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„Schnelllesen“ – Versionsunterschied

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'''Schnelllesen''' steht für die Fähigkeit, überdurchschnittlich schnell zu lesen und dennoch zu verstehen. Es gibt unzählige Techniken mit denen man Schnelllesen lernen kann wie z.B.: SpeedReading®, PhotoReading®, ScanReading®, PoweReading® u.v.m.
'''Schnelllesen''' gehört zu den [[Lesestrategie]]n und steht für die [[Fähigkeit]], überdurchschnittlich schnell Texte zu [[lesen]] und dennoch den Inhalt des Textes zu [[verstehen]]. Es ähnelt dem weniger systematischen [[Querlesen]].


== Fähigkeit des Schnelllesens ==
Ein durchschnittlicher, geübter Leser kann etwa 200-300 [[Wort|Wörter]] pro [[Minute]] erfassen, so lange es sich bei dem Material nicht um komplizierte technische Erläuterungen handelt. Die schnellsten Leser dagegen bringen es, je nach Technik, auf mehr als 1000 Wörter pro Minute. Es gibt auch die Möglichkeit bei weit höheren Geschwindigkeiten zu lesen, doch ist dafür jahrelange Übung notwendig, ansonsten wird nicht viel mehr als beim Blättern verstanden.
Um die Fähigkeit des Schnelllesens einer Person messen zu können, müssen die Faktoren der [[Lesegeschwindigkeit]] und des [[Textverständlichkeit|Textverständnisses]] gleichzeitig überprüft werden: Unter einer hohen Lesegeschwindigkeit darf die [[Lesekompetenz]] nicht leiden. Tatsächlich hängt dieses aber von der Lesekompetenz ab: Überschreitet ein Leser eine gewisse Lesegeschwindigkeit, wird Untersuchungen Ronald P. Carvers zufolge seine Lesekompetenz in ungefähr [[antiproportional]]em Verhältnis abnehmen.<ref>{{Literatur |Autor=Ronald P. Carver |Titel=Reading rate: a review of research and theory |Verlag=Academic Press |Ort=San Diego |Datum=1990}}</ref>


Während es zunächst als umstritten galt, ob schnelles Lesen trainiert werden kann,<ref name="homa">{{Literatur |Autor=D. Homa |Titel=An assessment of two extraordinary speed-readers |Sammelwerk=Bulletin of the Psychonomic Society |Band= |Nummer=21 |Datum=1983 |Seiten=123–126}}</ref> wird dieser Umstand in der Wissenschaft auch aufgrund diverser offensichtlich erfolgreicher Techniken zum Schnelllesen weitgehend akzeptiert. Mit den erlernbaren Techniken des Schnelllesens sind für geübte Leser Werte von 800 bis 1500 gelesenen Wörtern pro Minute erreichbar, ohne das Textverständnis erheblich einzuschränken. Bei einem durchschnittlichen geübten Leser, der allerdings keine Techniken des Schnelllesens verwendet, wird von einem durchschnittlichen Wert von etwa 250 Wörtern pro Minute ausgegangen.<ref name="Dresler">{{Literatur |Autor=Jochen Musch, Peter Rösler |Hrsg=Martin Dresler |Titel=Schnell-Lesen: Was ist die Grenze der menschlichen Lesegeschwindigkeit? |Sammelwerk=Kognitive Leistungen: Intelligenz und mentale Fähigkeiten im Spiegel der Neurowissenschaften |Nummer= |Verlag=[[Springer Science+Business Media]] |Datum=2011 |ISBN=3-8274-2809-2}}</ref> Von einigen Schnelllesern wurden auch über längere Zeiträume wesentlich höhere Werte von über 4000 Wörtern pro Minute erreicht.<ref name="sierck">{{Internetquelle |url=http://jonathansierck.de/die-schnellsten-speedreader-der-welt-die-top-10-experten-im-schnelllesen/ |titel=Experten im Schnelllesen |autor=Jonathan Sierck |zugriff=2015-02-18 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20150218225038/http://jonathansierck.de/die-schnellsten-speedreader-der-welt-die-top-10-experten-im-schnelllesen/ |archiv-datum=2015-02-18 |offline=ja |archiv-bot=2023-01-07 11:14:23 InternetArchiveBot }}</ref> Den Weltrekord im Schnelllesen soll dabei Anne Jones halten, die das Buch [[Harry Potter und die Heiligtümer des Todes]] in einer Zeit von 47 Minuten gelesen haben soll, was einen Lesewert von 4.251 Wörtern pro Minute ergibt.<ref name="sierck" /><ref>{{Internetquelle |url=http://www.zeit.de/2007/48/C-Power-Reading |titel=Eine Dreiviertelstunde für Harry |autor=Tonio Postel |werk=[[Zeit online]] |datum=2007-11-23 |zugriff=2015-02-18}}</ref>
Natürlich ist eine Messung der [[Lesegeschwindigkeit]] nur in Verbindung mit einer Überprüfung des Verständnisses sinnvoll. Überraschenderweise verstehen jedoch schnellere Leser oft gleichzeitig mehr vom Text, da die schnelles Lesen oft ein Zeichen einer höheren [[Lesekompetenz]] ist.


Bereits 1969 untersuchte G. Harry McLaughlin eine große Gruppe Schnellleser und entdeckte eine von ihm als „Miss L“ bezeichnete Person, die Texte mit Spitzenwerten von bis zu 9000 Wörtern pro Minute bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 3750 Wörtern pro Minute erfassen konnte – derartige Werte scheinen also von den schnellsten Lesern erreichbar.<ref>{{Literatur |Autor=G. Harry McLaughlin |Titel=Reading at impossible speeds |Sammelwerk=Journal of Reading |Band=12 |Nummer=6 |Datum=1969-03 |Seiten=449–454, 502–510}}</ref> Andere Untersuchungen geben an, Personen mit noch weitaus höheren Lesegeschwindigkeiten ermittelt zu haben (Schale 1970: mehrere Teilnehmer mit über 20.000 Wörtern pro Minute, eine Person mit 41.000 Wörtern pro Minute), die Validität dieser Untersuchungen wird aber angezweifelt.<ref>Jochen Musch, Peter Rösler: ''Schnell-Lesen: Was ist die Grenze...'' 2011, S. 102.</ref>
== Wie wird gelesen ==


