Geschichte Anatoliens
Frühgeschichte
Kleinasien ist eine der Wiegen der frühen Hochkulturen der Menschheit. Eine Besiedelung ist archäologisch seit mindestens 13.000 Jahren nachgewiesen (Höhlen in Karain). Der so genannte fruchtbare Halbmond, in dem der bedeutende Übergang zum Ackerbau vollzogen wurde, liegt teilweise im Gebiet der heutigen Türkei; unter anderem die Stadt von Çatal Hüyük, die vor ca. 8.000 Jahren 8 - 10.000 EinwohnerInnen beherbergte, sind ein Zeugnis einer neolithischen (wahrscheinlich matriachalen) Hochkultur. Später siedelten unter anderem Hethiter, Assyrer und Phrygier in Kleinasien, bevor es unter persische, makedonische und schließlich griechische Hoheit fällt. Die Funde von Troja und Pergamon sowie der Artemis-Tempel in Ephesus (eines der Sieben Weltwunder der Antike) sind Beispiele für den archäologischen Reichtum der Region, der aber zu einem großen Teil ins europäische Ausland (besonders nach Deutschland und England) verbracht wurde.
Mittelalter - Osmanisches Reich
Zu Beginn unserer Zeitrechnung gehört Kleinasien zum römischen Reich und Konstantinopel wird 330 Hauptstadt des oströmischen beziehungsweise Byzantinschen Reich. Seit 380 Theodosius I. das Christentum zur Staatsreligion erhoben hat, ist die Stadt Mittelpunkt der Ostkirche und Sitz des einflußreichsten Patriarchen. Byzanz steht einerseits in Konkurrenz zum Weströmischen Reich, andererseits ist es Ziel von Angriffe persischer, hunnischer, germanischer, gotischer, arabischer, bulgarischer und awarischer Armeen. Es hielt sich aber und erstarkte um die Jahrtausendwende.
Ab der Mitte des 11. Jahrhunderts dringen die Seldschuken aus dem Osten vor, eine islamisierte türkische Dynastie aus Transoxanien im heutigen Usbekistan, die zuvor Afghanistan und Teile von Persien erobert hat.
Mit der Schlacht von Mantzikert (1071) bringen die Seldschuken dem Byzantinschen Reich eine verheerende Niederlage bei. In der Folge davon begann im 12. Jahrhundert der Niedergang der Herrschaft des byzantinischen Reiches und der Aufstieg der Seldschuken. Diese haben um 1230 ihre Hochzeit. Danach wird das seldschukische Reich zunehmend durch innere Streitigkeiten aber auch durch Einfälle mongolischer Krieger der Ilkhan-Dynastie (auch sie Muslime) sowie Kreuzfahrern bedroht. Ab 1234 geriet Kleinasien kurzzeitig unter mongolische Hoheit. Zurück blieben türkische Kleinstaaten.

Um 1299 begründete Osman I. (*1259, †1326; reg. 1299-1326) das nach ihm benannte Osmanische Reich und die Osmanen-Dynastie. Seine Nachfolger erkämpften in blutigen Fehden gegen die anderen türkischen Stämme die Vorherrschaft. Sie drangen 1353 bis 1402 auf den Balkan vor. Am 29. Mai 1453 eroberten sie unter Mehmed II. Fatih ("Der Eroberer") Byzanz, das zur Hauptstadt des osmanischen Reiches wird, Sitz der Sultane wurde der neu errichtete Topkapı-Serail. Damit endete das Byzantinische Reich, das sich zuletzt nur noch auf die Stadt Konstantinopel beschränkte (Goldener Apfel).
Die Expansion schreitet in den folgenden fünfzig Jahren voran: Serbien (1459), Griechenland (1461), Bosnien (1463) und Albanien (1479) werden osmanische Provinzen. Das Khanat der Krimtataren (1475) und Moldawien werden Vasallenstaaten des Osmanischen Reichs.
Ab 1460 beanspruchten die osmanischen Herrscher den Titel Kalif (arabisch khalifa = »Nachfolger« (des Propheten Muhammad). 1517 erhielt Selim I. vom letzten nominellen abbasidischen Kalifen in Kairo offiziell das Kalifat übertragen und sah sich damit in der ununterbrochenen Sukzession des bedeutungslos gewordenen frühislamischen Kalifats, was später allgemein anerkannt wurde.
Neuzeit
Das osmanische Reich ist als feudaler Militärstaat in vielen Aspekten vergleichbar mit den sich später entwickelnden absolutistischen Staaten in Europa. Wirtschaftlich wurde es vom Lehnswesen getragen, dem Militär galt das Hauptaugenmerk des Staates. Die Vergabe von Ländereien war an die Teilnahme am Kriegsdienst gebunden, diese Pfründe (Timar) waren nicht vererblich.
