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Codex Iustinianus

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(Weitergeleitet von Codex Justinianus)
Eine Fassung u. a. des Corpus iuris civilis aus dem Jahr 1720

Der Codex Iustinianus (Schreibweise auch: Codex Justinianus, abgekürzt: CJ)[1]) ist einer von vier Teilen des römisch-rechtlichen Corpus iuris.

Am 13. Februar 528 gab Kaiser Justinian mit der Constitutio de novo codice componendo (auch Constitutio Haec) den Codex als erstes der vier Werke in Auftrag. Justinian ließ alle noch geltenden Gesetze und Anordnungen (Reskripte) zusammensammeln, die seit der Regierung Hadrians (117 bis 138) erlassen worden waren. Er plante eine umfassende Kompilation des Kirchenrechts, des Strafrechts, des Staatsrechts und besonders des materiellen Privatrechts, soweit es den Anforderungen der spätantiken Gesellschaft noch gerecht wurde. Als Vorlagen dienten auch verschiedene private und öffentliche Rechtssammlungen. Die Gesetzesautoren erhielten recht freie Hand bei der Gestaltung der Umsetzung. Sie wählten aus einer enormen Menge an Rechtstexten die erhaltenswerten aus, eliminierten dabei zahlreiche Redundanzen und griffen beim Zusammenfügen auch interpolatorisch ein. Das aktualisierte Recht präsentierte sich in verkürzter Form.

Historisches Umfeld

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476 war das römische Westreich untergegangen. Zeitgenossen sahen im Oströmischen Reich daher den legitimen Nachfolger des Imperium Romanum. Handwerk und Handel florierten wesentlich stärker als im Westen, Kultur und Reichtum hatten sich in den Städten gebildet. Weniger die Sonderinteressen der Großgrundbesitzer, als mehr die (internationalen) Handelsinteressen der Kaufleute prägten den Wirtschaftsalltag. Konstantinopel war als Nova Roma Zentrum und Hauptstadt mit militärisch-strategischer Bedeutung für den Ostmittelmeerraum, Haupteinnahmequelle für Steuern und die Organisation von Staatsmonopolen. Griechisch war die offiziell vorherrschende Sprache, Latein blieb bis Mitte des 6. Jahrhunderts allerdings juristische Amtssprache und Sprache der Diplomatie. Die Kolonen standen den weströmischen Sklaven im Range sehr ähnlich, waren aber homines liberi. Die Kirche übte erhebliche karitative Funktionen mit ausgeprägtem Spendenwesen und sonstigen Wohltätigkeiten aus, denn auch in den Städten gab es viel Armut. Auch die Kurialen verarmten und betrieben Stadtflucht. Zirkusparteien reflektierten in politischen Klubs die gesellschaftliche Stimmung. Eine luxuriöse Hofhaltung, kostspielige Bautätigkeiten, die Ausbeutung der Volksmassen, Steuerdruck, Willkür der Beamten, religiöse Streitigkeiten und letztlich der 532 Nika-Aufstand (532), sorgten in Konstantinopel für erhebliches Widersachertum gegen Justinian.

In diesem Umfeld verfolgte Justinian sehr beherzt drei übergeordnete Ziele. Besonders war ihm an der restauratio imperii gelegen, der Wiederherstellung der zerstörten Reichseinheit. Außenpolitische Erfolge ließen nicht auf sich warten. Ihm gelang mithilfe seines Heermeisters Belisar die Zerschlagung des Vandalenreichs. Er behauptete sich gegenüber dem Ostgotenkönig Theoderich und mit seinem General Narses rang er seinen hartnäckigen Widersacher Totila nieder, errang daneben viele ehemalige weströmische Ländereien zurück. Mit dem Sassanidenherrscher Chosrau I. vereinbarte er 532 einen Grenzsicherungsvertrag.

