„Margarita Woloschin“ – Versionsunterschied
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Neben ihren vielen Erzählungen und Gedichten war die ''Grüne Schlange'' der Höhepunkt ihres literarischen Schaffens. Den in den 1930er Jahren abgeschlossenen Roman ''Die Regenbrücke'' sah Woloschin als eine Art Vorläufer ihrer Erinnerungen. Er hatte stark autobiografische Züge und war nach Ansicht der Autorin nach Erscheinen ihrer Autobiografie überflüssig geworden.<ref>Wermbter/Möhring/Rapp, ''Margarita Woloschin-Leben und Werk'', S. 49</ref> |
Neben ihren vielen Erzählungen und Gedichten war die ''Grüne Schlange'' der Höhepunkt ihres literarischen Schaffens. Den in den 1930er Jahren abgeschlossenen Roman ''Die Regenbrücke'' sah Woloschin als eine Art Vorläufer ihrer Erinnerungen. Er hatte stark autobiografische Züge und war nach Ansicht der Autorin nach Erscheinen ihrer Autobiografie überflüssig geworden.<ref>Wermbter/Möhring/Rapp, ''Margarita Woloschin-Leben und Werk'', S. 49</ref> |
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Ein Teil des malerischen Werks aus ihrer zweiten Lebenshälfte, vor allem religiöse Motive, Altarbilder, Märchendarstellungen, Landschaften und Portraits sind zu einem Teil erhalten. Sie befinden sich verstreut in Privatbesitz, in verschiedenen Kirchen der Christengemeinschaft und im Nachlass der Künstlerin.<ref>Wermbter |
Ein Teil des malerischen Werks aus ihrer zweiten Lebenshälfte, vor allem religiöse Motive, Altarbilder, Märchendarstellungen, Landschaften und Portraits sind zu einem Teil erhalten. Sie befinden sich verstreut in Privatbesitz, in verschiedenen Kirchen der Christengemeinschaft und im Nachlass der Künstlerin.<ref>Wermbter/Möhring/Rapp: ''Margarita Woloschin-Leben und Werk''. Werkverzeichnis, S. 172</ref> |
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Ihre Tätigkeit verstand Woloschin immer als eine Auseinandersetzung mit dem dreidimensionalen Raum und der Farbe als vierter Dimension. Den Betrachter wollte sie nicht nur vor dem Bild stehend, sondern auch in ihm empfinden. Er sollte sowohl Betrachter als auch Teilhaber am schöpferischen Prozess sein.<ref>Wermbter/Möhring/Rapp, ''Margarita Woloschin-Leben und Werk'', S. 159</ref> Ihre unstehte Rastlosigkeit, die sie im Laufe ihres Lebens an viele verschiedene Orte führte, schlug sich auch in ihrer Malerei nieder. {{"|Sie besaß ein geniales kompositorisches Talent, das einen Maler des 19. Jahrhunderts berühmt gemacht hätte. Sie hat diese Chance nicht genützt [...] Das Aufsehen, das ihre ersten Bilder[...]erregten, gab ihr alle Möglichkeiten auf der Straße des Ruhm fortzuschreiten. Doch[...]eine Schicksalsunruhe trieb sie weiter. [...] Woloschin[...]fühlte auch manchmal einen leisen Vorwurf in ihrer Seele, eine Möglichkeit zu einem ganz neuen Kunstschaffen nicht ergriffen zu haben. Aber sie ließ sich nicht ablenken von einem Weg, den sie gehen wollte}}<ref>Dorothea Rapp in: Wermbter/Möhring/Rapp ''Margarita Woloschin-Leben und Werk''. S. 164</ref> |
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Ihre Aufzeichnungen unterstreichen diesen Weg: {{"|Stets aus der Stimmung malen; keinen Strich tun, ohne ihn aus dem Gesamten, Tief-Erlebten zu beschließen. Der gedankliche Inhalt - besser: das Erlebnis - muß Stimmung werden. Das Erleben des Gefühls in Farbe verwandeln, in die Bewegung der Farbe, die zum Rhythmus und endlich zur Form wird. Das Bild soll als etwas Unerwartetes auftreten. Aber die Idee[...]muß immer als ein Wesenhaftes, ein Ganzes geahnt werden. Die Komposition soll nicht, im Voraus, mathematisch-architektonisch wie bei den alten Meistern festgelegt werden, sondern entstehen}}<ref>Aus Aufzeichunungen Margarita Woloschins, in: Wermbter/Möhring/Rapp, ''Margarita Woloschin-Leben und Werk''. S. 56</ref> |
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== Literatur == |
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Version vom 7. Juli 2011, 15:52 Uhr
Margarita Wassiljewna Woloschin-Sabaschnikow (russisch Маргарита Васильевна Сабашникова/Margarita Wassiljewna Sabaschnikowa; * 31. Januar 1882 in Moskau; † 2. November 1973 in Stuttgart) war eine russische Malerin und Schriftstellerin. Sie machte sich in frühen Jahren vor allem als Porträt-Malerin russischer Geistesgrößen einen Namen, während in der zweiten Lebenhälfte vor allem religiöse Motive entstanden. Als Schriftstellerin wurde sie mit ihrer Autobiographie Die grüne Schlange bekannt.

