Geplante Obsoleszenz
Der Begriff Obsoleszenz (von lat. obsolescere‚ sich abnutzen, alt werden, aus der Mode kommen, an Ansehen, an Wert verlieren[1]) bezeichnet, dass ein Produkt auf natürliche oder künstlich beeinflusste Art veraltet ist oder altert. Das zugehörige Adjektiv obsolet im Sinne von nicht mehr gebräuchlich bzw. hinfällig bezeichnet generell Veraltetes, meist Normen, Therapien oder Gerätschaften.
Formen der Obsoleszenz
Geplante Obsoleszenz

Als der praktische Erfinder der geplanten Obsoleszenz gilt Alfred P. Sloan, welcher in den 1920er Jahren in seiner Funktion als GM-Präsident annuelle Konfigurationsänderungen und Veränderungen an Automobilen einführte und damit Kunden zum vorzeitigen Neukauf animierte.[2] Der eigentliche Begriff der geplanten Obsoleszenz geht zurück auf Bernard Londons Veröffentlichung Ending the Depression Through Planned Obsolescence aus dem Jahre 1932.[3]
Gemeint ist mit ihm heute ein Teil einer Produktstrategie, bei der schon während des Herstellungsprozesses bewusst Schwachstellen in das betreffende Produkt eingebaut, Lösungen mit absehbarer Haltbarkeit und/oder Rohstoffe von minderer Qualität eingesetzt werden, die dazu führen, dass das Produkt schneller schad- oder fehlerhaft wird und nicht mehr in vollem Umfang genutzt werden kann.
Ein gern als Beispiel geplanter Obsoleszenz zitierter Fall ist der des 1924 gegründeten Phoebuskartells, in dem die nominale Brenndauer von Glühlampen international auf nicht mehr als 1000 Stunden begrenzt wurde.[4]
Häufig wird gleichzeitig dafür gesorgt, dass eine Reparatur übermäßig teuer wäre oder gar nicht erst möglich ist, so dass der Kunde das Produkt durch ein neues ersetzen muss oder will. Die geplante Obsoleszenz ist dabei unabhängig vom Produktlebenszyklus, der sich nicht auf die Haltbarkeit des einzelnen Produkts, sondern den gesamten Zeitraum von der Entwicklung bis zum Verkaufsende bezieht.
Zur geplanten Obsoleszenz gehören auch Maßnahmen, die nicht auf die direkte (Zer-)Störung der eigentlichen Funktionalität abzielen, sondern bewusst Möglichkeiten der Abnutzung einbauen. So kann durch entsprechende Materialauswahl das Aussehen und die Haptik eines Produkts derart beeinflusst werden, dass (etwa) nach Ablauf der Gewährleistungsfrist ein direkter Vergleich mit Neuprodukten Letztere erheblich besser dastehen lässt, als es bei einem bloßen Vergleich ihrer Funktionalität der Fall wäre. So werden etwa bei Mobiltelefonen bewusst leicht einzudrückende Schalen oder Gehäuse mit Kunstlederanteilen eingesetzt, die nach einiger Zeit deutlich abgegriffen erscheinen.
Möglich ist auch der Einbau von Mechanismen, die nach einer gewissen Betriebsstundenzahl (die dabei größer als die Garantiezeit sein sollte) entweder eine Zerstörung wichtiger Funktionskomponenten hervorrufen oder zumindest eine Betriebsstörung vortäuschen. Das Gerät kann dann nur noch durch eine in der Gebrauchsanleitung nicht dokumentierte, allein den Servicetechnikern bekannte Aktion wieder in Gang gebracht werden. Letzteres war (und ist womöglich immer noch) bei manchen PC-Druckern der Fall.[5][6]
Die industrienahe NZZ am Sonntag schreibt in einem Artikel, dass es sich bei der geplanten Obsoleszenz um eine moderne Legende handle und bringt Beispiele dafür.[7]
Mutwillige Obsoleszenz
Eine weitere Art der geplanten Obsoleszenz ist das bewusste Verfälschen von Angaben. So werden Reparaturhinweise oder Gebrauchshinweise falsch oder mangelhaft angegeben, um die Langlebigkeit zu verkürzen. [8]
Indirekter Verschleiß
In diesem Fall veraltet durch Änderungen eines Bauteiles ein anderes Bauteil schneller. So kann etwa durch Verbilligung oder Verschlechterung eines Reglers die Autobatterie schneller unbrauchbar werden.
Funktionelle Obsoleszenz
Im Fall der funktionellen Obsoleszenz dagegen bleibt das Produkt selbst zwar weiter funktionsfähig, kann aber durch neue Anforderungen, zum Beispiel neue Komplementärprodukte, letzten Endes doch nicht mehr in vollem Umfang genutzt werden.
Funktionelle Obsoleszenz findet man damit vor allem in schnellwüchsigen Branchen wie etwa der Computerbranche (z. B. Anforderungen verschiedener Computerspiele an bestimmte Versionen des Betriebssystems oder die Verfügbarkeit von sicherheitsrelevanten Fehlerkorrekturen für ältere Software). Als Konsequenz reagieren die Konsumenten meist verunsichert und überspringen z. B. eine oder mehrere Versionen (Leap Frogging). Eine weitere Ursache kann die Abkündigung bestimmter (meist elektronischer) Bauteile sein. Insbesondere langfristige Projekte und langlebige Wirtschaftsgüter sind zunehmend durch solche nur bedingt vorhersehbaren Nichtverfügbarkeiten gefährdet.
Im Softwarebereich kann die Open-Source-Bewegung als Gegenbewegung gesehen werden: Bei Softwareprodukten, die einer Freie-Software-Lizenz (z. B. GPL) unterliegen, ist ein endgültiges Auslaufen der Verfügbarkeit über die garantierte Offenlegung des Quellcodes ausgeschlossen.[9]
Im Obsoleszenz-Management werden Lösungsansätze für diese Problematik entwickelt, unter anderem:
- rechtzeitige Information der Kunden,
- gemeinsame Erarbeitung von Substituten oder
- Lageraufbau für den geschätzten künftig erwarteten Gesamtbedarf.
Psychische Obsoleszenz
Im Fall der psychischen Obsoleszenz wird ein Produkt, das an sich noch voll und uneingeschränkt nutzbar wäre (z. B. ein älteres Handy, ein Röhrenfernseher, Monitor oder stationärer PC), gleichwohl nicht mehr gewünscht, weil es geplant unansehnlich geworden ist und/oder an Popularität verloren hat, also umgangssprachlich „out“ (angeblich nicht mehr modern, nicht mehr auf der Höhe der Zeit) ist.
Psychische Obsoleszenz resultiert oft aus Modetrends, aber auch technischen Entwicklungen wie etwa beim Wechsel von der Analog- zur Digitalfotografie. Die Popularität des Produkts wird dabei wesentlich durch sein Image beeinflusst, das wiederum durch geänderte up-to-date-Designs und die Vermarktung einschließlich der Bewerbung manipulierbar ist. Design ist daher ein probates Mittel, künstliche Obsoleszenz herbeizuführen, zum einen durch ein (modisches) Styling, zum anderen zum Beispiel durch eine Oberflächenbeschaffenheit, bei der das Produkt bald unansehnlich wird, weil Staub und Handschweiß gut an ihm haften bleiben und sich schlecht oder gar nicht wieder entfernen lassen.
Geplanter Mehrverbrauch
Ein Grenzfall der eigentlichen Obsoleszenz ist der geplante Mehrverbrauch. So kann man etwa durch entsprechende Gestaltung der Produktverpackung auch bei Verbrauchsgütern, die selbst keinem Verschleiß unterliegen, eine Erhöhung des Verbrauchs und/oder ein verfrühtes Unbrauchbarwerden des Produkts erreichen. Beispielsweise, wenn durch nicht vollständig entleerbare Verpackungen (Ketchupflasche) stets eine nicht nutzbare Restmenge zurückbleibt. Auch das vorzeitige Austauschen von Fahrzeugteilen während einer Inspektion fördert, weil die Teile nicht bis zum Ende ihrer möglichen Verwendungsdauer genutzt werden, ihren erhöhten Verbrauch, verringert jedoch das Risiko eines überraschenden Ausfalls.
Geplante Systemvariationen
Eine weitere Form geplanter Obsoleszenz ist die Ausstattung von Produktneuheiten mit neuen Zubehörvarianten, die nicht mehr mit dem bisherigen Zubehör kompatibel sind, so dass der modeorientierte Verbraucher außer der Neuheit selbst auch meist das komplette Zubehör neu kaufen muss. Bekannteste Beispiele dürften digitale Kompaktkameras und Handys sein, bei denen es zu fast jedem neuen Modell auch wieder neue Skins, Akkus usw. gibt, während man bei sogen. Systemkameras, z. B. Spiegelreflexkameras, genau umgekehrt darauf bedacht ist, die Kompatibilität des Zubehörs (Objektive, Blitzgeräte, Stativanschlüsse usw.) auch über mehrere Produktgenerationen hin zu gewährleisten.
Künstlich überteuerte Reparaturleistungen
In einigen Bereichen wird auch versucht, Kunden zum Kauf neuer Produkte zu bewegen, indem der Hersteller einen Reparaturservice für defekte Geräte anbietet, welcher dann jedoch deutlich mehr kostet als eine etwaige Neuanschaffung. Dabei steht der überteuerte Preis für die Reparatur nicht im Verhältnis zu den dabei tatsächlich entstehenden Kosten. Dies ist für die Hersteller insbesondere in Verbindung mit der Strategie der funktionalen Obsoleszenz profitabel [10]. Allerdings kann man in einem solchen Fall unter Umständen auf alternative Reparaturdienstleister zurückgreifen, die in der Regel nur einen Bruchteil des Preises verlangen, den der Hersteller für dieselbe Reparatur berechnen würde.