Sein zweites bedeutendes Anliegen war die Begründung einer starken römisch-katholischen Kirche. Auf diese wollte er sich selbst allerdings alle Optionen maßgeblichen Einflusses vorbehalten. Die Kirche benötigte er unbedingt, um den Staat konsolidieren zu können. Diese war in die vier Patriarchate Konstantinopel, Antiochia, Jerusalem und Alessandria eingeteilt. Die Bischöfe erhielten umfangreiche Rechte und alles ihnen (schenkungsweise) Zugewandtes vergrößerte unwiederbringlich deren Eigentum, denn neben der vollständigen Steuerfreiheit besaßen sie Lastenfreiheit. Die katholische Kirche durfte nicht gespalten werden, abweichende Lehren wurden verfolgt. Die Häretiker organisierten Volksaufstände dagegen.

Sein drittes bedeutendes Anliegen war, dass er für das gesamte Staatsgebiet ein geltendes, einheitliches Recht gestalten wollte. Herangezogen werden sollten die Codizes Gregorianus, Hermogenianus und Theodosianus sowie weitere danach erlassene Gesetze zusammengefasst werden. Am 7. April 529 war der Codex Iustinianus fertiggestellt. Am 16. April 529 trat er in Kraft. Benannt wurde er zunächst als Codex vetus. In der Urfassung ist er verschollen.

In der Summe zielte er auf eine Reichs-, Religions,- und Rechtseinheit ab. Dabei durfte ihm die höchste Tatkraft seiner Ehefrau Theodora gewiss sein.

Das Kodifikationsanliegen stieß auf Widerstände, denn es bestanden erhebliche inhaltliche Widersprüche zwischen dem klassischen Recht des 2. und 3. Jahrhunderts und der spätantiken Rechtspraxis des 5. und 6. Jahrhunderts. Die obrigkeitsrechtlich ausgerichtete kaiserliche Verwaltung musste sich der Widersprüche annehmen, um sie überwinden zu können. Dazu wurden weitere kaiserliche Anordnungen positivrechtlich festgehalten, die das Gesamtwerk ergänzten.[2] Der Codex Iustinianus wurde durchgängig in Latein geschrieben, Latein war zur Zeit seiner Entstehung nämlich noch Amtssprache in der oströmischen Verwaltung und in der Rechtsprechung. Der Einfluss des Griechischen nahm allerdings zu, weshalb Justinian, wiewohl selbst lateinischer Muttersprachler, nach 535 die meisten seiner eigenen Gesetze (Novellae) auch auf Griechisch veröffentlichen ließ, um für die Bevölkerung besser verständlich zu sein.

Die textlichen Kompilationen leitete federführend Justinians Spitzenbeamter (quaestor sacri palatii) Tribonian. Unterstützung erhielt die Aufsicht von Rechtsgelehrten der hochangesehenen Rechtsschule von Beirut. Auch Gelehrte aus Konstantinopel wirkten an den Arbeiten mit. Der aus den Arbeiten erwachsende Codex bestand aus 12 Büchern und umfasste neben Rechtsauskünften betagtere, aber für den Rechtsverkehr weiterhin gültige, Kaiserkonstitutionen. In Buch 1 bezogen sie sich auf Kirchenrecht (einschließlich antijudaistischer Erlasse), in den Büchern 2–8 auf das Privatrecht und das dazugehörige Prozessrecht. Buch 9 erörterte Straf- und Strafrechtsverfahrensrecht. In den Büchern 10–12 wurden verwaltungs- und finanzrechtliche Rechtsmaterialien behandelt.

Die erste Version des Codex wurde bereits am 7. April 529 durch die Constitutio Summa in Kraft gesetzt. Ab dem 16. April war die Constitutio alleinige Quelle für kaiserliches Recht. Am 16. November 534 ersetzte sie der Codex Repetitae Praelectionis, gültig ab dem 29. Dezember 534. Mit nur wenigen Lücken ist das Werk erhalten geblieben. Fragmente der ersten Version von 529 sind lediglich auf Papyrus überliefert (vor allem P. Oxy. XV 1814), was einige Rückschlüsse auf die Unterschiede zwischen den beiden Fassungen erlaubt. Diese waren vor allem durch die decisiones quinquaginta („Fünfzig Entscheidungen“) bedingt, neue zentrale Bestimmungen Justinians, erlassen seit 529.[3] Viele Passagen der ersten Version des Codex waren damit früh schon überholt worden.

