Franziska zu Reventlow

deutsche Schriftstellerin, Malerin und Übersetzerin
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Fanny (Gräfin) zu Reventlow (Nom de Plume F. Gräfin zu Reventlow; auch bekannt als Franziska (Gräfin) zu Reventlow) (* 18. Mai 1871 in Husum; † 26. Juli 1918 in Muralto/Schweiz), eigentlich Fanny Sophie Liena [!] Auguste Adrienne Gräfin zu Reventlow, war eine deutsche Schriftstellerin, berühmt als "Schwabinger Gräfin" der Münchner Bohème und als Autorin des Schlüsselromans Herrn Dames Aufzeichnungen (1913).

Datei:Fanny zu Reventlow.jpg
Fanny zu Reventlow, unbekanntes Datum

Biographie

Fanny zu Reventlow wurde am 18. Mai 1871 als fünftes von sechs Kindern des preußischen Landrats Ludwig Graf zu Reventlow und dessen Frau Emilie, geb. Gräfin zu Rantzau, im Schloß zu Husum geboren, wo sie sich mit dem Gymnasiasten Ferdinand Tönnies (dem späteren Begründer der Soziologie in Deutschland) befreundete. In ihrem autobiographischen Roman Ellen Olestjerne (1903) beschreibt Reventlow die strenge Erziehung zur 'höheren Tochter' und zum jungen 'Fräulein' durch die Familie und das Altenburger Magdalenenstift (wo sie 1887 nach nur einem Schuljahr wegen nicht zu bändigender Widerspenstigkeit relegiert wurde). Nach der Pensionierung des Vaters zog die Familie 1889 nach Lübeck. 1890 trotzte sie ihren Eltern den Besuch eines Lehrerinnenseminars ab, das sie 1892 mit der "Befähigung für den Unterricht an höheren und mittleren Mädchenschulen" abschloss. Eine berufsvorbereitende Ausbildung war für eine adlige junge Frau in dieser Zeit äußerst ungewöhnlich. Durch ihren Freundeskreis, den sogenannten Ibsen-Club, wurde sie früh mit der modernen gesellschaftskritischen Literatur und den Schriften Nietzsches bekannt. Als ihre Eltern 1892 den heimlichen Liebesbriefwechsel mit einem lübischen Freund entdeckten, wurde sie zur 'Besserung' bei einer Pfarrersfamilie auf dem Land untergebracht. Von dort floh sie 1893 zu Bekannten nach Wandsbek und überwarf sich dadurch für immer mit ihrer Familie. In Wandsbek lernte sie den Hamburger Gerichtsassessor Walter Lübke kennen, der ihr im Sommer desselben Jahres einen Aufenthalt in München als Malstudentin finanzierte. Sie heirateten 1894.

 
Die "Madonna mit dem Kinde" - Fanny zu Reventlow mit Sohn Rolf

Die Ehe erwies sich für Reventlow jedoch nur als ein Sprungbrett in die Freiheit. Als sie sich 1895 erneut nach München begab, um ihr Malstudium dort fortzusetzen, zerbrach die Ehe (Trennung 1895, Scheidung 1897), und Reventlow führte ein eigenständiges, wenn auch von dauernder finanzieller Not (dem Thema ihres Romans Der Geldkomplex) und von Krankheit und mehreren Fehlgeburten gekennzeichnetes Bohème-Leben in München-Schwabing. 1897 wurde ihr Sohn Rolf Reventlow geboren; den Namen des Vaters verschwieg sie zeitlebens. Ihren Unterhalt verdiente sie zum Teil mit literarischen Übersetzungen für den Albert Langen Verlag und mit kleineren schriftstellerischen Arbeiten für Zeitschriften und Tageszeitungen (u.a. Die Gesellschaft, Simplicissimus, Neue Deutsche Rundschau, Frankfurter Zeitung, Münchener Neueste Nachrichten). Außerdem hatte sie nach etwas Schauspielunterricht beim jungen Otto Falckenberg 1898 ein kurzes Engagement am Theater am Gärtnerplatz (heutiges Staatstheater am Gärtnerplatz) und schlug sich im übrigen mit Gelegenheitsjobs als Versicherungsagentin, Glasmalerin, Messehostesse usw. durch. Nicht wenige 'Einkünfte' verdankte sie schließlich, wie in der Bohème üblich, der Schnorrerei und den 'Spenden' ihrer männlichen Bekanntschaften. Ihre Erfahrungen mit der Münchner Künstlerszene, v.a. mit dem 'Kosmiker'-Kreis um Stefan George, Ludwig Klages und Alfred Schuler, denen sie ihres unehelichen Kindes und ihrer erotischen Freizügigkeit wegen als "heidnische Madonna" und "Wiedergeburt der antiken Hetäre" galt, hat sie in ihrem humoristischen Schlüsselroman Herrn Dames Aufzeichnungen verarbeitet. Sie pflegte außerdem Umgang mit Erich Mühsam, Oskar Panizza, Rainer Maria Rilke und anderen Gestalten der 'Münchner Moderne'. Mit ihrem Sohn Rolf unternahm sie viele Reisen, u.a. nach Samos (1900 mit Albert Hentschel), Italien (1904, 1907) und Korfu (1906/1907).