Ursachen
- Marktsättigungserscheinung (in der Regel mit Absatzstockungen verbunden)
- Absprache der Konkurrenten (besonders bei oligopolisierten Märkten)
- Prestigekonsum (führt in der Regel zu vorzeitigem Produktneukauf etwa als Zeichen beruflicher Leistungsfähigkeit)
- Aufwandskonkurrenz und Konsumpassivismus
- hohes (freies) verfügbares Einkommen
- beschränkte Markttransparenz (verhindert, dass der Verbraucher Produkte findet, die weniger der geplanten Obsoleszenz unterliegen)
- Wachstumsorientierung der Gesellschaft
Rechtswissenschaftlicher Begriff
Ein häufiger Grund für Obsoleszenz in rechtlicher Hinsicht ist die grundlegende Änderung der staatsrechtlichen Verhältnisse. So sind verschiedene Normen aus der Zeit des Nationalsozialismus nicht außer Kraft getreten, werden aber nicht mehr angewendet und so als obsolet betrachtet. Ein Beispiel hierfür ist, dass der Stiftungserlass für Orden noch rechtsgültig ist, der Bundespräsident als zuständiges Staatsorgan diese Orden aber nicht mehr verleiht. Das Kennzeichen der Obsoleszenz ist hier die Staatspraxis. Sie wird als Grund für die Beendigung von völkerrechtlichen Verträgen anerkannt. So erklärte Österreich infolge der neuen Situation in Europa um 1990 die militärischen Bestimmungen des Staatsvertrages von Wien 1955 als obsolet.
Siehe auch
Literatur
- Bjoern Bartels, Ulrich Ermel, Peter Sandborn and Michael G. Pecht: Strategies to the Prediction, Mitigation and Management of Product Obsolescence, 1st. Ed., John Wiley & Sons, Inc., Hoboken, New Jerseey, 2012, ISBN 1-11-814064-8 (Auszug (Google))
- Niko Paech: Nachhaltiges Wirtschaften jenseits von Innovationsorientierung und Wachstum. Eine unternehmensbezogene Transformationstheorie. Metropolis-Verlag, Marburg 2005, ISBN 978-3-89518-523-6.
- Niko Paech: Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. oekom verlag, München 2012, ISBN 978-3-86581-181-3.
- Giles Slade: Made to break: technology and obsolescence in America, Harvard Univ. Press, Cambridge, Massachusetts [u. a.] 2006, ISBN 0-674-02203-3 (Auszug (Google))
Dokumentarfilme
- Cosima Dannoritzer: Kaufen für die Müllhalde (frz. Originaltitel: fr:Prêt à jeter, engl. Titel: The Light Bulb Conspiracy), ARTE-Dokumentarfilm, 75 Minuten 2010. (Online)
Weblinks
- The Obsolescence Management Portal (Freies Obsolescence Management Knowledge Sharing Portal)
- Die Wegwerfer – Kaufen für die Müllhalde. ARTE-Themenabend im Februar 2011 und am 24. Januar 2012. (Online)
- Des Guten zu viel – Überfordert uns der Überfluss? (Deutschlandfunk, 8. Juni 2012)
- Geplante Obsoleszenz: Ein Beitrag auf mitwelt.org
Einzelnachweise
- ↑ Georges: Lat.-Dt. Hand- und Schulwörterbuch, s.v.
- ↑ Dr. Hans-Arthur Marsiske: Verstecktes Verfallsdatum: Wirkprinzipien der geplanten Obsoleszenz, in: c’t 15/2012, S. 75.
- ↑ Bernard London: Ending the depression through planned obsolescence, 1932
- ↑ Dokumentarfilm von Cosima Dannoritzer, Kaufen für die Müllhalde, 75 Minuten, 2010. (Online) (Min.: 6:00-11:56, 31:25-33:00)
- ↑ geplante-obsoleszenz-der-motor-der-wirtschaft
- ↑ Dokumentarfilm von Cosima Dannoritzer, Kaufen für die Müllhalde, 75 Minuten, 2010. (Online) (Min.: 0-1:40, 12:05-13:02, 25:08-25:59, 51:36-52:08)
- ↑ Andreas Hirstein: Moderne Märchen der Konsumkritik. Die geplante Obsoleszenz ist eine moderne Legende. In: NZZ am Sonntag vom 18. November 2012
- ↑ Lebensdauer von Produkten. konsument.at, 24. Januar 2013, abgerufen am 30. Januar 2013 (deutsch).
- ↑ Fernando Cassia: Open Source, the only weapon against "planned obsolescence". theinquirer.net, 28. März 2007, abgerufen am 15. Januar 2012 (englisch).
- ↑ Georg Schnurer: "Pauschal verärgert - Wahnsinnspreise für kleine Notebook-Reparaturen". heise.de, 1. Januar 2002, abgerufen am 3. Januar 2013 (deutsch).