Der Codex fasste alle gültigen Kaisergesetze, zumeist handelte es sich um Reskripte, ab der Zeit des Kaisers Hadrian (117 bis 138), bis ins Jahr 534 zusammen. Die größten Massen entfielen auf die Severer mit 880 Konstitutionen, beziehungsweise Diokletian mit sogar über 1200 Anordnungen. Konstantin war mit mehr als 200, Theodosius I. und Theodosius II. mit über 550 und Justinian selbst mit stark 400 Maßnahmen vertreten. Insgesamt wurden über 4500 Konstitutionen verarbeitet, 500 entstanden aufgrund der Teilung von 200 großen. Etwa 80 Doppelungen sind ebenfalls enthalten. Im Lichte des Codex Theodosianus gedieh der Codex zu einer zentralen Quelle des klassisch-römischen Rechts und der spätantiken Rechtspraxis. Alle nicht aufgenommenen Gesetze galten als aufgegeben und verloren ihre Gültigkeit, die aufgenommenen erlangten ihre Gesetzeskraft unmittelbar. Umstritten ist in der Forschung bis heute, mit welcher Eingriffsintensität sich die Kompilatoren der Wortlaute älterer Edikte und Reskripte annahmen. Häufig jedenfalls wurden Metatexte gestrichen, die Hinweise auf die gesetzlichen Regelungen gaben. Die Auswertung der Texte wird dadurch erschwert.

Ausgangspunkt war Hadrian deshalb, weil das für das Gerichtswesen geläufige prätorische Edikt in seiner Zeit festgeschrieben worden war (sogenanntes edictum perpetuum). Die dauerhafte Bekanntmachung des Rechtsschutzprogramms vereinfachte das Tätigwerden in der römischen Rechtsprechung erheblich. Die juristische Sprache war Latein, weshalb der Codex in jeweils eigenen Büchern durch griechische Übersetzungen der Kaiserkonstitutionen noch ergänzt wurde. Besonders galt das für die Umsetzung zu den klassisch-wissenschaftlichen Juristentexten, die in den Digesten als Fortgeschrittenenlehrbuch eingebracht wurden, ebenso im Anfängerlehrbuch, den Institutionen. Die inneren Widersprüche der Werke zueinander wurden weitestgehend beseitigt.[4][5] Alle Werke zusammengefasst ergaben das später so genannte Corpus iuris civilis. Zum Abschluss des Gesamtwerks wurden ab 535 noch die Novellae hinzugefügt,[2] die neuesten Erlasse Justinians. Auch sie wurden für nicht primär lateinischsprachige Reichsteile auf Griechisch abgefasst. Viele der Novellen sind lediglich in der griechischen Version erhalten geblieben, doch spricht vieles dafür, dass es zumindest bei den im gesamten Reich gültigen Gesetzen Justinians stets die offiziellen lateinischen Fassungen gab.

Dem Codex Iustinianus gingen ältere private Sammlungen von Konstitutionen voraus. Bedeutend waren die des Kaisers Diokletian, der etwa Ende des 2. Jahrhunderts die Codices Gregorianus und Hermogenianus auf den Weg gebracht hatte. Aufgenommen wurden diese in der amtlichen Sammlung des Kaisers Theodosius II. Sein Codex entstand bereits 438. Alle drei Gesetze fanden Eingang in das justinianische Gesamtwerk, das den letzten Höhepunkt des antiken Rechtsschaffens bildete. Zum Ende der Spätantike und im Frühmittelalter konnte der Codex lediglich wenig Bedeutung erlangen, eine verhältnismäßig noch größere im Westen des Reiches, wo der theodosianische Codex allerdings ungleich einflussreicher war. Seine volle Wirkung für die gegenwärtige Forschung entfaltete das Werk erst mit seiner ersten Rezeption im Hochmittelalter an der Hochschule von Bologna. Bis heute hat der Codex Einfluss auf europäische Rechtssysteme. Aber nicht nur der Codex, auch die anderen Teile des Corpus Iuris erlebten in Westeuropa ihre Renaissance.