Insbesondere den Janitscharen kam eine bedeutende Rolle zu. Zumeist wurden für diese Truppe Jungen aus christlichen Bevölkerungsgruppen rekrutiert. Der oberste Militärrichter hatte auch die höchste Richteramt inne.
Die zweite Säule der osmanischen Herrschaft war der Islam. Mit dem Kalifat haben die Sultane auch die religiöse Macht inne. Die Rechtssprechung bezog sich in erster Linie auf den Islam, konnte aber durch weltliche Gesetze ergänzt werden. Religiöse Minderheiten wie die jüdische und christliche haben eine besondere Stellung: Sie hatten - wie auch andere Gruppierungen im Staat - den Status einer Millet inne und konnten über ihre inneren Angelegenheiten relativ selbständig entscheiden. Ihre Würdenträger hatten eine privilegierte Stellung im osmanischen Staat. Aufgrund dieser relativen Toleranz ist das osmanische Reich Zufluchtsort für verfolgte Minderheiten, besonders Juden, aus Europa.
Das osmanische Reich kontrollierte über lange Zeit die wichtigen Handelsrouten zwischen Asien und Europa sowie das Schwarze Meer und Teile des Mittelmeeres. Handel und Gewerbe überließen die Osmanen aber europäischen Händlern und Mitgliedern ethnischer Minderheiten (besonders Griechen, Armeniern und Juden). Ökonomisch trägt sich das Reich in erster Linie durch Kriegsgewinne und Tributzahlungen aus den unterworfenen Gebieten.
Im 16. Jahrhundert drangen osmanische Truppen weit nach Asien, Afrika und auch nach Europa vor: 1514 bis 1517: besiegte Sultan Selim I. den Safawiden-Schah Ismail von Persien (1514) und erobert Syrien, Palästina, Ägypten und Gebiete Nordafrikas (1516/17). Das Osmanische Reich wurde immer mehr zu einer Weltmacht.
Unter Sultan Süleyman I. dem Prächtige (1520-1566) erlebte das osmanische Reich seine Glanzzeit. In seiner Herrschaftsperiode kamen Kultur, Wissenschaft und Architektur zur Blüte, eine Vielzahl von Bauwerken zeugen auch heute noch von dieser Zeit. Zudem tut sich Süleyman als Feldherr hervor: In der Schlacht von Mohács wurde Ungarn 1526 besiegt. Wien belagerten die Osmanen 1529 vergeblich. Mesopotamien (Irak) geriet ab 1533-36 unter osmanische Herrschaft. Die Eroberung der Insel Zypern folgte 1571. Im gleichen Jahr wurden die Osmanen von den Venezianern und Spaniern in der Seeschlacht von Lepanto entscheidend geschlagen.
Damit zeichnete sich der Niedergang des Osmanischen Reichs ab: 1662 bis 1664 im Österreichisch-türkischer Krieg schlagen österreichische Truppen die Osmanen zurück.
Die ökonomische Basis des Staates bröckelte angesichts der wechselhaften Kriegsverläufen und dem luxeriösen Hofleben ab Ende des 16. Jahrhunderts. Deshalb wurden immer höhere Steuern erlassen und Ländereien verkauft und dann an Bauern zu überhöhten Zinsen weiter verpachtet. Die Folge war eine Landflucht, aber auch Aufstände der verelendeten Bevölkerung. Diese Neuerungen führten zu zunehmenden Widersprüchen, da die Selbstverwaltung der Dorfgemeinschaften durch die staatliche Verwaltung unterlaufen wurden.

Im Frieden von Salona (1671) mußte Venedig Kreta an die Osmanen abtreten, welche die Insel de facto bereits seit 1669 besetzt hielten.
Die (Re-)Christianisierungsmaßnahmen der österreichischen Führung in Ungarn hat dort zu einer Erhebung geführt und die Osmanen kamen den Ungarn 1683 zur Hilfe. Ihr zweiter Vorstoß auf Wien scheiterte. In der Folge gelangen große Teile Ungarns an Österreich. Die Venezianer eroberten 1685 bis 1687 den Peloponnes, mußten diesen aber 1717 wieder an die Osmanen abtreten.
