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Schloss Gaillon

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Luftaufnahme des Schlosses Gaillon

Schloss Gaillon (französisch Château de Gaillon) ist eine Residenz der Renaissance auf dem Gelände einer mittelalterlichen Burg in der Gemeinde Gaillon im französischen Département Eure in der Normandie. Die Anlage gilt als eines der frühesten Beispiele italienisch inspirierter Architektur in Frankreich und war im 16. Jahrhundert der prunkvolle Sitz der Erzbischöfe von Rouen[1] und steht vollständig unter Schutz als historisches Denkmal Monument historique.[2]

 Karte
   Legende
⚫ Rouen
🟥 Château Gaillard
🟦 Gaillon
⚫ Vernon

Von der Terrasse aus bietet sich ein weiter Blick über das Tal bis Vernon (Eure). Die Lage auf einem Sporn des Plateaus verlieh der Anlage eine beherrschende strategische Position.

Vom Grenzkastell zur Sommerresidenz der Erzbischöfe von Rouen

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Gaillon wird erstmals 1025 erwähnt, als Richard II. genannt der Gute Herzog der Normandie das Gebiet der Abtei Saint-Ouen in Rouen übertrug.[1]

Im Jahr 1192 gelangte Gaillon im Rahmen eines Abkommens zwischen Philipp II. August, König von Frankreich, und Johann Ohneland, König von England und Herzog der Normandie, unter französische Kontrolle. Damit fiel Gaillon – wie auch der normannische Vexin und weitere Befestigungen, darunter Évreux – in den Besitz der französischen Krone. Johann Ohneland handelte zu dieser Zeit als Stellvertreter seines gefangenen Bruders Richard Löwenherz.

Nach Richards Freilassung und seiner Rückkehr in die Normandie im Jahr 1194 besiegte er den Kapetinger bei der Schlacht von Fréteval und gewann Teile des Vexin zurück. Zwei Jahre später musste er jedoch Gaillon und Vernon im Vertrag von Gaillon (1196) an Philipp II. abtreten. Der französische König übergab die Verteidigung der Festung dem Söldnerführer Lambert Cadoc, dem er das Lehen 1197 als Belohnung für seine militärischen Verdienste verlieh.

Um seine Grenzstellung entlang der Seine zu sichern, ließ Richard Löwenherz daraufhin auf der gegenüberliegenden Uferseite, bei Les Andelys, das mächtige Château Gaillard errichten. Gaillon blieb endgültig im Besitz der Krone, als der Vertrag von Le Goulet im Jahr 1200 geschlossen wurde.[3] Diese Eingliederung ging der Einnahme von Les Andelys, dem Fall von Rouen und dem Ende des normannischen Herzogtums Normandie und dessen vollständige Eroberung durch das Königreich Frankreich (1204) voraus.

Lambert Cadoc blieb von 1197 bis 1220 Herr von Gaillon.[4][5] Danach ließ Philipp II. die Burg mit Gewalt zurückerobern und Cadoc inhaftieren, nachdem sich zahlreiche Bewohner über seine Plünderungen in Pont-Audemer beschwert hatten, wo er als königlicher Bailli amtierte.[6]

Kardinal Georges d'Amboise hinter König Ludwig XII.

1262 erwarb Eudes Rigaud (Erzbischof von Rouen) die Burg von Ludwig IX. und machte sie zur Sommerresidenz der Erzbischöfe.[2]

Spätmittelalter und Anfänge der Renaissance

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Zwischen 1455 und 1463 ließ Guillaume d’Estouteville die Burg teilweise erneuern (»Ostel Neuf«). Ab 1502 wandelte Georges d’Amboise – Kardinal und Erster Minister Ludwigs XII. – den gotischen Bau zum ersten Renaissance-Schloss Frankreichs um. Er beauftragte u. a. den Baumeister Colin Biart und den italienischen Gartenkünstler Pacello da Mercogliano. Für die Kapelle arbeiteten Andrea Solari und der Bildhauer Michel Colombe, dessen Marmorretabel (1508) heute im Louvre steht.[7]

17.–18. Jahrhundert

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Illustration von Schloss Gallion (1658)

Unter Jacques-Nicolas Colbert (Erzbischof von Rouen 1691–1707) entstanden nach Plänen von Jules Hardouin-Mansart ein Pavillon und eine Orangerie; André Le Nôtre überarbeitete den Park. Die ursprüngliche italienische Fontäne wurde wegen Baufälligkeit zerlegt und nach Liancourt, später nach La Rochefoucauld versetzt.[2]

Revolution, Gefängnis und Militär

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Schloss Gallion heute

1792 wurde die Anlage verkauft. Ein Dekret vom 3. Januar 1812 machte sie zur Maison centrale für mehrere Départements; Umbauten führten Louis-Ambroise Dubut und Louis-Robert Goust durch. Die Zentralanstalt eröffnete 1816 und bestand bis 1901. Im Ersten Weltkrieg diente der Ort als belgisches Offiziersausbildungszentrum (CISLA I).[8][9]

Wiederentdeckung und Restaurierung

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Nach dem Auktionsverkauf von 1925 erwarb der Staat die Anlage 1970; ab 1977 leitete Georges Duval die Restaurierung (u. a. Wiederaufbau der »Porte de Gênes«). Seit 2011 ist das Schloss wieder für Besucher geöffnet – unterstützt von der Association pour la Renaissance du Château de Gaillon (ARC).[10]

Marmorretabel der oberen Schlosskapelle von Gaillon, Michel Colombe, 1508 – Louvre, Paris
Plan des Schlosses und des Jardin de Haut, um 1510

Gaillon verkörpert den Übergang vom Flamboyant-Stil der Spätgotik zur französischen Frührenaissance. Charakteristisch sind die reich verzierten Portale, italienisch beeinflusste Dekoration und die klare axiale Gartenarchitektur. Erhalten blieben das Eingangspavillon, der Pavillon d’Estouteville und Reste der Kapelle. Das Marmorretabel von Michel Colombe gilt als erstes französisches Beispiel des Reliefs im Stiacciato-Stil.[11]

Die bauliche Entwicklung der Renaissance-Phase ist durch die Untersuchungen von Élisabeth Chirol detailliert beschrieben worden.[12] Nach Chirol entstanden zwischen 1502 und 1506 unter Georges d’Amboise die ersten Hauptbauten – das sogenannte Grant Maison („Großes Haus“) im Nordosten des Hofes – auf den Fundamenten eines Wohngebäudes aus dem 13. Jahrhundert. Die Arbeiten führten Guillaume Senault und Pierre Valence aus Tours aus; ab 1506 übernahm Colin Biart die Leitung. Zur selben Zeit entstanden die untere Kapelle (1504 ff.) und die Treppe („la viz“), die zur Grant Maison führte. Auch das „neue Gartenportal“ wurde 1504 angelegt – wahrscheinlich im westlichen Winkel als Pavillon mit vier Türmchen, der später irrtümlich „Pavillon Pierre Delorme“ genannt wurde. 1506 begann man mit der Galerie, die diesen Pavillon mit der Treppe verband und das Ende der Grant Maison markierte.

Parallel dazu wurde ab 1502 nach italienischem Vorbild der Garten des Lydieu angelegt. Die zweite Bauphase (1506–1510) unter Pierre Delorme und Pierre Fain prägte das Gesamtbild: Delorme errichtete den Flügel am Gartenportal, Fain vollendete die Flügel des Estouteville-Hauses und führte die Galerie bis zur „viz“ fort. Er baute auch die Galerie, die Vorhof und Innenhof trennte und die Kapelle mit der Grant Maison verband; die obere Kapelle entstand ebenfalls unter seiner Leitung.

Damit bildet Schloss Gaillon ein frühreifes Beispiel für die französische Renaissance-Architektur mit klarer Achsenordnung, vertikaler Staffelung und italienisch inspirierter Dekorplastik.