  • Buch 1 enthält 57 Titel und umfasst 358 Konstitutionen. Vornehmlich wird darin Kirchenrecht geregelt. Justinian hatte das Kirchenrecht als eine persönliche Angelegenheit zu einem hervorgehobenen Staatszielanliegen erklärt. Das Christentum war zwar mit der 313 von Konstantin I. und Licinius verabschiedeten Mailänder Vereinbarung als Religion bereits anerkannt worden, darüber gibt der Codex Theodosianus entsprechende Auskunft, auch hatte sie einen rechtsinstitutionellen Status erlangt, worauf eine eigens geschaffene Kirchengesetzgebung hinweist, Justinian ging aber darüber hinaus. Ein starker Staat bedeutete für Justinian eine starke katholische Kirche. Unter Vorbehalt stellte er lediglich, dass er selbst entscheidenden Einfluss auf die Kirche würde nehmen können. Im Zeichen vermehrter Zuwendung und Stärkung und zum Zwecke der Genugtuung und vollständigen Anerkennung als Staatskirche, wurden sämtliche Kirchengüter, die Diokletian Anfang des 4. Jahrhunderts anlässlich der schweren Christenverfolgungen eingezogen hatte, an die Kirche zurückerstattet. Zur Stabilisierung erfuhren das klerikale Standesrecht und das kirchliche Verfassungs-, Verwaltungs-, Amts- wie Sachenrecht gesetzliche Aufwertungen. Den Bischöfen wurden eigene Rechtsquellen und Gerichtsbarkeiten zugestanden. Ketzer und Aufsässige wurden fortan verfolgt (vgl. die Offenbarungsreligion des Manichäismus und bereits Diokletians Edikt gegen die Manichäer) und scharf bekämpft.
  • Buch 2 enthält 59 Titel und umfasst 357 Konstitutionen, die vornehmlich kaiserlich verordnetes Prozessrecht behandeln. Hervorgehoben sind Anordnungen darüber, wie bei Gericht Beiweis zu erheben und zu führen ist. Weitere Titel beschäftigen sich mit Hinderungsgründe bei Klageverfahren und die Sanktionierung vertraglicher Sitten- und Rechtsverstöße. Betont wird die ungebrochene Bedeutung familiärer Herrschaftsverhältnisse. Rechtsvergleiche wurden Urteilen gleichgestellt und das Recht der Minderjährigen wurde effektiver geschützt. Als prozessual übergeordnetes Ziel kann ausgemacht werden, dass Auslegungsfragen stets sachlich knapp zu halten waren; auf Spitzfindigkeiten bei der Wortwahl war zu verzichten. Prozessökonomie und ein reibungsloser Verfahrensablauf standen im Zentrum dieses Interesses. Dem Richter war aufgetragen, vor jedem Verhandlungsbeginn einen Schwur auf das Heilige Evangelium abzunehmen.
  • Buch 3 enthält 44 Titel und umfasst 273 Konstitutionen. Die in der Spätantike angewachsene Komplexität des Lebensalltags verlangte eine Entlastung der staatlichen Zentralgewalt. Dazu gehörte, dass Eigentums- und Vermögensdelikte (Diebstahl, Raub und Plünderei) in vielen Fällen wieder in eigenmächtige Selbstjustiz überantwortet wurde. Die Bevölkerung sollte eigenmächtig auch Deserteure bestrafen dürfen. Eine Erhöhung der allgemeinen Rechtssicherheit brachten Verordnungen mit sich, die die Bevölkerung vor der Behandlungswillkür kaiserlicher Beamte schützten. Die Prozessdauer öffentlicher Gerichtsverfahren wurde befristet, zudem wurden Gerichtszuständigkeiten geklärt. Weitere Verordnungen betrafen den materiell-rechtlichen Schutz des Sachen- und Erbrechts, bestimmte