Politisches System
Das politische System, je nach Erkenntnisinteresse und theoretischem Hintergrund auch politisch-administratives System oder politische Architektur eines Staatsgebildes (oder abstrakter: der Weltgesellschaft), ist der Begriff für die Einheit aller politischen Kommunikationsprozesse (bzw. Handlungen). Er umfasst insbesondere alle politischen Institutionen, die Prozesse wie politische Entscheidungen zustande kommen und die Inhalte politischer Entscheidungen.
Das politische System eines Staates wird durch seine Verfassung, die politische Kultur und politischen Eliten bestimmt. Die Bewertung eines politischen Systems umfasst daher nicht allein die Beschreibung der Verfassungswirklichkeit, die formale Beschreibung der Institutionen eines Staates und die Wechselbeziehungen zwischen den Staatsorganen, sondern ebenso die reale Machtverteilung zwischen den Entscheidungsträgern.
Formen politischer Systeme
Klassische Staatsformenlehre
In der Formentheorie politischer Systeme waren bis Anfang des 20. Jhdt. zwei Modellegruppen bestimmend, die sog. Dreiteilung und die sog. Zweiteilung, die ihrerseits jeweils unterschiedliche Aspekte betrachteten:
- Dreiteilung
Die meist mit Aristoteles in Verbingung gebrachte Dreiteilung unterscheidet politische Systeme nach der Zahl der Herrscher (einer, mehrere, viele) und stellt jeder so identifizierten "dem Gemeinwohl nützlichen" Staatsform eine dieser strukturell vergleichbare, jedoch "entartete" Variante gegenüber. [1]
nach Aristoteles | Zahl der Herrschenden | ||
Qualität der Herrschaft | Einer | Wenige | Mehrzahl |
Gut, dem Gemeinwohl dienend |
Monarchie | Aristokratie | Politie |
Entartet, eigennützig |
Tyrannis | Oligarchie | Demokratie |
- Zweiteilung
Wesentlich jünger als die Dreiteilung ist die Zweiteilung in Monarchie und Republik, die - wohl zu Unrecht - Machiavelli zugeschrieben wird, und auf der Engangsausführung in "Der Fürst" beruht, wonach alle Staaten in Geschichte und Gegenwart entweder Republiken oder Monarchien seien. Diese Formentypologie wurde nächst nur verhalten rezipiert, hat sich jedoch mit der zunehmenden Verbreitung des republikanischen Systems seit Anfang des 20. Jhdt. in der Literatur durchgesetzt. [2]
Moderne Kategorisierungen
- Herrschaftsform - Regierungsform
Wegweisend für den Übergang zur modernen Auffassung der Typologie war Immanuel Kant, der Elemente der Dreiteilung (als formaler Aspekt der Herrschaftsform) und der Zweiteilung (als praktische Ausgestaltung einer Regierungsform) miteinander verband und daraus sechs grundlegende politische Systeme unterschied:
nach Kant | Herrschaftsformen (forma imperii) | ||
Regierungsformen (f. regiminis) | Einer (Fürstengewalt) | Einige (Adelsgewalt) | Alle (Volksgewalt) |
Republikanisch | Konstitutionelle Monarchie |
Verfasste Aristokratie |
Demokratischer Verfassungsstaat |
Despotisch | Absolute Monarchie |
Oligarchie | Despotische Demokratie |
- Staatsform - Regierungsform
Auf Basis der Geschichte des 20. Jhdt., insbesondere des Übergangs in den Kalten Krieg, wurde die klassische Typologie zugunsten einer neuen, nicht stets trennscharfen, aber an den realen Machtverhältnissen ausgerichteten Unterscheidung zunehmend abgelöst.
