Hans Böhm (Pauker von Niklashausen)
Hans Böhm, "Pauker von Niklashausen" (* um 1458 in Helmstadt; † 19. Juli 1476 in Würzburg) - auch als "Pfeifer von Niklashausen", "Pfeiferhannes" oder "Pfeiferhänslein" bekannt - war Viehhirte, Musikant, Prediger und Initiator der "Niklashäuser Wallfahrt" von 1476.
Im Frühjahr 1476 rief der bis dahin unbedeutende Viehhirte Hans Böhm die Menschen zur Wallfahrt nach Niklashausen auf. Er versprach den Wallfahrern im Namen der Jungfrau Maria vollkommenen Ablass von ihren Sünden. Außerdem verkündete er die soziale Gleichheit der Menschen, Gemeineigentum und Gottes Strafgericht über die Eitelkeit im Allgemeinen und die unersättliche Gier der Fürsten und hohen Geistlichkeit im Besonderen. Seine Predigten trafen die Seelenlage des Volkes. Unter den Zuhörern fanden sich schnell begeisterte Anhänger, die Hans Böhm als "Heiligen Jüngling" und "Propheten" verehrten. Sie trugen seine Botschaft weiter, so dass er im kurzen Zeitraum von drei Monaten mehr als 70.000 Anhänger mobilisiert haben soll. Die kirchliche und weltliche Obrigkeit verfolgte die entstehende Massenbewegung mit großer Sorge. Auf Befehl des Würzburger Fürstbischofs Rudolf von Scherenberg wurde Hans Böhm verhaftet, im Schnellverfahren als Ketzer zum Tode verurteilt und am 19. Juli 1476 in Würzburg auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Wegen seiner Gefangennahme kam es unter der fränkischen Landbevölkerung zu einem kurzzeitigen, spontanen Massenprotest. Diese sogenannte "Empörung im Gefolge des Paukers von Niklashausen" sehen Historiker heute als Ereignis im Vorfeld der "Bundschuh-Bewegung" und des "Bauernkrieges".
Herkunft und Kindheit
Hans Böhm wurde um 1458 in Helmstadt in Unterfranken geboren, einem kleinen Marktflecken im Landkreis Würzburg. Über seine Herkunft und Kindheit gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Er soll als Waisenkind unter wechselnder Obhut der Dorfgemeinde aufgewachsen sein. Der Name "Böhm", im Spätmittelalter meist "Behem", "Beheim" oder "Böheim" geschrieben, deutet an, dass die Vorfahren aus Böhmen stammten. Während der Hussitenkriege von 1415 bis 1435 waren viele Vertriebene und Kriegsflüchtlinge aus Böhmen ins Frankenland gekommen. Die meisten dieser "Behem" mussten als arme Habenichtse ihr Leben am unteren Ende der ständischen Ordnung neu einrichten. Hans Böhm kam aus sehr armen Verhältnissen und musste schon als Kind seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten. Als Hütejunge erlebte er von klein auf die Rechtlosigkeit, unter der sich Besitzlose im Spätmittelalter verdingten. An Sonn- und Festtagen kam der Junge unters Volk, schnappte in der Kirche und in Wirtshäusern auf, was die Erwachsenen im unteren Maintal über Gott und die Welt redeten, über die Not der einfachen Menschen, die Ketzereien der Hussiten und die Todsünden der weltlichen und kirchlichen Obrigkeit. Beim Viehhüten dachte er über die Lebensverhältnisse nach und malte sich im Geiste eine gottgefälligere, bessere Weltordnung aus. Mit der Herde zog er in der Gegend umher, lernte Menschen anzusprechen und suchte Gewissheit über seine Ideen zu erlangen. Sicherlich war der selbstbewusst auftretende, redegewandte Junge auch schon vor seiner Predigerzeit vielen Menschen in den Dörfern zwischen Würzburg, Wertheim und Tauberbischofsheim als Viehhirte und Pauker bekannt. Hans Böhm wäre damit allerdings nur ein unbedeutender Zeitgenosse geblieben und heute längst vergessen. Das änderte sich erst zur Fastenzeit 1476, als er in jugendlicher Schwärmerei - zeitgenössische Quellen beschreiben ihn als Jüngling, fast noch ein Kind - den Entschluss fasste, in Niklashausen als Prediger aufzutreten.
Erweckung als Prediger
Zwei Erweckungserlebnisse sind überliefert, nach denen Hans Böhm seine Predigerlaufbahn einschlug. Beide erscheinen aus heutiger Sicht plausibel, auch wenn Hans Böhm unter der Folter mal dieses und mal jenes zugab oder widerief.