Verordnungen waren für das Glücksspiel getroffen worden. Von großer Bedeutung war die Behandlung „liebloser Testamente“ (inofficioso testamento) und der Umgang mit „Eigentumsklagen“ (De rei vindicatio). Ferner waren bedeutsam die Tatbestände des zentralen Schadensersatzrechts der lex Aquilia und Teilungsklagen, die die Erbteilung und die Teilung von Miteigentum behandelten. Verstreut finden sich auch in diesem Buch christlich geprägte Wertvorstellungen, wie der Eid auf das Evangelium vor jedem Prozessbeginn oder die Sonntagsheiligung mit Verrichtungsverboten am Tag des Herrn.
  • Buch 4 enthält 66 Titel, worin 554 Konstitutionen enthalten sind. Das Buch behandelt eine Vielzahl privatrechtlicher Themen. Unter anderem werden Klagabwehrstrategien (Leugnung) des Beklagten besprochen, die im Zusammenhang mit (vermeintlich) eingegangenen Verbindlichkeiten und daraus resultierenden Klagen stehen. Weitere Verordnungen befassen sich mit der gewohnheitsrechtlich hergebrachten Schuldknechtschaft, die als unzeitgemäß erachtet wird. Einst wurde sie in der lex Poetelia Papiria de nexis fixiert, ein Gesetz, das aus der vorklassischen Zeit herrührt. Einige Verordnungen beleuchten das Recht des Klägers, hingegebene Sachen oder Geld zurückzufordern. Voraussetzung war, dass das Rechtsgeschäft, auf das die Hingabe erfolgte, mit einem „verwerflichen Rechtsgrund“ verknüpft war. Als bereicherungsrechtlicher Rückforderungsgrund wurde auch die „Zweckverfehlung“ thematisiert. Prozessrechtliche Verordnungen behandelten den Urkunden- und Zeugenbeweis (De probationibus, De testibus). Ausgeführt werden zudem Stellungnahmen zu Pfandklagen, zu Zöllen, zum (Handels-)Vertragsrecht (locatio conductio), zu erhobenen Zinsen und zu Ädilenedikten für das Marktrecht. Ablehnungstatbestände zu den Gepflogenheiten um die rechtliche Situation der Kastraten schließen den Katalog ab.
  • Buch 5 enthält 75 Titel mit 457 Konstitutionen. Den Schwerpunkt des abgehandelten Familienrechts bildet das Eherecht (De nuptiis). Gewohnheitsrechtlich wurde an der Einehe (grundsätzliches Konkubinenverbot) festgehalten (vgl. Manusehe). Tod oder Scheidung beendeten eine Ehe. Ehehindernisse bestanden für Sklaven, Unmündige, Kastraten, Geisteskranke, Blutsverwandte und bereits Verheiratete. Senatoren durften „niedrige und verworfene“ Frauen nicht heiraten. Verschiedene Regelungen galten dem Verlöbnis und der Mitgift (De iure dotium). Gleich mehrere Vorschriften regelten die Verantwortlichkeit von Vormündern und Kuratoren (De pericolo tutorum et curatorum).
  • Buch 6 enthält 62 Titel mit insgesamt 461 Konstitutionen. Geregelt werden Anordnungen zur Ausübung der Sklaverei und zu den rechtlichen Bedingungen und Voraussetzungen im Falle einer Freilassung (Gehorsamspflicht auch der Abkömmlinge). Bereits Konstantin I. hatte empfindliche Strafen gegen Sklaven verhängt, die sich zur Flucht anschickten. Die teilweise untragbaren Umstände für Sklaven unter Justinian, hatten zum intensiven Einsetzen einer Sklavenflucht geführt, sodass sich der Kaiser gezwungen sah, erheblich entgegenzusteuern. Einen weiteren Schwerpunkt bilden erbrechtliche Problemfelder. Behandelt werden die Testamentserrichtung, die Lösung von Fragen des Nachlassbesitzes, das allgemeine gesetzliche bzw. gewillkürte Erbrecht, Vermächtnisse und schließlich der Fideikommiss.