== Leseprozess ==
Eine ausführlichere Beschreibung des Leseprozesses findet sich im Artikel [[Lesen]].
{{Hauptartikel|Lesen}}


Beim Lesen eines Texts durch einen geübten Leser werden – auch ohne Techniken des Schnelllesens – weniger einzelne [[Buchstabe]]n erfasst, sondern Wörter und Wortgruppen vom Gehirn erkannt, ohne die einzelnen Buchstaben nacheinander zu lesen. Wie lang die vom Gehirn als Einheit erkannten Wortgruppen sein können, ist individuell unterschiedlich und wird von der Gestaltung des Texts beeinflusst.
Grundsätzlich wird beim Lesen nur ein kleiner Teil der vorhandenen [[Buchstaben]] scharf erfasst. Das Hauptkriterium für die Erfassung von Text ist die Wiedererkennung von Wörtern bzw. Wortgruppen. Diese Wortgruppen können als Ganzes erfasst werden, da sie vom Leser zum größten Teil als Bild inkl. Bedeutung bereits abgespeichert sind. Die Größe der Wortgruppen ist abhängig von der individuellen Fähigkeit des Lesers und auch der Gestaltung der Texte.


Grundsätzlich wird beim Lesen nur ein kleiner Teil der vorhandenen Buchstaben scharf erfasst. Das Hauptkriterium für die Erfassung von Text ist die Wiedererkennung von Wörtern bzw. Wortgruppen. Diese Wortgruppen können als Ganzes erfasst werden, da sie vom Leser zum größten Teil als Bild inklusive Bedeutung bereits abgespeichert sind. Voraussetzung hierfür ist, dass dem Gehirn die Wortgruppe, das einzelne Wort oder zumindest einzelne Wortbestandteile bekannt sind. Kann das Gehirn Wortgruppen in den [[Semantik|semantischen]] Kontext des Texts einordnen, wird die Lesegeschwindigkeit hierdurch signifikant erhöht. Die Größe der im Ganzen aufgenommenen Wortgruppen ist sowohl von der individuellen Fähigkeit des Lesers als auch von der Gestaltung des Textbilds, etwa durch die verwendete Schriftart, und der Rahmenbedingungen abhängig.<ref>{{Literatur |Autor=Martina Ziefle |Titel=Lesen am Bildschirm |Verlag=[[Waxmann Verlag]] |Ort= |ISBN=3-8309-6068-9}}</ref>
Ein wesentliches Kriterium des Texterfassens ist die Fähigkeit, bereits einmal erfasste Bilder (Textblöcke, Wortgruppen) wieder aufzurufen und diese in den bestehenden Kontext zu integrieren. Hilfreich dafür ist die Wiedererkennung durch bekannte Schrifttypen. Die wichtigsten [[Schrifttypen]] sind [[Serifen]] oder Nonserifenschriften. Heute sind 90% aller verwendeten westlichen Schriften Serif. Ein Beispiel für Serifen ist die Schrifttype „Times“, ein Beispiel für eine serifenlose Schrift ist die „Helvetica“.


Texte in [[Serifenschrift]]en können tendenziell schneller gelesen werden und auch die vermischte Verwendung von Groß- und Kleinbuchstaben wie in der [[Deutsche Sprache|deutschen Schriftsprache]] verbessern die Voraussetzungen für eine hohe Lesegeschwindigkeit. Ebenfalls förderlich ist ein in [[Spaltensatz]] angeordneter Text, da der Text so mitunter zeilenweise vom Gehirn aufgenommen werden kann. Da auch um die [[Fovea centralis]] herum noch [[Sehschärfe]] vorhanden ist, ist es darüber hinaus sogar denkbar, dass besonders schnelle Leser mehrere Zeilen gleichzeitig erfassen. In der Forschung umstritten ist allerdings, ob die Informationen dann [[seriell]] oder [[parallel]] vom Gehirn aufgenommen werden.<ref>Jochen Musch, Peter Rösler: ''Schnell-Lesen: Was ist die Grenze...'' 2011, S. 94.</ref>
Das Erfassen von neuen Wörtern erfolgt vorerst einmal durch einzelne Buchstaben, wenn das Wort verstanden und in einen Kontext gebracht wurde, wird dieses Wort als Bild gespeichert. Je nach Häufigkeit des Wortes wird dieses in einem unterschiedlichen Kontext auch mehrfach gespeichert. Das gesehene Bild wird mit bereits vorhandenen Bildern abgeglichen und in einen Verständniszusammenhang gebracht.

Würde man tatsächlich beim Lesen jedes Wort einzeln erfassen, wäre es nicht möglich, Text schneller als mit 300 Wörtern/Minute zu lesen.

Über die (vertraute) Schriftart hinaus ist für das Lesen auch die Verwendung von [[Majuskel]]n und [[Minuskel]]n (Groß- und Kleinbuchstaben) speziell in der deutschen Sprache von wesentlicher Bedeutung. Ebenso auch die Abweichungen einzelner Buchstaben von der Grundlinie (Versalhöhe, Oberlänge, Unterlänge). Beim Erfassen von Wörtern (und in weiterer Folge Wortgruppen) sind diese Abweichungen von entscheidender Bedeutung. Deshalb ist die Abschaffung der Großschreibung bei Substantiven dringend abzulehnen, da sie einen wichtigen Bestandteil der Lesbarkeit ausmacht.

Das Erfassen von Text wird auch durch die Verwendung von Spaltensatz erleichtert, da eine Zeile mit 40-50 Anschlägen bereits eine vordefinierte Wortgruppe darstellen kann und die Augenbewegung nicht mehr horizontal sondern vertikal von Zeile zu Zeile verläuft.