Leben
Kindheit und Jugend
Margarita Woloschin-Sabaschnikow wurde am 31. Januar 1882 als Tochter der Moskauer Kaufmannsfamilie Sabaschnikow geboren, die dem gebildeten fortschrittlichen Bürgertum angehörte. Ihre Kindheit verbrachte sie zum Teil im Elternhaus ihrer Familie, einem „monumentalen, zweistöckigem, würfelförmigem Gebäude, hellrosa gestrichen, mit einen Garten und einem großen Hof, von vielen Nebengebäuden umgeben […][1]“ zum Teil bei ihrer Großmutter und teils auf einem elterlichen Gut. Ihr Vater war allerdings als Kaufmann nicht sehr erfolgreich, weshalb das Haus der Familie verkauft werden musste. Daraufhin ging sie im Alter von zehn Jahren mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern und mit zwei Hauslehrerinnen ins Ausland, wo sie durch ihre verschiedenen Aufenthalte in Paris, Lausanne, Belgien, Italien eine umfassende Bildung erfuhr. Ihr Interesse für Kunst und Kultur wurde so frühzeitig geweckt. Nach drei Jahren zurück in Russland, erhielt sie Unterricht in Musik und Literatur und bald darauf ihren ersten professionellen Unterricht bei dem Maler Abram Archipow. Auf Grund ihrer Begabung gab es in der Familie keine Zweifel, dass Margarita Sabaschnikow Malerin werden sollte.
1899 machte die Siebzehnjährige das Abitur mit Auszeichnung. Bald darauf ging sie nach St. Petersburg, um im Atelier des Malers Ilja Repin zu arbeiten, was damals als Vorstufe für die Kunstakademie galt. Seine naturalistische Malerei hinterfragte sie: „Hat es denn einen Sinn zu wiederholen, was schon da ist? Es muss eine ganz andere Kunst entstehen, die eine nie dagewesene Welt offenbart.[2]“ Ihre Fragen und ihre Suche nach der Bedeutung der Malerei für die Welt wurden aber von ihrem Lehrer nicht verstanden. Ihr Studium begann für sie sinnlos zu werden. In ihrer Not wandte sie sich an den damals schon alten Leo Tolstoi (seine Frau und ihre Mutter waren befreundet), von dem sie sich Rat erhoffte. Er empfahl ihr, die Kunst als Freizeitgestaltung zu betreiben und ansonsten das Leben einer Bäuerin zu führen. Trotz dieser für sie erschütternden Äußerung ließ sich die junge Malerin von ihrem eingeschlagenen Weg nicht abbringen. Die einmal aufgeworfenen Fragen der Probleme der Kunst, der sozialen Ordnung und der Stellung der Malerei beschäftigten sie weiter und führten sie letztlich zu tiefen Fragen über den Sinn des Lebens überhaupt.[3]
Frühe Erwachsenenzeit
Sie beschäftigte sich mit der Analogie des Farbspektrums und der Tonskala, mit Goethes Farbenlehre und immer wieder mit der Frage des Sinns der Kultur und des Lebens, das für sie in diesen Jahren ohne Grund und Richtung verlief.[4] Ihre ernsthafte Auseinandersetzung mit den Themen des Daseins und des Materialismus führte sie zu Darwin und Haeckel und von da zu Du Bois-Reymonds Grenzen der Naturerkenntnis. Antworten auf ihre Fragen konnte sie nicht finden. Einzig im Objektiv-Absoluten der Mathematik fand Sabaschnikow Halt.[5]
Der Maler Mussatow ermutigte sie, zwei ihrer Portraitbilder zu der Ausstellung Moskauer Maler einzureichen. Sie hatte damit ihren ersten durchschlagenden Erfolg. Eine Teilnahme an der Ausstellung Welt der Kunst in St. Petersburg und in Paris folgten. Bei einer Abendgesellschaft im Hause des Kunstsammlers Sergej Schtschukin lernte sie den Dichter und Maler Maximilian Woloschin kennen. Sie gelangte in die Kreise der russischen Symbolisten um Andrei Bely, Waleri Brjussow, Konstantin Balmont und andere. 1903 reiste sie erneut nach Paris. Dort hatte sie Gelegenheit im Atelier eines befreundeten Malers zu arbeiten. Maximilian Woloschin, ebenfalls in Paris, führte sie in die Pariser Künstlerkreise ein, wo sie Odilon Redon kennenlernte.[6]
