„Pragmatische Maxime“ – Versionsunterschied
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William James bezeichnete später die beiden ersten Aufsätze als die “Gründungsdokumente des Pragmatismus”. Die folgenden vier Aufsätze arbeiten Einzelaspekte aus, die die Thesen der ersten beiden Aufsätze unterstützen und die Einbindung der Pragmatischen Maxime in den wissenschaftslogischen Denkrahmen von Peirce deutlich machen. |
William James bezeichnete später die beiden ersten Aufsätze als die “Gründungsdokumente des Pragmatismus”. Die folgenden vier Aufsätze arbeiten Einzelaspekte aus, die die Thesen der ersten beiden Aufsätze unterstützen und die Einbindung der Pragmatischen Maxime in den wissenschaftslogischen Denkrahmen von Peirce deutlich machen. |
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== Die Festigung der Überzeugung == |
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=== Zweifel und Überzeugung === |
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Peirce Fragestellung dreht sich vor allem um eine wissenschaftstheoretische Begründung von Erkenntnis. Wissenschaftliche Tätigkeit setzt das Experiment sowie Schlussfolgerungen mit den Methoden der Logik voraus. Richtiges Schlussfolgern bedeutet, dass wahre Konklusionen aus wahren Prämissen gezogen werden. „Das, was uns festlegt, aus gegebenen Prämissen einen Schluss eher als einen anderen zu ziehen, ist eine Gewohnheit (habit) des Geistes, ob sie nun konstitutionell oder erworben ist.“ (CP 5.367) Der Schluss wird dabei als gültig betrachtet, unabhängig von seiner Wahrheit. Eine solche Denkgewohnheit als Grundlage eines Schlusses nennt man „Leitendes Prinzip“. Im alltäglichen, praktischen Leben spielt ein solches leitendes Prinzip keine Rolle, weil es nicht bewusst ist und man einer Gewohnheit einfach folgt. Aber in ungewohnten Situationen ist es manchmal hilfreich, das leitende Prinzip eines Schlusses zu kennen. |
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Bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass einem Schluss oft viele als selbstverständlich geltende Tatsachen als Voraussetzung zugrunde liegen. Dabei kommt es manchmal zu Verwirrungen, wenn Begriffe, die Gegenstand von logischer Reflexion sind, sich mit gewöhnlichen Gedanken mischen. Hierzu zählt zum Beispiel der Begriff der Qualität, den man als solchen niemals beobachten kann. „Wir wissen allgemein, wann wir eine Frage stellen und wann wir ein Urteil aussprechen, da es zwischen dem Gefühl des Zweifels und dem der Überzeugung einen Unterschied gibt.“ (CP 5.370) Überzeugungen sind leitende Prinzipien für Handlungen, soweit sie zur Gewohnheit werden. |
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Zweifel ist ein unangenehmer Zustand, aus dem die Menschen immer in den Zustand der Überzeugung wechseln möchten. „Mit dem Zweifel beginnt der Kampf und mit dem Aufhören des Zweifels endet er. Folglich ist das alleinige Ziel der Nachforschung die Festlegung einer Meinung. Wir mögen uns vorstellen, dies sei nicht genug für uns, und wir suchten nicht nur eine Meinung, sondern eine wahre Meinung. Aber man prüfe diese Vorstellung und sie erweist sich als unbegründet; denn sobald eine sichere Überzeugung erreicht ist, sind wir gänzlich zufrieden, ob die Überzeugung nun wahr ist oder nicht.“ (CP 5.375) Zweifel in dieser Betrachtung ist kein theoretischer Zweifel wie bei Descartes. Rhetorischer Zweifel hilft der Forschung nicht weiter. Theorien sollten auf anerkannten Aussagen basieren, aber immer mit der Erwartung aufgestellt werden, dass sie sich als falsch erweisen. Dabei ist es unnütz, sich mit Fragen auseinanderzusetzen, die schon geklärt sind, für die es also keinen Zweifel mehr gibt. |
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=== Methoden zum Erreichen einer festen Überzeugung === |
