A. C. Bhaktivedanta Prabhupada
Prabhupada Abhay Charan Bhaktivedanta Swami (* 1. September 1896 in Kalkutta in Indien; † 14. November 1977 in Vrindavan) war Kommentator und Übersetzer bekannter Sanskritwerke (heiliger Schriften des Hinduismus), sowie geistiger Meister und Gründer der ISKCON (Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewußtsein).
Von seinen Nachfolgern und Schülern als "His Divine Grace Abhay Charan Bhaktivedanta Swami Prabhupada" (Seine göttliche Hoheit ... ) oder kurz "Srila Prabhupada" (Heiliger Prabhupada) und "Gründer-acarya der Internationalen Gesellschaft für Krishna-Bewußtsein" geehrt, findet sich heute in den meisten Tempeln der ISKCON auf der ganzen Welt eine fast lebensecht aussehende Bildgestalt ihres Gründers. Dieser Bildgestalt wird täglich eine zeremonielle Opferung dargebracht und sie wird in ähnlichen Maßen geachtet und betreut, wie die eigentlichen Bildgestalten des jeweiligen Tempels (zumeist von Krishna oder Chaitanya).
Weltweite Beachtung fanden seine mit ausführlichen Kommentaren versehenden Übersetzungen der wichtigsten Werke der Vaishnavas. Das sind vor allem Kommentierungen zur Bhagavad Gita (Bhagavad Gita Wie Sie Ist), zum Srimad Bhagavatam (in 12 Bänden) und zum Chaitanya-caritamrita (in 11 Bänden), die in millionenfacher Auflage gedruckt und in viele Sprachen übersetzt wurden und auch heute noch erhältlich sind. Es gibt aber auch noch mehrere kleinere Werke, oft Zusammenstellungen von Vorträgen und Gesprächen, die bis heute von den Mitgliedern der ISKCON verkauft und auf der Straße gegen eine Spende verteilt werden.
Leben
Abhay Charan wuchs in bescheidenen Verhältnissen in Kalkutta auf. Großen Einfluß auf ihn hatte die Krishna-Verehrung seines Vaters. Als Jugendlicher wurde er Anhänger von Gandhi, von dessen Überzeugungen er sich jedoch später löste.
Zwischen 1916 und 1920 besuchte Abhay das Scottish Churches College in Calcutta, wo er mit dem Christentum und dem westlichen Lebensstil konfrontiert wurde. Er freundete sich mit einem christlichen Lehrer, Dr. William Spence Urquhart an, dessen obligatorische Bibelstunde er täglich besuchte.
1922 begegnete er zum ersten Mal Bhaktisiddhanta Sarasvati, dem Führer der Organisation Gaudiya math (Orden der Gaudiya Vaishnavas). Dieser überzeugte den jungen Abhay Charan, als seine Lebensaufgabe die Schriften und Lehren der Gaudiya Vaishnava-Religion in die englische Sprache zu übersetzen und missionarisch zu verbreiten. 1933 erhielt Abhay Charan die formelle Einweihung als Schüler von Bhaktisiddhanta Sarasvati.
Abhay Charan veröffentlichte 1944 ohne fremde Hilfe das Magazin "Back to Godhead", das heute von seinen Schülern weitergeführt wird. Zu seiner Blütezeit erreichte es eine monatliche Auflage von mehreren Millionen Exemplaren, und wurde in bis zu 19 Sprachen übersetzt.
Die Gaudiya Vaishnava-Gesellschaft Gaudiya Math 1947 Abhay Charan ehrte mit dem Titel "Bhaktivedanta" (siehe Bhakti und Vedanta) .
Abhay Charan Bhaktivedanta zog sich ab 1950 immer mehr vom Familienleben zurück, um seinen Studien und seiner Schreibtätigkeit mehr Zeit widmen zu können. Er lebte im mittelalterlichen Tempel von Radha-Damodara, in Vrindavan, einem Dorf und Pilgerort in Nordindien. 1959 nahm er eine Einweihung als Bettelmönch und Wanderprediger (sannyasa) an.