Während ihres erneuten Auslandsaufenthalts in Westeuropa 1904/05 brach in Russland die Revolution aus, wodurch sie vorübergehend an ihrer Rückkehr gehindert wurde. In dieser Zeit lernte sie Rudolf Steiner und seine Weltanschauung kennen. Hier fand sie Antworten auf ihre Lebensfragen, reiste zu vielen seiner Vorträge in verschiedenen europäischen Städten und lernte ihn schließlich persönlich kennen.[7]
1906 heiratete sie Maximilian Woloschin. Nach einem kurzem Aufenthalt in Koktebel, an der Nordküste der Krim, beabsichtigten sie nach München überzusiedeln. Die Begegnung mit dem Dichter Wjatscheslaw Iwanow in St. Petersburg, „der für mich seit Jahren eine Welt bedeutete, in der ich meine geistige Heimat fand …[8]“, machte dieses Vorhaben zunichte. „In der Weltanschauung von Wjatscheslaw Iwanow vereinigt sich das griechische Erleben der Geistigkeit in der Natur mit dem Christentum. In dieser Beziehung stand er für mich höher als Nietzsche, dessen Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik eine entscheidende Wirkung auf mich ausgeübt hatte.[…] dass ich ihn bald kennenlernen sollte, bedeutete für mich eine atemberaubende Aussicht[9]“
Ihre wachsende Berühmtheit und die vielen Kontakte ihres Mannes ermöglichten schnell die Aufnahme in die St. Petersburger Künstlerkreise. Sie trafen unter anderen auf den Dichter Alexei Remisow, den Maler Konstantin Somow, den sie bereits von Paris kannten, den Philosophen Nikolai Berdjajew und den Schriftsteller Alexander Blok. Von einer Kunstzeitschrift wurden Portraits von Alexei Remisow und Michail Kusmin bestellt, die Woloschin in Kohle zeichnete. Ihre literarischen Versuche förderte Iwanow nachhaltig und ermutigte sie diese öffentlich vorzutragen. Durch diese Zusammenarbeit entwickelte sich ein ambivalentes Liebesverhältnis, das zwangsläufig zu einem Störfaktor ihrer Ehe wurde. Bei einem Berlinaufenthalt entschied sie sich vorerst in Deutschland zu bleiben, um über ihr desolates Privatleben Klarheit zu bekommen. Man schrieb das Jahr 1908.[10]
In der folgenden Zeit reiste Margarita Woloschin kreuz und quer durch Europa, um die Vorträge Rudolf Steiners zu hören, die er in verschiedenen Städten hielt. Und immer wieder nach Paris, der Stadt der Künste und der Mode. Um Wjatscheslaw Iwanow nahe zu sein kehrte sie schließlich zurück nach St. Petersburg. Zu ihrer Enttäuschung heiratete er aber seine Stieftochter Wera. Woloschin zog sich darauf von allen gesellschaftlichen Begegnungen zurück, lebte ganz für sich in ihrem Atelier, hatte kaum Kontakte zur Außenwelt. Sie begann eine Lehre bei dem berühmten Ikonenmaler Tjulin[11] und begegnete dem Komponisten Nikolai Medtner, von dem sie ein Porträt malte. Ihre literarischen Aktivitäten erweiterte sie durch die Übersetzung von Meister Eckharts Werken ins Russische. An eine Veröffentlichung dachte sie zuerst nicht, nahm aber das Angebot des Verlages Musaget zur Publikation an. Eine kleine Erbschaft verlieh ihr größere Unabhängigkeit, was ihre Reisefreudigkeit wieder aufleben ließ. Sie mietete in Paris ein Atelier, wollte den Winter in Rom verbringen, blieb dann aber in München. Ein anderes Mal unterbrach sie die Rückreise von Prag nach Paris und blieb in Stuttgart, um ein bestimmtes Buch über die Mystiker zu lesen, das sie für das Vorwort zu ihrer Eckhart-Übersetzung benötigte. „Mein unruhiger Lebenswandel war aber nur ein Abbild meines inneren Zustandes. Ich war schon achtundzwanzig Jahre alt, war als Dichterin und als Malerin anerkannt und wußte meinen Weg doch noch nicht.[12]“
