Randgruppen so geschmacklos, dass man unweigerlich an jene alten Witze denken muss, die mit dem Satz »Jude allein reicht wohl nicht« endeten."

Die Initiative "I Can't Relax in Deutschland" bezeichnet die Kampagne als "neuen Nationalismus". Xavier Naidoo, welcher für den Kampagnen-Videodreh vor dem Holocaust-Mahnmal posierte, stünde so für ein Deutschlandbild, welches seine Vergangenheit bewältigt zu haben glaube und deshalb diese meint abschließen zu können.

Medienpräsenz

Statistisch werden 1,6 Milliarden Kontakte medial erzielt. Dies entspricht einer rechnerischen Reichweite von 98 Prozent. Jeder Deutsche soll somit durchschnittlich 16-mal erreicht werden. Das Mediavolumen (Stand 23. September 2005) setzt sich zusammen aus:

Zeitschriften:

  • 40 Titel, Auflage in Tausend: 26.072,3
  • Kontakte in Mio.: 625,5
  • Schaltvolumen: 11.267.051 Euro

Zeitungen:

  • 8 überregionale Titel, Auflage in Tausend: 2.195,6
  • 13 regionale Titel
  • Auflage in Tausend: 2.854,8
  • Kontakte in Mio. gesamt: 82,8
  • Schaltvolumen gesamt: 5.378.799 Euro

TV:

  • 11 Sender
  • Kontakte in Mio. gesamt: 761,3
  • Schaltvolumen gesamt: 12.500.000 Euro

Kino:

  • 1.866 Theater in 343 Orten
  • Kontakte in Mio. gesamt: 32,4
  • Schaltvolumen gesamt: 984.998 Euro

Plakat:

  • 2.326 Mega-Lights (18/1) in 80 Orten
  • Kontakte in Mio. gesamt: 84,8
  • Schaltvolumen gesamt: 999.994 Euro

Träger der Kampagne

Fernsehen
ARDPremiere FernsehenProSiebenSat.1RTL Gruppe DeutschlandZDF
Print
Axel SpringerHeinrich Bauer VerlagHubert Burda MediaFrankfurter Allgemeine ZeitungJahreszeiten Verlag Gruner & JahrHeise Medien GruppeVerlagsgruppe Georg von HoltzbrinckZeitungsgruppe IppenVerlagsgesellschaft MadsackMotor Presse StuttgartDER SPIEGELSüddeutscher VerlagWAZ-MediengruppeZeitungsgruppe Stuttgart
Online
RTL InteractiveTOMORROW FOCUST-Online
Plakat
Ströer Out-of-Home Media
Kino
WerbeWeischer

Für die gestalterische Konzeptionierung ist die Werbeagentur Jung von Matt zuständig. Das "Kampagnenbüro" leitet die fischerAppelt Kommunikation GmbH (Hamburg).

Unterstützer

Gerald AsamoahReinhold BeckmannBobby BrederlowYvonne CatterfeldSarah ConnorWojtek CzyzJustus Frantz und OrchesterMaria FurtwänglerGünther JauchOliver KahnWalter KempowskiJohannes B. KernerOliver KorritkeWalter LangeFlorian LangenscheidtPatrick LindnerSandra MaischbergerXavier NaidooMinh-Khai Phan-ThiOliver PocherDominic RaackeMarcel Reich-RanickiHans Martin RüterKool SavasHarald SchmidtGabriele StrehleGerd StrehleUlrich WickertAnne WillDr. Martin WinterkornKatarina Witt

Siehe auch

Offiziell

Kritisch

Parodien