1965 reiste A.C. Bhaktivedanta Swami in die Vereinigten Staaten von Amerika. Seine frühen Anhänger, fast ausschließlich Jugendliche der aufkommenden Hippie-Bewegung, nannten ihn "Swamiji" und später "Prabhupada". Ein Jahr später gründtete er die "International Society for Krishna Consciousness" (ISKCON). In nur einem Jahrzehnt entwickelte sich die Gemeinschaft zu einer Organisation mit an die 100 Tempeln, Schulen, Instituten und Farmgemeinschaften. A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada diktierte zahlreiche Bücher, hielt Vorträge, gründete Tempel und half seinen bis zu zehntausend Schülern bei der Organisation der ISKCON. Trotz seines hohen Alters reiste er mehrmals rund um die Welt.
1977 verstarb Prabhupada nach mehrmonatigen, schweren Leiden in Vrindavan, Indien.
Gestalt und Herkunft des Christentumbildes im Werk von A.C. Bhaktivedanta Swami
Einführung: Religionswissenschaftlich muß man Bhaktivedanta Swamis Organisation ISKCON in den großen Komplex des Hinduismus einordnen, wie die Gesamtheit aller innerhalb des indischen Subkontinents anzutreffenden Religionsformen des Animismus, Schamanismus, Polytheismus, Pantheismus, Monismus und Monotheismus gemeinhin genannt wird. Eine derartige Form des Eingottglaubens mit persönlicher Gottesvorstellung ist auch die Grundlage von Bhaktivedanta Swamis Religion, die zum sogenannten Vaishnavismus (oder Vishnuismus) gehört, jene neben «Shivaismus und «Shaktismus dritte große Glaubenslehre Indiens. Dabei handelt es sich um eine ab dem 3. Jh. v. Chr. vornehmlich in Bengalen anzutreffende religiöse Tradition, in der Gott Vishnu oder einer seiner Inkarnationen wie Rama oder eben der in Indien äußerst populäre Krishna, angebetet wird. Eine der literarischen Grundlagen wird dabei von der Bhagavad-gita gebildet, einem ebenfalls in dieser Epoche entstandenen philosophisch-didaktischen Lehrgedicht. Die Anhänger des Vaishnavismus, die sog. Vaishnavas, pflegen keine einheitliche kulturelle und theologische Tradition. Man spricht von vier großen philosophischen Strömungen, die nach ihren zeitlich allesamt aus dem Mittelalter und vornehmlich aus Südindien stammenden Stiftern benannt wurden. Dazu gehört beispielsweise die Schule von Madhva, der das dualistische philosophische System der dvaita entwickelte, wonach Gott und alle irdischen Seelen als völlig voneinander unterscheidbare geistliche Einheiten zu begreifen sind. In der Regel standen die Vaishnava-Gelehrten an der Spitze von Volksbewegungen, die sich gegen die ritualistische Frömmigkeit der traditionell hierarchisch organisierten Brahmanenreligion richteten. Gott sollte leichter und unmittelbar durch jeden einzelnen für die angestrebte Erlösung vom Daseinskreislauf zugänglich werden. Konkret heißt dies, daß hochkomplexe Feuerrituale, zeremonielle Gesänge und komplizierte Opferungen der Brahmanen-Priesterschaft weichen sollten zugunsten von einfachen und auch von Laien auszuübenden Handlungen der sog. bhakti, des von Liebe gelenkten, hingebungsvollen und selbstlosen Dienstes gegenüber Gott. So begann man zum Beispiel, dessen Bildgestalten im Tempel zu verehren oder, als die Verehrungsmethode schlechthin, das singende Rezitieren verschiedener Gottesnamen einzuführen. In der ersten Hälfte des 16.Jh.s kam die Bewegung des Predigers Caitanya aus Mayapura in Bengalen hinzu. Dieser als avatara, eine Inkarnation Gottes, verstandene Gründer der sog. Gaudiya-Vaishnava-Tradition konzentrierte die religiöse Praxis auf eine hingebungsvolle Verehrung von Krishna und seiner ewigen Gefährtin Radha. Aus dieser Linie des Vaishnavismus ist letztendlich auch Bhaktivedanta Swamis Bewegung für Krishna-Bewußtsein hervorgegangen, deren Hauptaufgabe in der weltweiten Verbreitung des gemeinsamen Lobgesangs der Namen Gottes, nama-sankirtan genannt, liegt.
