Berufsakademie
Die ersten Berufsakademien (BA) (engl.: University of Cooperative Education) sind 1974 in Kooperation zwischen dem Land Baden-Württemberg und einigen größeren Firmen in Mannheim und Stuttgart gegründet worden. Ebenfalls 1974 folgte Schleswig-Holstein. Studenten schließen einen Vertrag mit einer Firma und belegen innerhalb der dreijährigen Studienzeit einen Studiengang, der in Theorie- und Praxisphasen gegliedert ist. Die Theoriephasen finden an den staatlichen Studienakademien statt, die Praxisphasen sowie die Diplomarbeit finden in den Firmen statt.
Ein Studium an der Berufsakademie erfolgt in Kleingruppen mit max. 30 Studenten. Ein Student der Berufsakademie benötigt neben einem Zeugnis der Allgemeinen Hochschulreife (allgemeinen Hochschulreife oder fachgebundenen Hochschulreife) einen Ausbildungsvertrag mit einem Unternehmen.
Die Studenten schließen das Grundstudium nach zwei Jahren mit einer Zwischenprüfung ab. Das Hauptstudium wird nach einem weiteren Jahr mit einer Diplomarbeit beendet. Im Laufe des Studiums müssen die Studenten einige Arbeiten (Praxisberichte, Projektarbeiten, Studienarbeiten) anfertigen und diverse Prüfungen ablegen. Die genaue Verteilung dieser Prüfungsleistungen (z. B. wie viele Studienarbeiten in welchem Semester geschrieben werden müssen) ist von Akademie zu Akademie und von Studiengang zu Studiengang unterschiedlich. Obgleich das Studium nur 3 Jahre dauert hat ein BA-Student ungefähr soviele Semesterwochenstunden zu absolvieren wie ein FH-Student in einem vergleichbaren Studium.
Mindestens 40% der Vorlesungen werden von hauptamtlichen Professoren veranstaltet. 60% der Dozenten sind nebenamtlich tätig und rekrutieren sich vor allem aus den Ausbildungsunternehmen.
Das BA-Diplom ist dem Abschluss an einer Fachhochschule berufsrechtlich gleichgestellt. Auch Bachelor- und Masterabschlüsse werden im Rahmen des Bologna-Prozesses vergeben und werden national wie international anerkannt. Die BA Baden-Württemberg wird derzeit von der Open University London akkreditiert. Bereits seit zwei Jahren können Absolventen der BA Baden-Württemberg zusätzlich den Bachelor of honours der Open University per Antrag erwerben.
Die Bezeichnung „Berufsakademie“ ist nur in Baden-Württemberg und in Schleswig-Holstein gesetzlich geschützt. So werden außer in Baden-Württemberg noch in anderen Bundesländern BA-Studiengänge angeboten, die jedoch nicht nach dem baden-württembergischen Modell aufgebaut sind (Niedersachsen und Rheinland-Pfalz) und daher auch keinen staatlichen Abschluss ermöglichen, was sich allerdings in der aktuellen Entwicklung durch die Vergabe von Bachelor-Abschlüssen ändern könnte.
Vor- und Nachteile eines BA-Studiums
Vorteile
- Der Student kann durchgehend eine Ausbildungsvergütung (auch in den Theoriephasen) erhalten
- Kurzes Studium von nur sechs Semestern (ein Semester beinhaltet eine Theorie- und eine Praxisphase)
- Der Abschluss ist berufsrechtlich dem einer FH gleichgestellt
- Bei den meisten Firmen gleichgestellt mit einem Hochschulabschluss, wenn nicht gar bevorzugt (kein „Fachidiot“)
- Zum Teil kann der Bachelor-Abschluss erlangt werden
- An einigen Berufsakademien kann im Anschluss ein Master-Programm absolviert werden (z. B. an der Bad Mergentheim Business School, einer Außenstelle der BA Mosbach)
- Schnelle Karriere (bei Studienende bereits 3 Jahre Berufserfahrung)
- Gute Chancen, vom Ausbildungsbetrieb übernommen zu werden und somit gleich einen Arbeitsplatz zu bekommen
- Enge Zusammenarbeit im Kursverband und mit den Dozenten ist möglich und erwünscht
- Hohe Erfolgsquote: Auf einen Studienplatz bewerben sich bei Firmen durchschnittlich 20 Abiturienten; Personalchefs wissen aus Erfahrung, ob der Bewerber auf das gewünschte Studienfach passt.