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Überzeugungen gewinnt man nicht, indem man in Zweifel stehende Argumente einfach immer wieder wiederholt, kritische Argumente einfach ignoriert oder sich an bestehenden Argumenten festklammert. Den Kopf wie ein Strauß in den Sand zu stecken, ist irrational. Leute, die dieser <u>Methode der Beharrlichkeit</u> beispielsweise aus religiösen Motiven folgen, mögen zufrieden sein. Man soll sie gewähren lassen. Im Laufe der Zeit wird sie der Trieb der Gemeinschaft überrollen. Denn nachhaltig werden Überzeugungen nicht im Individuum, sondern in der Gemeinschaft der Menschen festgelegt. |
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Wenn nun Institutionen oder Systeme, die ausreichend Macht haben, eine bestimmte Meinung mit Gewalt durchsetzen und die Menschen in Unwissenheit halten, so ist das die <u>Methode der Autorität</u>. Für solche theologischen oder politischen Lehren gibt es genügend Beispiele. Das wohl vollkommenste ist das der katholischen Kirche. Dazu zählen auch Aristokratie und Zunftwesen. Solche Systeme werden oftmals von einzelnen Führern begründet, leben von Kameradschaft und sind zu den schlimmsten Gräueltaten fähig. Aber den Zweifel können solche Systeme nicht dauerhaft unterdrücken. Und der Zweifel ist der Motor des Zerfalls solcher Systeme. |
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Lässt man die allgemeine Volksmeinung vorherrschen, so werden Überzeugungen nach Fragen des Geschmacks und der gefälligen Argumentation gebildet. Die Geschichte der Philosophie, in der das Pendel zwischen materialistischen und spiritualistischen Philosophien hin und her schwankt, ist voll von solchen Annahmen ohne Bezug zu Tatsachen. „Plato fand es beispielsweise der Vernunft entsprechend, dass die Abstände der himmlischen Sphären zueinander proportional sind zu den verschiedenen Längen von Saiten, die harmonische Akkorde erzeugen.“ (CP 5.382) Auch bei Descartes, Kant oder Hegel fand Peirce entsprechende Aussagen. Durch Induktion entstehen Meinungen mit zufälligen und willkürlichen Elementen. Peirce nannte ein solches Vorgehen zur Erlangung von Überzeugungen, das nicht auf Tatsachen beruht, <u>A-priori Methode</u>. Diese Methode ist denen der Beharrlichkeit und der Autorität vom Standpunkt der Vernunft her eindeutig vorzuziehen. Sie ist aber unbefriedigend, weil sie oftmals den Zweifel nicht wirklich ausräumt. |
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Man wird daher nach Peirce eine Methode suchen, die den Zweifel wirksamer zur Ruhe bringt. Diese Methode sollte nicht vom Individuellen, nicht vom rein Menschlichen abhängen, sondern den Maßstab außerhalb vom Subjekt suchen, denn Wahrheit ist etwas Öffentliches. Erst wenn die Konklusionen eines jeden Menschen letztendlich die gleichen sind, hat man einen objektiven Maßstab und dies ist die Realität. Die Annahme der Realität ist zwar eine Hypothese, sie ist aber die einzige, mit der die <u>wissenschaftliche Methode</u> in Harmonie ist. Zweifel bedeutet, dass sich zwei Aussagen widersprechen und das setzt bereits Realität voraus. Die wissenschaftliche Methode ist die einzige mit der man Wahrheit erkennen kann. Dies gilt insbesondere im Vergleich zu den als Beispiel aufgeführten Alternativen. An Tatsachen vorbeizugehen, wie auch immer eine solche Verhaltensgewohnheit begründet ist, betrachtete Peirce als unredlich und unmoralisch. Die Entscheidung, den Maßstab der Wahrheit anzuerkennen, ist wie die Entscheidung für eine Braut. „Man sollte den Genius der logischen Methode lieben und verehren.“ (CP 5.387). |
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== Von der Klarheit der Gedanken == |
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=== Überzeugung und Gewohnheit === |
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Die Rede von der Klarheit eines Gedankens hatte in der Geschichte der Logik zunächst die Bedeutung der Vertrautheit mit einem Gedanken. Durch [[René Descartes|Descartes]] wurde das erweiternde Kriterium der Unterscheidbarkeit (clara et distincta) eingeführt. [[Gottfried Wilhelm Leibniz|Leibniz]] präzisierte weiter, indem der Klarheit mit Wiedererkennbarkeit gleichsetzte und diese wieder trennte in Deutlichkeit und Verworrenheit. Leibniz versuchte insbesondere Klarheit durch Begriffsdefinitionen zu schaffen. |
