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ITER

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Der Kernfusionsreaktor ITER (lat. der Weg) ist ein gemeinsames Forschungsprojekt der Europäischen Union und der Länder Japan, Kanada, Schweiz, Russland, China, Südkorea und der USA. Die USA waren von 1998 bis 2003 vorübergehend aus dem ITER-Projekt ausgestiegen, Kanada seit 2004. ITER soll Wege zu einer wirtschaftlichen Nutzung der kontrollierten Kernfusion aufzeigen. Die ursprüngliche Bedeutung der Abkürzung 'ITER' (engl. International Thermonuclear Experimental Reactor, internationaler thermonuklearer Versuchsreaktor) wird offiziell nicht mehr verwendet.

Kernfusion

Nach dem Vorbild der Sonne wird bei der Kernfusion Wasserstoff zu Helium verschmolzen. Dabei wird eine große Menge Energie in Form von (Wärme)-Strahlung frei. Ein Gramm Wasserstoff setzt dabei etwa dieselbe Menge Energie frei wie acht Tonnen Erdöl oder elf Tonnen Kohle. Die Wasserstoffbombe macht sich diesen Effekt zunutze, allerdings wird hier die Energie unkontrolliert auf einmal freigesetzt.

Fusionsreaktor

Schon seit Jahrzehnten wird an der zivilen Nutzung der Kernfusion geforscht, das größte Problem dabei ist die hohe Zündtemperatur: Der Fusionsprozess kommt erst bei Temperaturen von mehreren hundert Millionen Grad Celsius in Gang. Auf derart hohe Temperaturen kann man den Wasserstoff aber nicht in bisher gebräuchlichen Medien erhitzen, da er sofort alle Gefäße zum Schmelzen oder Verdampfen bringen würde.

Der Wasserstoff wird daher in einem Vakuum erhitzt, schwebend, ohne Kontakt zum Behältnis. Um das zu erreichen, werden starke Magnete um die torusförmige Reaktionskammer errichtet, die das hocherhitzte Wasserstoffplasma durch Magnetfelder in Position halten. Damit die Magnetfelder überhaupt die erforderliche Stärke erreichen, müssen die Magnete bis zur Supraleitung heruntergekühlt werden.

Bei einem Ausfall des Magnetfeldes wird – wider Erwarten – der Reaktor durch die enormen Temperaturen nicht zerstört. Der Kontakt mit der Reaktorwand verunreinigt das Plasma und lässt es sofort instabil werden und auskühlen.

Das Kühlen der Magnete, das Halten und Erhitzen des Plasmas benötigt enorme Energiemengen, bis der Fusionsprozess überhaupt einsetzt. Bei bisherigen Projekten konnte die Fusion nur über kurze Zeit (etwa 2 Sekunden) aufrecht erhalten werden, so dass die durch die Fusion gewonnene Energie nur einem kleinen Teil der eingesetzten Energie entsprach. Bereits realisierte Ergebnisse belaufen sich auf 20 Megawatt Heizleistung Aktivierungsenergie und 16 Megawatt Leistung des Reaktors.

ITER-Projekt

Der Reaktor soll die wissenschaftliche und technische Machbarkeit der Energieerzeugung aus Kernfusion demonstrieren. Als erster Testreaktor soll er netto mehr Energie liefern, als er zum Betrieb benötigt. Der Energieausstoß soll sich dabei in den Dimensionen eines herkömmlichen Kraftwerks bewegen. Mit dem Projekt sollen wesentliche Schlüsselelemente getestet werden, die für eine praktische wirtschaftliche Anwendung der Kernfusion notwendig sind. Er soll außerdem Erfahrungen im Betrieb liefern, die für einen geplanten nachfolgenden Demonstrationsreaktor (DEMO) notwendig sind.

Der Deuterium-Tritium-Fusionsreaktor wird im Forschungszentrum Cadarache im Süden Frankreichs zu wissenschaftlichen Zwecken erbaut.

Staatspräsident Jacques Chirac bezeichnete dieses Vorhaben als das größte Wissenschaftsprojekt seit der Internationalen Raumstation.

Technische Daten

ITER funktioniert nach dem Tokamak-Prinzip: in einem toroidalen Magnetfeld wird aus Wasserstoff ein Plasmastrom erzeugt. Dieser soll auf die entsprechende Temperatur und Dichte gebracht werden, um eine Fusion zu ermöglichen.

Nach den bisherigen Planungen (Stand 2001) sind die technischen Eckpunkte:

Gesamtradius: 10,7 Meter
Höhe (über alles): 30 Meter
Plasmaradius: 6,2 Meter
Plasmavolumen: 837 Kubikmeter
Magnetfeld: 5,3 Tesla
Maximaler Plasmastrom: 15 Megaampere
Heizleistung und Stromtrieb: 73 Megawatt
Fusionsleistung: 500 Megawatt
Energieverstärkung: 10x
Mittlere Temperatur: 100 Millionen Grad Celsius
Brenndauer: > 400 Sekunden

Projekt

Bei Gesprächen 1985 zwischen Michail Gorbatschow, François Mitterrand und Ronald Reagan wurde eine Zusammenarbeit bei der Forschung beschlossen. Die ersten Planungen begannen 1988 im deutschen Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, die 1990 in einem ersten Entwurf eines Testraktors resultierten.