Bekehrung durch eine Marienerscheinung
In allen Predigten sprach Hans Böhm über seine Marienerscheinungen. Allen kirchlichen Anklagen zum Trotz ergibt sich dazu aus den Überlieferungen ein schlüssiges Szenario. Nach der Fastnacht 1476 kehrte Hans Böhm auf die Weide zurück und schlug sein Nachtlager in einer Höhle nahe bei der Herde auf. Seine Gedanken kreisten noch um die Ausgelassenheit der Fastnachtswoche. Während Einsamkeit und Elend aus allen Ritzen der Höhle krochen, bereute er in naiver Gottesfurcht sein sündiges Leben und schlief am Feuer ein. Im Traum erschien ihm die Jungfrau Maria und mahnte, schon bald käme ein Strafgericht Gottes über alle Sünder. Nach eigenen Bekundungen hatte er danach noch mehrmals Marienerscheinungen. Maria trug ihm auf vor ihrem Kirchlein in Niklashausen die Menschen zur Buße aufzurufen. Außerdem solle er verkünden, dass allen Gläubigen, die in Verehrung und Demut zum Gnadenbildnis der Mutter Gottes in das Kirchlein nach Niklashausen kämen, ebenso vollkommenen Ablass von ihren Sünden erhielten wie jene, die zum Heiligen Vater nach Rom pilgerten.
Bekehrung durch einen Geistlichen
Nach seiner Gefangennahme gestand Hans Böhm im Verhör, dass er durch den Zuspruch eines Geistlichen zum Prediger bekehrt worden sei. Unklar blieb, ob es sich dabei nur um den Ortsgeistlichen handelte, der mit Hilfe des redegewandten Jünglings die Wallfahrt zu Marias Gnadenbild beleben wollte, oder ob ein unbekannter Bettelmönch, der mit Hans Böhm verhaftet wurde, den entscheidenden Einfluss ausübte. Aus Erzählungen und Gesprächen mit diesem Geistlichen wusste Hans Böhm von einem "Heiligen Vater des Barfüßerordens", der in früheren Jahren durch das Frankenland gereist war und mit Predigten so überzeugend gewirkt habe, dass viele Zuhörer freiwillig weltlichen Zerstreuungen und Besitztümern entsagten. Diesem Vorbild wollte Hans Böhm mit Unterstützung seines geistlichen Fürsprechers und mit der großen Überzeugungskraft seiner eigenen, naiven Sozialutopie folgen.
Zeit als Prediger
In der Fastenzeit 1476 reifte in Hans Böhm der Entschluss, seinen Ideen und Eingebungen zu folgen. Er wollte den Menschen vermittels seiner Marienverehrung eine bessere Welt zu verkünden. Irgendwann zwischen dem vierten Fasten-Sonntag Lätare am 21. März und dem Tag der Kreuzauffindung am 3. Mai, die Überlieferungen lauten unterschiedlich, trat Hans Böhm vor das Kirchlein in Niklashausen, verbrannte vor der erstaunten Gemeinde seine Pauke und hielt seine erste fesselnde Predigt. Die Aufforderung zur Marienwallfahrt nach Niklashausen und seine Botschaft von einer neuen Weltordnung sprachen sich wie ein Lauffeuer herum. Schon nach Wochenfrist kamen viele Wallfahrer aus der näheren Umgebung nach Niklashausen, um die Jungfrau Maria um Gnade zu bitten und die Botschaft des jungen Predigers zu hören. Dieser verkündete, jeder solle sich zuerst von eigenen Sünden verabschieden, damit eine bessere Welt entstehe. Als sichtbares Zeichen der Sühne forderte er Schmuck, seidene Schnüre, Brusttücher, spitzige Schuhe und sonstigen Tand als Opfergaben. Ein großer Teil der Opfergaben, wie Kleidungsstücke, Zöpfe, Haarnetze, Musikinstrumente, Spielzeug, etc., gingen den Weg seiner Pauke. Sie wurden öffentlich auf den Scheiterhaufen geworfen und verbrannt. Nach diesen symbolischen Sühnebeweisen predigte er den Wallfahrern mit folgenden Leitgedanken ein neues Reich Gottes auf Erden:
- Der Habgier des Adels und der hohen Geistlichkeit drohe der baldige Untergang durch ein furchtbares Strafgericht Gottes.
- Jeder solle seinen Lebensunterhalt mit eigner Hände Arbeit verdienen und brüderlich mit den Bedürftigen teilen.
- Standesunterschiede, Abgaben und Frondienste seien abzuschaffen.