1.1. Die Frage nach einer sog. Shastra, einer heiligen Schrift, die - definitionsgemäß - Gottes Willen authentisch dokumentiert, ist nach Auffassung von Bhaktivedanta Swami nicht nur für die christliche Religion konstitutiv. Er betrachtet die insofern für ihn einzig in Frage kommende Bibel mitunter als einen Teil der ältesten hinduistischen Literatur, den sogenannten Veden, und stellt sie überdies als ein Buch dar, das als Quelle für Informationen über das Leben und Wirken der christlichen Gottesinkarnation Jesus Christus genutzt werden könne. Qualitativ sei die Bibel als eine Art vereinfachtes Kompendium der göttlichen Botschaft zu verstehen, welche jedoch viel ausführlicher in der Bhagavad-gita zu finden sei (Vergleich Taschenlexikon - größeres Wörterbuch). Die Aussagen der heiligen Schrift seien zwar nicht unwahr, jedoch unterschieden sich insbesondere die Zielgruppen beider Werke in ihrer intellektuellen Aufnahmefähigkeit. In der schlichter konzipierten Bibel bleibe die Botschaft der göttlichen Liebe daher eher im Dunkeln. Prinzipiell ließe sich aber auch mit der Bibel der Zweck einer Religion erfolgreich anstreben. Dieser besteht für Bhaktivedanta Swami in der Hinführung aller Menschen zu der von Liebe erfüllten Beziehung zu Gott, d.h. zur Entwicklung dessen, was er als "Krishna-Bewußtsein" bezeichnet. Allerdings wird für ihn die Person Jesu - zu der ich anschließend noch komme - fälschlicherweise als ein einzigartiger Welterlöser geschildert. Ursächlich dafür seien die zahlreichen unerlaubten Manipulationen des Bibeltextes, ein Vorgang, den man zwar als Zeugnis des Glaubens verstehen, jedoch in keiner Weise dulden könne. Dadurch ginge der Anspruch auf absolute Wahrhaftigkeit verloren. Eine derartige 'Bearbeitung der Bibel', wie er es nennt, liegt für Bhaktivedanta Swami immer dann vor, wenn Christen Jesus wissentlich und willentlich Textpassagen zuschreiben, obwohl deren Abfassung nachweislich erst zu einem nachösterlichen Zeitpunkt erfolgt sei. In einem 1969 verfaßten Brief etwa berichtet Bhaktivedanta Swami, daß er über die Lektüre eines kirchlichen Rundschreibens, dessen Autor ungenannt bleibt, von den Untersuchungen eines gewissen Prof. Charles Smith erfahren habe. Dieser stelle fest, so gibt er den Inhalt des Zirkulars wieder, daß im allgemeinen große Zweifel an der Authentizität aller biblischen Jesusworte existierten. Zahlreiche Abschnitte beispielsweise seien Jesus vom Autor des vierten Evangeliums in den Mund gelegt worden. Eine besondere Erwähnung findet in diesem Zusammenhang Joh. 14.6., wo Jesus mit 'Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich' zitiert wird. Bhaktivedanta Swami gibt hier zu bedenken, daß - folge man den Thesen von Charles Smith - gerade auch diese für das Selbstverständnis des Christentums wichtige Aussage später hinzugefügt worden sein könnte. Smith, ein Theologe von der Universität in Cambridge, Massachusetts, wird von Bhaktivedanta Swami nur dieses eine Mal erwähnt, weswegen davon ausgegangen werden muß, daß der Inder dessen hier zugrunde