Mittleres Lebensalter
1911 wählte Margarita Woloschin München als ihren Wohnsitz, weil sie dem Umfeld Rudolf Steiners nahe sein wollte. In diesen Kreisen traf sie auf den Grafen Otto von Lerchenfeld, Christian Morgenstern, Albert Steffen und andere. Die Arbeit an ihrem Triptychon Drei Opfer musste sie im März 1911 wegen einer schweren Erkrankung ihrer Mutter unterbrechen, um nach Moskau zu fahren. Sie blieb da aber nur wenige Tage. Steiners Vortragsreihe in Helsingfors wollte sie nicht vermissen. In München sollte für die Mysteriendramen Steiners und die sonstigen kulturellen Veranstaltungen der Anthroposophischen Bewegung ein adäquates Gebäude errichtet werden. Woloschin wurde angeboten darin ihr Atelier einzurichten. Sie lehnte aber ab. Insgesamt wurden die Pläne für den Bau nicht genehmigt. Das Vorhaben sollte bald darauf in der Schweiz begonnen werden.[13]
Als 1914 in Dornach der Bau des ersten Goetheanum begann, war Margarita Woloschin zunächst mit vielen anderen Künstlern aus unterschiedlichen Ländern als Schnitzerin tätig. Ihnen oblag es, die Kapitelle der vielen Säulen, die die Doppelkuppel des ganz aus Holz bestehenden Baues trugen, zu schnitzen. Später war sie an den Deckenmalereien der kleinen Kuppel beteiligt. „Das Leben in Dornach gestaltete sich so, daß man immer in gemeinsamer Arbeit eingespannt war. Der Tag verlief mit Schnitzen, Malen, Üben und Proben für die Eurythmie und einzelne Szenen der Faust-Aufführung[14].…“
Im Sommer brach der Erste Weltkrieg aus. Geldtransfers aus Russland wurden immer spärlicher, was ihren Mann Maximilian veranlasste, als Journalist nach Paris zu gehen. Es sollte ihr letzter Abschied sein.[15] Nach Beendigung ihrer Arbeit an der Kuppel fuhr Woloschin 1917 zurück nach Russland und geriet in das Chaos der Revolution. Zusammen mit Bely und Iwanow unterrichtete sie Arbeiter und Bauern in Kunst und Literatur. Woloschin wurde Mitarbeiterin im Volkskommissariat für Theaterwesen und Bildung. Die fehlenden Zuständigkeiten der ständig wechselnden Behörden und der Mangel an Allem für das tägliche Leben machten aber ein produktives Arbeiten unmöglich. Nach einer schweren Typhuserkrankung 1920 gab sie Malunterricht an einer gerade gegründeten Schule für hochbegabte Waisenkinder. Auch diese Initiative misslang wegen behördlicher Inkompetenz.[16]
In St. Petersburg wurde ihr im Kommissariat des Äußeren eine Stelle in der Bibliothek für ausländische Literatur angeboten, die bald darauf wegen der gleichen behördlichen Unzulänglichkeiten gekündigt wurde. Zurück in Moskau konnte Woloschin für einen Verleger eine Serie von Portraitzeichnungen bekannter Persönlichkeiten fertigen. „Beim Portraitieren schweigen die eigenen Gedanken und Gefühle. Man ist der reinen Wahrnehmung völlig hingegeben.[…] Eigentümlich war meine Begegnung mit dem Schauspieler Michael Tschechow im Rahmen dieser Aufträge,[…]ich musste mich nicht nur mit dem interessanten Gesicht meines Modells, sondern mit den tiefsten Fragen, die je ein Mensch gestellt hatte, auseinandersetzen.[17]“ Später traf sie ihn öfter in Stuttgart, Berlin und am Ammersee.