- Der private und hoheitliche Besitz an Feldern, Wiesen, Weiden, Wäldern und Gewässern seien in die Allmende zu überführen.
Diese kommunistisch anmutenden Visionen begeisterten das Volk und lockten immer mehr Wallfahrer an. Anfangs predigte Hans Böhm nur an Sonn- und Feiertagen und stieg dazu auf ein Fass oder einen umgestürzten Zuber. Ende Mai 1476 benachrichtigte Graf Johann III. von Wertheim den Mainzer Erzbischof Dieter von Isenburg, dass zunehmende Menschenmassen nach Niklashausen pilgerten, weil dort ein Jüngling eine Marienerscheinung gehabt habe und als Prediger große Anziehungskraft ausübe. Der Erzbischof teilte offenbar die Besorgnis des Wertheimer Grafen und beauftragte den Würzburger Fürstbischof sich dringend um die Niklashäuser Wallfahrt zu kümmern. Würzburg lag näher am Wallfahrtsort und der junge Prediger aus Helmstadt war Würzburger Untertan. Gegen Wallfahrten zum Kirchlein nach Niklashausen hatten die Bischöfe eigentlich nichts einzuwenden. Das Kirchlein war seit 1344 der Jungfrau Maria geweiht und seit 1353 gab es dafür einen vom päpstlichen Klerus in Avignon ausgestellten Ablassbrief. Dieser Ablassbrief, den der Mainzer Erzbischof Gerlach von Nassau am 12. April 1360 bestätigt hatte, sicherte jedem Menschen 40 Tage Ablass von allen Sünden zu, wenn er nach Niklashausen zum Gnadenbild Marias pilgerte. Allerdings war der bescheidene Rahmen der Niklashäuser Wallfahrt durch Hans Böhm innerhalb weniger Wochen völlig aus den Fugen geraten. Nach Überlieferungen des Würzburger Geschichtsschreibers Lorenz Fries war bei Niklashausen im Juni 1476 ein riesiges Feldlager entstanden. Es soll um die 40.000 Menschen beherbergt haben, wobei die tagtäglichen Zu- und Abgänge nicht berücksichtigt sind. Die Stadt Würzburg zum Vergleich hatte damals etwa 5.000 Einwohner. Die Wallfahrer, überwiegend Männer, Frauen und Kinder aus der bäuerlichen Bevölkerung, kamen nicht nur aus dem unteren Maintal, sondern zunehmend aus ganz Franken, aus Schwaben, Bayern, aus dem Rheinland und sogar aus dem Elsass. Wegen der vielen Leute musste Hans Böhm im Juni mehrmals in der Woche den Scheiterhaufen entzünden und dazu predigen. Um die versammelte Menschenmenge überblicken zu können, hielt er seine Predigten jetzt meist aus Dachfenstern heraus. Während sich im Kirchlein zu Niklashausen im Juni 1476 wertvolle Opfergaben aufhäuften, mussten die Bischöfe in Mainz und in Würzburg mit Bestürzung zur Kenntnis nehmen, dass sich in ihrem Hoheitsbereich eine permanente Wallfahrt mit Massenwirkung etablierte, über die sie nichts wussten. Der Würzburger bischöfliche Rat Kilian von Bibra hatte Mitte Juni ein paar routinierte, bibelfeste Glaubensbrüder nach Niklashausen entsandt, die den jungen Prediger vor der Menge als Scharlatan entlarven sollten. In mehreren Rededuellen stellte Hans Böhm jedoch sein rhetorisches Können unter Beweis. Der Aufrichtigkeit und geschickten Argumentation des jungen Predigers, dem ein Mönch in theologischen Fragen Beistand leistete, war keiner der gesandten Geistlichen gewachsen. Unter Hohn und Spott des Publikums flohen sie zur Berichterstattung Richtung Würzburg. Nach den in Würzburg einlaufenden Berichten über die Niklashäuser Wallfahrt suchten Bischof Rudolf von Scherenberg und seine Räte Unterstützung bei den benachbarten Städten und Landesherren. Obwohl die Niklashäuser Wallfahrt augenscheinlich friedlich ablief, wurde in den Hilfeersuchen das Schreckgespenst eines bäuerlichen Aufruhrs heraufbeschworen. Zur Mobilisierung der bayrischen und schwäbischen Landesherren ließ der Würzburger Domherr Georg von Giech sogar das Gerücht verbreiten, eidgenössische Bauern zögen aus der Schweiz nach Franken, um sich mit den Niklashäuser Wallfahrern zu verbünden. Diese und andere Falschmeldungen überzeugten die anfangs zögernden Stadträte und Landesherrn von der vermeintlichen Gefahr, die sich in Niklashausen zusammenbraute. Den Bürgern und Landeskindern wurde die Teilnahme an der Niklashäuser Wallfahrt untersagt. Ungeachtet dessen kam der Wallfahrerstrom nicht zum Erliegen.