Ab 1909 lebte sie in Muralto am Lago Maggiore, wo ihre 'Schwabinger Romane' entstanden. 1911 ging sie eine Scheinehe mit dem Freiherrn von Rechenberg-Linten ein, dessen Erbe von einer standesgemäßen Ehe abhing, verlor das daraus erworbene Vermögen von 20 000 Mark jedoch schon 1914 durch einen Bankenkrach. Am 26. Juli 1918 starb sie nach einer Operation in einer Klinik in Muralto bei Locarno.

Charakterisierung und Wirkungsgeschichte

Während Fanny zu Reventlows eigentliche künstlerische Ambitionen in der Malerei zu keinem der Nachwelt bekannten Oeuvre geführt haben, hat sie durch ihre schriftstellerischen 'Nebentätigkeiten' ein einzigartiges Beispiel humoristisch-satirischer Literatur um 1900 und ein wertvolles kulturgeschichtliches Zeugnis der Schwabinger Bohème hinterlassen. Ihre Romane und Novellen werden bis heute verlegt und gelesen. Der darin verwendete artifiziell-leichte Plauderstil wurde handwerklich vorbereitet durch ihre Übersetzung von über 40, meist französischen Gesellschaftsromanen (u.a. von Marcel Prévost).

 
Küche im Eckhaus in der Kaulbachstraße, ca. 1903/1904

Das anhaltende Interesse verdankt sich allerdings nicht nur ihrem literarischen Werk, sondern zum großen Teil auch ihrer Person und Biographie, speziell ihren diversen Liebesbeziehungen (u.a. zu Ludwig Klages, Karl Wolfskehl und Alfred Frieß). Als "die Gräfin" ging sie in die Geschichte der 'Münchner Moderne' ein. Berühmt wurde ihre Wohngemeinschaft 1903-1906 mit Bohdan von Suchocki und Franz Hessel im "Eckhaus" in der Kaulbachstraße (damals Nr. 63; das Haus steht heute nicht mehr). Reventlows Wirkungsgeschichte als "Schwabinger Gräfin" wurde vor allem durch die verdienstvolle Editionstätigkeit ihrer Schwiegertochter Else Reventlow gestaltet. Sie veröffentlichte 1925 eine einbändige Werkausgabe, die - in gekürzter, anonymisierter und literarisierter Form - auch die Tagebücher Fanny zu Reventlows enthielt. In zwar revidierter und ergänzter, aber noch immer nicht originalgetreuer Fassung wurden diese 1971 wiederaufgelegt und in die 2004 erschienene Werkausgabe in fünf Bänden aufgenommen.

Durch Else Reventlows und die ihr nachfolgenden posthumen Editionen hat sich auch der heute meist gebräuchliche Name "Franziska zu Reventlow" etabliert, dessen Status allerdings höchst prekär ist. Der amtlich beglaubigte Name lautete eindeutig "Fanny", und so taucht sie auch im Großteil ihrer Korrespondenzen auf (sofern dort nicht überhaupt andere Spitznamen oder Abkürzungen, wie in der Bohème üblich, verwendet werden). Es gibt lediglich Hinweise auf ein vorübergehendes Namensspiel, das sie (bzw. mit ihr befreundete Personen) in ihrer frühen Münchner Zeit veranstaltete(n). Der im Norddeutschen und Englischen an sich vollgültige und im Adel häufiger auftauchende Vorname "Fanny" mag im süddeutschen Sprachraum wegen des auslautenden "y" wie eine Abkürzung geklungen haben. Rilke und Klages nannten sie deshalb in manchen Briefen veredelnd "Francisca" oder auch "Franciska", und sie selbst spielte in ihrem Tagebuch und in den Briefen an Klages mit der Unterscheidung von zwei Ich-Rollen: der 'kleinen Fanny' und der 'großen Franziska'. Offenbar dieser spielerischen Unterscheidung geschuldet ließ sich die 'erwachsene' Reventlow 1898 als "Franziska Gräfin zu Reventlow" in Kürschners Literaturkalender eintragen. Dies war jedoch ein einmaliger Vorgang, da sie sich in den folgenden Jahren nicht mehr um einen Eintrag bei Kürschner und die alljährlich eintreffenden Fragebögen kümmerte. Ihre Aufsätze für Panizzas Zürcher Diskußionen 1898 und 1899 zeichnete sie mit "Fanny". Ihre eigenen Bücher, auch ihre Übersetzungen, erschienen 1897-1917 allesamt unter der Verfasserangabe "F. Gräfin zu Reventlow", die also als der eigentlich von ihr intendierte Schriftstellername gelten darf.

