Smart Circular Bridge

Smart Circular Bridge (SCB) ist ein von der EU gefördertes Projekt zum Bau von zwei Fußgänger- und Fahrradbrücken aus Flachsfasern. Die erste Brücke wurde 2022 in Almere eingeweiht, eine zweite in Ulm 2025.
Das Projekt wird von der Technischen Universität Eindhoven in Zusammenarbeit mit 14 Projektpartnern geführt und soll zeigen, dass es möglich ist, Brückenbau klimafreundlich, bio-basiert und zirkulär zu schaffen.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]2016 wurde der Vorläufer der Smart Circular Bridges auf dem Gelände der Technischen Universität in Eindhoven als Teil eines Forschungsprojekts errichtet.[1] Im Rahmen des von 2020 bis 2023 von der EU geförderten Projekts „Smart Circular Bridge“ waren ursprünglich Standorte für Brücken in den niederländischen Städten Almere und Bergen op Zoom sowie in Ilsfeld vorgesehen.[2] Tatsächlich umgesetzt wurden Brücken in Almere und in Ulm.
Die erste Smart Circular Bridge in Almere hat eine Spannweite von 15 Metern und enthält rund 3,2 Tonnen Flachsfasern. Sie wurde am 22. April 2022 auf der internationalen Gartenbauausstellung Floriade eröffnet.
Die zweite Brücke wurde in der Altstadt von Ulm realisiert und am 7. Februar 2025 eröffnet.[3] Mit einer Länge von 9 Metern und einer Breite von 5,34 Metern überspannt sie die Kleine Blau in der Nähe des Ulmer Münsters. Beim Herstellungsprozess des ersten Brückenkörpers kam es zu einem technischen Problem. Aufgrund einer neuen Materialmischung mit einem höheren Rezyklatanteil als bei der Brücke in Almere wurde das Harz beim Aushärten zu warm – und die Naturfasern deshalb zu spröde. Der Brückenkörper musste neu gebaut werden. Die Materialzusammensetzung wurde im Rahmen des Forschungsprojekts optimiert und eine neue Konstruktion gewählt. Der neue Brückenkörper wurde auf eine Belastung von 24 Tonnen geprüft. Er ist so ausgelegt, dass auch Fahrzeuge der Stadtverwaltung darüber fahren können.
Der Bau wurde vom Bund der Steuerzahler zunächst kritisiert, da die Kosten von ursprünglich kalkulierten € 330.000 auf € 880.000 angestiegen sind.[4] Bei der Kritik, die der SWR aufgriff, wurde außer Acht gelassen, dass der Unterbau der Brücke umfangreicher als erwartet saniert werden musste. Der Zustand des Fundaments konnte erst nach dem Abbau der alten Brücke genau analysiert werden. Zu Buche schlug auch der Bau des zweiten Brückenkörpers. Die Stadtverwaltung von Ulm hat die Zahlen zur Brücke transparent aufgeschlüsselt und mit weiteren Hintergrundinformationen veröffentlicht. Im Vergleich zu einer konventionellen Brücke kam es zu Mehrkosten in Höhe von € 150.000.[5]
Material und Produktionsprozess
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ein Bioverbundwerkstoff aus Flachs, speziellen Kunststoffen und Harz ergibt einen leichten und stabilen Werkstoff, der in seinen Eigenschaften etwa mit Aluminium oder Stahl vergleichbar ist. Die Naturfasern sorgen für Festigkeit, und das Bioharz verbindet die Fasern miteinander.[6][7][8][9][10]
Die erste Smart Circular Bridge in Almere wurde als komplettes Element im Vakuuminfusionsverfahren hergestellt. Im ersten Schritt wird eine Negativform des Brückenelements mit Matten aus Flachsfasern ausgelegt. Darauf werden mit Flachsmatten abgedeckte Blöcke aus Polyurethanschaum (35 kg/m 3) dicht an dicht platziert. Das gesamte Paket wird nochmals mit Flachsmatten und einem Vakuumbeutel umwickelt. Nach dem Absaugen der Luft sorgt das entstehende Vakuum dafür, dass das Polymer kontrolliert einfließen und alle Hohlräume ausfüllen kann. Im Verlauf dieses Infusionsprozesses werden alle Blöcke kraftschlüssig miteinander verbunden. Die Aushärtung des Polymers dauert etwa einen Tag.[7]
Die zweite SCB-Brücke in Ulm ist aus einer Bodenplatte, 8 Hauptträgern, 3 Querspanten und einer Deckplatte aufgebaut. Die einzelnen Bauteile wurden im Vakuuminfusionsverfahren hergestellt und anschließend verschraubt beziehungsweise verklebt.[11] Im Sinne einer Kreislaufwirtschaft kamen bei der Herstellung auch Blöcke aus recycelten PET-Flaschen zum Einsatz. Ebenso wurde Bongossi-Holz aus einer abgebrochenen alten Brücke in Ulm als Handlauf weiterverwendet. Das Brückengeländer besteht aus mit Harz ummantelten Flachsfasern, das per Roboter hergestellt wurde.