  • Buch 7 enthält 75 Titel mit insgesamt 438 Konstitutionen. Besonders ausführlich wird das Freilassungsrecht (manumissio testamento (fideicommissaria)) von Sklaven abgehandelt. Daneben widmet sich das Buch dem Sachen- und Prozessrecht, insbesondere der Urteilslehre. Daneben wird der Erwerbstatbestand der Ersitzung (usucapio) behandelt, der sich aus fortgesetztem Besitz ergeben konnte. Ein eigenes Thema waren die Appellationen vor dem kaiserlichen Gerichtshof.
  • Buch 8 enthält 58 Titel, in denen 453 Konstitutionen aufgenommen sind. Vorherrschend sind Verordnungen zum Pfandrecht (De pignoribus). Dazu werden komplizierte Einzelfälle besprochen, so Mehrfachverpfändungen an einzelnen Sachen, die Verpfändung von Sachen, die im Eigentum mehrerer stehen, die Verpfändung fremder Sachen und die Pfändung gepfändeter Sachen, sogenannte Pfändungspfandrechte. Raum für Anordnungen nimmt auch das Themenfeld der patria potestas ein, insbesondere deren Begründung durch Emanzipation des Hauskindes (filius familias), das selbst zum pater familias wird. Auch erörtert wird der Tatbestand der Rückgängigmachung einer Emanzipation. Diverse Konstitutionen beschäftigen sich mit dem Umgang mit Gefangenschaftsrückkehrern, zu deren Gunsten Wiedereinsetzungstatbestände in ihre alten Rechte aus ius postliminii wirken sollen. Anders zurückkehrende Deserteure; sie waren an hoheitliche Gnadenerweise gebunden um ihren Rechtsstatus wiederzuerlangen. Einen breiteren Raum nehmen auch Tatbestände zum Schenkungsrecht ein. Auch hier wurden differenzierte Fallgestaltungen dargelegt, so die Schenkung mit Zweckbindungscharakter, realisiert durch Auflagen oder Bedingungen. Möglich war auch der Widerruf von Schenkungen, etwa wegen groben Undanks des Beschenkten.
  • Buch 9 behandelt in 51 Titel 332 Konstitutionen zum Strafrecht. Archaische Tatbestände sind die Noxalhaftung und Injurien. Umfangreich zurückgegriffen wird auf gesetzlichen Kataloge für Rechtsverletzungen, die von Sulla, Caesar und Augustus geschaffen wurden und in den leges Corneliae bzw. leges Iuliae ihren Niederschlag gefunden haben. In Bezug auf familienrechtliche Problematiken werden die augusteischen Ehegesetze herangezogen. Viele dieser Gesetze waren später modifiziert und auf die aktuellen Lebenswirklichkeiten angepasst worden, behielten en gros aber im Kern ihre Bedeutung. Das betraf besonders Tatbestände der Verletzung der ehelichen Moral, wobei die Frau in der Geschlechterbeziehung deutlich benachteiligt war. Ehebruch, Kuppelei, öffentliche und private Gewalttätigkeiten, Kapitalverbrechen, Majestätsbeleidigung, Meuchelmord, Menschenraub, Sklavenzüchtigung, Entehrungen von Grabstätten, Verbrechen des Sakrilegs, Tempelraub, Erbschaftsausplünderungen, Verbrechen an öffentlichem Eigentum, Schmähschriften und -reden, Falschmünzerei und Schadenszauber begründeten erhebliches Sanktionspotential. Auch prozessuale Umstände wurden festgeschrieben. Es wurde festgelegt, welche Umstände zur Anklageverweigerung führen (Qui accusare non possunt), wie Anklage zu erheben ist (De accusationibus et inscriptionibus), wie Angeklagte zu bewachen sind (De custodiam rerorum), was zu veranlassen ist, wenn eine der Parteien verstorben ist (Si reus vel accusator mortuus fuerit) und wie peinliche Befragungen (Verhöre unter Anwendung der Folter) geführt werden.