- Hohe Praxisnähe, durch die Praxisphasen und durch Dozenten aus der Wirtschaft
Nachteile
- Es gibt keine Möglichkeit, ein Semester zu wiederholen
- Durch den Ausbildungsvertrag keine langen Semesterferien, sondern normaler Urlaubsanspruch
- Studenten stehen unter hohem Zeit- und Leistungsdruck
- Manchen Dozenten fehlt die Lehrerfahrung, wenn sie von den Unternehmen kommen
Geschichte
Die Entstehungsgeschichte der Berufsakademie Baden-Württemberg hat ihren Ursprung in der bildungspolitischen Situation der sechziger und beginnenden siebziger Jahre. Die bildungspolitische Aufbruchstimmung dieser Jahre führte zu einem zügigen Ausbau der allgemeinbildenden Schulen sowie zur Errichtung neuer Schulen und mündete in der Folge in einen Anstieg der Abiturientenzahl, der Zahl der Studenten und folglich auch der Zahl der Hochschulabsolventen.
Aufgrund der Überlast an den Hochschulen wuchs die Sorge, dass junge Menschen nicht bedarfsgerecht ausgebildet werden und somit Gefahr liefen, nach Beendigung ihres Studiums auf der Straße zu stehen. Die Unternehmen befürchteten zudem das Entstehen einer Qualifikationslücke, die durch die neuen Fachhochschulen und die Universitäten nicht genügend ausgefüllt werden konnte.
Im Jahr 1971 machte die Daimler-Benz AG gegenüber dem Kultusministerium Baden-Württemberg den Vorschlag, die Attraktivität der Ausbildung von Abiturienten im Dualen System dadurch zu fördern, dass die Ausbildung mit einer Art „Hochschulkurs-System“ verbunden werden sollte. Im Laufe desselben Jahres fanden hierzu auch Gespräche der Stuttgarter Unternehmen Robert Bosch GmbH, Daimler-Benz AG und Standard Elektrik Lorenz AG statt. Man war sich einig, dass eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg der geplanten alternativen Ausbildungsgänge sein würde, den Abiturienten eine echte Alternative zum „klassischen“ Hochschulstudium zu bieten. Das bedeutete, dass die neuen Ausbildungsangebote gegenüber einem Hochschulabschluss vergleichbare Chancen eröffnen mussten. Vergleichbar in Bezug auf das erreichbare Einkommen, vergleichbar aber auch im Hinblick auf die Aufstiegschancen. Diese Bedingungen konnten dauerhaft jedoch nur dann erfüllt werden, wenn die Qualität der Lerninhalte und Lernziele dieser neuen Ausbildungsgänge ein den Hochschulen vergleichbares Niveau hätten.
In enger Kooperation mit der Württembergischen Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie (VWA) in Stuttgart und der Industrie- und Handelskammer Mittlerer Neckar entwickelten die drei „Gründer“-Unternehmen das neue Bildungsangebot für Abiturienten, das am 15. Juli 1972 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde: das „Stuttgarter Modell“ war geboren. Im darauf folgenden Jahr gab der damalige Kultusminister Professor Wilhelm Hahn die Grundzüge eines Offensivprogramms für die berufliche Bildung der Öffentlichkeit bekannt. Als einen der Schwerpunkte nannte er die Schaffung einer Berufsakademie. Grundgedanke hierbei war - inspiriert durch das „Stuttgarter Modell“ - die Übertragung des Dualen Systems in den tertiären Bereich.