Gefangennahme
Bei einer Zusammenkunft in Aschaffenburg Ende Juni 1476 fassten die Mainzer und Würzburger bischöflichen Räte gemeinsam den Beschluss, die Niklashäuser Wallfahrt von Seiten der Kirche zu verbieten und Hans Böhm sowie den ihn beratenden, namentlich nicht bekannten Mönch in Kirchenhaft zu nehmen. Gleichzeitig entschieden sie Spitzel und Provokateure nach Niklashausen zu entsenden, die Gründe zur Rechtfertigung dieser Maßnahmen erheben sollten. Schon wenige Tage später wurden wunschgemäß mehrere Gründe zu Böhms Gefangennahme vorgebracht. Es wurde berichtetet, Böhm führe ketzerische und aufrührerische Reden und bediene sich betrügerischer Wunder. Die Leitsätze seiner Predigt vom 2. Juli wurden in Auszügen mit folgendem Wortsinn überliefert:
- "Wie ihm die Jungfrau Maria erschienen sei und ihm den Zorn Gottes wider das Menschengeschlecht und sonderlich wider die Geistlichen offenbart hat."
- "Dass Gott die Sünder dadurch habe strafen wollen, dass Korn und Wein auf den Kreuzestag erfrieren sollten, er das aber durch seine Gebete abwendete."
- "Wie so große vollkommene Gnad' im Taubertal, mehr als zu Rom oder anderswo."
- "Wie die Fische im Wasser und das Wild auf dem Feld gemeinschaftliches Eigentum sein sollen."
- "Wie der Kaiser ein Bösewicht sei, und auch mit dem Papst sei es nichts."
- "Der Kaiser gebe einem Fürsten, Grafen, Ritter und Knecht kirchlichen und weltlichen Zoll und Steuern über das gemeine Volk - ach weh, ihr armen Teufel."
- "Die Geistlichen haben viel Pfründe; das soll nicht sein; sie gehören geprügelt, es wird dazu kommen, dass der Priester die Tonsur mit der Hand bedeckt, damit er nicht als solcher erkannt werde."
- "Wenn die Fürsten, geistliche und weltliche, auch Grafen und Ritter soviel hätten wie der gemeine Mann, so hätten alle gleich genug; das dann geschehen muss."
- "Es kommt dazu, dass die Fürsten und Herrn noch um einen Taglohn arbeiten müssen."
Obwohl mit den Spitzelberichten ausreichende Gründe vorlagen, verging noch über eine Woche bis zur Verhaftung. In der Nacht zum 13. Juli kamen - von den meisten Wallfahrern unbemerkt - 34 bischöfliche Reiter nach Niklashausen und nahmen wie verabredet die beiden Delinquenten heimlich gefangen. Die Verhaftung des arglosen Predigers und des Mönchs, die im Schlaf überrascht wurden, verlief mit Spitzelhilfe reibungslos. Ohne Lärm und Aufsehen konnten die Häscher mit der gefesselten und geknebelten Beute abziehen. Es gab keine Wachposten und keine bewaffneten Wallfahrer, nur wenige Augenzeugen, die aber nicht eingriffen. Da Helmstadt zum Würzburger Herrschaftsgebiet gehörte, wurde Hans Böhm noch in der gleichen Nacht nach Würzburg entführt und im Schloss auf dem Frauenberg eingekerkert. Der Niklashäuser Mönch unterstand der Gerichtsbarkeit des Mainzer Erzbischofs und wurde deshalb nach Aschaffenburg gebracht.
- (Nach Aufzeichnungen, die erst im August 1476 niedergeschrieben wurden, soll Böhm am 2. Juli die Männer aufgefordert haben, am Sonntag, dem 14. Juli, mit Waffen, aber ohne Frauen und Kinder wiederzukommen. Mit dieser Nachricht habe dann Kilian von Bibra den Fürstbischof davon überzeugt, Böhm schnellstens verhaften zu lassen. Da nach allen schriftlichen Überlieferungen ein solcher Anklagepunkt während des Prozesses nie gegen Böhm erhoben wurde, gehen Historiker heute davon aus, dass es sich hier um einen nachgeschobenen Verurteilungsgrund im Rahmen einer gezielten Desinformationspolitik des Würzburger Bischofs handelt. Möglicherweise sollte damit dem Verbot der Niklashäuser Wallfahrt, die im August 1476 immer noch fortdauerte und dadurch die Erinnerung an den "Heiligen Jüngling" und "Propheten" im Volk wach hielt, größerer Nachdruck verliehen werden.)