Überwachung durch Sensoren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Da das Langzeitverhalten des Bioverbundwerkstoffs erst seit 10 Jahren erforscht wird, unter anderem mit intensiven Bewitterungstests, werden die Brücken über eingebaute Sensoren überwacht.[12] Ein sogenanntes Structural Health Monitoring (SHM) überwacht ständig die Struktur der Brücken und ihr Materialverhalten, bewertet aber auch ihren Grad der strukturellen Sicherheit über Accelerometer sowie faseroptische Sensoren (FBGs).[13] Knapp 100 Sensoren in der Brücke in Almere sowie 42 Sensoren in der Brücke in Ulm liefern Echtzeitdaten zum Materialverhalten in verschiedenen Belastungssituationen im Alltag. Diese Daten werden kontinuierlich gesammelt und von Wissenschaftlern unter anderem mit Künstlicher Intelligenz (KI) ausgewertet. Die Beschleunigungssensoren erfassen selbst feinste Schwingungen, die etwa durch Wind entstehen.[6] Gleichzeitig können Ingenieure mit diesen Daten ihre Berechnungs- und Materialmodelle verfeinern.
Die Almere-Brücke hat ein öffentliches Dashboard, das jederzeit mit Live-Überwachungsdaten aktualisiert wird.[14] Dies wird bei der Brücke in Ulm ebenfalls eingesetzt.[15]
Die Brücke als Musikinstrument
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Daten der Sensoren in der Ulmer Brücke werden auch per "Künstlicher Intelligenz" (KI) für ein Klangkunst-Projekt genutzt:[11] Mit Accelerometern werden die Schritte von Passanten musikalisch hörbar gemacht, mit faseroptischen Sensoren die Belastungen sowie Verformungen z. B. bei Sonnenschein - solche Verformungen gibt es bei allen Brücken.