Am 1. Oktober 1974 starteten die Berufsakademien in Stuttgart und Mannheim im Rahmen eines Modellversuchs mit insgesamt 164 Studenten und 51 Ausbildungsstätten in den beiden Ausbildungsbereichen Wirtschaft und Technik. 1975 nahm an der Berufsakademie Stuttgart der Ausbildungsbereich Sozialwesen seine Arbeit auf. Bis zum Jahr 1981 kamen die Berufsakademien in Villingen-Schwenningen, Heidenheim, Ravensburg, Karlsruhe, Mosbach und Lörrach hinzu.
Das „Gesetz über die Berufsakademie im Land Baden-Württemberg“ wurde im April 1982 durch den Landtag verabschiedet und trat am 26. Mai 1982 in Kraft. Die bisherige Modellversuchsphase für das neue Ausbildungs- und Studienmodell war damit beendet. Die Berufsakademien waren nun als Regeleinrichtungen im tertiären Bildungsbereich des Landes verankert.
Bereits im August 1982 beschloss der Ministerrat, die Berufsakademie Baden-Württemberg weiter auszubauen. Die Gesamtstudentenzahl sollte sich bis 1985 auf rund 5.000 erhöhen. Da auch dieser Kapazitätsausbau der Nachfrage nach Studienplätzen an der Berufsakademie nur kurze Zeit gerecht wurde, erfolgte bis 1990 eine weitere Aufstockung auf nunmehr 12.140 Plätze. Das aktuell laufende Ausbauprogramm wird bis zum Jahr 2004 eine Kapazitätserhöhung auf dann 18.000 Studienplätze bringen.
Getreu dem Leitbild der Berufsakademie Baden-Württemberg wurden parallel zum Ausbau der Berufsakademie die hochschulpolitischen Bemühungen intensiviert, eine überregionale Anerkennung der BA-Abschlüsse zu erreichen. Mit der auf der Konferenz der Kultusminister im September 1995 in Halle ausgesprochenen Empfehlung an die Bundesländer, Berufsakademie-Absolventen wie Fachhochschulabsolventen zu behandeln, waren die jahrelangen Bemühungen um eine überregionale Anerkennung einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Die Kultusministerkonferenz stellte fest, dass die Abschlüsse der Berufsakademien nach dem Modell der baden-württembergischen Berufsakademien Abschlüsse im tertiären Bereich sind, die unter die Hochschuldiplomrichtlinie der Europäischen Union fallen. Damit waren auch die Bedingungen für eine europaweite Anerkennung gegeben.
Heute besitzt die Berufsakademie Baden-Württemberg insgesamt acht Standorte sowie drei Außenstellen: Mannheim, Stuttgart, Heidenheim, Karlsruhe, Lörrach, Mannheim, Mosbach (mit der Außenstelle Bad Mergentheim), Ravensburg (mit der Außenstelle Friedrichshafen), Stuttgart (mit der Außenstelle Horb) und Villingen-Schwenningen. Nach der deutschen Einheit adaptierten Berlin, Thüringen und Sachsen das Modell; in Berlin wurde die Berufsakademie inzwischen bei den Fachhochschulen eingegliedert.
Im September 2004 hat die Kultusministerkonferenz beschlossen, das die Bachelor- und Master-Abschlüsse der Baden-Württembergischen Berufsakademien national und international anerkannt werden.
Weblinks
Berufsakademien in Baden Württemberg:
- Berufsakademie Heidenheim
- Berufsakademie Karlsruhe
- Berufsakademie Lörrach
- Berufsakademie Mannheim
- Berufsakademie Mosbach, Außenstelle Bad Mergentheim
- Berufsakademie Ravensburg, Außenstelle Friedrichshafen
- Berufsakademie Stuttgart, Außenstelle Horb
- Berufsakademie Villingen-Schwenningen
Berufsakademien in Hessen:
Berufsakademien in Thüringen:
Berufsakademien im Saarland:
Berufsakademien in Sachsen:
Berufsakademie in Schleswig-Holstein:
Berufsakademien in Niedersachsen:
- Berufsakademie Lingen, die ab dem Studienjahr 2004 auch Bachelor-Abschlüsse vergeben darf
- Berufsakademie Weserbergland, ermöglicht das Bachelor-Studium in Richtung Betriebswirtschaft und Wirtschaftsinformatiker
Weitere Informationen zur Berufsakademie: