„Islam in Bulgarien“ – Versionsunterschied
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Schon vor der türkischen Eroberung hielten erste Vorläufer des [[Islam]] in Bulgarien Einzug, als im 13. Jahrhundert bulgarische Bojaren [[Kumanen|kumanische]] Söldner aufnahmen, die vor den Mongolen geflohen waren, unter denen sich aber bereits eine muslimische Minderheit befand. Schon Zar [[Kalojan]] (selbst |
Schon vor der türkischen Eroberung hielten erste Vorläufer des [[Islam]] in Bulgarien Einzug, als im 13. Jahrhundert bulgarische Bojaren [[Kumanen|kumanische]] Söldner aufnahmen, die vor den Mongolen geflohen waren, unter denen sich aber bereits eine muslimische Minderheit befand. Schon Zar [[Kalojan]] (selbst Halbkumane?), vor allem aber die Zaren Iwan Asen II. und Koloman I. wiesen ihnen die damals zu Bulgarien gehörende [[Dobrudscha]] und [[Kumanowo]] im damals ebenfalls zu Bulgarien gehörenden Mazedonien als Siedlungszentren zu. Von 1280 bis 1323 regierten (christlich-orthodoxe) kumanischstämmige Zaren Bulgarien. |
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Die den [[Mongolen]] folgenden [[Tataren]] unter [[Nogai Khan]], inzwischen ebenfalls islamisiert, unterwarfen 1285 Bulgaren und Kumanen, Nogais Sohn [[Chaka]] wurde 1299-1300 bulgarischer Zar. Auch [[Nogaier]] siedelten sich fortan in der Dobrudscha an. |
Die den [[Mongolen]] folgenden [[Tataren]] unter [[Nogai Khan]], inzwischen ebenfalls islamisiert, unterwarfen 1285 Bulgaren und Kumanen, Nogais Sohn [[Chaka]] wurde 1299-1300 bulgarischer Zar. Auch [[Nogaier]] siedelten sich fortan in der Dobrudscha an. |
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Trotz des nach Zusammenbruchs der über 500jährigen türkischen Herrschaft 1879-1899 einsetzenden Massenexodus hunderttausender Muslime nach Anatolien und weiteren bulgarischen [[Pogrom]]en 1908/10 und 1912/13 sind noch bis heute vor allem im Nordosten Bulgariens Türken und Roma sowie im Südwesten (westliche [[Rhodopen]] und [[Pirin (Gebirge)|Pirin-Gebirge]], südlich des Flusses [[Evros|Maritza]]) Pomaken (bulgarische Muslime) ansässig, zwei zusammenhängende Siedlungsgebiete. Siedlungszentren, zum Teil mit absoluten und relativen muslimischen Mehrheiten, waren und sind |
Trotz des nach Zusammenbruchs der über 500jährigen türkischen Herrschaft 1879-1899 einsetzenden Massenexodus hunderttausender Muslime nach Anatolien und weiteren bulgarischen [[Pogrom]]en 1908/10 und 1912/13 sind noch bis heute vor allem im Nordosten Bulgariens Türken und Roma sowie im Südwesten (westliche [[Rhodopen]] und [[Pirin (Gebirge)|Pirin-Gebirge]], südlich des Flusses [[Evros|Maritza]]) Pomaken (bulgarische Muslime) ansässig, zwei zusammenhängende Siedlungsgebiete. Siedlungszentren, zum Teil mit absoluten und relativen muslimischen Mehrheiten, waren und sind |
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* im Süden die türkische "Hochburg" [[Kardschali]] in den östlichen Rhodopen einschließlich des Nachbarbezirks [[Chaskowo]], diese Gebiete grenzen an das türkische Ostthrakien (und gehörten früher direkt zum Bezirk Edirne) sowie an das griechische [[Thrakien#Griechisches Thrakien (Westthrakien)|Westthrakien]] (wo bis heute ethnische Türken und Pomaken als griechische Bürger leben) |
* im Süden die türkische "Hochburg" [[Kardschali]] in den östlichen Rhodopen einschließlich des Nachbarbezirks [[Chaskowo]], diese Gebiete grenzen an das türkische Ostthrakien (und gehörten früher direkt zum Bezirk Edirne) sowie an das griechische [[Thrakien#Griechisches Thrakien (Westthrakien)|Westthrakien]] (wo bis heute ethnische Türken und Pomaken als griechische Bürger leben) |