== Wissenschaftliche Untersuchungen ==
== Wissenschaftliche Untersuchungen ==
Das Interesse an den Techniken des Schnelllesens stieg in den 1950er Jahren an, als von verschiedenen Wissenschaftlern Thesen zur Erlernbarkeit von Schnelllesetechniken aufgestellt wurden. So behauptete [[Evelyn Wood]], Steigerungen der Lesegeschwindigkeit von 250 auf 1000 gelesene Wörter pro Minute seien durch die Anwendung bestimmter Techniken erreichbar.<ref name="wood">{{Literatur |Autor=Evelyn Wood |Hrsg=C. A. Ketcham |Titel=A New Method of Teaching Reading |Sammelwerk=Proceedings of the College Reading Association |Band=2 |Nummer= |Datum=1961 |Seiten=58-61}}</ref> Später stellte Wood Thesen über „natürliche Schnellleser“ auf; damit sind Personen gemeint, die ohne die bewusste Anwendung gezielter Techniken erheblich höhere Lesegeschwindigkeiten erreichen als durchschnittliche geübte Leser. Diese Thesen waren im Laufe der nachfolgenden Jahrzehnte Gegenstand diverser wissenschaftlicher Untersuchungen, konnten letztendlich aber wegen der Schwierigkeiten der Nachweise weder bestätigt noch widerlegt werden. Genauso gab es in den 1960er Jahren aber Wissenschaftler, die die Techniken des Schnelllesens stark in Zweifel zogen: Homa bezog die Fähigkeiten des Schnelllesens auf die Fähigkeit, schnell blättern zu können, und Sprache<!--sic!--> quantifizierte die maximal zu erreichende Lesegeschwindigkeit auf „800 bis 900 Wörter pro Minute“.<ref name="spache">{{Literatur |Autor=G. D. Spache |Titel=Is this a breakthrough in reading? |Sammelwerk=The Reading Teacher |Nummer=15 |Datum=1962 |Seiten=258–262}}</ref>


Eine [[Metastudie]] von Musch und Rösler ergab 2011, dass die Forschung auf dem Gebiet des Schnelllesens, insbesondere hinsichtlich der Untersuchungen von Lesegeschwindigkeiten von Probanden, überdurchschnittlich vielen methodischen Mängeln unterliegen und von [[Populärwissenschaftliche Literatur|populärwissenschaftlicher Literatur]] dominiert wird, die keine aussagekräftigen Ergebnisse liefert.<ref>Jochen Musch, Peter Rösler: ''Schnell-Lesen: Was ist die Grenze...'' 2011, S. 99.</ref> Insgesamt herrscht in der Fachliteratur Einigkeit darüber, dass es Personengruppen von Schnelllesern und einzelne Personen mit extrem guten Schnelllesefähigkeiten gibt. Umstritten ist hingegen die Frage, inwieweit diese Fähigkeiten durch Techniken gezielt erlernt werden können.<ref>Jochen Musch, Peter Rösler: ''Schnell-Lesen: Was ist die Grenze...'' 2011, S. 104f.</ref>
Die Ergebnisse von [[Auge]]nbewegungsuntersuchungen mit Hochgeschwindigkeits[[kamera]]s zeigen, dass ein Schnellleser einen Satz mit viel weniger Augenbewegungen und -fixierungen aufnehmen kann. Langsame Leser benötigen bis zu fünfmal so viele Augenbewegungen wie ein sehr guter Leser. Bei ersteren ermüden die Augen wesentlich schneller, was zu Erschöpfung und damit langsamerem Lesen führen kann. Ein langsamer Leser muss sich anstrengen, um [[Information]]en zu bekommen und wird so sehr leicht frustriert. Als Folge liest er nur noch das absolute Minimum, da Lesen für ihn eine unschöne und schwierige Erfahrung ist. Sein Verständnis eines Textes ist niedrig, ein langsamer Leser benötigt mehr [[Zeit]], um Informationen aus dem Text aufzunehmen. Wenn er am Ende ankommt, hat er dafür länger gebraucht und schon wieder einen großen Teil vergessen.


Im Jahr 2015 hat die [[Stiftung Warentest]] in vergleichenden Tests die Wirksamkeit einiger Trainings zum Schnelllesen geprüft<ref>{{Internetquelle |autor= |url=http://www.test.de/pdf-lesetechniken |titel=Schneller lesen - Test Stiftung Warentest |werk= |hrsg= |datum= |zugriff=2019-02-01 |sprache=}}</ref>. Bei einigen Probanden wurde ein Anstieg der Lesegeschwindigkeit um 50 Prozent festgestellt, wobei das Textverständnis dabei vereinzelt abnahm.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.test.de/Lesetrainings-im-Test-Wie-Sie-zum-Schnellleser-werden-4817442-0/ |titel=Lesetrainings im Test: Wie Sie zum Schnellleser werden |hrsg=[[Stiftung Warentest]] |datum=2015-02-26 |zugriff=2015-04-05}}</ref>
Schnelllesen kann jedoch erlernt werden, indem verschiedene schlechte Lesegewohnheiten aufgegeben werden.


== Zweifel am Textverständnis von Schnelllesern ==
== Was verhindert schnelles Lesen? ==
Kritiker unterstellen Schnelllesern, weniger Informationen aus dem gelesenen Text aufzunehmen als Personen, die diesen Text in gewöhnlichem Tempo von bis zu 300 Wörtern pro Minute lesen. Diese Unterstellung scheint zunächst nachweisbar, konnte in verschiedenen Studien über Schnellleser allerdings weder bestätigt, noch widerlegt werden. In einer Studie des Psychologen Bruce L. Brown von der [[Brigham Young University]] im Jahr 1981 wurde explizit die Lesekompetenz von Lesern normaler Geschwindigkeit mit der von Schnelllesern verglichen: Beide erreichten einen Verständnisgrad von 65 %, wobei die Schnellleser den Text fünf- bis sechsmal schneller erfassten. Die These, dass hierunter das Textverständnis signifikant leidet, konnte bisher in keiner wissenschaftlich haltbaren Studie bestätigt werden.<ref>{{Literatur |Autor=B. L. Brown u. a. |Hrsg=J. R. Edwards |Titel=An analysis of the rapid reading controversy |Sammelwerk=The Social Psychology of Reading |Band= |Nummer= |Verlag=Silver Spring: Institute of Modern Languages |Datum=1981 |Seiten=29–50}}</ref><ref>Jochen Musch, Peter Rösler: ''Schnell-Lesen: Was ist die Grenze...'' 2011, S. 103.</ref> Eine [[Metastudie]] der [[University of California, San Diego|University of California in San Diego]] von Keith Rayner, Elizabeth Schotter und anderen Wissenschaftlern aus dem Jahr 2016 ergab allerdings, dass Schnelllesen einen Kompromiss zwischen Geschwindigkeit und Genauigkeit darstellt.<ref>Keith Rayner, Elizabeth R. Schotter, Michael E. J. Masson, Mary C. Potter, Rebecca Treiman: [https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/1529100615623267 So Much to Read, So Little Time: How Do We Read, and Can Speed Reading Help?], Psychological Science, 14. Januar 2016</ref><ref> [https://www.scinexx.de/news/biowissen/turbolesen-bringt-wenig/ ''Turbolesen bringt wenig: Schnelllese-Strategien führen zu schlechterem Textverständnis''], scinexx.de, 18. Januar 2016</ref>