Befreiungsversuch und Empörung im Gefolge des Paukers von Niklashausen
Als die Wallfahrer am Morgen des 13. Juli von der Verhaftung ihres "Heiligen Jünglings" und "Propheten" erfuhren, herrschte große Verwirrung. Da zunächst niemand wusste, wohin Böhm entführt worden war und was nun geschehen sollte, machten sich viele Wallfahrer auf den Heimweg. Im Feldlager der Wallfahrer gab es keinerlei Anzeichen für einen drohenden bewaffneten Aufstand, den Böhm angeblich für den 14. Juli vorhatte. Im Laufe des Tages verbreitete sich die Nachricht, Hans Böhm werde im Würzburger Schloss gefangen gehalten. Bis zum Abend sammelten sich 16.000 Wallfahrer und marschierten christliche Lieder singend nach Würzburg. Durch die Nacht trugen sie weithin sichtbar 400 große, brennende Votivkerzen, die sie dem Gnadenbild Marias gestiftet hatten. Am Morgen des 14. Juli hatten sich die Wallfahrer, darunter zahlreiche Frauen und Kinder, vor dem Würzburger Schloss versammelt. Einige Wortführer, unter ihnen auch der Ritter Kunz von Thunfeld mit seinem Sohn Michael, forderten unter Drohungen die Herausgabe des "Heiligen Jünglings". Da sich die Menge insgesamt friedfertig zeigte, begab sich Marschall Konrad von Hutten als Abgeordneter des Fürstbischofs zu den Wortführern. Er erklärte, dass sich Hans Böhm im Schloss aufhalte, aber kein Gefangner sei. Als Gast wolle er vor dem Bischof predigen und sehr gern noch ein paar Tage im Schloss bleiben. Nach diesen beruhigenden Worten entspannte sich die Lage vor dem Schloss zusehends. Ohne Argwohn löste sich die Menge in kleinere Gruppen auf und zog ab. Später nahmen bischöfliche Reiter die Verfolgung auf, um einige aufsässige, möglicherweise auch gewaltbereite Wortführer zu fassen. Als sich die Verfolgten den Festnahmen widersetzten, sollen die Reiter insgesamt zwölf Männer erstochen und viele verwundet haben. Bis auf zwei Bauern, die der Anführerschaft verdächtig waren, ließ man die meisten Gefangenen schon nach wenigen Tagen wieder frei. Die Verfolgungsjagd am 14. Juni endete aber wahrscheinlich mit mehr als zwölf Todesopfern. So gibt es Überlieferungen, wonach die Reiter eine größere Anzahl Männer, Frauen und Kinder, die im Büttelbronner Kirchhof Schutz gesucht hatten, auf der Flucht erschlugen. Nach dem Schrecken, den der Reiterangriff bei den unorganisiert fliehenden Wallfahrern hinterließ, erübrigte sich jede weitere Befürchtung, dass von Niklashausen jemals ein bewaffneter Bauernaufstand ausgehen könnte. Der Ritter Kunz von Thunfeld und andere Wortführer der Wallfahrer hielten sich danach längere Zeit versteckt. Es herrschte wieder Ruhe im Land.
Verhör, Prozess und Hinrichtung
Als die Häscher Hans Böhm am Morgen des 13. Juni im Würzburger Schloss ablieferten, war ihm auf Grund der vorbereiteten Anklage das Todesurteil sicher. In seinen Predigten hatte er sich stets auf das Wunder der Marienerscheinung berufen. Dies wurde ihm nicht nur als Lüge, sondern als Ketzerei ausgelegt, die mit dem Feuertod zu bestrafen war. Die übrigen Leitsätze seiner Predigt vom 2. Juni, die als Spitzelbericht vorlagen, wurden nicht als christlich motivierte Kritik sozialer Missstände gesehen, sondern als Aufruf zum gewalttätigen Sturz der Mächtigen und Reichen. Darauf stand die Todesstrafe durch Enthaupten oder Erhängen. Trotz dieser eindeutigen Rechtslage gingen die bischöflichen Beamten zunächst von einer längeren Verhör- und Prozessdauer aus, galt es doch eine größere Verschwörung gegen die Kirche und gottgewollte Obrigkeit aufzudecken. Viele Fragen mussten noch beantwortet werden, z. B:
- War Böhm Mitglied einer abtrünnigen Glaubensgemeinschaft, predigte er für die Katharer, Waldenser oder gar Hussiten; wer waren seine Ideengeber?