Park und Gartenanlagen

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Monumentale Fontäne aus Carrara-Marmor, 1506–1509

Der Schlosspark war einer der frühesten Renaissancegärten Frankreichs. Pacello da Mercogliano entwarf ab 1506 eine komplexe Terrassenanlage mit geometrischen Parterres, Wasserläufen und Labyrinthen („Jardin de Haut“ und „Jardin de Bas“). Im Zentrum stand eine monumentale Carrara-Marmor-Fontäne mit hydraulischer Uhr, die von genuesischen Bildhauern (Agostino Solari, Antonio della Porta und Pace Gaggini) geschaffen und 1509 über Honfleur transportiert wurde. Der nördliche Park (Lydieu) wies eine Eremitage auf, die später (um 1560) durch die »Maison Blanche« ergänzt wurde. Die ursprünglichen Gartenstrukturen sind durch archäologische Befunde teilweise bekannt und wurden im 20. Jahrhundert rekonstruiert.[13][2]

  • Gesamtanlage – klassifiziert 1862 (erste Liste historischer Monumente)
  • N-W-Parkteil – klassifiziert per Erlass vom 8. September 1965
  • Gartenareal und archäologische Reste – eingetragen per Erlass vom 8. Februar 1996
  • erneute Gesamteinstufung – 17. Juni 2024[2]
  • Flaminia Bardati: Il bel palatio in forma di castello. Gaillon tra Flamboyant e Rinascimento. Rom 2009.
  • Élisabeth Chirol: «Un premier foyer de la Renaissance : le château de Gaillon», Bulletin monumental 110 (1952), S. 197–200 (Persée).
  • Achille Deville: Comptes de dépenses de la construction du château de Gaillon. Paris 1850 (Gallica).
  • Claude Frégnac: Merveilles des Châteaux de Normandie. Éd. Hacchettes, 1966, S. 185–187
  • Marc Renneville, Guillaume de Laubier: Gaillon – Une prison dans un château Renaissance. Paris 2024.
Commons: Château de Gaillon – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b Claude Frégnac: Merveilles des Châteaux de Normandie, Éd. Hacchettes, 1966, S. 185–187.
  2. a b c d e Base Mérimée, PA00099427 «Château de Gaillon» – Ministère de la Culture (inkl. erneuter Klassifizierung vom 17. Juni 2024).
  3. André Châtelain: Châteaux forts et féodalité en Île-de-France du XIᵉ au XIIIᵉ siècle, Nonette 1983, S. 213 (Google Books).
  4. Bulletin du bibliophile et du bibliothécaire, Société des amis de la Bibliothèque nationale, 1860 (Google Books).
  5. Marie Casset: Les évêques aux champs, Publications Université Rouen-Havre, S. 316 (Google Books).
  6. Achille Deville: Comptes de dépenses de la construction du château de Gaillon, Paris 1850 (Gallica).
  7. Philippe Lardin: «Les travaux … au XVe siècle», in: Archéologie médiévale 25 (1995), S. 115–131 (Persée).
  8. Marc Renneville: Pour une archéologie de la détention. Le château-prison de Gaillon (1812–1925), Revue d’histoire du XIXe siècle (2019), online.
  9. France 3 Normandie: «Gaillon se souvient de la présence des Belges …», 26. April 2015.
  10. Association pour la Renaissance du Château de Gaillon (ARC)
  11. Lardin 1995 (wie oben); Base Mérimée (wie Anm. 1).
  12. Élisabeth Chirol (préf. Marcel Aubert): « Un premier foyer de la Renaissance : le château de Gaillon », in : Bulletin monumental, Bd. 110 (1952), S. 197–200 online bei Persée.
  13. Yves Bottineau-Fuchs: Georges Ier d’Amboise (1460–1510) – Rouen 2005, S. 98 (Gallica).

Koordinaten: 49° 9′ 40″ N, 1° 19′ 47″ O