== Siehe auch ==
# ''Eine niedrige [[Kurzspeicherkapazität]]''
* [[Lesbarkeit]]
# ''Geringes Vokabular'' - Unbekannte Wörter können nicht so schnell erfasst werden und stören den Lesefluss
* [[Leserlichkeit]]
# ''[[Regression]]en'' — Das wiederholte Zurückspringen zu bereits gelesenen Stellen
# ''Wort-für-Wort-Lesen'' — immer nur ein Wort statt mehreren gleichzeitig erfassen
# ''Zu lange Fixationen'' — eine Fixation (Augenhalt) muss nur 1/4 Sekunde dauern, während beim Fixationswechsel oftmals 1 Sekunde vergeht
# ''(Sub)vokalisieren'' — Das (innere) Mitsprechen der Wörter
# ''Geringe Aufnahme'' — Entweder wegen ineffektiver Augenbewegungen oder geringer Aufnahmefähigkeit
# ''Desinteresse am Thema'' — der Zusammenhang mit den eigenen Zielen ist nicht ersichtlich
# ''Abneigung gegen Thema, Inhalt, Autor'' — der dadurch erzeugte Stress verlangsamt Denkvorgänge


== Literatur ==
== Was erleichtert schnelles Lesen? ==
* Buzan, Tony: Speed Reading: Schneller lesen – mehr verstehen – besser behalten, mvg-Verlag 2017
* Dehaene, Stanislas: Lesen. Die größte Erfindung der Menschheit und was dabei in unseren Köpfen passiert, München 2012
* Garbe, Christine / Holle, Karl / Jesch, Tatjana: Texte lesen. Lesekompetenz – Textverstehen – Lesedidaktik – Lesesozialisation, Paderborn 2010
* Günther Emlein, Wolfgang A. Kasper: ''FlächenLesen.'' VAK Verlag für Angewandte Kinesiologie, Freiburg im Breisgau 2000, ISBN 3-932098-44-7.
* Jochen Müsseler: ''Periphere und zentrale Prozesse beim Lesen.'' In: Gert Rickheit, Theo Herrmann, Werner Deutsch (Hrsg.): ''Psycholinguistik Psycholinguistics. Ein internationales Handbuch''. Walter de Gruyter, Berlin / New York 2003, S. 600–608.
* Jochen Musch, Peter Rösler: ''Schnell-Lesen: Was ist die Grenze der menschlichen Lesegeschwindigkeit?'' In: M. Dresler (Hrsg.): ''Kognitive Leistungen.'' Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2011, S. 89–106. {{DOI|10.1007/978-3-8274-2809-7_6}}
* Peter Rösler: ''Grundlagen des Schnell-Lesens.'' exclam! Verlag, Düsseldorf 2016, ISBN 978-3-943736-09-0, [http://www.grundlagen-des-schnell-lesens.de/Grundlagen_des_Schnell-Lesens_Roesler_2016.pdf PDF].
* Radach, Ralph: ''Blickbewegungen'' beim Lesen, (Internationale Hochschulschriften Bd. 216) Münster, New York 1996.
* Radach, Ralph / Günther, Thomas / Huestegge, Lynn: ''Blickbewegungen'' beim Lesen, Leseentwicklung und Legasthenie, in: Lernen und Lernstörungen, Jg. 1, H. 3, Sept. 2012, S. 185–204.
* Radach, Ralph / Vorstius, Christian / Fürth, Sebastian: ''Speed Reading'' – Die Vision vom schnellen Verstehen, in: ''OUTPUT. Wissenschaftliche Zeitschrift der Bergischen Universität Wuppertal, Nr. 15 (2016),'' 18–23.
* Rosebrock, Cornelia / Nix, Daniel: ''Forschungsüberblick'': Leseflüssigkeit (Fluency) in der amerikanischen Leseforschung und -didaktik, in: Didaktik Deutsch, 20, 2006, S. 90–112.
* Scheele, Paul R.: PhotoReading: Die neue Hochgeschwindigkeits-Lesemethode in der Praxis, Junfermann Verlag, überarbeitete und erweiterte Neuauflage 2008
* Schmitz, Wolfgang: Schneller lesen – besser verstehen, Rowohlt Taschenbuch, 6. Auflage der überarbeiteten Ausgabe 2013, ISBN 978-3-499-63045-3


== Weblinks ==
# ''eine große [[Kurzspeicherkapazität]]''
* [http://www.dgfsl.de/ Deutsche Gesellschaft für Schnell-Lesen]
# ''bekannte Schriftarten'' — Unbekannte Schriftarten müssen während des Lesens neu gelernt werden
* [http://www.grundlagen-des-schnell-lesens.de/ ''Grundlagen des Schnell-Lesens''], Homepage zum Buch
# ''richtige Schriftgrößen'' — zu große bzw. zu kleine Schriften verhindern rasches Lesen
# ''Textblöcke'' — richtig angewendeter Spaltensatz erleichtert das Wortgruppenlesen
# ''Zeilenabstände'' — richtige Zeilenabstände erleichtern das Finden der jeweils nächsten Zeile
# ''Verzicht auf Blocksatz'' — bei langen Zeilen (> 80 Zeichen) wird der Lesefluss durch Blocksatz beeinträchtigt
# ''Verwendung einer Lesehilfe'' — das Auge ist es nämlich gewohnt, Bewegungen zu verfolgen, und kann Texte leichter aufnehmen, wenn ihm mit dünnem Stift oder ähnlicher Lesehilfe vorgegeben wird, wo es Informationen aufnehmen soll
# ''Neugier und Aufgeschlossenheit dem Thema gegenüber'' — das Thema muss der Erreichung persönlicher Ziele nützlich sein