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* im "pomakischen" Südwesten<ref>Betrachtet man nur den Süden Bulgariens, d.h. die zusammenhängenden Bezirke Smoljan, Blagoewgrad, Kardschali, Pasardschik Plowdiw und Chaskowo, so sind mit 388.000 der 1,95 Millionen Einwohner über 23% Muslime. Ohne das nördlich der Maritza gelegene Plowdiw und Chaskowo machen die Muslime in der Südwestregion 281.000 der 955.000 Einwohner und somit 29% aus - ohne Plowdiw, Chaskowo und Pasardschik beträgt ihr Anteil mit 235.000 von 645.000 Einwohnern sogar 37%. Einzeln betrachtet hat der Bezirk Smoljan eine relative muslimische Mehrheit von 40%, der Bezirk Kardschali hat einen Anteil von 70% Muslimen.</ref> die Oblaste [[Oblast Blagoewgrad|Blagoewgrad]], [[Oblast Smoljan|Smoljan]] und [[Pasardschik]] |
* im "pomakischen" Südwesten<ref>Betrachtet man nur den Süden Bulgariens, d.h. die zusammenhängenden Bezirke Smoljan, Blagoewgrad, Kardschali, Pasardschik Plowdiw und Chaskowo, so sind mit 388.000 der 1,95 Millionen Einwohner über 23% Muslime. Ohne das nördlich der Maritza gelegene Plowdiw und Chaskowo machen die Muslime in der Südwestregion 281.000 der 955.000 Einwohner und somit 29% aus - ohne Plowdiw, Chaskowo und Pasardschik beträgt ihr Anteil mit 235.000 von 645.000 Einwohnern sogar 37%. Einzeln betrachtet hat der Bezirk Smoljan eine relative muslimische Mehrheit von 40%, der Bezirk Kardschali hat einen Anteil von 70% Muslimen.</ref> die Oblaste [[Oblast Blagoewgrad|Blagoewgrad]], [[Oblast Smoljan|Smoljan]] und [[Pasardschik]] (pomakische Siedlungen gibt es aber auch in den "türkischen" Bezirken Kardschali und Chaskowo) |
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* im "türkischen" Nordosten und Osten<ref>Betrachtet man nur den Osten Bulgariens, d.h. die zusammenhängenden Bezirke Russe, Silistra, Dobritsch, Warna, Burgas, Targowischte, Schumen und Rasgrad, so sind mit 464.000 der 2 Millionen Einwohner 23% Muslime. Ohne das südlich des Balkan gelegene Burgas machen die Muslime in der Nordostregion mit 400.000 von 1,58 Millionen Einwohnern über 25% aus - ohne alle drei Küstenbezirke Warna, Burgas und Dobritsch beträgt ihr Anteil mit 310.000 von 900.000 Einwohnern sogar 35%. Einzeln betrachtet liegt der Anteil der Muslime in den Bezirken Silistra, Schumen und Targowischte jeweils zwischen 35 und 42%, doch allein der Bezirk Rasgrad hat eine muslimische Mehrheit von 54%.</ref> die Oblaste (Bezirke) [[Oblast Rasgrad|Rasgrad]], [[Oblast Russe|Russe]], [[Oblast Targowischte|Targowischte]], [[Silistra]], [[Oblast Dobritsch|Dobritsch]] und [[Schumen]] - etwa nördlich bzw. nordwestlich der Linie Burgas-Plewen |
* im "türkischen" Nordosten und Osten<ref>Betrachtet man nur den Osten Bulgariens, d.h. die zusammenhängenden Bezirke Russe, Silistra, Dobritsch, Warna, Burgas, Targowischte, Schumen und Rasgrad, so sind mit 464.000 der 2 Millionen Einwohner 23% Muslime. Ohne das südlich des Balkan gelegene Burgas machen die Muslime in der Nordostregion mit 400.000 von 1,58 Millionen Einwohnern über 25% aus - ohne alle drei Küstenbezirke Warna, Burgas und Dobritsch beträgt ihr Anteil mit 310.000 von 900.000 Einwohnern sogar 35%. Einzeln betrachtet liegt der Anteil der Muslime in den Bezirken Silistra, Schumen und Targowischte jeweils zwischen 35 und 42%, doch allein der Bezirk Rasgrad hat eine muslimische Mehrheit von 54%.</ref> die Oblaste (Bezirke) [[Oblast Rasgrad|Rasgrad]], [[Oblast Russe|Russe]], [[Oblast Targowischte|Targowischte]], [[Silistra]], [[Oblast Dobritsch|Dobritsch]] und [[Schumen]] - etwa nördlich bzw. nordwestlich der Linie Burgas-Plewen |