Zerfall des Osmanischen Reiches und Reformbemühungen
Im russisch-türkischen Krieg (1768 bis 1774) gelang den Russen die Vernichtung der türkischen Flotte. Russland erhält die Zusage der freien Handelsschiffahrt auf dem Schwarzen Meer sowie Schutzrechte über die orthodoxe Millet. Zudem verliert das Osmanische Reich mit dem Frieden von Küçük Kaynarca weite Teile in Europa und dem Balkan.
In einem neuen Krieg mit Russland verloren die Osmanen 1787 bis 1792 die Halbinsel Krim an Russland (Friede von Jassy 1792). 1812 wurden Große Gebiete des Hedschas (heute: Saudi-Arabien) osmanisch. Damit gelangen auch die heiligen Stätten des Islam (Mekka und Medina) in osmanischen Besitz. Russland eroberte 1829 die Ostküste des Schwarzen Meeres, Griechenland wurde 1830 unabhängig vom Osmanischen Reich. In den Krimkrieg 1853 - 1856, der formal um die religiösen Minderheiten geführt wurde, traten England und Frankreich auf Seiten des Osmanischen Reiches ein, um eine russische Vorherrschaft zu verhindern. Ergebnis des Krieges waren neben 500.000 Tote auf allen Seiten, unter anderem eine Neuordnung der europäischen Bündnisse und die Entmilitarisierung des Schwarzen Meeres.

Neben den militärischen Niederlagen führte auch der starre Staatsapparat zum Niedergang: mit der aufwendige Lebensführung des Hofstaates und die Vorherrschaft des Militär und eine feudal organisierte Ökonomie, boten kaum eine Basis um angemessen auf die sich im 18. Jahrhundert verändernde weltpolitische Situation zu reagieren. Der auf Weltherrschaft zielende Imperialismus, neue Handelsrouten und die industrielle Produktionsweise in den westeuropäischen Staaten wirkte einen zunehmenden Anpassungsdruck aus. Zudem nehmen europäische Mächte Einfluß auf die christlichen Millets. Die zunehmenden Unabhängigkeitsbewegungen in den Randgebieten zerschlägt das Reich brutal - 100 - 200.000 Menschen werden in diesen Aktionen in der Zeit von 1822 - 1909 ermordet.
Selim III. bemühte sich um 1800 als erster um Reformen des Staates. wurde aber von den Janitscharen abgesetzt. Mahmud II. (1808 - 1839) konnte die Janitscharen ausschalten, und beginnt Reformen in der Verwaltung, der Justiz und im Bildungsbereich. Mit der darauf folgenden Tanzimat-Periode (1839 - 1879) werden grundsätzliche Reformen versucht, die unter anderem auf eine Europäisierung zielten. Unter anderem durch den Bau des Dolmabahçe-Serails als Regierungssitz in İstanbul nach dem Vorbild europäischer Prachtbauten (wie etwa Versailles) und mit einer Verwestlichung der Verwaltung, die Einführung eines bürgerlichen Gesetzbuches (1869) mit Ansätzen zur Umsetzung der bürgerlichen Freiheiten und - auf Druck der jungtürkischen Bewegung - einer Verfassung (1876), die auch ein erstes aus zwei Kammern bestehendes Parlament vorsah.

In diesem Zusammenhang wurde auch die rechtliche Gleichbehandlung nicht-muslimischer Gruppen angestrebt, um den wachsenden europäischen Einfluß zu überwinden. Zudem versuchte der Sultan, seinen Titel Kalif als Oberhaupt der Muslime einzusetzen. Nach innen zielen die Reformen aber auf eine vorsichtige Säkularisierung. Der Staat wurde weiter zentralisiert und der lebenslängliche Kriegsdienst abgeschafft. Die ökonomische Wurzel des Problems wurde aber nicht angegangen: durch weiterhin günstige Zölle wurde der einheimische Markt durch billige Industriegüter in den Ruin getrieben, die Besitzverhältnisse blieben unangetastet, so daß die Massen weiter verelendeten.
Obwohl der Friedensvertrag von Paris (1856) die Unversehrtheit des Reiches garantierte und die Aufnahme in das europäischen Staatensystem vorsah, erwies sich die Tanzimat-Periode als ein Rückschlag. 1875 ist der Staat bankrott, was die Verschuldung im Ausland nach sich zog. Die Verfassung wurde 1878 wieder ausgesetzt. Auch der territoriale Zerfall ging weiter:
Auf dem Berliner Kongress verhandeln die europäischen Großmächte mit der osmanischen Regierung über die Zukunft des Reichs. In der Folge erhalten Serbien, Montenegro und Rumänien die Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich 1877/ 1878. Bosnien wurde von Österreich besetzt; Zypern fällt an Großbritannien, Bulgarien wurde ein autonomes Fürstentum und 1908 ein unabhängiges Königreich. Im 3. Russisch-Türkischen Krieg (1877/1878) wurden die Osmanen erneut von den Russen besiegt. 1881 besetzte Frankreich Tunesien, 1882 England Ägypten.