  • Buch 10 enthält 78 Titel, die 329 Konstitutionen umfassen. Behandelt wird das vom Kaiserhof ausgehende hoheitliche Verwaltungsrecht. Gleich im ersten Titel werden die (außer-)ordentlichen Staatseinnahmen geregelt (Fiskalrecht; De iure fisci). Im Zentrum des Buchs De annona et tributis stehen die öffentlichen Abgaben und Steuern. Annonae waren häufig in Naturallieferungen, vornehmlich handelte es sich um Getreideabgabelasten der Provinzen, zu erbringen. Steuerquellen (tributa) aus der Landwirtschaft waren die sogenannte iugatio-capitatio, die differenziert nach Größe von Grund und Boden und nach Anzahl der beschäftigten Arbeitskräfte erhoben wurde, und für Händler und Handwerker die Gewerbe- und Handelssteuer aurum lustrale (im Ostreich auch Chrysargyron genannt), die in fünfjährigen Perioden anfiel. Rekruten und Militärpferde waren zu stellen, Unfreie und Lohnarbeiter waren steuerbefreit. Weitere Verordnungen galten dem ordo decurionum, dem Stadtrat, der mit mehr oder weniger Erfolg – und unter vermögensrechtlicher Eigenhaftung – die Beitreibung der Steuern zu gewährleisten hatte. Wer sich der Amtsbürde entzog, hatte mit strengen Strafen zu rechnen.
  • Buch 11 enthält 78 Titel, umfasst darin 262 Konstitutionen. Das Buch befasst sich ebenfalls mit verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten, geprägt von Erlassen an Beamte und Reskripten auf Anfragen. Hauptsächlich wurde versucht, sich der immer stärker intensivierenden Landflucht zu begegnen, um die agrarischen Strukturen aufrechtzuerhalten. Etliche Berufszweige waren dazu übergegangen, sich durch die Wahl eines günstigeren Berufsstandes den drückenden Verpflichtungen zu entziehen. Getreidetransporteure, Tiberschiffer, Bergleute, Waffenschmiede, Schauspieler, Bordellbesitzer und in Korporationen zusammengeschlossene Schweinehändler und Weinstubenbetreiber erhielten daraufhin Anordnungen. Auch war die öffentliche Daseinsvorsorge im Fokus. Regelungen ergingen zum Wasserleitungsrecht und zum Jagdwesen.
  • Buch 12 enthält 63 Titel mit 306 Konstitutionen. Im Zentrum stehen Verordnungen, die das Verhältnis verschiedener Berufe und ausgeübter Ämter im Standes- und Rangverhältnis zueinander gewichten. Erlasse werden zu den höchsten Ämter genauso verfügt, betreffend die Prätorianerpräfekten, die Stadtpräfekten und die militärischen Oberbefehlshaber, wie zu den niederen Rängen, die einfache Dienste im Palast des Kaisers versehen. Zumeist werden die Ämter im Zusammenhang mit zugestandenen Privilegien beleuchtet. Das unter Augustus nach ptolemäischem Muster geschaffene Staatspostwesen durfte von Privaten nur noch mit Sondergenehmigung (evocatio) genutzt werden. Weitere Konstitutionen regelten den Amtsmissbrauch der Provinzstatthalter und ihrer Unterbeamten (Stichwort: Erpressungen).