- Gab es klerikale Hintermänner, die mit ihm ausgerechnet die Niklashäuser Wallfahrt zur Missionierung der offensichtlich zahlreichen Anhängerschaft auswählten, wer half diese permanente Massenveranstaltung zu organisieren?
- Welche Menschen oder gar Gemeinden hatten sich seiner Glaubensrichtung verschworen, was für Verpflichtungen waren sie dazu eingegangen, gab es Pläne zu bewaffnetem Aufruhr?
- Was hatten seine Hintermänner und er mit dem sich in Niklashausen aufhäufenden Opferschatz vor?
Man erwartete, dass Antworten auf diese Fragen zu weiteren Verhaftungen, Gegenüberstellungen und zusätzlichen Schuldigen führen mussten. Bei der ersten Befragung trafen die Beamten jedoch nicht, wie nach Berichtslage erwartet, auf einen mit allen Wassern gewaschenen Häretiker. Vielmehr sahen sie einen verschreckten, desorientierten, naiven jungen Mann, der nicht zu wissen schien, dass er schwere Schuld auf sich geladen hatte. Dieses Bild änderte sich auch während der folgenden Verhöre nicht. Hans Böhm erwies sich als totaler Analphabet, der nur wenige lateinische Worte verstand und weder das Vaterunser, noch das Glaubensbekenntnis aufsagen konnte. Während mehrerer peinlicher Befragungen sagte er sinngemäß folgendes aus:
- Er sei als Waisenkind ohne Familienangehörige in der Gemeinde aufgewachsen, habe von Kind an viele Menschen kennen gelernt, über die er aber nichts Böses zu berichten wisse. Bevor er in Niklashausen zu predigen begann, sei er in mehreren Dörfern als Viehhirte zu Diensten gewesen und habe auch öfters die Pauke geschlagen.
- Er habe stets seine Sünden gebeichtet und sei sich keiner offenen Schuld bewusst. Er glaube an die heilige Dreifaltigkeit und an die Jungfrau Maria, die ihm auf der Weide erschienen sei. Sie habe ihm aufgetragen, zu ihrem Gnadenbild nach Niklashausen zu kommen und zu den Menschen zu sprechen.
- Was er über Gott und die Welt predige, trage er schon lange in sich. Schon früher als Viehhirte hätte er diese Ideen in Worte gefasst und einem Geistlichen anvertraut. Dieser versicherte ihm in Gesprächen, das dies christliche Gedanken seien, über die er ruhigen Gewissens in aller Öffentlichkeit reden sollte. Der Geistliche erzählte ihm, dass ihn diese Worte an einen "Heiligen Vater des Barfüßerordens" erinnerten. Dieser habe so überzeugend gepredigt, dass die Zuhörer freiwillig weltlichen Besitztümern entsagten und begannen, ein gottgefälligeres Leben zu führen. Der Geistliche habe ihm außerdem geistlichen Beistand versprochen, wenn er nach dem Vorbild dieses heiligen Predigers zu den Menschen sprechen wolle. .....
..... Wenige Tage nach der Verhaftung liefen bei den Untersuchungsbeamten in Würzburg auch Nachrichten über die Aussagen des verhafteten Mönchs aus Aschaffenburg ein. Sie zählten 1+1 zusammen und wurden gewahr, dass es sich bei dem "Heiligen Vater des Barfüßerordens" um Johannes Capistranus handeln musste. Dieser war 1451 von Papst Nikolaus V. nach Böhmen und Schlesien entsandt worden, wo er die Anhänger von Jan Hus zum katholischen Glauben bekehren sollte. Zu den bewegenden Predigten des heiligen Capistranus waren vormals viele Menschen aus Schlesien, Polen, Sachsen, Pommern und sogar Dänemark, Kurland und Livland nach Breslau geströmt. Capistranus hatte - wie der angeklagte Hans Böhm - Bauern, Bürger und Adlige dazu überredet, als Buße Spiele, Bücher und Luxusgegenstände öffentlich auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen und reichlich Opfergaben zu spenden. Rudolf von Scherenberg erkannte das Dilemma und veranlasste das rasche Ende des Prozesses. Dadurch, dass sich Hans Böhm - ohne es selbst zu wissen - auf diesen hervorragenden Vertreter der katholischen Kirche berief, waren weitere Nachforschungen zur Aufdeckung einer größeren Verschwörung sinnlos geworden. Im kirchlichen Interesse verzichtete der Fürstbischof auf weitere Nachforschungen. Nach der friedlichen Prozession der Wallfahrer vor das Würzburger Schloss am 14. Juli und der Einvernahme der danach eingefangenen Männer, erübrigten sich weitere Fragen an Hans Böhm nach einer tiefergehenden Verschwörung oder einem drohenden Bauernaufstand. Böhm war nur ein außergewöhnlicher Laienprediger, der seine Wirkung auf die Menschen wohl sah, damit aber (noch) keine konkreten Ziele verfolgt hatte. Der gewaltige Massenauflauf in Niklashausen war tatsächlich nur eine Wallfahrt. Diese einfachen Wahrheiten waren jedoch nach dem Aufsehen, das die Mainzer und Würzburger Bischöfe bei den umliegenden Landesherren erregt hatten, nicht mehr vermittelbar, es sei denn, man gab sich allgemeiner Lächerlichkeit preis. Deshalb musste schnellstens das Urteil über den "Pauker von Niklashausen" gesprochen und vollstreckt werden.