liegendes Buch 'The paradox of Jesus in the Gospels' nur über die sekundäre Quelle des kirchlichen Rundschreibens gekannt hat. Untersucht man Bhaktivedanta Swamis Kompetenz in bezug auf den Inhalt der Bibel, so stellt man fest, daß er in keinem der von ihm verwendeten 14 Bibelzitate auf den jeweiligen konkreten Kontext eingeht. Auch die Rekonstruktion des biblisch-historischen Rahmens spielt für ihn keine Rolle. Vielmehr streut er häufig Bibelworte, bei denen er eine inhaltliche Identität mit seiner eigenen Philosophie entdeckt zu haben glaubt, in Diskussionen ein. Oft wird unter anderem die Liebe thematisiert, die ein Mensch Gott gegenüber aufbringen solle, ebenso die unendliche Macht Gottes und die Abhängigkeit des Menschen von ihm. Sein bevorzugtes Bibelzitat ist allerdings das Fünfte Gebot, das sich in 158 Textstellen wiederfindet, weitaus öfter als alle anderen zusammen. Er nennt es das 'Erste Gebot der Bibel', das jedoch von Christen häufig übertreten werde, obwohl es mit im Zentrum von Jesu Lehre gestanden habe. In seinem 1975 erschienenen Kommentar zum Srimad-Bhagavatam, einem zentralen Vaishnava-Schriftwerk über Krishna, bezieht sich Bhaktivedanta Swami z.B. auf den "Zwölfjährigen Jesus im Tempel" (Lk2,41-52). Unter Hinzuziehung nicht identifizierbarer Quellen präsentiert er eine für das Christentum folgenreiche Begebenheit: Nach seinem Wissen habe der heranwachsende Jesus, schockiert von der Tieropferpraxis der Juden in den Synagogen(!), empört den jüdischen Glauben abgelehnt und infolgedessen eine eigene Religion, eben das Christentum, mit dem endlich richtig verstandenen äDu sollst nicht tötenô gestiftet. An anderer Stelle begründet Bhaktivedanta Swami die Notwendigkeit der Bekräftigung des Fünften Gebots damit, daß die Menschen zu Jesu Zeiten derart an das Töten gewöhnt gewesen seien, daß sie die Bedeutung dieses Gesetzes nicht mehr erfaßten. In der heutigen Zeit habe sich die Situation gegenüber der biblischen Epoche sogar noch verschärft, weil Tiere jetzt nicht nur anläßlich von Opferungen, sondern auch zu Zwecken unzulässiger Nahrungsbeschaffung in Schlachthöfen getötet würden. Da das Töten von Lebewesen prinzipiell als abscheulicher, unbarmherziger und deshalb verdammungswürdiger Akt gelte, müsse man Christen, die derartige Mißstände tolerierten oder unterstützten, als zur wahrhaftigen Gotteserkenntnis unfähig bezeichnen. Zugleich schreibt Bhaktivedanta Swami der Bibel einen stetig schwindenden Einfluß auf die für ihn dringend notwendige religiöse Gesundung der modernen westlichen Welt zu. Deren Verfall gründe auf einer extrem materialistischen und egoistischen Lebensgestaltung, insbesondere vieler christlicher Geistlicher. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß Bhaktivedanta Swami die biblischen Texte als göttliches Offenbarungswerk akzeptiert und bisweilen sogar deren Studium empfiehlt. Obwohl die Worte Jesu ihn nicht aus erster Quelle wiedergegeben werden, enthält die Bibel für ihn alle wesentlichen Richtlinien für die Ausübung einer wahren Religion.