Jungtürken und Gründung der Republik
Angesichts der Staatsorganisation fehlte sowohl ein Bürgertum als auch die Kapitalakkumulation, die in Westeuropa Grundlage der Industrialisierung und mit der bürgerlichen Revolution auch des Staates waren. Die nationalistische Bewegung im Osmanischen Reich rekutrierte sich in erster Linie aus dem Militär. Seit 1876 wuchs diese jungtürkische Bewegung im Untergrund. Ihr Ziel war die Etablierung eines großtürkischen Nationalstaates. Die Verschwörung der Jungtürken erzwang 1908 von Sultan Abdülhamid II. die Wiedereinführung der Verfassung und die Übertragung der Regierungsgewalt auf Vertreter der nationalistischen Bewegung. 1909 mußte der Sultan nach einem misslungenen Putsch abdanken. Sein Nachfolger und das Parlament hatten kaum noch Einfluss. Aber auch die autokratische Führung, die sich alleine auf Offizierskorps stützte, fand keine Lösungen für die anstehenden Probleme. Auch die Maßnahmen zur Industrieansiedlung (Befreiung von Pacht, Zöllen und Steuern) bleiben erfolglos.
Der Staat wird immer instabiler, noch vor dem 1. Weltkrieg verliert das Reich weitere Gebiete: 1911/1912 verliert es Tripolitanien (das heutige Libyen in Nordafrika) an Italien, und 1912/1913 erlangt Albanien seine Eigenstaatlichkeit. Makedonien gelangte unter serbische beziehungsweise bulgarische Herrschaft. Ende der osmanischen Herrschaft auf europäischem Boden (allein İstanbul und Adrianopel [Rumelien genannt, von "Rom"] verbleiben in osmanischem Besitz).
Als Folge der nationalistischen Politik verlor die Regierung zudem den Rückhalt der Minderheiten - selbst der muslimischen. Gleichzeitig betreibt die Regierung rassistische Propaganda besonders gegen die Armenier und Griechen, die als Verräter diffamiert werden. 1915 veranlaßte die jungtürkische Bewegung die Verhaftung, Deportation und Ermordung armenischer Intellektueller in İstanbul und leitet damit den Völkermord an den Armeniern ein mit über einer Million (bis zu 2,1 Mio.) Ermordeten.
Am 1. Weltkrieg nimmt das Reich an der Seite der Mittelmächte teil und verliert in der Folge weitere Gebiete: Hedschas (1916) und Asir (1917) auf der arabischen Halbinsel (heute: Saudi-Arabien); 1917/1918 besetzten britische Truppen Syrien, Palästina und den Irak. Die Kapitulation von 1918 und der Friedensvertrag von Sèvres, den der Sultan am 10.8. 1920 annimmt, sieht eine massive Einflußnahme der Siegermächten auf die politische und wirtschaftliche Entwicklung Türkei vor, sowie weitere Gebietsabgaben an Griechenland sowie die Bildung eines armenischen und eines kurdischen Staates.
Gegen diese Entwicklung formierte sich politischer und militärischer Widerstand, an dessen Spitze sich ab 1919 der jungtürkische General Mustafa Kemal setzte. Seine nationale Bewegung gewinnt die Wahlen vom Dezember 1919. Nachdem am 16.3.1920 britische Truppen İstanbul besetzt haben, verhafteten sie Mitglieder von Kemals Partei - daraufhin verlegte dieser den Tagungsort nach Ankara, das fortan zur Hauptstadt wurde. Der Befreiungskrieg begann im September 1920 mit dem Angriff auf den neugeschaffenen armenischen Staat, der bis zum Dezember vernichtet wurde. Bis 1922 kämpften die türkischen Truppen gegen griechische Armee, brachten Anatolien (die Halbinsel) unter ihre Kontrolle und vertrieb die griechische Bevölkerung. Ab Dezember 1922 Waffenstillstand.
In der Folge wurde das Militär vor allem im Inneren des Staates eingesetzt, so zum Beispiel zur Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung im Südosten der Türkei. Die kurdische Sprachen und Kultur wurden verboten, die Region systematisch unterentwickelt, was eine massive Landflucht zur Folge hatte. Noch zu Lebzeiten Kemals gab es drei kurdische Aufstände (1925 Scheich-Said-Aufstand, 1930 Ararat und 1938 Dersimaufstand) sie alle wurden brutal niedergeschlagen.