Kommentierungen

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Die Werke wurden nach der Entstehung in den Rechtsschulen für den Unterricht interpretiert. Bedeutende Interpretationen des Werks gehen auf einen gewissen Thalelaios zurück.[6] Neben der Kommentierung liefert er eine wortgetreue Übersetzung („κατὰ πόδα“). Weitere Antezessoren waren Isidoros, Anatolios und Stephanos.[7]

  • Fred H. Blume, Bruce W. Frier (Hrsg.): The Codex of Justinian. A New Annotated Translation with Parallel Latin and Greek Text. 3 Bände. Cambridge University Press, Cambridge 2016.
  • Paul Krüger (Hrsg.): Corpus Iuris Civilis Band 2: Codex Iustinianus., Berlin 1906 (Digitalisat).
  • Béla Adamik: Zur Geschichte des offiziellen Gebrauchs der lateinischen Sprache. Justinians Reform. In: Acta Antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae. Bd. 43, Nr. 1/2, November 2003, ISSN 0044-5975, S. 229–241, doi:10.1556/AAnt.43.2003.1-2.16 (Adamik behandelt die Sprache des Codex und der Novellae und vertritt die Position, nach 534 sei die Sprache des Rechts systematisch von Latein auf Griechisch umgestellt worden).
  • Iole Fargnoli (Hrsg.): ACTI. Auxilium in Codices Theodosianum Iustinianumque investigandos. LED Edizioni Universitaire, Mailand 2009, ISBN 978-88-7916-403-0.
  • Gottfried Härtel, Frank-Michael Kaufmann (Hrsg.): Codex Justinianus. Leipzig, Reclam, 1991. ISBN 3-379-00530-4.
  • Paul Jörs: Codex Iustinianus. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band IV,1, Stuttgart 1900, Sp. 167–170.
  • Wolfgang Kaiser: Die Zweisprachigkeit reichsweiter Novellen unter Justinian. Studien zu den Novellen Justinians. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung. Bd. 129, Heft 1, 2012, S. 392–474, doi:10.7767/zrgra.2012.129.1.392 (Kaiser widerspricht in mehreren Punkten Adamik und vertritt die Position, Justinian habe die Sprache der Gesetzgebung nach Vollendung des Codex keineswegs systematisch auf Griechisch umgestellt; vielmehr seien die Gesetze nun auf Griechisch und Latein veröffentlicht worden. Dass die meisten Novellen nur in der griechischen Fassung erhalten sind, verdanke sich nur dem Umstand, dass man in Byzanz ab dem 7. Jahrhundert kein Latein mehr sprach).
  • Hartmut Leppin: Die Gesetzgebung Iustinians – der Kaiser und sein Recht. In: Karl-Joachim Hölkeskamp, Elke Stein-Hölkeskamp (Hrsg.): Erinnerungsorte der Antike. Die römische Welt. Beck, München 2006, ISBN 3-406-54682-X, S. 457–466 (knappe Einführung auf dem neuesten Forschungsstand und mit weiterführenden Literaturangaben).
  • Bastian Zahn: Einführung in die Quellen des römischen Rechts. In: JURA – Juristische Ausbildung, 2015, S. 452 f.
Wikisource: Codex Iustinianus – Quellen und Volltexte (Latein)
  1. Detlef Liebs: Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260–640 n. Chr.) (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge, Band 8). Duncker & Humblot, Berlin 1987, Abkürzungsverzeichnis, S. 12.
  2. a b Okko Behrends, Wolfgang Sellert (Hrsg.): Der Kodifikationsgedanke und das Modell des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). 9. Symposium der Kommission „Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart“. In: Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen.(Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge Nr. 236). Vandenhoeck & Ruprecht 2000. ISBN 3-525-82508-0 (im Buch falsch mit Prüfziffer -8). S. 11 (Fn. 7).
  3. Paul Jörs: Decisiones quinquaginta. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band IV,2, Stuttgart 1901, Sp. 2275–2277.
  4. Problematisch war insbesondere das Verhältnis der Digesten zum Codex, welcher Präjudizienverbote enthielt. Vergleiche insoweit Digesten 1.3.38 und Codex 7.45.13.; Spannungsverhältnisse der beiden Bücher wurden zumeist aufgelöst, indem entweder die selbständige Bedeutung der Digestenstellen betont oder umgekehrt heruntergespielt wurde.
  5. Mehrdad Payandeh: Judikative Rechtserzeugung. Theorie, Dogmatik und Methodik der Wirkungen von Präjudizien. Mohr Siebeck, Tübingen 2017, ISBN 978-3-16-155034-8. S. 71–73.
  6. Grundlegende Bedeutung haben die Studien von Dieter Simon: Aus dem Kodexunterricht des Thalelaios, in Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung. Band 86, 1969, S. 338‒383; Band 87, 1970, S. 315‒394.
  7. Vgl. Literaturangaben bei Spyros Troianos: Das Zeitalter Justinians, in: Die Quellen des byzantinischen Rechts, Berlin, Boston: De Gruyter, 2017. S. 98.