Mittlerweile sind auch Japan, die EU, die Schweiz, China, und Südkorea an den Forschungen beteiligt. Von 1998 bis 2001 wurde die Reaktorkonstruktion detailliert ausgearbeitet und abgeschlossen. Kanada ist im Dezember 2003 aus dem Projekt ausgestiegen, diskutiert aber über einen Wiedereinstieg. Indien und Brasilien haben 2004 ihr Interesse an einer Beteiligung angekündigt.

Mit einem Baubeginn rechnet man im Moment im Jahr 2006, mit einer Betriebsaufnahme ist ab ca. 2015 zu rechnen.

Die Kosten für das ITER-Projekt werden auf etwa 10 Milliarden Euro veranschlagt, etwa 4 Milliarden Euro davon entfallen auf die Planung und den Bau der Anlage, ca. 1,5 Milliarden Euro muss das Land tragen, in dem der Reaktor errichtet wird, den Rest teilen sich die anderen Projektpartner. (Mittlerweile wurde das Projekt in eine kleinere Version mit ca. 6 Milliarden Euro geändert [Stand Juni 2005]).

Nicht nur der Bau, auch der Betrieb des Testreaktors ist teuer, in den geplanten 20 Betriebsjahren wird er nochmal rund 4,5 Milliarden Euro kosten. Wenn sich die Ergebnisse aus dem Testbetrieb wie erwartet gestalten, kann mit einem ersten regulären Fusionskraftwerk ab 2030-2040 gerechnet werden.

Von deutscher Seite am Projekt beteiligt ist das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München und das Institut für Plasmaphysik (IPP) am Forschungszentrum Jülich. Weitere wissenschaftliche Zentren liegen in San Diego, USA und Naka, Japan. Das Aufsichtsgremium ITER-Council hat seinen Sitz in Moskau, Russland.

Standort

Der ITER wird gemäss Medienberichten vom 28. Juni 2005 in Cadarache (Südfrankreich) gebaut. So haben sich die Teilnehmer mit dem Rückzug Japans auf den französischen Standort geeinigt. Die Entscheidung soll mit Vertragsunterzeichnung Ende 2005 verbindlich werden.

Seit 2001 wurde über einen Standort für den ITER beraten, Standortbewerbungen lagen aus Frankreich, Spanien, Japan und Kanada vor, 2005 konkurrierten noch Frankreich (Cadarache) und Japan (Rokkasho-Mura) um den Standort. Während die USA, Japan und Südkorea den Standort Rokkasho-Mura bevorzugten, stimmten die EU, China und Russland für Cadarache. Am 28. Juni 2005 entschieden die beteiligten Staaten, den Testreaktor im französischen Cadarache zu erstellen; bei der Zustimmung Japans spielten aber nicht nur sachliche Abwägungen, sondern auch außenpolitische Aspekte eine Rolle. Außerdem sollen Japan Sonderkonditionen eingeräumt werden, da es sich doch dazu entschloss, dass der Reaktor in Europa gebaut werden soll. Bereits im November 2004 hatte der EU-Ministerrat einstimmig beschlossen, ITER nur in Cadarache zu bauen, notfalls auch ohne die Beteiligung Japans, Süd-Koreas und der USA.

Für den Bau des ITER gab es bis 2003 auch eine inoffizielle deutsche Bewerbung mit dem ehemaligen KKW-Nord »Bruno Leuschner« in Lubmin an der Ostsee. Das Kraftwerksgelände wurde in den letzten Jahren durch die Energiewerke Nord GmbH als Zwischenlager sehr gut ausgebaut und ein Industriehafen mit überdurchschnittlichem Tiefgang gebaut. Im Sommer des Jahres 2003 kippte Bundeskanzler Schröder – trotz einer Zusage des ehemaligen Kanzlers Kohl – die Zusage zur Bewerbung um den ITER. Der Grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell setzte sich in diesem Zusammenhang in der Berliner Landesvertretung des Landes Mecklenburg-Vorpommern für ein Ende der Fusionsforschung und Kernspaltung in Deutschland ein und bemühte sich ebenfalls, die Inbetriebnahme des bereits in Greifswald errichteten Vorläufer des ITER, den Wendelstein 7-X des Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, zu verhindern. Argumentiert wird damit, dass die Kernfusion innerhalb der nächsten 50 Jahre nichts zu der erforderlichen schnellsten Reduzierung des CO2-Ausstoßes beitrage und dass man mit dem investierten Geld auf anderen Gebieten weit mehr Arbeitsplätze schaffen könne.

Mit dem ITER Kernfusionsreaktor am Standort Lubmin wäre die Universität Greifswald langfristig zu einem der Spitzenstandorte internationaler Fusionsforschung geworden, da wissenschaftliches Fachpersonal sowohl am Max-Planck-Institut, an der Universität Greifswald und am ITER beteiligt gewesen wäre. Lubmin war international der erfolgversprechendste Konkurrent. Der nun festgelegte Standort Cadarache in Frankreich ist ein Erdbeben-Risikogebiet, dies galt ebenfalls für den in Betracht gezogenen japanischen Standort.

Siehe auch