- „Es wird häufig, und nicht nur von Laien, missverstanden, daß Staatsform und Regierungsform nicht dasselbe sind. Ein Staat kann, wie Großbritannien, der Staatsform nach eine Monarchie, der Regierungsform nach eine Demokratie sein, während ein anderer, etwa die Sowjetunion, mit der Staatsform der Republik die Regierungsform der Autokratie oder Diktatur verbindet.“[3]
In der modernen Staatstypologie seit Anfang des 20. Jahrhunderts wird mehrheitlich im Schrifttum unterschieden zwischen:
- Staatsform als formale Organisationsform[4] und „Verfassung“ eines Staates und damit das wichtigste Merkmal der staatlichen Grundordnung. Die Staatsform ist wesentlich sowohl für das innere als auch das äußere Erscheinungsbild des Staates.[5] Der Begriff wird in der Literatur meist allein auf die Monarchie-Republik-Unterscheidung bezogen.[6]
- Regierungsform als Beschreibung der Ausgestaltung der realen Machtverhältnisse im Staat und in der modernen Politiklehre eher orientiert an der Zweiteilung Demokratie und Diktatur.[7][8]
Politisches System: allgemeine politikwissenschaftliche Definition
Das politische System bezeichnet die Gesamtheit jener staatlichen und außerstaatlichen Einrichtungen und Akteure, Regeln und Verfahren, die innerhalb eines abgegrenzten Handlungsrahmens (z. B. eines Nationalstaates) an fortlaufenden Prozessen der Formulierung und Lösung politischer Probleme sowie der Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher politischer Entscheidungen beteiligt sind.[9]
Politische Systemtheorie
Obwohl oft als synonym benutzt, stellt das Konzept des Politischen Systems den wichtigsten Konkurrenzbegriff zum Staat dar, wenn es um die Analyse makropolitischer Einheiten (Länder, Nationalstaaten) geht. Den politischen Handlungsraum als Politisches System aufzufassen, geht u. a. auf den amerikanischen Politikwissenschaftler David Easton zurück. Als erkenntnisleitende Grundfrage formulierte er:
{{Zitat|Wie erreichen es politische Systeme, sich in einer Welt, die zugleich Stabilität und Wandel aufweist, zu behaupten? Die Suche nach einer Antwort wird schließlich aufdecken, was ich den Lebensprozess politischer Systeme genannt habe – d. h. jene fundamentalen Funktionen, ohne die kein System existieren kann sowie jene typischen Reaktionsweisen, durch die Systeme diese Prozesse im Gang halten. Die Untersuchung dieser Prozesse sowie die Beschaffenheit und die Bedingungen dieser Reaktionen halte ich für das zentrale Problem der politischen Theorie.|David Easton|Easton zit. nach Arno Waschkuhn: Politische Systemtheorie, Opladen 1987, S. 55.}
Grundmerkmale des politischen Systems nach Easton
- Das politische System ist ein analytisches Konstrukt.
- Es beruht auf der Vorstellung eines Input-Output-Modells der Politik.
- Das politische System ist Teil des gesamtgesellschaftlichen Systems.
- Es umfasst die Gesamtheit der Institutionen, Prozesse und Akteure, die bindende Entscheidungen für die Gesellschaft hervorbringen.
Dimensionen des Politikbegriffs
- Polity ist die formale Dimension der Politik. Sie umfasst normative, verfassungsrechtliche und institutionelle Grundlagen der Politik und ist weiterhin Handlungsrahmen, in dem politische Prozesse stattfinden. Beispiele für die Polity-Dimension: Verfassung und Verassungsorgane, Staatsform und Staatsaufbau, politische Institutionen, Normen undVerfahrensregeln, also z.B. Regierungsform,Regierungssystem, Realisierung der Gewaltenteilung, Wahlsystem, Parteiensystem, [[Verbändesystem] – und die ihnen zugrunde liegenden politischen Ideen und Ideologien.
- Politics ist die prozessuale Dimension der Politik. Hier finden reale politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse statt, sowie Interessenartikulation und -durchsetzung der politischen Akteure. Wichtig hierbei ist die Konfliktaustragung und Konsensbildung im Kampf um Macht, also auch die Politische Kultur
- Policy ist die inhaltliche Dimension der Politik. Hier werden inhaltliche Ziele, Programme und Maßnahmen zum Gemeinwohl entschieden. Inhaltliche Politikfelder sind z. B. Gesundheitspolitik, Sozialpolitik,Umweltpolitik, Verkehrspolitik.