== Einzelnachweise ==
Die meisten Durchschnittsleser können ihre Lesegeschwindigkeit verdoppeln oder sogar verdreifachen, indem sie Schnelllesen üben. Laut verschiedenen Studien liegt das Maximum für die Mehrheit bei 800 Wörtern in der Minute - darüber erfolgt meistens nur noch ein schnelles Überfliegen des Textes mit geringem Verständnis.
<references />

Undisziplinierte Augenbewegungen sind wahrscheinlich das größte Hindernis für das Schnellesen.
Langsame Leser gehen meistens von Wort zu Wort, machen langsame, sorgfältige Augenbewegungen und erfassen dabei mit einem Blick immer nur einige Buchstaben. Ein einziges Wort kann mehrere Augenbewegungen erfordern. Zusätzlich springt ein ungeübter Leser immer wieder zu bereits gelesenen Textstellen, was einen sehr abgehackten und sprunghaften Leserhythmus bedingt. Ein Schnellleser dagegen besitzt einen sanften und durchgängigen Lesestil, benötigt weniger Sprünge und nimmt mit einem Blick mehr auf.
Natürlich ist die maximale Lesegeschwindigkeit abhängig von der Vertrautheit des Lesers mit dem Text. Schwer verständliche technische Dokumente können auch von Schnellesern nur langsam erfasst werden.

== Einige Techniken und Tipps ==

# ''Ständige [[Konzentration (Psychologie)|Konzentrationsübungen]] (mind. 15 Min.)''
# ''Augen- und Aufmerksamkeitstraining.''
# ''Augen überprüfen lassen - Anzeichen für Problem sind rasche Ermüdung - Auch Überprüfung auf [[Heterophorie]]!!''
# ''Vokalisieren verringern (nur noch die wichtigen, sinntragenden Wörter), da der Augen-Gehirn-Komplex wesentlich schneller ist als die Sprechwerkzeuge beziehungsweise das Formen der Wörter im Gehirn.''
# ''Kein Hin-und-Her-Springen, dadurch sinkt die Konzentration.''
# ''Versuchen, möglichst große Bereiche mit einem Blick zu erfassen.''
# ''Peripherisches Sehen ständig trainieren.''
# ''Mittel wie [[Tachistoskop]] u.a. zum Trainieren benutzen.''
# ''Gelesenes in Bildern verarbeiten (Sprache des Unterbewusstseins sind Bilder)''.
# ''Gerade sitzen, kein Beugen des Oberkörpers, da sonst rasche [[Müdigkeit|Ermüdung]] droht''
# ''Versuchen, den Hauptgedanken zu verstehen, nicht aber den Sinn einzelner Wörter (genau wie beim Zuhören)''
# ''Den Text möglichst auf Augenhöhe bzw. knapp darunter und in ca. 50 [[Meter|Zentimeter]] Abstand vom Auge halten.''
# ''Möglichst im 90-Grad-Winkel auf das Blatt schauen (Lesestütze verwenden), da dann alle Buchstaben in etwa gleich groß sind.''
# ''Für gute [[Licht|Beleuchtung]] sorgen.''
# ''Bewusst möglichst schnell und konzentriert lesen.''
# ''Viel Lesen! Je mehr man trainiert, desto schneller wird man. Ein Vielleser wird in den allermeisten Fällen auch zum Schnellleser''

Generell sollte je nach Text und Vorhaben die passende Lesetechnik gewählt werden. Um einen Überblick zu gewinnen, reicht beispielsweise schnelles Überfliegen aus.


[[Kategorie:Lesen]]
[[Kategorie:Lesen]]

== Kritik an den Schnelllesetechniken ==
Entgegen aller Versprechungen einiger Anhänger wird bei der Verwendung einer Schnelllesetechnik der Text weniger exakt aufgenommen. Erwiesenermaßen wird aus Bereichen, in denen keine Fixation stattfindet, auch keine Information extrahiert. Es ist somit unmöglich, eine ganze Zeile Text (oder auch einige Wörter) mit nur einer einzigen Fixation in der Zeilenmitte zu erfassen. Einfache Tests für die [[Lesegeschwindigkeit]] wiesen zudem nach, dass jede Person über eine individuelle [[Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit]] verfügt, die mit dem Intelligenzniveau zusammenhängt. So kann der durchschnittliche deutsche Erwachsene (IQ 100) bei maximaler Anstrengung in 6,7 Sekunden nur 20 stochastisch unabhängige Buchstaben erkennen. Das entspricht einer Leistung von 15 bit/s. Ein Hochbegabter mit dem IQ 130 erbringt die gleiche Leistung in etwa 4,5 Sekunden (~ 23 bit/s). Etwa hier liegen die menschlichen Obergrenzen der Lesegeschwindigkeit, wenn der Informationsgehalt der apperzipierten Reize kontrolliert wird.

Komplizierte und ineinander verschachtelte Sätze verlangen zeitaufwendiges Nachdenken zur Entschlüsselung ihrer Struktur. Beim normalen Lesen finden aus diesem Grund und aus Konzentrationslosigkeit Regressionen statt; der absichtliche Verzicht auf diese Rücksprünge führt dazu, dass teilweise nicht genug Zeit da ist um über einen Satz nachzudenken und ihn völlig zu verstehen.

Das Verzichten auf die Subvokalisierung ist ein besonderer Streitpunkt, denn Gegner dieser Anwendung halten das Lesen ohne Subvokalisierung prinzipiell für unmöglich oder zumindest höchst ineffizient. PhotoReading muss sich den Vorwurf gefallen lassen, es sei eine [[Esoterik|esoterische]] Anwendung, die keinen Bezug zu wissenschaftlichen Fakten habe. In der Tat gibt es keinen offiziellen experimentellen Beleg dafür, dass diese Technik funktioniert, geschweige denn dafür, dass sie eine Steigerung der Lesegeschwindigkeit herbeiführt. Bedenklich erscheint den Kritikern im Allgemeinen, dass Schnelllesetechniken Verbesserungsvorschläge für einen Prozess machen, der noch lange nicht komplett von allen verstanden ist.