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* als regionale Ausnahmen wie "Inseln"<ref>Lowetsch liegt über 100 km nördlich der Maritza (Plowdiw), fast 150 km westlich der türkischen Gebieten Rasgrad oder Targowischte und sogar jeweils rund 180 km vom Pomakenzentrum Smoljan oder der türkischen Hochburg Kardschali entfernt. Sliwen wiederum liegt isoliert 70 km bzw. 100 km südlich von Targowischte bzw. Rasgrad und 150 km östlich von Kardschali.</ref> die türkischen Gemeinden bei [[Sliwen]] südlich des Balkangebirges und die Pomaken rund um [[Lowetsch]] nördlich des Balkans bzw. der Maritza |
* als regionale Ausnahmen wie "Inseln"<ref>Lowetsch liegt über 100 km nördlich der Maritza (Plowdiw), fast 150 km westlich der türkischen Gebieten Rasgrad oder Targowischte und sogar jeweils rund 180 km vom Pomakenzentrum Smoljan oder der türkischen Hochburg Kardschali entfernt. Sliwen wiederum liegt isoliert 70 km bzw. 100 km südlich von Targowischte bzw. Rasgrad und 150 km östlich von Kardschali.</ref> die türkischen Gemeinden bei [[Sliwen]] südlich des Balkangebirges und die Pomaken rund um [[Lowetsch]] nördlich des Balkans bzw. der Maritza |
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Erst 1912 hatten die Türken die letzten südwestbulgarischen Provinzen verloren (Blagoewgrad, Smoljan und Kardschali), 1913-1940 dann verlor Bulgarien die nordostbulgarische Süddobrudscha (Bezirke Silistra und Dobritsch) mitsamt den dort lebenden Türken an Rumänien. Ebenfalls bereits 1913 waren in einem ersten "Bevölkerungsaustausch" 100.000 Türken aus Bulgarien vertrieben worden, nach der kommunistischen Machtergreifung 1944/46 flohen bis 1951 weitere 160.000 in die Türkei. Im Rahmen eines "Umsiedlungsabkommens" verließen 1969-1978 weitere 110.000 Türken Bulgarien.<ref>Mehr noch als bulgarische Nationalisten und orthodoxe Fundamentalisten förderten die an Sowjetrussland angelehnten Kommunisten Bulgariens die antitürkische und antimuslimische Sichtweise von 500 Jahren "osmanischem Joch", während zuvor Bulgarien trotz der einstigen Balkankriege 1915-18 und erneut ab 1991 wieder Bündnisse mit der Türkei geschlossen hatte. Aus proletarisch-internationalistischer Solidarität mit den sozialistischen "Brudervölkern" wurde diese bulgarische Sichtweise auch in den von ostdeutschen und russischen Kommunisten kontrollierten DDR- und Sowjet-Publikationen verbreitet.</ref> |
Erst 1912 hatten die Türken die letzten südwestbulgarischen Provinzen verloren (Blagoewgrad, Smoljan und Kardschali), 1913-1940 dann verlor Bulgarien die nordostbulgarische Süddobrudscha (Bezirke Silistra und Dobritsch) mitsamt den dort lebenden Türken an Rumänien. Ebenfalls bereits 1913 waren in einem ersten "Bevölkerungsaustausch" 100.000 Türken aus Bulgarien vertrieben worden, nach der kommunistischen Machtergreifung 1944/46 flohen bis 1951 weitere 160.000 in die Türkei. Im Rahmen eines "Umsiedlungsabkommens" verließen 1969-1978 weitere 110.000 Türken Bulgarien.<ref>Mehr noch als bulgarische Nationalisten und orthodoxe Fundamentalisten förderten die an Sowjetrussland angelehnten Kommunisten Bulgariens die antitürkische und antimuslimische Sichtweise von 500 Jahren "osmanischem Joch", während zuvor Bulgarien trotz der einstigen Balkankriege 1915-18 und erneut ab 1991 wieder Bündnisse mit der Türkei geschlossen hatte. Aus proletarisch-internationalistischer Solidarität mit den sozialistischen "Brudervölkern" wurde diese bulgarische Sichtweise auch in den von ostdeutschen und russischen Kommunisten kontrollierten DDR- und Sowjet-Publikationen verbreitet.</ref> |