Am 2. November 1922 setzte die Regierung den letzten Sultan Mehmed VI. ( *1861-1926; reg. 1918-1922) ab; sein Nachfolger Abdülmecid II. trug nur noch den Titel eines Kalifen. Der Friedensvertrag von Lausanne(24.7.1923) ersetzte den Vertrag von Sèvres und sicherte der Türkei die staatliche Autonomie zu. Am 29.10. 1923 rief Mustafa Kemal die Republik aus. Am 3.3.1924 wurde der letzte Kalif Abdülmecid II. (*1868-1944; reg. 1922-1924) abgesetzt.
Kemal begann umgehend tiefgreifende Reformen der Gesellschaft die auf die Ausbildung eines modernen Nationalstaat zielen: Einführung eines bürgerlichen Gesetzbuchs nach westeuropäischem Vorbild (1923); Kleidungsordnung (Männer müssen u.a. Hüte tragen) (1925); Verbot traditioneller Kleidung (Fez); Verordnung von Nachnamen (aus einer Liste von türkischen Namen zu wählen), Umzug der Hauptstadt nach Ankara; Berufung der Imame durch den Staat, (1926) die standesamtliche Ehe. Desweiteren führte er unter anderem das metrische System sowie den gregorianischen Kalender ein. 1928 Einführung der lateinischen Schrift. Ab 1932 forcierte die staatliche Sprach-Gesellschaft Türk-Dil-Kurumu die Entwicklung der Sprache, insbesondere durch die Turkisierung auf Grundlage alter Schriften und Erforschung. Die Grundsätze seiner Politik bezeichnete er als die 6 Pfeile (alti ok): Populismus, Nationalismus, Reformismus (Revolutionismus), Laizismus, Republikanismus, Etatismus.
1934 beschloss das Parlament, Mustafa Kemal den Beinamen Atatürk ("Vater der Türken") zu verleihen. Er starb am 10. November 1938. Seine Reformen - auch als Erziehungsdiktatur bezeichnet - haben einen tiefgreifenden sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Wandel erreicht, die das Land bis das Land bis heute prägen. Gleichwohl hatte er Elemente des Osmanischen Reiches nicht angetastet: so die autoritäre Statsführung oder die Vorherrschaft des Militärs und der Beamtenschaft.
Nach Atatürk
Nachfolger im Amt des Staatspräsidenten wurde bis 1950 sein Kampfgefährte und Außenminister Ismet Inönü. Er war ein geschickter Diplomat und erreichte letzte territoriale Veränderungen: Hatay (Sandschak Alexandrette), seit 1920 französisches Mandatsgebiet, wurde 1938 unabhängige Republik und 1939 türkische Provinz (Hauptstadt: İskenderun).
Im Zweiten Weltkrieg blieb die Türkei neutral und erklärte erst zu Kriegsende am 1. März 1945 Deutschland formell den Krieg. Dabei hatte NS-Deutschland (Botschafter Franz von Papen) versucht, das Land auf seine Seite zu ziehen. Inönü hatte 1941 einen Friedensvertrag mit Deutschland geschlossen und dessen Rüstundsindustrie durch Chromlieferungen unterstützt. Gleichzeitig war die Türkei ein wichtiges Land bei der Aufnahme von Emigranten, die teilweise relativ schnell wichtige Positionen in den Universitäten bekamen.
Bis 1945 führte Atatürks republikanische Volkspartei als einzige Partei die Türkei, auch wenn zwischenzeitlich mehrmals kurz Oppositionsparteien erlaubt waren. Inönü ließ ab 1945 Parteigründungen zu und die CHP wurde 1950 von der Demokratischen Partei (DP) unter Adnan Menderes abgelöst.
Die Türkei schließt sich am 18.2. 1952 dem westlichen Bündnissystem an und wird Mitglied der NATO. Am 5. - 6.9.1955 kommt es zum Pogrom gegen die Griechen in İstanbul. Menderes versuchte in seiner Amtszeit von 1950 - 60 die Industrialisierung zu forcieren. Das hatte zur Folge, dass Auslandschulden und Inflation anstiegen. Zudem wurde dem Islam wieder eine größere Rolle im öffentlichen Leben zugestanden. 1960 proklamierete er ein Ermächtigungsgesetz, um den wachsenden Widerstand auszuschalten. Er setzte auch den Oberbefehlshaber Cemal Gürsel ab, was diesen zum Putsch veranlaßt. Menderes wird am 17. September 1961 auf Imrali hingerichtet. Inönü wird 1961 - 65 Ministerpräsident.