1.2. In seinem Gesamtwerk verwendet Bhaktivedanta Swami den Namen Jesus insgesamt 861mal und den Titel 'Christ' sogar 1083mal; zum Vergleich: Das Judentum findet ganze 3mal Erwähnung, Mohammed 40mal, Buddha 619mal und Krishna 81.826mal. Jesus, für den Titulierungen wie "Lord" oder "Son of God" verwendet werden, habe gegenüber allen Kreaturen ein überwältigendes Mitgefühl gezeigt, ebenso eine ausgeprägte Toleranz (insbesondere bei seinen Widersachern), sowie eine aufopferungsvolle Bescheidenheit ohne materielle Anhaftung an diese Welt. Dabei habe er ein unendliches Vertrauen und eine absolute Hingabe in Gottes machtvolle Größe bewiesen. Interessanterweise verwendet Bhaktivedanta Swami auch aus der hinduistischen Tradition stammende Bezeichnungen: Jesus sei wahrlich ein Vaishnava-Lehrer, ein Guru, und ein mächtiger Devotee gewesen, womit er einen gläubigen und Gott hingebungsvoll dienenden Menschen bezeichnet. Ganz besonders wichtig ist ihm zudem die Kennzeichnung als avatÇra. Immer wieder wird Jesu vorbildliche Gesinnung bezüglich des dienenden Gehorsams gegenüber Gott betont. Vor seiner irdischen Existenz im Himmel sei er ohne Aufgabe gewesen und habe sich deshalb sehr gelangweilt. Auf der Erde hingegen habe er sich in einer planmäßigen und für einen wahren Vaishnava mustergültigen Weise für andere Lebewesen eingesetzt. Dem Wahrheitsgehalt des biblisch dokumentierten Schicksals Jesu stimmt Bhaktivedanta Swami - trotz aller Zweifel an der Authentizität der Evangelien - kompromißlos zu: Es habe sehr wohl einen göttlichen Auftrag gegeben für dessen Erlösung bringenden Kreuzestod. Dies gelte auch für die anschließende Auferstehung. Letztere bleibt für ihn jedoch stets zweitrangig angesichts der alles überragenden Bedeutung Jesu als erhabener Botschafter und Reformer, der die Menschen der biblischen Zeit durch die Entwicklung einer anspruchsloseren - man gestatte mir diesen Ausdruck! - "Light-" Version der Vaishnava-Philosophie auf den Weg zurück zu Gott führen sollte. Jesus stehe somit auch unumstritten in der Tradition aller bedeutenden religiösen Reformer. Dessen großmütige und selbstlose Haltung habe nachweislich darin bestanden, daß dieser mit seinem Opfertod - ein einziges Mal - alle Sünden der Menschen auf sich genommen und getilgt habe. Die nachösterliche Interpretation von Jesu edlem Werk allerdings habe - bis zum heutigen Tage - mit dieser ursprünglichen Absicht nicht mehr viel zu tun. Für Bhaktivedanta Swami beruht die christliche Religionspraxis vielmehr auf der Schaffung und Bewahrung eines trickreichen und verhängnisvollen Vertrages, den man seit biblischen Zeiten mit Jesus wie mit einer Art Sündenbock abschließe, um stets neu von jeglicher Strafe für alle - selbst in der Zukunft - begangenen Sünden befreit zu sein. Ganz verständlich wird dieser Vorwurf erst durch Bhaktivedanta Swamis Definition von Sünde, nämlich dem menschlichen Ungehorsam gegenüber Gott und dessen Geboten. Kein "faules" Abkommen mit Jesus, sondern allein ein alltäglicher, in das Leben integrierter Dienst an Gott verhindere die Entstehung neuer Sünden; jeder Mensch müsse daher ununterbrochen einzig Gott dienliche und Gott gewidmete Aktivitäten anstreben. Kein Wort der Mißbilligung fällt gegen das Konzept des himmlischen Heilsplans der Sündenvergebung; im Kreuzfeuer der Kritik steht allein das mißverstehende Fehlverhalten der Anhänger Jesu, das sich für Bhaktivedanta Swami bis heute in einer die Moral zersetzenden Art und Weise vollzieht. Gleichsam als Gegenpol zu dem über jede Kritik erhabenen Gottessohn charakterisiert er die Christen aller Zeiten mit vernichtenden Vorwürfen: Sie seien im materiellen Leben hilflos verstrickte, gegenüber anderen Religionen äußerst intolerante Fanatiker, ohne wegweisende Lebensphilosophie, ausgestattet mit einer auf allen Ebenen inkonsequenten, korrupten und egoistischen Ethik, die u.U. sogar kapitale staatliche Bestrafungen notwendig mache, da es generell an einem geistlich qualifizierten und gleichfalls autoritativen Klerus mangele. All dies erweise sich als um so fataler, da es seiner Ansicht nach mit dem biblischen Dekalog eine akzeptable und potentiell geeignete normative Grundlage für ein wahrhaft gottergebenes Leben gebe. Dennoch besitzt Bhaktivedanta Swami ein großes Vertrauen in die jüngeren Generationen zur Verhütung des Untergangs der westlichen Gesellschaft, deren starke Ablehnung seiner Bewegung er als Gradmesser für seinen eigenen öffentlichen Erfolg begreift.