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Nach den bzw. trotz der Vertreibungen von bis zu 327.000 der sich der "Bulgarisierung" widersetzenden türkischen Muslime in den 1980ern befanden sich 1991 offiziell noch immer 900.000 Angehörige der türkischen Minderheit im Land, von denen sich damals aber kaum 800.000 tatsächlich auch als Muslime bekannten.<ref>[[Fischer Weltalmanach]] 1994. Frankfurt 1993</ref> Mit dem Ende des [[Kommunismus]] aber kam auch das Ende des staatlich verordneten [[Atheismus]], das Bekenntnis zum Islam nahm sowohl unter Türken als auch unter Pomaken wieder zu. Knapp 100.000 in den 1980ern geflohene Türken kehrten nach Bulgarien zurück, während gleichzeitig viele Bulgaren und Türken auf der Suche nach Arbeit im Ausland Bulgarien verließen. So sank die Bevölkerung in den 20 Jahren zwischen 1985 und 2005 von 9 Millionen auf auf 7,8 Millionen, während gleichzeitig der Anteil der Muslime im Land stieg. |
Nach den bzw. trotz der Vertreibungen von bis zu 327.000 der sich der "Bulgarisierung" widersetzenden türkischen Muslime in den 1980ern befanden sich 1991 offiziell noch immer 900.000 Angehörige der türkischen Minderheit im Land, von denen sich damals aber kaum 800.000 tatsächlich auch als Muslime bekannten.<ref>[[Fischer Weltalmanach]] 1994. Frankfurt 1993</ref><ref>Die nationalistische Bulgarisierungskampagne wurde aber auch ideologisch begründet: Die türkische Minderheit sollte angeblich die Möglichkeit bekommen, sich vom islamischen Fundamentalismus offiziell loszusagen.</ref> Mit dem Ende des [[Kommunismus]] aber kam auch das Ende des staatlich verordneten [[Atheismus]], das Bekenntnis zum Islam nahm sowohl unter Türken als auch unter Pomaken wieder zu. Knapp 100.000 in den 1980ern geflohene Türken kehrten nach Bulgarien zurück, während gleichzeitig viele Bulgaren und Türken auf der Suche nach Arbeit im Ausland Bulgarien verließen. So sank die Bevölkerung in den 20 Jahren zwischen 1985 und 2005 von 9 Millionen auf auf 7,8 Millionen, während gleichzeitig der Anteil der Muslime im Land stieg. |
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Unter den Pomaken vor allem in den Westrhodopen nimmt aber eine Neigung zur Selbstidentifikation als Türken zu, da die bulgarischen Behörden die bulgarischen Muslime (im Gegensatz zu den türkischen Muslimen) nur als religiöse, nicht aber als [[ethnische Minderheit]] anerkennen, umgedreht hatten türkische Behörden in den 1980ern nur ethnische Türken, nicht aber muslimische Bulgaren aufgenommen.<ref>Von kurdischer Seite wurde kritisiert, daß türkische Behörden die geflohenen Bulgarien-Türken angeblich zielgerichtet in Kurdistan angesiedelt habe.</ref> Kaum 60.000 muslimische Bulgaren bezeichnen sich daher heute noch als Pomaken (vor 1990 sollen es noch 260.000 gewesen sein, angesichts der antitürkischen Kampagne hatten sich aber wohl vor allem Türken damals als Pomaken "getarnt".) |
Unter den Pomaken vor allem in den Westrhodopen nimmt aber eine Neigung zur Selbstidentifikation als Türken zu, da die bulgarischen Behörden die bulgarischen Muslime (im Gegensatz zu den türkischen Muslimen) nur als religiöse, nicht aber als [[ethnische Minderheit]] anerkennen, umgedreht hatten türkische Behörden in den 1980ern nur ethnische Türken, nicht aber muslimische Bulgaren aufgenommen.<ref>Von kurdischer Seite wurde kritisiert, daß türkische Behörden die geflohenen Bulgarien-Türken angeblich zielgerichtet in Kurdistan angesiedelt habe.</ref> Kaum 60.000 muslimische Bulgaren bezeichnen sich daher heute noch als Pomaken (vor 1990 sollen es noch 260.000 gewesen sein, angesichts der antitürkischen Kampagne hatten sich aber wohl vor allem Türken damals als Pomaken "getarnt".) |