Das Ziel des Klangkunst-Projekts ist es, diese kontinuierlichen Veränderungen für Passanten erlebbar zu machen. Kleine Lautsprecher an der Brücke sorgen für die Klänge vor Ort. Über eine Audio Web App werden die Klänge per Internet zugänglich gemacht. Die Web-App liefert außerdem Hintergrundinformationen zum Material und zur Brücke.[11]
Projektpartner
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- TU/e, Eindhoven University of Technology (Niederlande), Lead Partner
- Centre of Expertise Biobased Economy (Niederlande)
- KU Leuven (Belgien)
- Forschungsgruppe BioMat unter Leitung von Hanaa Dahy, Universität Stuttgart (Deutschland)
- Vrije Universiteit Brussel (Belgien)
- 24SEA (Belgien)
- Com&Sens (Belgien)
- FiberCore Europe (Niederlande)
- FibR (Deutschland)
- Lineo - groupe NatUp fibres (Frankreich)
- Proesler Kommunikation (Deutschland)
- Van Hattum en Blankevoort (Niederlande)
- Gemeente Almere (Niederlande)
- Gemeente Bergen Op Zoom (Niederlande)
- Stadt Ulm (Deutschland)
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Brücke aus Hightech und Flachs, forschung leben – das Magazin der Universität Stuttgart, Oktober 2022
- Die "Smart Circular Bridge": Eine unkonventionelle Fußgängerbrücke für die kleine Blauinsel
- Smart Circular Bridge Ulm. Listen to the live sound
- Smart Circular Bridge for a circular built environment
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Rijk Blok MSc, Joris Smits PhD, Rafail Gkaidatzis MSc, Patrick Teuffel Prof. Dr-Ing: Bio-Based Composite Footbridge: Design, Production and In Situ Monitoring. In: Structural Engineering International. Band 29, Nr. 3, 3. Juli 2019, ISSN 1016-8664, S. 453–465, doi:10.1080/10168664.2019.1608137 (tandfonline.com [abgerufen am 6. Februar 2025]).
- ↑ Hanaa Dahy: Smart Circular Bridge for a Circular Built Environment, University of Stuttgart, Institute of Building Structures and Structural Design.
- ↑ Baden-Württemberg: Teures Vorzeigeprojekt: Ulmer "Ökobrücke" eröffnet. In: tagesschau.de. 7. Februar 2025, abgerufen am 20. Februar 2025.
- ↑ Eine Hochzeit mit Hindernissen: Die 880.000 Euro teure Ökobrücke ist in Ulm angekommen. SWR Aktuell, 29. Oktober 2024, abgerufen am 20. Februar 2025.
- ↑ Gerrit Bernstein: Die "Smart Circular Bridge": Eine unkonventionelle Fußgängerbrücke für die kleine Blauinsel. Abgerufen am 6. Februar 2025 (deutsch).
- ↑ a b Interreg North-West Europe Smart Circular Bridge [Pressemitteilung]: Innovationen für den Klimaschutz: High-Tech-Brücke mit Flachs gebaut. 7. April 2022.
- ↑ a b Smart Circular Bridge (SCB) for pedestrians and cyclists in a circular built environment. In: nweurope.eu. Abgerufen am 2. Dezember 2024.
- ↑ Brücke aus Hightech und Flachs. In: Universität Stuttgart. Abgerufen am 2. Dezember 2024.
- ↑ Ali Shahmirzaloo, Marco Manconi, Bart van den Hurk, Bowen Xu, Rijk Blok, Patrick Teuffel: Numerical and experimental validation of the static performance of a full-scale flax fiber-polyester composite bridge model to support the design of an innovative footbridge. In: Engineering Structures. Band 291, 15. September 2023, ISSN 0141-0296, S. 116461, doi:10.1016/j.engstruct.2023.116461 (sciencedirect.com [abgerufen am 6. Februar 2025]).
- ↑ Hossein Abdollahiparsa, Ali Shahmirzaloo, Patrick Teuffel, Rijk Blok: A review of recent developments in structural applications of natural fiber-Reinforced composites (NFRCs). In: Composites and Advanced Materials. Band 32, 1. Januar 2023, ISSN 2634-9833, S. 26349833221147540, doi:10.1177/26349833221147540 (sagepub.com [abgerufen am 6. Februar 2025]).
- ↑ a b c Flachsbrücke Ulm. Abgerufen am 6. Februar 2025.
- ↑ Smart Circular Bridge in Almere, auf: detail.de vom 20. Mai 2022.
- ↑ Interreg North-West Europe Smart Circular Bridge: Neue Werkstoffe für den Brückenbau [Flyer]. 17. Februar 2023 (nweurope.eu [PDF]).
- ↑ Almere Bridge SHM Dashboard. Abgerufen am 2. Dezember 2024.
- ↑ Grafana. Abgerufen am 6. Februar 2025.