1.3. Eine Darstellung von Bhaktivedanta Swamis kritischer Betrachtung des Christentums würde an dieser Stelle unvollständig bleiben, wenn man nicht auch seine spärlich gebliebenen kirchengeschichtlichen Aussagen erwähnte. Innerhalb des Christentums gilt für ihn die römisch-katholische Kirche als einziger autorisierter Ansprechpartner. Diese Haltung wird von ihm nie begründet, hat aber gewiß mit seinem rudimentär gebliebenen Wissen über die Geschichte des von ihm massiv verurteilten Protestantismus zu tun. Dabei setzt er die Entstehung dieser Konfession konkret mit dem Aufkommen der Church of England gleich: Ein gewisser König Johann, so doziert er mehrmals, habe ungerechtfertigterweise gegen die Machtprinzipien des katholischen Klerus - im wahrsten Sinne des Wortes - "protestiert" und im Anschluß daran die Gründung der seitdem so genannten protestantischen, für ihn "notorisch unzufriedenen" Kirche in die Wege geleitet; (er meint natürlich nicht König Johann ohne Land, sondern Heinrich VIII.). Das Thema wird nie weiter vertieft, europäische Reformatoren bleiben dementsprechend gänzlich ungenannt.
2.1. Den ersten Kontakt mit einer Religion hatte Bhaktivedanta Swami in seiner Kindheit in der Tat durch die Vaishnava-Welt seines ritual- und volksfrömmigen Vaters, Goura Mohon, einem Tuchhändler in Calcutta. Bis ins hohe Alter bleibt dem Sohn der spielerisch-imitative Charakter jener ersten Versuche einer Krishna-Anbetung in Erinnerung. Deren theologische Bedeutung, sagt er später rückblickend, sei ihm allerdings zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt gewesen. Ebensowenig habe ihn seine rein kindlich-naive Faszination für das Feierlich-Geheimnisvolle des religiösen Kultes als Heranwachsender inhaltliche Einblicke in die heilige Vaishnava-Literatur gewinnen lassen. Dafür wurde Abhay schon zu diesem Zeitpunkt mit der äußerst gegensätzlichen und dennoch verlockenden Kultur der britischen Kolonialherren konfrontiert. Ohne Widerspruch seines Vaters entfernte er sich als Schüler und später noch stärker als Student immer mehr von den religiösen Wurzeln seiner Vorfahren. In dem Jugendlichen herrschte insofern ein unvoreingenommenes Nebeneinander von immer noch religiös-okkult gedeuteten Phänomenen und technikbetontem Fortschrittsdenken: Da werden Grammophon und Ventilator für ihn von unsichtbaren Zwergen bewegt, das Antriebssystem von Straßenbahnen erregt sein Interesse, er geht häufig ins Kino, trinkt am liebsten Limonade von der Marke 7UP, an die er sich sogar noch als alter Mann schwärmerisch erinnert, und er spielt gerne Fußball, über den er als Swami ganze 44 mal in leidenschaftlicher Weise referiert, indem er die Spielweise des Sports mit philosophischen Erkenntnissen der Seelenwanderung vergleicht: äThe football has no place. As soon as (it) comes (to) somebodyÆs feet, he kicks. He goes to another body. ... So we are just like football. We are being kicked up. Now I am American. Next time I shall be kicked up to China..." (aus einem Vortrag zur Bhagavad-gita, gehalten am 20.12.1966 in New York).