Schon am vierten Tag der Verhaftung Böhms wurde die Richtstätte vorbereitet. Gleichzeitig erhielten die Würzburger Bürger die Bekanntmachung, dass die Niklashäuser Wallfahrt und der Massenauflauf, den sie vor drei Tagen vor der Stadt erlebt hatten, Teufelswerk seien. Des Teufels Diener sei als Hauptschuldiger erkannt und gefasst. Ihn erwarte in drei Tagen die gerechte Strafe. Am Freitag, dem 19. Juli, wurde das Urteil über Hans Böhm gesprochen. Er habe mit Teufels Hilfe Marienerscheinungen vorgetäuscht und die ehrbaren Wallfahrer in Niklashausen durch seine Predigten verhext. Deshalb sei er unwiderruflich der Ketzerei schuldig und öffentlich auf dem Scheiterhaufen hinzurichten. Zusammen mit zwei Bauern, die am 14. Juli willkürlich aus einer Schar flüchtender Wallfahrer ergriffen worden waren, wurde er zur Richtstätte auf dem linksmainischen Würzburger Schottenanger geführt. Um dem "Pauker von Niklashausen" das Ausmaß seiner Schuld vor Augen zu führen, zwangen Richtknechte die beiden Bauern vor ihm auf die Knie und er musste ihrer Enthauptung zusehen. Der fassungslose Jüngling wurde danach auf den Scheiterhaufen geführt. Während die Flammen hochloderten soll er mit heller Knabenstimme Marienlieder gesungen haben, bis Schmerz, Feuer und Rauch seine Stimme brachen und erstickten. Um den Ketzer vollständig von der Erde zu tilgen, wurde die Asche unter strenger Aufsicht in den Main gestreut.
Erinnerungen an Hans Böhm, oder wie aus dem Pauker das Pfeiferhänslein wurde
Sofort nach Böhms Hinrichtung wurden vom Würzburger Fürstbischof regelrechte Desinformationskampagnen eingeleitet. Sie hatten zum Ziel, den Ruf des aufrichtigen Predigers, "Heiligen Jünglings" und "Propheten", als der er beim einfachen Volk bekannt war, dauerhaft zu diskreditieren und die Erinnerung an ihn möglichst schnell auszulöschen. Dazu wurde eine moritatenhafte Ballade in Auftrag gegeben und im August 1476 unters Volk gebracht. Da der Nürnberger Stadtrat sich in Würzburg nach dem Verbleib des verhafteten Mönchs erkundigt hatte, packte man in die Ballade auch noch einen Vers, der den Mönch als rätselhaftes Teufelsgeschöpf darstellt, das nach seiner Entdeckung spurlos verschwindet. Als größeres Problem erwies sich die Niklashäuser Wallfahrt. Nach Böhms Hinrichtung hatte sich das Feldlager der Wallfahrer zwar aufgelöst, aber ungeachtet aller Verbote pilgerten immer noch viele Menschen zum Gnadenbild Marias. Niklashausen gehörte nicht zum Würzburger Hoheitsgebiet, so dass Rudolf von Scherenberg nicht wusste, wie er dagegen vorgehen sollte. Zu seiner Schande drohte das Niklashäuser Kirchlein eine Märtyrer-Gedenkstätte zu werden. Ein fränkischer Märtyrer - mit der Symbolkraft des Hirten - den verklärenden Legenden jener, die den "Heiligen Jüngling" noch hatten predigen hören - durch den Würzburger Fürstbischof gerichtet, was für ein Albtraum. Auf Würzburger Drängen schritt der Mainzer Erzbischof im Sommer 1477 schließlich zur finalen Tat und ließ das Niklashäuser Kirchlein abreißen. Wertvolles Inventar und die angehäuften Opfergaben wurden nach Mainz gebracht und für den Bau des Mainzer Doms versilbert. Wallfahrern, die nach Niklashausen pilgern wollten, wurden die schrecklichsten Strafen angedroht, wenn sie im Mainzer Hoheitsbereich aufgegriffen würden. Damit nicht genug, wurde im Würzburger Hochstift der ehemalige Viehhirte, der gelegentlich auch mal auf die Pauke gehauen hatte, zum leichtlebigen Musikus, Sackpfeifenspieler und Narren umgewidmet. Auf einem Würzburger Druck von 1490 wird seiner Figur nicht nur mit einer Pauke, sondern auch noch mit einer Flöte dargestellt. Die Macht der veröffentlichten Meinung setzte sich nach und nach durch. 1494 veröffentlichte Sebastian Brant das Narrenschiff, in dem auch Hans Böhm (Behem) seinen Narrenplatz fand, als "Sackpfeifer von Niklashausen". Die Gefahr einer Auferstehung des Viehhirten Böhm als Märtyrer war abgewendet.
