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Threshold-Modell

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Schwellenwert der Temperatur bei der Geschlechtsentwicklung von Schildkröten

Das Threshold-Modell (Schwellenwertmodell) ist ein mathematisches Modell, bei dem sich ab einem Schwellenwert das Ergebnis der Modellberechnung stark ändert.

Das Konzept der Schwellenwerte in biologischen Systemen wurde erstmals in den 1930er Jahren untersucht, insbesondere von Sewall Wright zur Erklärung diskreter Merkmale wie der Anzahl von Zehen bei Meerschweinchen. Ab den 1960er Jahren wurden die Modelle von Douglas Scott Falconer auf quantitative Merkmale und Erbkrankheiten ausgeweitet.[1] Moderne Anwendungen und Erweiterungen stammen u. a. von Axel Lange und Kollegen (2018).

In der Radiologie und im Strahlenschutz wird es, neben dem LNT-Modell und der Hormesis, zur Beschreibung der Auswirkungen von ionisierender Strahlung auf die Entstehung von Krebs verwendet.[2] In der Pharmakologie und Toxikologie wird es eingesetzt, um Schwellenwerte einer Wirkstoffgabe in der Dosis-Wirkungs-Beziehung zu erklären,[3] z. B. beim NOEL und beim NOAEL. In der Medizin wird es bei der Entscheidung über Verfahren eingesetzt.[4] In der Genetik wurde 1934 die Bildung eines zusätzlichen Zehs an den hinteren Füßen von Meerschweinchen von Sewall Wright mit dem Modell erklärt, die nicht zu den bekannten Modellen eines dominant-rezessiven oder intermediären Erbgangs passten.[5][6] Erweiterungen des Modells wurden ab 1960 von Douglas Scott Falconer[7][8][9][10] und 2018 von Axel Lange und Kollegen beschrieben.[11] In der Mathematik gehört die Segmentierte Regression und einige nichtlineare autoregressive Modelle, die für Zeitreihenanalyse formuliert wurden,[12] zu den Schwellenwertmodellen.

Mathematische Aspekte

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  • Schwellenwertmodelle lassen sich mit Segmentierte Regression oder nichtlinearen autoregressiven Modellen für Zeitreihenanalyse mathematisch beschreiben.[13]
  • Sie eignen sich zur Modellierung von Systemen mit diskreten Übergängen, z. B. beim Eintreten bestimmter biologischer oder medizinischer Ereignisse.
  • Radiologie und Strahlenschutz: Abschätzung des Krebsrisikos bei Strahlenexposition.
  • Pharmakologie: Bestimmung von Minimal- oder Maximaldosen (NOEL/NOAEL).
  • Medizin: Entscheidungsunterstützung bei Therapieoptionen.
  • Genetik: Erklärung diskreter Merkmale in Populationen.
  • Ökologie: Vorhersage von Populationsreaktionen auf Umweltstressoren.
  • Agrarwissenschaft: Züchtungsprogramme für Merkmale mit Schwellencharakter.

Erweiterungen und Forschung

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  • Quantitative Schwellenwertmodelle für polygenetische Merkmale.
  • Kombination von genetischen und Umweltfaktoren, um das Auftreten bestimmter Merkmalsausprägungen vorherzusagen.
  • Anwendung in der Evolutionstheorie, z. B. zur Analyse der Selektion auf diskrete Merkmale.[14]

Einzelnachweise

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  1. Falconer 1960, 1965, 1967
  2. D. Costantini, B. Borremans: The linear no-threshold model is less realistic than threshold or hormesis-based models: An evolutionary perspective. In: Chemico-biological interactions. Band 301, März 2019, S. 26–33, doi:10.1016/j.cbi.2018.10.007, PMID 30342016 (Review).
  3. Calabrese, E.J.; Baldwin, L.A. (2003). "The Hormetic Dose-Response Model Is More Common than the Threshold Model in Toxicology". Toxicological Sciences. 71 (2): 246–250. doi:10.1093/toxsci/71.2.246. PMID 12563110.
  4. J. D. Lurie, H. C. Sox: Principles of medical decision making. In: Spine. Band 24, Nummer 5, März 1999, S. 493–498, doi:10.1097/00007632-199903010-00021, PMID 10084191 (Review).
  5. S Wright: An Analysis of Variability in Number of Digits in an Inbred Strain of Guinea Pigs. In: Genetics. 19. Jahrgang, Nr. 6, 1934, S. 506–36, doi:10.1093/genetics/19.6.506, PMID 17246735, PMC 1208511 (freier Volltext).
  6. S Wright: The Results of Crosses between Inbred Strains of Guinea Pigs, Differing in Number of Digits. In: Genetics. 19. Jahrgang, Nr. 6, 1934, S. 537–51, doi:10.1093/genetics/19.6.537, PMID 17246736, PMC 1208512 (freier Volltext).
  7. ch18, "Threshold characters", Introduction to Quantitative Genetics, Falconer 1960
  8. "The inheritance of liability to certain diseases, estimated from the incidence among relatives", Falconer 1965
  9. "The inheritance of liability to diseases with variable age of onset, with particular reference to diabetes mellitus", Falconer 1967
  10. "D. S. Falconer and Introduction to Quantitative Genetics", Hill & Mackay 2004
  11. A. Lange, H. L. Nemeschkal, G. B. Müller: A threshold model for polydactyly. In: Progress in biophysics and molecular biology. Band 137, September 2018, S. 1–11, doi:10.1016/j.pbiomolbio.2018.04.007, PMID 29739620 (Review).
  12. H. Tong: Non-linear Time Series: A Dynamical System Approach, 1990, OUP. ISBN 0-19-852224-X.
  13. H. Tong 1990
  14. Chevin & Lande 2013