2.2. Zwischen 1916 und 1920 war Abhay Schüler des Scottish Churches College in Calcutta. Dort setzten sich die Entwicklungstendenzen aus seiner Kindheit und Jugend fort und verfestigten sich. Im Unterricht wurde er mit einer rein abendländisch-christlichen Kultur konfrontiert und durch den Kontakt mit Westeuropäern bildete sich zunehmend eine auch unter den Studenten allgemein verbreitete Affinität zum westlichen Lebensstil heraus. In besonders guter Erinnerung bleibt ihm Zeit seines Lebens ein aus Schottland stammender Reverend mit Namen Dr. William Spence Urquhart, der spätere Direktor des Colleges. Dieser hat offensichtlich einen bleibenden Einfluß auf den Studenten entwickelt, was sich - völlig unabhängig vom christlichen Hintergrund des Lehrers - in einer außerordentlichen Zuneigung und väterlichen Verbundenheit des jungen Mannes bis ins hohe Alter hinein äußerte. Besonders im Hinblick auf das vermittelte religiös-philosophische Schulwissen verhält sich der Student mehr als loyal gegenüber seinem Lieblingslehrer: Rev. Urquharts tägliche und obligatorische Bibelstunden in einer 150 (!) Studenten umfassenden Klasse können als primäre Quelle der Bibelkenntnisse von Bhaktivedanta Swami angesehen werden. Seine häufige Bezugnahme auf jenen Lehrer veranlaßten mich im Laufe der Dissertation dazu, weitere Nachforschungen über Urquharts Person und theologisches Lebenswerk anzustellen, was mir während zweier Reisen ins schottische Edinburgh auch gelang. Die bedeutendsten Ergebnisse hierzu: Bhaktivedanta Swami übernahm zum überwiegenden Teil Rev. Urquharts liberaltheologische Vorstellungen von Jesus. Das trifft insbesondere zu auf die Vorstellung von Jesu göttlichem Auftrag als beispielhafter religiöser Lehrer und als moralstiftende Instanz. Für beide Gelehrte ist der Kreuzestod Jesu essentiell. Auch bezweifeln sie niemals die historische Echtheit und den göttlichen Ursprung der biblischen Jesusworte. Der Inder wählt in seinen Werken bisweilen sogar exakt dieselben Bibelzitate und christlich-theologischen Fachbegriffe, auf die auch sein Collegelehrer Wert legte. Im übrigen hatte Rev. Urquhart regen Kontakt zu Rudolf Otto in Marburg und sprach fließend Deutsch; man besuchte sich sogar gegenseitig in Deutschland bzw. in Indien. Nach dem bislang Gesagten ist leicht zu erahnen, was in der College-Zeit mit Abhays Wissen um die väterliche Kindheitsreligion geschieht: Es verschwindet ganz bzw. wird bisweilen sogar von dem Studenten aktiv abgelehnt. Dafür entwickelt er, eigenen Aussagen zufolge, eine regelrechte Sehnsucht nach westlicher Identität und modernem Großstadtleben, träumt von Reisen nach New York oder London (die Städte, die später zu den ersten Zentren seiner Mission werden sollten), bewundert die ersten Wolkenkratzer wie ehedem Straßenbahnen und liest regelmäßig wissenschaftliche Magazine, beispielsweise den heute noch erscheinenden Scientific American. Soviel zu den Selbstzeugnissen Bhaktivedanta Swamis über seine eigene religiöse Entwicklung in Kindheit und Jugend. Ich möchte an dieser Stelle noch kurz etwas zur ISKCON-Biographie anmerken: Ganz offensichtlich wurde hier der akademisch wenig löbliche Versuch unternommen, ein von etlichen Legenden umrangtes Idealbild der Persönlichkeitsentwicklung des Swamis zu kreieren. Aus diesem Grunde ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß der Autor die einflußreiche Person des schottischen Reverends Urquhart vollständig ignoriert hat.