Böhm war kein Gelehrter und Politiker wie Savonarola, mit dem er wegen der Massenwirkung oft verglichen wird, der im Unterschied zu ihm aber Märtyrerstatus erlangte. Sicherlich war Böhm keiner der damals häufig anzutreffenden Bußprediger. Während diese den Menschen Bußen auferlegten, damit sie nach ihrem Tod an den Wonnen des Himmels teilhätten, verkündete Böhm dem einfachen Volk ein neues Reich Gottes auf Erden. Böhms soziale Visionen, die nur in Auszügen aus schriftlichen Denunziationen überliefert wurden, gingen rasch unter. 50 Jahre nach seiner Hinrichtung berief sich im Bauernkrieg kein Bauernführer auf einen Artikel, der noch etwas mit Böhm zu tun gehabt hätte. Ausgegraben wurden die verschütteten Erinnerungen an Hans Böhm, der vom "Pauker" zum "Pfeiferhänslein" mutiert war, erst wieder im 19. Jahrhundert. Die vielen Fragen und Rätsel um den "Pauker von Niklashausen", die auf Grund des Erfolgs der durch Rudolf von Scherenberg betriebenen Desinformationspolitik wahrscheinlich immer wieder zu neue Spekulationen herausfordern, ließen ihn zur lohnenden Projektionsfigur, zu einem Fantasie-anregenden Gegenstand der Geschichte, Literatur und Filmkunst.
Literatur
- Friedrich Engels: "Der deutsche Bauernkrieg"(1850)
- Karl August Barack: "Hans Böhm und die Wallfahrt nach Nicklashausen im Jahre 1476", ein Vorspiel des großen Bauernkrieges, nach Urkunden und Chroniken bearbeitet. (1858)
- Hermann Haupt: "Die religiösen Sekten in Franken vor der Reformation" (1882)
- Will Vesper: "Der Pfeifer von Niclashausen", Historische Erzählung (1924)
- Leo Weismantel: "Die Bauernnot. Das Schicksal des Hans Böhm, des Paukers von Niklashausen." (1926)
- Willy Andreas: "Deutschland vor der Reformation. Eine Zeitenwende." (1932)
- Will-Erich Peuckert: "Die große Wende" 2 Bde. (1948)
- Alex Wedding: "Die Fahne des Pfeiferhänslein" (1948)
- Alfred Meusel: "Thomas Müntzer und seine Zeit. Mit einer Auswertung der Dokumente des großen deutschen Bauernkrieges." herausgegeben von Heinz Kamnitzer (1952)
- Günther Franz: "Der deutsche Bauernkrieg" (1956)
- Christa Wolf: "Till Eulenspiegel", Erzählung für den Film. (zusammen mit Gerhard Wolf) (1974)
- Elmar Weiss: "Der Pfeifer von Niklashausen" (2001), ISBN 3924780439 u. ISBN 3924780005 (1. u. 2. Aufl.)
Weblinks
- Die Niklashauser Fahrt (Film von Rainer Werner Fassbinder)
Personendaten | |
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NAME | Böhm, Hans |
KURZBESCHREIBUNG | Prediger, „Pauker von Niklashausen“ |
GEBURTSORT | Helmstadt |
STERBEDATUM | 19. Juli 1476 |
STERBEORT | Würzburg |