Im August 1922 erhielt sie die lange beantragte Genehmigung zur Ausreise nach Holland. Von dort sollte es weiter nach Dornach gehen. Kurz vor ihrer Abreise erreichte sie die Mitteilung vom brennenden Goetheanum. Wegen politischer Komplikationen zwischen der Schweiz und Russland musste sie nach einem halben Jahr die Schweiz wieder verlassen. Durch eine Einladung der Familie Lory Maier-Smits konnte sie nach Deutschland einreisen und übersiedelte 1924 nach Einsingen bei Ulm. Ihr Lungenleiden flammte wieder auf, worauf ihre Gastfamilie ihr den Aufenthalt in einer Stuttgarter Klinik ermöglichte. Stuttgart sollte von da an ihr neues Zuhause werden.
Zweite Lebenshälfte
Bis zu ihrer Übersiedlung nach Stuttgart reicht Woloschins Autobiographie Die grüne Schlange. Eine Fortsetzung schien zunächst nicht geplant. Notizen und Aufzeichnungen aus ihrem Nachlass lassen allerdings darauf schließen, dass sie mit fortgeschrittenem Alter doch zu einem zweiten Band neigte. Dass es dennoch nicht dazu gekommen ist, wird ihren reduzierten Kräften zugeschrieben, die sie nur noch für die Malerei, ihrer eigentlichen Aufgabe, verwenden wollte.[18]
Die Malerin lebte spartanisch. Ihre Existenz hing von den spärlich eingehenden Porträt-Aufträgen und gelegentlichen Malkursen ab. „Ihr Zimmer war gleichzeitig Atelier und meistens auch Küche. Mitten zwischen Malpapieren, Paletten, Bildern und Büchern, die in genialer Unordnung … umherlagen, wurde liebevoll der obligate Tee aufgebrüht und serviert. Die Gastgeberin scherzte selbst über ihr ‚Chaos‘ und erzählte, die erste Zeit im Westen sei ihr bei der Heimkehr der Mantel immer zu Boden gefallen, weil ja niemand mehr da war, der ihn ihr von den Schultern nahm und versorgte – so sehr war sie von ihrer Jugend und den wohlhabenden Verhältnissen im Elternhaus her gewohnt gewesen, daß sofort ein Diener herbeisprang […]Jetzt in der Emigration, hatte die Künstlerin weder einen dienstbaren Geist, noch Geld. Jedoch: keinen Augenblick war es dies, was sie ernstlich beschäftigte…“[19]
Aufgewachsen mit den russisch-orthodoxen Riten und der schon als Kind erlebten Nähe zur Religion in Elternhaus und Erziehung spiegelten sich diese Erlebnisse nun in einer neuen Schaffensphase wider. Mit großer Bestimmtheit widmete sie sich christlichen Themen. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre entstanden eine Reihe Bilder mit biblischen Motiven. Sie lernte die 1922 gegründete Christengemeinschaft kennen und malte Altarbilder für die neu entstehenden Gemeinden.[20]
Während eines Aufenthaltes in Freiburg ergab sich unvorhergesehen die Möglichkeit, einen Ausflug nach Dornach zu machen. Hier konnte sie viele lange nicht gesehene Freunde wiedertreffen. In den darauffolgenden Jahren sollte sie immer wieder Gelegenheit haben, nach Dornach zu fahren. In den 1930er Jahren hatte sie sogar ein eigenes Atelier in der Nähe des Goetheanum. In Stuttgart gab sie Malkurse, darunter auch einen für Lehrer an der jungen Waldorfschule. Aus dieser Tätigkeit entstand die Idee, eine Malschule mit ordentlichem Curriculum zu gründen. Räumlichkeiten wurden angeboten, Lehrer für den Unterricht standen zur Verfügung. Nach langem Ringen entschied sich Woloschin aber für ihren künstlerischen Weg. Wenige Jahre danach sind einige ihrer Bilder als entartet vernichtet worden. Die politische Lage wurde immer bedrückender und die Machtübernahme der Nationalsozialisten empfand sie als Beginn eines „dunklen Zeitalters“. Die Berichte aus Russland waren nicht weniger düster. Ihre Freunde in St. Petersburg und Moskau waren entweder tot oder verhaftet und in Lagern interniert. 