Die politische Situation in der Türkei seit den 1960er Jahren schien relativ verwirrend, da sie von stark wechselnden Mehrheiten, Neuwahlen, Parteineugründungen beziehungsweise -umbenennungen und der Drohungen des Militärs zur Machtübernahme gekennzeichnet wird. Diese innere Instabilität macht die Türkei anfällig für ausländische Einflüsse, insbesondere der NATO aber auch der Weltbank und des IWFs.
Gleichwohl bleiben unter wechselnden Mehrheiten 4 Strömungen mit 4 Männern an ihrer Spitze an der Führung des Staates:
- Der inzwischen sozialdemokratische Kemalismus der CHP (Republikanische Volkspartei) von Bülent Ecevit (* 1925) Ministerpräsident in den Jahren 1974 - 75; 1978 - 79,
- Die Konservative Strömung der AP (Gerechtigkeitspartei, ehemals DP inzwischen DYP (Partei des Rechten Weges)) unter Süleyman Demirel (1924 - ) - Ministerpräsident 1965 - 1971, 1975 - 1977; 1979 - 1980, 1991 - 1993; Staatspräsident seit 1993
- die wirtschaftsliberalistische Politik von Turgut Özal (1923 - 1993). Er wurde 1983 bis 1989 Ministerpräsident und 1989 - 93 Staatspräsident.
- schließlich bleibt das Militär eine eigenständige Macht, die mit Kenan Evren (* 1918) ab 1980 das Amt des Staatspräsidenten inne hat.
Der politische System in der Türkei sieht - unter anderem aufgrund der Reformen Evrens - für den Staatspräsidenten eine starke Position vor, die häufig zu Konflikten mit der Regierung führt. Das Parlament selbst hat nur eine untergeordnete Funktion und eine Kontrolle über die Machtausübung findet häufig nicht angemessen statt. Entsprechend erscheinen regelmäßig Korruptionsvorwürfe und Berichte über die Verwicklung staatlicher Stellen in mafiöse Machenschaften wie auch die Unterstützung der terroristischen Konterguerilla. Auch die Menschenrechte stehen immer wieder zur Disposition, Folter und Zensur und auch politische Morde stehen lange Zeit an der Tagesordnung. Insbesondere die Unterdrückung der kurdischen Minderheit und der Kampf gegen die PKK, die 1978 gegründet wurde, sind für das Ausland Kennzeichen der Menschenrechtsverletzungen der Türkei.
Die traditionelle Rivalität zwischen Griechenland und der Türkei besteht insbesondere in Gebietsstreitigkeiten (besonders in Zypern) fort und eskaliert periodisch. 1974 Einen Höhepunkt findet die Auseinandersetzung, nachdem die griechischen Zyprioten im Juli versuchen, Zypern dem obristisch geführten Griechenland anzuschließen. In der Folge besetzen türkische Truppen am 20.7. den Nordteil der Insel. Die Zypernkrise droht immer wieder zu eskalieren, wird aber immer wieder diplomatisch (durch NATO, EU und UNO) befriedet. In der Folgezeit gibt es sowohl in der Zypernfrage als auch an anderen Punkten wie der Erdölförderung in der Ägäis immer wieder zu Spannungen zwischen den Nachbarn.
Ende der 1970er Jahre eskaliert der Terror vor allem gegen Intellektuelle und Linke, aber auch gegen Vertreter des Staates. Am 12.9. 1980 ergriffen die Militärs die Macht erneut. Generalstabschef Kenan Evren (* 1918) wurde Staatspräsident und verbietet alle politischen Parteien wie auch den progressiven Gewerkschaftsverband DİSK. Die Junta ging heftig gegen die kurdischen Autonomisten und linke Oppositionelle vor. Am 7.11. 1982 wurde die von den Militärs vorgelegte neue Verfassung wird in einer Volksabstimmung angenommen. Am 15.11. 1983 proklamierte der seit 1974 von türkischen Truppen besetzte Nordteil der Insel Zypern seine Eigenstaatlichkeit unter der Bezeichnung "Türkische Republik Nordzypern".
1983 ließ die Junta die Gründung von Parteien zu; Evren blieb bis 1989 gewählter Präsident. Die Wahl am 11.1983 gewann Turgut Özals Mutterlandspartei (ANAP) die absolute Mehrheit, Özal führte neoliberalen Reformen zur Stabilisierung der Wirtschaft durch.
Außer in einigen kurdischen Provinzen wurde 1984 bis 1986 das Kriegsrecht sukzessive aufgehoben. Am 27.3.1987 kam es zu erneuten Spannungen mit Griechenland wegen Erdölförderungen in der Ägäis.