== Literatur ==

* Günther Beyer, Norbert Zeller: ''Rationelles Lesen leicht gemacht. Ein 12- Lektionen- Programm.'' ECON-Verlag, Düsseldorf <u.a.> 1988, ISBN 3-430-11299-0
* Fred N. Bohlen: ''Effizient lesen.'' 5. Auflage. Expert-Verlag, Renningen 2002. ISBN 3-8169-2055-1 - ''Bohlen liefert Übungen, die die „Lesespanne“ verbreitern soll, so dass eine Zeile mit einem Blick gelesen werden kann.''
* Tony Buzan: ''Speed Reading.'' 8. Auflage. Verlag Moderne Industrie, Landsberg/Lech 2002, ISBN 3-478-71960-7 - ''Buzan stellt verschiedene Techniken vor, die das Lesetempo erhöhen sollen.''
* Brigitte Chevalier: ''Effektiv lesen.'' Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-8218-3840-X - ''Chevalier stellt Tests vor, mit denen sich der eigene Lesetyp ermitteln lassen soll und bietet Übungen, mit denen sich die Lesegeschwindigkeit erhöhen lassen soll.''
* Helmut Dittrich: ''Besser lesen, verstehen, behalten.'' Humboldt-Taschenbuchverlag, München 1992. ISBN 3-581-66673-1
* Günther Emlein, Wolfgang A. Kasper: ''FlächenLesen.'' VAK Verlag für Angewandte Kinesiologie, Freiburg im Breisgau 2000, ISBN 3-932098-44-7 - ''Emlein und Kasper stellen verschiedene Module vor, durch deren Kombination nach persönlichen Vorlieben das Lesen großer Textteile („Textflächen“) mit großer Geschwindigkeit ermöglicht werden soll.''
* Gerhard Hörner: ''Professionelles speed reading.'' mvg, Landsberg am Lech 2001, ISBN 3-478-86015-6
* Rotraut Michelmann und Walter U. Michelmann: ''Effizient und schneller lesen.'' Rowohlt Tb., 1998, ISBN 3-499-60330-6
* Ernst Ott: ''Optimales Lesen.'' Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Reinbek bei Hamburg 1993, ISBN 3-499-16783-2 - ''Ott bietet zahlreiche Übungen („Augengymnastik“), die die „Lesespanne normalisieren“ und so das Lesetempo erhöhen sollen.''
* Christian Peirick: ''Rationelle Lesetechniken - Schneller lesen - Mehr behalten.'' K. H. Bock-Verlag, Honnef 2006, ISBN 3-87066-955-1 - ''Peirick zeigt Techniken, die innerhalb kürzester Zeit zur Verdoppelung der Lesegeschwindigkeit führen sollen, und geht auch auf die Rahmenbedingungen für rationelles Lesen ein.''
* Gerd Stuckert: ''Gründlicher lesen - besser verstehen - mehr behalten, 7.-10. Jahrgangs stufe.'' pb-Verlag Gerd Stuckert GmbH, München 2002, ISBN 3-89291-538-5
* Tom Werneck, Frank Ullmann: ''Dynamisches Lesen.'' 3. Auflage. Heyne, München 1989, ISBN 3-453-53131-0
* Wolfgang Zielke: Diverse Bücher, z. B: ''Schneller lesen - intensiver lesen - besser behalten .'' 3. Auflage. mvg-Verlag, München <u.a.> 1988, ISBN 3-478-02922-8

== Weblinks ==
* [http://rosenbauer.de/sl-links.htm "Die webweit größte Linkliste zum Thema"]
* [http://www.schnell-leser.de/download.html Seite mit PowerPoint-Folien von Schnelllese-Vorträgen]

[[Kategorie:Studiertechnik]]
[[Kategorie:Studiertechnik]]
[[Kategorie:Kognitive Leistungssteigerung]]
[[Kategorie:Kognitive Leistungssteigerung]]

[[en:Speed reading]]
[[it:Lettura rapida]]
[[ja:速読術]]
[[lt:Greitasis skaitymas]]
[[pl:Szybkie czytanie]]
[[sq:Leximi i shpejtë]]
[[tr:Hızlı yazı okuma tekniği]]

Aktuelle Version vom 18. Juli 2024, 12:51 Uhr

Schnelllesen gehört zu den Lesestrategien und steht für die Fähigkeit, überdurchschnittlich schnell Texte zu lesen und dennoch den Inhalt des Textes zu verstehen. Es ähnelt dem weniger systematischen Querlesen.

Fähigkeit des Schnelllesens

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Um die Fähigkeit des Schnelllesens einer Person messen zu können, müssen die Faktoren der Lesegeschwindigkeit und des Textverständnisses gleichzeitig überprüft werden: Unter einer hohen Lesegeschwindigkeit darf die Lesekompetenz nicht leiden. Tatsächlich hängt dieses aber von der Lesekompetenz ab: Überschreitet ein Leser eine gewisse Lesegeschwindigkeit, wird Untersuchungen Ronald P. Carvers zufolge seine Lesekompetenz in ungefähr antiproportionalem Verhältnis abnehmen.[1]

Während es zunächst als umstritten galt, ob schnelles Lesen trainiert werden kann,[2] wird dieser Umstand in der Wissenschaft auch aufgrund diverser offensichtlich erfolgreicher Techniken zum Schnelllesen weitgehend akzeptiert. Mit den erlernbaren Techniken des Schnelllesens sind für geübte Leser Werte von 800 bis 1500 gelesenen Wörtern pro Minute erreichbar, ohne das Textverständnis erheblich einzuschränken. Bei einem durchschnittlichen geübten Leser, der allerdings keine Techniken des Schnelllesens verwendet, wird von einem durchschnittlichen Wert von etwa 250 Wörtern pro Minute ausgegangen.[3] Von einigen Schnelllesern wurden auch über längere Zeiträume wesentlich höhere Werte von über 4000 Wörtern pro Minute erreicht.[4] Den Weltrekord im Schnelllesen soll dabei Anne Jones halten, die das Buch Harry Potter und die Heiligtümer des Todes in einer Zeit von 47 Minuten gelesen haben soll, was einen Lesewert von 4.251 Wörtern pro Minute ergibt.[4][5]