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Peirce betrachtete die überkommene Bestimmung begrifflicher Klarheit nicht mehr als zeitgemäß. Mit dem Konzept von Zweifel und Überzeugung sah er die Möglichkeit, nach Vertrautheit und Deutlichkeit eine dritte Stufe der Klarheit einzuführen. Zweifel betrifft dabei auch ganz einfache Vorgänge wie die Wahl von Geldmünzen beim Bezahlen. Immer dann, wenn eine Überlegung stattfindet, die zu einer Überzeugung über eine Handlungsmöglichkeit führt, wird ein Zweifel beseitigt. Selbst das Studieren eines Fahrplanes während des Wartens am Bahnhof dient der Festigung einer Überzeugung, indem man danach weiß, dass man den Fahrplan richtig verstanden hat, sich bestätigt, wann und wo der eigene Zug abfährt und beurteilen kann, was auf den anderen Bahnsteigen vor sich geht. „Das Denken in Aktion hat als allein mögliches Motiv, das Denken zur Ruhe zu bringen, und was sich nicht auf eine Überzeugung bezieht, ist kein Teil des Denkens selbst.“ (CP 5.396) |
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Der Begriff der Überzeugung hat drei Eigenschaften: |
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*Sie ist bewusst. |
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*Sie beruhigt die Irritation durch Zweifel. |
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*Sie ermöglicht in unserer Natur die Einrichtung einer Regel für Handlungen, kurz einer Denk- und Verhaltensgewohnheit (habit). |
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Verschiedene Überzeugungen unterscheiden sich durch die verschiedenen Handlungsweisen, die mit ihnen verbunden sind. Die grundsätzliche Funktion von Denken ist es, Gewohnheiten des Handelns herzustellen. Empfindungen, die keinen Bezug auf (künftige) Handlungen haben, zählen nicht zum Denken. Eine Gewohnheit ist dadurch bestimmt, wann und wie sie jemanden zum Handeln anregt. |
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In der pragmatischen Maxime wird das Verhältnis von Denken, Überzeugung, Gewohnheit und Handeln auf einen Punkt gebracht: |
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:''„Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Bedeutung haben können, wir dem Gegenstand unseres Begriffes zuschreiben. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen der ganze Umfang unseres Begriffs des Gegenstandes.” ''(CP 5.402) |
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Diese Maxime stellt für Peirce den dritten Grad der Klarheit eines Begriffes dar. |
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=== Die Begriffe Kraft und Realität als Beispiele === |
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Peirce erläuterte die Bedeutung und praktische Anwendung der Maxime anhand der Begriffe [[Kraft]] und [[Realität]]. |
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Der Begriff der Kraft dient der Erklärung von Bewegungsänderungen. Ohne die Einwirkung von Kraft würden Körper Geschwindigkeit und Richtung beibehalten. Nach einer Erläuterung des Kräfteparallelogramms beschreibt Peirce die Tatsache, die der Begriff der Kraft verkörpert, wie folgt: „wenn man die aktuellen Bewegungsveränderungen, die die verschiedenen Teile eines Körpers erfahren, jede in ihre eigene, zutreffende Art auflöst, dann wird jede Komponente der Beschleunigung präzise durch ein bestimmtes Naturgesetz beschrieben, durch das Körper entsprechend ihrer momentanen relativen Position eine bestimmte Beschleunigung erhalten, wobei die Zusammenfassung durch geometrische Addition die Beschleunigung des Gesamtkörpers ergibt.“ (CP 5.404) Der Versuch den Begriff der Kraft als Entität zu beschreiben, ist nach Peirce ein unsinniger Selbstwiderspruch. „Die Idee, die das Wort Kraft in unserem Verstand auslöst, hat keine andere Aufgabe, als unsere Handlungen zu bestimmen, und diese Handlungen haben keinen anderen Bezug zu Kraft als durch deren Wirkung. Wenn wir also die Wirkungen von Kraft kennen, sind wir mit jeder Tatsache bekannt, die mit Aussagen über die Existenz von Kraft zu verbinden ist, und mehr gibt es nicht zu wissen.“ (CP 5.404) |