Aktuelle Situation
Zu Beginn der 1990er Jahre bleiben die alten Parteien an der Macht. 1991 wurde die DYP stärkste Kraft und Demirel Ministerpräsident. Nach Özal Tod im Mai 1993 übernahm er das Amt des Staatspräsidenten bis 2000. Ihm folgte Tansu Çiller als Partei- und Regierungscheffin (bis 1996). Özals Kronprinz Mesut Yılmaz von der ANAP und Çiller kämpften Mitte der 1990er Jahren um die Macht, wobei das Versagen des Parlamentarismus offenkundig wurde. So weigerte sich Demirel im Juni 1997 Çiller mit der Regierungsbildung zu beauftragen und machte statt dessen Yılmaz zum Ministerpräsidenten.
Mitte der 1990er Jahre stieg die Unzufriedenheit der Bevölkerungen mit der Regierung und den etablierten Parteien stark und alte Splitterparteien beziehungsweise neue Parteien konnten bei den Wahlen seitdem große Erfolge erlangen. So wurde die islamistisch-fundamentalistische RP (Wohlfahrtspartei) im Dezember 1995 stärkste Fraktion. Der Führer der RP, Neçmettin Erbakan (* 1926) bildet im Juni 1996 eine Koalitionsregierung. Mit seiner Politik geriet er in Widerspruch zu der von Kemal Atatürk begründeten laizistischen Staatsdoktrin, als deren Stützen sich vor allem die Militärs sehen. Am (30.6.) 1997: Neçmettin Erbakan mußte auf Druck der Militärs zurücktreten.
Nach einer kurzen Regierungsphase (Juni 1997 - November 1998) von Mesut Yılmaz wurde Ecevit (zu dieser Zeit in der DSP (Demokratische Links Partei)) unter wechselnden Koalitionen zusammen mit der ANAP, der DYP und der rechtsextremen MHP (Partei der Nationalen Bewegung) bis 2002 zum Ministerpräsidenten.
Nach den Wahlen am 3. November 2002 löste eine neue Regierung unter der Führung der islamisch verwurzelten AKP [Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung AKP Ministerpräsident wurde zunächst Abdullah Gül. Der Führer und wichtigste Mann der AKP Recep Tayyip Erdoğan durfte dieses Amt nicht übernehmen, da er 1998 wegen der "öffentlichen Äußerung islamistischer Parolen" (Zitierung eines religiösen Gedichts, welches aber auch zur Pflichtlektüre in den Schulen gehört) verurteilt und vorbestraft wurde. Erst nach Änderung von Gesetzen (Abschaffung des Verbots der politischen Tätigkeit von dieser Art verurteilten) konnte er durch eine Nachwahl am 9. März 2003 in der Provinz Siirt am 11. März 2003 das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen.
Die politischen Querelen und die vor allem wirtschaftsliberalistisch orientierten Programmen führten in den 1990er Jahren zu einer weiterhin hohe Inflation und Massenarbeitslosigkeit. Im August 1999 hob die Regierung Ecevit das zwischenzeitig verhängte Politikverbot gegen Erbakan auf, um die Zustimmung seiner Fraktion zu einer Verfassungsreform zu erhalten und darüber internationale Kredite über den IWF zu erlangen.
Auch das verheerende Erdbeben, das am 17.8.1999 İzmit und die Marmararegion verwüstete, legte mit İstanbul auch die größte Wirtschaftszone der Türkei lahm. Rund 20.000 Menschen starben auch in Folge der mangelhaften Einhaltung der Bauvorschriften. Vor allem die ärmsten Bevölkerungsteile leiden bis heute unter den Folgen.
Die Regierung Ecevit versuchte mit Privatisierungen der Staatbetrieben wie auch der Bekämpfung der Korruption die Wirtschaft zu stabilisieren. Mitte 2000 wurden bei Wirtschaftsprüfungen bei mehreren Banken aber massive Manipulationen wie Steuerhinterziehung und Veruntreuung entdeckt, was zu einem Börsencrash führte. Die eingeleitete staatliche Kontrolle der Banken konnte die Kapitalflucht aber nicht bremsen. Querelen zwischen Staats- und Ministerpräsidenten über Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption führten im Frühjahr 2001 erneut zu einer massiven Abwertung der türkischen Lira. Massenproteste und polizeiliche Repression dagegen waren eine Folge.