1932 erhielt sie Nachricht vom Tod Maximilian Woloschins, der inzwischen mit Maria Stepanowna Sabolozkaja verheiratet gewesen war[21] und den sie seit 1914 nicht mehr gesehen hatte. Ein Jahr später starb ihre Mutter.[22]
Margarita Woloschin war auch in ihren späteren Jahren nicht von sesshafter Natur. Immer noch reiste sie ihren Möglichkeiten entsprechend gerne und viel. Sie tat es, um Kurse zu geben, Vorträge zu halten oder um an Tagungen teilzunehmen. In ihrem 56. Lebensjahr unternahm sie eine Reise besonderer Art. Sie wollte noch einmal zu den Stätten ihrer Kindheit und Jugend zurückkehren und trat eine Kunstreise über Rom nach Sizilien an. Es war ihre letzte große Unternehmung.
Das Wetterleuchten des zweiten Weltkrieges zeigte sich am Horizont. Die russische Künstlerin mit einem Sowjetpass blieb den Behörden nicht verborgen. Man stellte Woloschin vor die Wahl, nach Russland zurückzukehren oder in ein Internierungslager gebracht zu werden. Sie entschied sich für das Lager. Freunde erwirkten für sie im letzten Augenblick eine Legalisierung ihres weiteren Aufenthaltes unter der Bedingung der regelmäßigen Meldepflicht bei der Gestapo. Die beginnenden Luftangriffe auf Stuttgart zwangen sie zum Wechsel ihrer Bleibe. Sie kam mit anderen in einem Dorf im nördlichen Schwarzwald unter. Hier begann sie mit der Arbeit an ihrer Autobiografie. Gegen Ende des Krieges musste sie wegen ihres russischen Passes erneut eine Verhaftung befürchten. Freunde nahmen sie auf und gewährten ihr Unterschlupf. Den Winter 1945/46 verbrachte die Malerin bereits wieder in Stuttgart.[23]
Trotz Armut und Beschränkungen im Alltag, die kennzeichnend für die Nachkriegsjahre waren, führte Woloschin, nach Jahren der Zurückgezogenheit während des Krieges, ein ausgefülltes Leben. Sie gab Kurse am Lehrerseminar, hielt Vorträge an der Eurythmieschule, wirkte bei Berufsorientierungskursen mit und erzählte den Kindern in der Schule. Daneben bewältigte sie den täglichen Strom von Besuchern. Man suchte ihren Rat und ihre Anteilnahme, wollte von ihr Begebenheiten aus der Vergangenheit geschildert wissen -ihr phänomenales Gedächtnis war wie eine lebendige Chronik- und man bat sie in verschiedenen Gremien und Sitzungen beratend teilzunehmen.[24]
Zwei Jahre nach ihrem siebzigsten Geburtstag erschien ihre Autobiografie bei der Deutschen Verlagsanstalt. Ihre weiteren schriftstellerischen Aktivitäten flossen in biografischen Darstellungen über Michael Tschechow, Michail Lomonossow, Leo Tolstoi, Georg von Albrecht und vielen anderen ein. Woloschin hatte für das Gebiet der Sprache eine besondere Begabung, (sie beherrschte mehrere Sprachen fließend) die sie souverän anzuwenden wusste. Dennoch war ihr eigentliches Betätigungsfeld die Malerei. Auch im höheren Alter malte sie täglich, sofern die vielen Besucher, Krankheitsphasen und sonstige Verpflichtungen es zuließen.