2.3. Obwohl man in der traditionellen Vaishnava-Theologie Indiens keine Bezugnahme auf das Christentum findet, werden durch die während der britischen Besatzungszeit mit Missionaren entstandenen Kontakte dahingehend veränderte Bedingungen geschaffen. Dies macht sich auch in den Werken von Bhaktivedanta Swamis geistlichem Vaishnava-Lehrer, Bhaktisiddhanta Sarasvati und dessen leiblichem Vater, dem Swami Bhaktivinoda Thakura bemerkbar. Deren theologische Positionen zum Christentum haben ebenfalls die Standpunkte des ISKCON-Gründers beeinflußt. Denn bereits Bhaktivinoda Thakura verstand Jesus als einen religiösen Reformer, der - wie andere vor ihm - zur Erfüllung des göttlichen Gesetzes auf der Erde beauftragt wurde. Vorbildhaft in der liebevollen Hingabe zu einem väterlichen Gott besitze dieser alle Eigenschaften eines Erlösers, sei jedoch von seinen Zeitgenossen nicht hinlänglich verstanden worden, was wiederum zu einer interpretativen Verfälschung der heiligen Schrift geführt habe. Für Bhaktivinoda ÁhÇkura besitzt die göttliche Botschaft einen globalen Charakter, so daß Christen letztendlich zu ganz ähnlichen religiösen Erkenntnissen wie Vaishnavas kommen könnten, ja müßten. Von Bhaktisiddhanta Sarasvati, seinem eigentlichen Vaishnava-Lehrer (die Initiation erfolgt im November 1932, zehn Jahre nach der ersten Begegnung) übernommen ist schließlich Bhaktivedanta Swamis grundsätzliche Differenzierung religiöser Weltanschauungen. Beide nehmen dabei eine entschiedene Abgrenzung der definitionsgemäß einmaligen "Religion" von sogenannten "frommen Glaubenspraktiken" beispielsweise des Hinduismus (!), Buddhismus, Islam und Christentum vor. Konkret müsse man unter Religion das Erlernen und die lebenslang ausgeübte Praxis von Gehorsam gegenüber Gott und dessen Gesetzen verstehen. Da es heute jedoch möglich sei, ähnlich einer Meinungsänderung - von einer Glaubensrichtung zur anderen zu konvertieren, könne man hier nicht von einer wahren Religion sprechen, sondern eben lediglich von Frömmigkeit (im Sinne von "Vertrauen haben" oder "einen geistlichen Standpunkt vertreten"). Dennoch, so schlußfolgert bereits Bhaktisiddhanta Sarasvati wie später auch sein Schüler, sei es für einen wahrhaften Christen auch möglich, Christ zu bleiben. Denn schließlich habe auch diese "Religion" das machtvolle Potential, zum Ziel des eingeforderten Krishna-Bewußtseins zu gelangen. Auch die Kritik an den Angehörigen klerikaler Institutionen gestaltete sich schon bei Bhaktisiddhanta Sarasvati vehement. Geistliche Würden- und Amtsträger aller Weltreligionen stellte er gleichsam als Prototypen für die menschliche Verdorbenheit dar, da sie die geistliche Fortentwicklung hemmten und gleichzeitig das Gedeihen von Heuchelei, Sinnlichkeitswahn, Rauschmittelsucht, Gewinnstreben und das Töten von Tieren förderten. Wie Bhaktivedanta Swami hatte auch sein Lehrer Vertrauen in die reformerische Kraft der jüngeren Generationen und rief zu einer religiösen Offensive durch autorisierte und missionarisch tätige, d.h. für ihn beispielsweise Bücher verteilende Sendboten auf. Vor diesem Hintergrund ist der kurz vor seinem Tod 1937 erfolgte Predigtauftrag im Westen an seinen Schüler zu verstehen.
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Personendaten | |
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NAME | Bhaktivedanta, Prabhupada Abhay Charan |
KURZBESCHREIBUNG | Kommentator und Übersetzer bekannter Sanskritwerke und geistiger Meister und Gründer der ISKCON |
GEBURTSDATUM | 1. September 1896 |
GEBURTSORT | Kalkutta (Indien) |
STERBEDATUM | 14. November 1977 |
STERBEORT | Vrindavan |