Bereits 1969 untersuchte G. Harry McLaughlin eine große Gruppe Schnellleser und entdeckte eine von ihm als „Miss L“ bezeichnete Person, die Texte mit Spitzenwerten von bis zu 9000 Wörtern pro Minute bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 3750 Wörtern pro Minute erfassen konnte – derartige Werte scheinen also von den schnellsten Lesern erreichbar.[6] Andere Untersuchungen geben an, Personen mit noch weitaus höheren Lesegeschwindigkeiten ermittelt zu haben (Schale 1970: mehrere Teilnehmer mit über 20.000 Wörtern pro Minute, eine Person mit 41.000 Wörtern pro Minute), die Validität dieser Untersuchungen wird aber angezweifelt.[7]

Beim Lesen eines Texts durch einen geübten Leser werden – auch ohne Techniken des Schnelllesens – weniger einzelne Buchstaben erfasst, sondern Wörter und Wortgruppen vom Gehirn erkannt, ohne die einzelnen Buchstaben nacheinander zu lesen. Wie lang die vom Gehirn als Einheit erkannten Wortgruppen sein können, ist individuell unterschiedlich und wird von der Gestaltung des Texts beeinflusst.

Grundsätzlich wird beim Lesen nur ein kleiner Teil der vorhandenen Buchstaben scharf erfasst. Das Hauptkriterium für die Erfassung von Text ist die Wiedererkennung von Wörtern bzw. Wortgruppen. Diese Wortgruppen können als Ganzes erfasst werden, da sie vom Leser zum größten Teil als Bild inklusive Bedeutung bereits abgespeichert sind. Voraussetzung hierfür ist, dass dem Gehirn die Wortgruppe, das einzelne Wort oder zumindest einzelne Wortbestandteile bekannt sind. Kann das Gehirn Wortgruppen in den semantischen Kontext des Texts einordnen, wird die Lesegeschwindigkeit hierdurch signifikant erhöht. Die Größe der im Ganzen aufgenommenen Wortgruppen ist sowohl von der individuellen Fähigkeit des Lesers als auch von der Gestaltung des Textbilds, etwa durch die verwendete Schriftart, und der Rahmenbedingungen abhängig.[8]

Texte in Serifenschriften können tendenziell schneller gelesen werden und auch die vermischte Verwendung von Groß- und Kleinbuchstaben wie in der deutschen Schriftsprache verbessern die Voraussetzungen für eine hohe Lesegeschwindigkeit. Ebenfalls förderlich ist ein in Spaltensatz angeordneter Text, da der Text so mitunter zeilenweise vom Gehirn aufgenommen werden kann. Da auch um die Fovea centralis herum noch Sehschärfe vorhanden ist, ist es darüber hinaus sogar denkbar, dass besonders schnelle Leser mehrere Zeilen gleichzeitig erfassen. In der Forschung umstritten ist allerdings, ob die Informationen dann seriell oder parallel vom Gehirn aufgenommen werden.[9]

Wissenschaftliche Untersuchungen

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Das Interesse an den Techniken des Schnelllesens stieg in den 1950er Jahren an, als von verschiedenen Wissenschaftlern Thesen zur Erlernbarkeit von Schnelllesetechniken aufgestellt wurden. So behauptete Evelyn Wood, Steigerungen der Lesegeschwindigkeit von 250 auf 1000 gelesene Wörter pro Minute seien durch die Anwendung bestimmter Techniken erreichbar.[10] Später stellte Wood Thesen über „natürliche Schnellleser“ auf; damit sind Personen gemeint, die ohne die bewusste Anwendung gezielter Techniken erheblich höhere Lesegeschwindigkeiten erreichen als durchschnittliche geübte Leser. Diese Thesen waren im Laufe der nachfolgenden Jahrzehnte Gegenstand diverser wissenschaftlicher Untersuchungen, konnten letztendlich aber wegen der Schwierigkeiten der Nachweise weder bestätigt noch widerlegt werden. Genauso gab es in den 1960er Jahren aber Wissenschaftler, die die Techniken des Schnelllesens stark in Zweifel zogen: Homa bezog die Fähigkeiten des Schnelllesens auf die Fähigkeit, schnell blättern zu können, und Sprache quantifizierte die maximal zu erreichende Lesegeschwindigkeit auf „800 bis 900 Wörter pro Minute“.[11]

Eine Metastudie von Musch und Rösler ergab 2011, dass die Forschung auf dem Gebiet des Schnelllesens, insbesondere hinsichtlich der Untersuchungen von Lesegeschwindigkeiten von Probanden, überdurchschnittlich vielen methodischen Mängeln unterliegen und von populärwissenschaftlicher Literatur dominiert wird, die keine aussagekräftigen Ergebnisse liefert.[12] Insgesamt herrscht in der Fachliteratur Einigkeit darüber, dass es Personengruppen von Schnelllesern und einzelne Personen mit extrem guten Schnelllesefähigkeiten gibt. Umstritten ist hingegen die Frage, inwieweit diese Fähigkeiten durch Techniken gezielt erlernt werden können.[13]

Im Jahr 2015 hat die Stiftung Warentest in vergleichenden Tests die Wirksamkeit einiger Trainings zum Schnelllesen geprüft[14]. Bei einigen Probanden wurde ein Anstieg der Lesegeschwindigkeit um 50 Prozent festgestellt, wobei das Textverständnis dabei vereinzelt abnahm.[15]

Zweifel am Textverständnis von Schnelllesern

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Kritiker unterstellen Schnelllesern, weniger Informationen aus dem gelesenen Text aufzunehmen als Personen, die diesen Text in gewöhnlichem Tempo von bis zu 300 Wörtern pro Minute lesen. Diese Unterstellung scheint zunächst nachweisbar, konnte in verschiedenen Studien über Schnellleser allerdings weder bestätigt, noch widerlegt werden. In einer Studie des Psychologen Bruce L. Brown von der Brigham Young University im Jahr 1981 wurde explizit die Lesekompetenz von Lesern normaler Geschwindigkeit mit der von Schnelllesern verglichen: Beide erreichten einen Verständnisgrad von 65 %, wobei die Schnellleser den Text fünf- bis sechsmal schneller erfassten. Die These, dass hierunter das Textverständnis signifikant leidet, konnte bisher in keiner wissenschaftlich haltbaren Studie bestätigt werden.[16][17] Eine Metastudie der University of California in San Diego von Keith Rayner, Elizabeth Schotter und anderen Wissenschaftlern aus dem Jahr 2016 ergab allerdings, dass Schnelllesen einen Kompromiss zwischen Geschwindigkeit und Genauigkeit darstellt.[18][19]