„Ich fühle, daß mit dem allmählichen Schwund des Tastsinns aus beiden Händen, die mir immer so gute Diener waren, wie zwei helfende Wesen, die unmittelbar Anschluß an das Herz hatten und besser wußten als ich, was zu geschehen hat […] meine Laufbahn als Malerin zu Ende gehen.[25]“ Dieser bemerkenswerte Ausspruch der Künstlerin aus ihren späten 80er Jahren ist kennzeichnend für die beginnende Abnahme ihrer physischen Kräfte. Ein Nachlassen ihres Hör- und Sehvermögens kam hinzu. Der Umzug in ein Altersheim war unausweichlich geworden. Ihre Befürchtung, „…jetzt wird mir meine Muse endgültig davonlaufen, [26]“ traf allerdings nicht ein. Auch hier dominierte eine Staffelei ihr Zimmer. Ihr letztes großes Werk, Orpheus, konnte sie nicht mehr vollenden.
Im November 1972, Woloschin feierte ihren neuzigsten Geburtstag im Januar unter vielen Gästen aus aller Welt, wurde in Baden-Baden die Ausstellung Russischer Realismus 1850–1900 eröffnet. Viele Bilder von Künstlern, die sie aus ihrer frühen Zeit als junge Malerin kannte, begegneten ihr hier wieder. Es war, als ob sie am Ende ihres Lebens noch einmal zurückblicken konnte auf den Beginn ihrer Karriere als Künstlerin, als ob sich mit dieser Ausstellung der Kreis ihres Lebens schließen würde. Margarita Wassiljewna Woloschin-Sabaschnikow starb ein Jahr später am 2. November 1973.[27]
Werk
Margarita Woloschin war vor allem und besonders in der ersten Hälfte ihres Schaffens eine Portraitmalerin. Sie portraitierte, neben Menschen ihres Umkreises, sich selbst und viele Persönlichkeiten des kulturellen Lebens wie Leo Tolstoi, Michail Tschechow, Michael Bauer oder Rudolf Steiner. Sie fertigte viele Auftragsarbeiten und ihre Bilder wurden von zahlreichen Museen erworben. Vereinzelt sind sie heute noch in Moskau, Astrachan und Koktebel zu sehen. Die meisten ihrer Werke aus dieser Zeit sind allerdings durch die Wirren der Revolution und der Weltkriege verschollen.[28][29]
Erhalten hingegen sind ihre Lebenserinnerungen Die grüne Schlange. Sie stellen nicht nur eine persönliche Entwicklungsgeschichte dar, sondern schildern ausführlich das Panorama einer ganzen kulturellen Epoche Russlands zu Beginn des letzten Jahrhunderts.[30] Vor allem die Elite des russischen Geisteslebens um die Jahrhundertwende (Tolstoi, Iwanow, Solowjew, Schaljapin und andere) werden dem Leser nahe gebracht. Aber auch die Anthroposophie um Rudolf Steiner, in der Woloschin eine geistige Heimat fand, wird ausführlich charakterisiert und lässt den seltsam zwiespältigen Eindruck, den Steiner mit seiner Sehergabe und Genialität auf viele Zeitgenossen von damals machte deutlich werden.[31] Die grüne Schlange wurde in viele Sprachen übersetzt und ist seit 2009 in einer erweiterten Auflage erhältlich.
Neben ihren vielen Erzählungen und Gedichten war die Grüne Schlange der Höhepunkt ihres literarischen Schaffens. Den in den 1930er Jahren abgeschlossenen Roman Die Regenbrücke sah Woloschin als eine Art Vorläufer ihrer Erinnerungen. Er hatte stark autobiografische Züge und war nach Ansicht der Autorin nach Erscheinen ihrer Autobiografie überflüssig geworden.[32]
Ein Teil des malerischen Werks aus ihrer zweiten Lebenshälfte, vor allem religiöse Motive, Altarbilder, Märchendarstellungen, Landschaften und Portraits sind zu einem Teil erhalten. Sie befinden sich verstreut in Privatbesitz, in verschiedenen Kirchen der Christengemeinschaft und im Nachlass der Künstlerin.[33]
Ihre Tätigkeit verstand Woloschin immer als eine Auseinandersetzung mit dem dreidimensionalen Raum und der Farbe als vierter Dimension. Den Betrachter wollte sie nicht nur vor dem Bild stehend, sondern auch in ihm empfinden. Er sollte sowohl Betrachter als auch Teilhaber am schöpferischen Prozess sein.[34] Ihre unstehte Rastlosigkeit, die sie im Laufe ihres Lebens an viele verschiedene Orte führte, schlug sich auch in ihrer Malerei nieder. „Sie besaß ein geniales kompositorisches Talent, das einen Maler des 19. Jahrhunderts berühmt gemacht hätte. Sie hat diese Chance nicht genützt [...] Das Aufsehen, das ihre ersten Bilder[...]erregten, gab ihr alle Möglichkeiten auf der Straße des Ruhm fortzuschreiten. Doch[...]eine Schicksalsunruhe trieb sie weiter. [...] Woloschin[...]fühlte auch manchmal einen leisen Vorwurf in ihrer Seele, eine Möglichkeit zu einem ganz neuen Kunstschaffen nicht ergriffen zu haben. Aber sie ließ sich nicht ablenken von einem Weg, den sie gehen wollte“[35]