Siehe auch
- AGIL-Schema
- Liste politischer Systeme (Länder)
- Liste der Staatsformen
- Politisches System der Europäischen Union
- Politisches System Deutschlands
- Politisches System Österreichs
- Politisches System der Schweiz
Literatur
- Alexander Gallus, Eckhard Jesse (Hrsg.): Staatsformen. Modelle politischer Ordnung von der Antike bis zur Gegenwart. Ein Handbuch. Böhlau, Köln/Weimar/Wien, 2007. ISBN 978-3-8252-8343-8
- Manfred G. Schmidt: Demokratietheorien. Eine Einführung. VS Verlag, Wiesbaden, 2010. ISBN 978-3-531-17310-8
- Jürgen Hartmann: Westliche Regierungssysteme: Parlamentarismus, präsidentielles und semi-präsidentielles Regierungssystem. 2., aktualisierte Auflage, VS Verlag, Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14221-6, S. 15 ff. („Das Regierungssystem. Definition, Typologie und politiktheoretischer Hintergrund“).
- Becker/Schmidt/Zintl: Politische Philosophie. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2009.
- Alfred Katz: Staatsrecht. Grundkurs im Staatsrecht. 18. Auflage, C.F. Müller Verlag, Heidelberg 2010, ISBN 978-3-8114-9778-8, S. 23 ff.
Einzelnachweise
- ↑ Vgl. hierzu insb. Alexander Gallus, Eckhard Jesse (Hrsg.): Staatsformen. Modelle politischer Ordnung von der Antike bis zur Gegenwart. Ein Handbuch. Böhlau, Köln/Weimar/Wien, 2007. ISBN 978-3-8252-8343-8 bzw. Manfred G. Schmidt: Demokratietheorien. Eine Einführung. VS Verlag, Wiesbaden, 2010. ISBN 978-3-531-17310-8
- ↑ Vgl. hierzu insb. Gallus, Jesse: Staatsformen, S. 50ff.
- ↑ Karl Loewenstein: Die Monarchie im modernen Staat.Frankfurt a. M. , S. 18
- ↑ Christian M. Piska, Jutta Frohner: Fachwörterbuch Einführung in die Rechtswissenschaften, Facultas Verlag, 2009, ISBN 978-3-7089-0298-2, S. 152.
- ↑ Falco Federmann: Die Konstitutionalisierung der Europäischen Union – Überlegungen vor dem Hintergrund des andauernden europäischen Verfassungsprozesses (= Jean-Monnet-Schriftenreihe; Bd. 7), Josef Eul Verlag, Lohmar/Köln 2007, ISBN 978-3-89936-619-8, S. 24.
- ↑ Vgl. dazu z. B. Karl Loewenstein: Die Monarchie im modernen Staat. Frankfurt a.M. 1952; vgl. auch die umfassende Übersicht bei Erich Küchenhoff, Möglichkeiten und Grenzen begrifflicher Klarheit in der Staatsformenlehre, Berlin 1967, S. 35 ff.
- ↑ Vgl. Peter Schwacke, Eberhard Stolz: Staatsrecht. Mit allgemeiner Staatslehre und Verfassungsgeschichte (= Verwaltung in Praxis und Wissenschaft; Bd. 9), 2. Aufl., Köln 1988.
- ↑ Gelegentlich auch in der Dreiteilung Demokratie, Autokratie und Totalitarismus, vgl. hierzu z. B. Reinhard Kuhn: Politik, in: Hans Ritscher (Hrsg.): Welt der Politik. Lehrbuch der Sozial- und Gemeinschaftskunde, Frankfurt a.M./Berlin/Bonn/München 1967, S. 1–91.
- ↑ Holtmann 1994, S. 517.