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Ähnlich zu betrachten ist der Begriff der Realität. Im Sinne von Vertrautheit ist dieser Begriff klar; denn jedermann weiß im Alltagsgebrauch, was damit gemeint ist. Eine Definition (Klarheit im 2. Grad) fällt schon schwerer. Wie ist Realität beispielsweise von Fiktionen und Träumen abzugrenzen? Träume an sich als Ereignisse im Gehirn haben reale Existenz, aber nicht die Trauminhalte. Als Definition bietet sich an, das Reale als das zu bezeichnen, dessen Eigenschaften unabhängig von einem Gedanken sind. Nimmt man die pragmatische Maxime zur Hilfe, so ergibt sich, dass das Reale Empfindungen erregt, die im Bewusstsein als Überzeugungen erscheinen. Wie kann man aber wahre Überzeugungen, die sich auf Reales beziehen, von Irrtümern (falschen Überzeugungen) unterscheiden, die sich auf Fiktionales beziehen? Peirce sah hier den Ansatz in der Überprüfung durch die wissenschaftliche Methode. |
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''Andererseits sind alle Vertreter der Wissenschaft von der frohen Hoffnung getragen, dass die Prozesse der Forschung, wenn sie nur weit genug voran getrieben werden, zu jeder Frage, auf die sie angewendet werden, eine sichere Lösung ergeben werden. [...] Sie mögen zuerst unterschiedliche Ergebnisse erhalten, aber wenn jeder seine Methoden und Prozesse perfektioniert, wird man feststellen, dass die Ergebnisse sich stetig auf ein vorbestimmtes Zentrum hinbewegen. Dies gilt für alle wissenschaftliche Forschung. Unterschiedliche Geister mögen mit äußerst gegensätzlichen Ansichten beginnen, aber der Forschritt der Untersuchungen bringt sie durch eine außer ihnen liegende Kraft zu ein und derselben Schlussfolgerung. Diese Aktivität des Denkens, die uns nicht dahin bringt, wohin wir wollen, sondern zu einem vorherbestimmten Ziel, ist wie ein Wirken des Schicksals. [...] Die Meinung, der alle Forscher schicksalhaft am Ende zustimmen müssen, ist das, was wir mit Wahrheit meinen, und der Gegenstand, der durch diese Meinung repräsentiert wird, ist das Reale.'' (CP 5.407) |
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Peirce vertrat eine "Konvergenztheorie der Wahrheit", die in einem fiktiven unendlich entfernten Zeitpunkt in der Zukunft in eine Korrespondenz des Gedachten mit der Realität mündet. Bis dahin ist alle Erkenntnis fallibel. Für Peirce war zwar die Intersubjektivität eine Voraussetzung der Wahrheit. Die oftmals hergestellte Verbindung <ref>Karl-Otto Apel: Der Denkweg des Charles S. Peirce, Gerd Wartenberg: Logischer Sozialismus, Vittorio Hösle: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie</ref> von Peirce mit einer Konsenstheorie der Wahrheit ist hier aber nicht zu erkennen. Der Wahrheitsbegriff von Peirce weicht auch wesentlich von dem Wahrheitsbegriff ab, den William James mit dem Begriff der Nützlichkeit der Wahrheit vertrat. Die Peirce'sche Wahrheit ist eine objektive, an einer unabhängigen Realität gemessene Wahrheit. |
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Solange der theoretische Zeitpunkt, dass alle Überzeugungen der Wahrheit entsprechen, noch nicht gekommen ist, solange muss der Mensch sich damit begnügen, dass er an seine Überzeungen gebunden ist, die wahr sein können, aber nicht wahr sein müssen. Indem er aber auf die Methode der Wissenschaft baut und sich nicht von Methoden wie der Beharrlichkeit, Autorität oder des intuitiven A priori leiten lässt, kann er Erkenntnisfortschritt und damit eine stetige Annäherung an die Wahrheit erlangen. Dies ist durch den Bedeutungszuwachs der Begriffe und damit den Zuwachs ihrer denkbaren möglichen Wirkungen gewährleistet. |
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==Literatur== |
==Literatur== |