Ihre Aufzeichnungen unterstreichen diesen Weg: „Stets aus der Stimmung malen; keinen Strich tun, ohne ihn aus dem Gesamten, Tief-Erlebten zu beschließen. Der gedankliche Inhalt - besser: das Erlebnis - muß Stimmung werden. Das Erleben des Gefühls in Farbe verwandeln, in die Bewegung der Farbe, die zum Rhythmus und endlich zur Form wird. Das Bild soll als etwas Unerwartetes auftreten. Aber die Idee[...]muß immer als ein Wesenhaftes, ein Ganzes geahnt werden. Die Komposition soll nicht, im Voraus, mathematisch-architektonisch wie bei den alten Meistern festgelegt werden, sondern entstehen“[36]
Literatur
- Margarita Woloschin: Die grüne Schlange, Stuttgart, 1954, 1982, 2009.
- Margarita Woloschin: Green Snake. Edinburgh 2010.
- Moering, Rapp, Wermbter: Margarita Woloschin-Leben und Werk, Stuttgart 1982.
- Nachdenklicher Rückblick. In: DIE ZEIT. 1955/11.
- Evelies Schmidt: Margarita Woloschin. In: a tempo. Stuttgart 11/2009.
Weblinks
- Literatur von und über Margarita Woloschin im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- DIE ZEIT
- Biographie
Einzelnachweise
- ↑ Margarita Woloschin: Die grüne Schlange. Stuttgart 1982, S. 11
- ↑ M. Woloschin: Die grüne Schlange. S.101
- ↑ M. Woloschin: Die grüne Schlange. S.106
- ↑ M. Woloschin, Die grüne Schlange. S. 111
- ↑ M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 120
- ↑ M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 142
- ↑ M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 166
- ↑ M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 171
- ↑ M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 172
- ↑ M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 199
- ↑ M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 223
- ↑ M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 230
- ↑ M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 270
- ↑ M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 294
- ↑ M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 300
- ↑ M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 338
- ↑ M. Woloschin: Die grüne Schlange. S. 361/362
- ↑ Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 29
- ↑ Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 32, Zitat: K. v. Wistinghausen, Margarita Sabaschnikow-Woloschin †. In: Die Christengemeinschaft 12/1973
- ↑ Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 36
- ↑ Biografie M. Woloschin
- ↑ Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 41
- ↑ Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 45
- ↑ Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 46
- ↑ Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 52
- ↑ Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 52
- ↑ Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 54
- ↑ Evelies Schmidt: Margarita Woloschin. In: a tempo. Stuttgart, 11/2009
- ↑ Biographie/
- ↑ E. Schmidt: Margarita Woloschin. In: a tempo. Stuttgart 11/2009
- ↑ Zeit-online
- ↑ Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 49
- ↑ Wermbter/Möhring/Rapp: Margarita Woloschin-Leben und Werk. Werkverzeichnis, S. 172
- ↑ Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk, S. 159
- ↑ Dorothea Rapp in: Wermbter/Möhring/Rapp Margarita Woloschin-Leben und Werk. S. 164
- ↑ Aus Aufzeichunungen Margarita Woloschins, in: Wermbter/Möhring/Rapp, Margarita Woloschin-Leben und Werk. S. 56
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Woloschin, Margarita |
| ALTERNATIVNAMEN | Woloschin-Sabaschnikow, Margarita Wassiljewna (vollständiger Name) |
| KURZBESCHREIBUNG | russische Malerin |
| GEBURTSDATUM | 31. Januar 1882 |
| GEBURTSORT | Moskau |
| STERBEDATUM | 2. November 1973 |
| STERBEORT | Stuttgart |