Seit die Türkei am 14.4.1987 in Brüssel offiziell um Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft (EG) ersucht hatte, kommen aus Europa immer neue Forderungen, die Grundlage für eine Aufnahme sein sollen. Dabei ging es einerseits um Garantien für die Umsetzung von Menschenrechten, andererseits aber um politische und wirtschaftliche Einflußnahme. Am 1.1.1996 trat die Zollunion zwischen der Türkei und der Europäischen Union (EU) in Kraft, am 6.10.1999 befürwortete das Europäische Parlament prinzipiell eine Kandidatur der Türkei als Mitgliedsstaat der Europäischen Union (EU). Vor allem die deutsche Bundesregierung verzögerte aber die Gespräche. Die individuelle Freizügigkeit, die die EU der Bevölkerung ihrer Mitgliedsstaaten garantiert, blieben bislang bei den Verhandlungen ausgeklammert.
Die Türkei ist eng eingebunden in die NATO. Im Zweiten Golfkrieg 1990 stellt sich die Türkei auf die Seite der USA und ihrer Alliierten und damit gegen den Irak. Im Krieg gegen den Irak im Jahre 2003 verweigerte die Türkei den USA und ihren Verbündeten die Nutzung ihrer Militärbasen. Vorangegangen waren Bestrebungen der türkischen Armee bei einer Invasion in den kurdischen Teil des Iraks einzumarschieren, was international auf Ablehnung gestoßen war. Am 15. und 20.11.2003 töten in İstanbul vier Anschläge gegen Synagogen, das britische Konsulat und eine britische Bank 50 Menschen und verletzten etwa 600. Zu den Anschlägen bekannte sich eine türkische Al-Qaida-Zelle mit dem Namen IBDA/C ("Front der Vorkämpfer für den Großen Islamischen Osten").
Am 21.1.2000 unternahm die Türkei den Versuch, mit verschiedenen Abkommen ihr traditionell gespanntes Verhältnis zu Griechenland zu normalisieren. Seit 2001 gab es erstmals Fortschritte bei den von den Vereinten Nationen betriebenen Verhandlungen Annäherungen zur Lösung der Zypernfrage. Der UN-Plan sieht eine Konföderation der beiden Teile nach dem Muster der Schweiz vor. Er sollte vor Beitritt Zyperns zum 1. Mai 2004 von beiden Seiten unterzeichnet werden. Die türkische Seite unter Denktaş zeigte sich bislang aber nicht bereit und lehnte auch ein von der UN gefordertes Referendum ab. Darauf kam es zu massiven Protesten der türkischen Zyprioten, die wohl mehrheitlich für eine Wiedervereinigung sind. Als Reaktion öffnete Denktaş überraschen die Grenze zum griechischen Teil und ermöglichte so gegenseitige Besuche, die seit gut 30 Jahren nicht möglich waren. Am 24. April 2004 scheiterte der UN-Plan bei einem Referendum im griechischen Teil der Insel vorerst.
Im August 1996 beendete das Parlament den Ausnahmezustand in den Kurdenprovinzen, erteilt der Armeeführung jedoch erweiterte Vollmachten bezüglich militärischer Einsätze, Verhaftungen und Zensur in allen Provinzen des Landes. Ein Waffenstillstandsangebot der PKK lehnte die türkische Armeeführung im Januar 1997 ab; am 14.5.97 drangen türkische Verbände bis zu 200 km in die Kurdengebiete im Nordirak ein. Am 16.2. 1998 spürten Agenten des türkischen Geheimdienstes Abdullah Öcalan, Führer der kurdischen PKK, in Kenia auf und in verbrachten ihn in die Türkei. Am 25.11.1999 wurde das Todesurteil gegen ihn ausgesprochen. Das Urteil wurde nicht vollstreckt. Die offizielle Anwärterschaft auf die Mitgliedschaft aus der EU führte zu einer zumindest oberflächlichen Kurskorrektur der Menschenrechtspolitik.
Am 3.10.2001 beschließt das Parlament ein neues Bürgerliches Gesetzbuch, das eine Stärkung der Demokratie, der Menschenrechte und auch eine Gleichstellung von Männern und Frauen vorsieht. Am 31.7.2003 schränkte das Parlament den politischen Einfluß des Militärs ein. Trotz dieser politischen Erfolge gibt es bis heute schwere Menschenrechtsverstöße, namentlich Folter und Beschneidung demokratischer Rechte, in der Türkei.
Literatur
- K. Kreiser: Kleines Türkei Lexikon, München: Beck, 1992.
- E. Schmitt (Hrsg.): Türkei. Politik - Ökonomie - Kultur, Rieden: Mundo, 1988.
- U. Steinbach: Geschichte der Türkei, München: Beck, 2000.