In den 1970er/1980er Jahren wurde Reventlow wegen ihres unkonventionellen Lebens zu einer Ikone der "sexuellen Revolution" und Frauenemanzipation stilisiert. Reventlow selbst hat sich eher distanziert bis zynisch über die zeitgenössische Frauenbewegung geäußert, wenngleich sie freundschaftliche Beziehungen zu einigen ihrer Vertreterinnen (u.a. zu Anita Augspurg) unterhielt. Erst in jüngerer Zeit erwacht im Zuge einer kulturwissenschaftlichen Erforschung der literarischen Moderne und der Bohème-Gesellschaften in München und Berlin auch wieder ein verstärktes Interesse an Reventlows literarischen Werken.

Werke

  • (zusammen mit O. E. Thossan:) Klosterjungen. Humoresken (2 Erzählungen), 1897
  • Das Männerphantom der Frau (in Oskar Panizzas Zürcher Diskußionen), 1898
  • Was Frauen ziemt (unter dem Titel Viragines oder Hetären? in Oskar Panizzas Zürcher Diskußionen), 1899
  • Erziehung und Sittlichkeit (in Otto Falckenbergs Buch von der Lex Heinze), 1900
  • Ellen Olestjerne, München (J. Marchlewski) 1903 (3. Auflage München, A. Langen 1911)
  • (zusammen mit Franz Hessel:) Schwabinger Beobachter (anonymes Pamphlet auf die 'Kosmiker', hektographiert und heimlich in die Briefkästen gesteckt), 1904; abgedruckt in: Richard Faber, Männerrunde mit Gräfin. Die "Kosmiker" Derleth, George, Klages, Schuler, Wolfskehl und Franziska zu Reventlow. Mit einem Nachdruck des "Schwabinger Beobachters", Frankfurt am Main u.a. (Lang) 1994, ISBN 3-631-46554-8
  • Von Paul zu Pedro. Amouresken, München (A. Langen) 1912
  • Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil, München (A. Langen) 1913
  • Der Geldkomplex, München (A. Langen) Roman 1916
  • Das Logierhaus zur Schwankenden Weltkugel und andere Novellen, München (A. Langen) 1917

Posthume Veröffentlichungen:

  • Gesammelte Werke in einem Bande, hrsg. und eingel. von Else Reventlow, München (A. Langen) 1925 (enthält die Tagebücher 1897-1910 und das Romanfragment Der Selbstmordverein)
  • Briefe, hrsg. von Else Reventlow, München (A. Langen) 1928 (vordatiert auf 1929)
  • Tagebücher 1895-1910, hrsg. von Else Reventlow, München und Wien (Langen-Müller) 1971
  • Briefe 1890-1917, hrsg. von Else Reventlow, mit einem Nachwort von Wolfdietrich Rasch, München und Wien (Langen-Müller) 1975
  • Autobiographisches, hrsg. von Else Reventlow, mit einem Nachwort von Wolfdietrich Rasch, München und Wien (Langen-Müller) 1980
  • Der Selbstmordverein. Zwei kleine Romane und drei Aufsätze, hrsg. von Ursula Püschel, Berlin (VDN) 1991
  • Jugendbriefe, hrsg. von Heike Gfrereis, Stuttgart (Hatje) 1994, ISBN 3-7757-0507-4
  • Sämtliche Werke, Tagebücher und Briefe in fünf Bänden, hrsg. von Michael M. Schardt, Oldenburg (Igel) 2004
  • "Wir üben uns jetzt wie Esel schreien ..." Briefwechsel mit Bohdan von Suchocki 1903-1909, hrsg. von Irene Weiser, Detlef Seydel und Jürgen Gutsch, Passau (K. Stutz) 2004

Der Nachlass Reventlows liegt im Literaturarchiv "Monacensia" der Münchner Stadtbibliothek.

Literatur

  • Brigitta Kubitschek: Franziska Gräfin zu Reventlow - Leben und Werk. Eine Biographie und Auswahl zentraler Texte von und über Franziska Gräfin zu Reventlow, München u.a. (Profil) 1998
  • Ulla Egbringhoff: Franziska zu Reventlow (Rowohlts Monographien 50614), Reinbek bei Hamburg (Rowohlt) 2000, ISBN 3-499-50614-9
  • Johanna Seegers und Anna K. Geile (Hg.): Über Franziska zu Reventlow. Rezensionen, Porträts, Aufsätze, Nachrufe aus mehr als 100 Jahren. Mit Anhang und Bibliographie, Oldenburg (Igel) 2005, ISBN 3-89621-200-1