  • Buzan, Tony: Speed Reading: Schneller lesen – mehr verstehen – besser behalten, mvg-Verlag 2017
  • Dehaene, Stanislas: Lesen. Die größte Erfindung der Menschheit und was dabei in unseren Köpfen passiert, München 2012
  • Garbe, Christine / Holle, Karl / Jesch, Tatjana: Texte lesen. Lesekompetenz – Textverstehen – Lesedidaktik – Lesesozialisation, Paderborn 2010
  • Günther Emlein, Wolfgang A. Kasper: FlächenLesen. VAK Verlag für Angewandte Kinesiologie, Freiburg im Breisgau 2000, ISBN 3-932098-44-7.
  • Jochen Müsseler: Periphere und zentrale Prozesse beim Lesen. In: Gert Rickheit, Theo Herrmann, Werner Deutsch (Hrsg.): Psycholinguistik Psycholinguistics. Ein internationales Handbuch. Walter de Gruyter, Berlin / New York 2003, S. 600–608.
  • Jochen Musch, Peter Rösler: Schnell-Lesen: Was ist die Grenze der menschlichen Lesegeschwindigkeit? In: M. Dresler (Hrsg.): Kognitive Leistungen. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2011, S. 89–106. doi:10.1007/978-3-8274-2809-7_6
  • Peter Rösler: Grundlagen des Schnell-Lesens. exclam! Verlag, Düsseldorf 2016, ISBN 978-3-943736-09-0, PDF.
  • Radach, Ralph: Blickbewegungen beim Lesen, (Internationale Hochschulschriften Bd. 216) Münster, New York 1996.
  • Radach, Ralph / Günther, Thomas / Huestegge, Lynn: Blickbewegungen beim Lesen, Leseentwicklung und Legasthenie, in: Lernen und Lernstörungen, Jg. 1, H. 3, Sept. 2012, S. 185–204.
  • Radach, Ralph / Vorstius, Christian / Fürth, Sebastian: Speed Reading – Die Vision vom schnellen Verstehen, in: OUTPUT. Wissenschaftliche Zeitschrift der Bergischen Universität Wuppertal, Nr. 15 (2016), 18–23.
  • Rosebrock, Cornelia / Nix, Daniel: Forschungsüberblick: Leseflüssigkeit (Fluency) in der amerikanischen Leseforschung und -didaktik, in: Didaktik Deutsch, 20, 2006, S. 90–112.
  • Scheele, Paul R.: PhotoReading: Die neue Hochgeschwindigkeits-Lesemethode in der Praxis, Junfermann Verlag, überarbeitete und erweiterte Neuauflage 2008
  • Schmitz, Wolfgang: Schneller lesen – besser verstehen, Rowohlt Taschenbuch, 6. Auflage der überarbeiteten Ausgabe 2013, ISBN 978-3-499-63045-3

Einzelnachweise

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  1. Ronald P. Carver: Reading rate: a review of research and theory. Academic Press, San Diego 1990.
  2. D. Homa: An assessment of two extraordinary speed-readers. In: Bulletin of the Psychonomic Society. Nr. 21, 1983, S. 123–126.
  3. Jochen Musch, Peter Rösler: Schnell-Lesen: Was ist die Grenze der menschlichen Lesegeschwindigkeit? In: Martin Dresler (Hrsg.): Kognitive Leistungen: Intelligenz und mentale Fähigkeiten im Spiegel der Neurowissenschaften. Springer Science+Business Media, 2011, ISBN 3-8274-2809-2.
  4. a b Jonathan Sierck: Experten im Schnelllesen. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 18. Februar 2015; abgerufen am 18. Februar 2015.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/jonathansierck.de
  5. Tonio Postel: Eine Dreiviertelstunde für Harry. In: Zeit online. 23. November 2007, abgerufen am 18. Februar 2015.
  6. G. Harry McLaughlin: Reading at impossible speeds. In: Journal of Reading. Band 12, Nr. 6, März 1969, S. 449–454, 502–510.
  7. Jochen Musch, Peter Rösler: Schnell-Lesen: Was ist die Grenze... 2011, S. 102.
  8. Martina Ziefle: Lesen am Bildschirm. Waxmann Verlag, ISBN 3-8309-6068-9.
  9. Jochen Musch, Peter Rösler: Schnell-Lesen: Was ist die Grenze... 2011, S. 94.
  10. Evelyn Wood: A New Method of Teaching Reading. In: C. A. Ketcham (Hrsg.): Proceedings of the College Reading Association. Band 2, 1961, S. 58–61.
  11. G. D. Spache: Is this a breakthrough in reading? In: The Reading Teacher. Nr. 15, 1962, S. 258–262.
  12. Jochen Musch, Peter Rösler: Schnell-Lesen: Was ist die Grenze... 2011, S. 99.
  13. Jochen Musch, Peter Rösler: Schnell-Lesen: Was ist die Grenze... 2011, S. 104f.
  14. Schneller lesen - Test Stiftung Warentest. Abgerufen am 1. Februar 2019.
  15. Lesetrainings im Test: Wie Sie zum Schnellleser werden. Stiftung Warentest, 26. Februar 2015, abgerufen am 5. April 2015.
  16. B. L. Brown u. a.: An analysis of the rapid reading controversy. In: J. R. Edwards (Hrsg.): The Social Psychology of Reading. Silver Spring: Institute of Modern Languages, 1981, S. 29–50.
  17. Jochen Musch, Peter Rösler: Schnell-Lesen: Was ist die Grenze... 2011, S. 103.
  18. Keith Rayner, Elizabeth R. Schotter, Michael E. J. Masson, Mary C. Potter, Rebecca Treiman: So Much to Read, So Little Time: How Do We Read, and Can Speed Reading Help?, Psychological Science, 14. Januar 2016
  19. Turbolesen bringt wenig: Schnelllese-Strategien führen zu schlechterem Textverständnis, scinexx.de, 18. Januar 2016