Anarchismus
Hinweis:
Generell hat der Anarchismus keine offiziellen Symbole
Anarchismus ist die Theorie oder Doktrin, dass Autoritäten im Allgemeinen und alle Staaten im Besonderen unnötig, repressiv gewaltsam und unerwünscht sind und daher aufgehoben gehören.
Der Begriff der Anarchie (griechisch αναρχία - Führerlosigkeit) bezeichnet die Idee einer herrschaftsfreien gewaltlosen Gesellschaft, in der Menschen ohne politischen Zwang (Macht) und Herrschaft miteinander leben. Ein Mensch, der nach diesen Idealen lebt, wird als Anarch bezeichnet, einer, der eine herrschaftsfreie Gesellschaft anstrebt, als Anarchist. Bisweilen wird das Adjektiv libertär synonym für "anarchistisch" verwendet.
Definitionsgeschichte
Ursprünglich bedeutet 'anarchia' einfach die Negation von militärischer Ordnung durch Führertum. Homer und Herodot (490 bis etwa 420/425 v. u. Z.) verwendeten den Begriff zur Beschreibung eines Zustandes "ohne Anführer" oder "ohne Heerführer", und Euripides (480 bis 407 v. u. Z.) bezeichnet mit 'anarchia' "führerlose Seeleute".
Aristoteles (384 bis 355 v. u. Z.) definierte die Anarchie als einen "Zustand der Sklaven ohne Herren". Die Bedeutung von "politischer Herrschaftslosigkeit" erlangte der Anarchiebegriff offensichtlich erstmals bei Xenophon (um 580 bis 480 v. u. Z.), für den die anarchia das Jahr war, in dem es keinen archon (Herrscher) gab.
Bei den Stoikern, Hedonisten und Kynikern finden sich Ideen, die ein 'herrschaftsfreies Gemeinwesen' befürworten, auch wenn sie selber noch nicht von Anarchie reden. Besonders radikal wurden diese freiheitlichen Anschauungen von Zenon (420 bis 350 v. u. Z.), dem Begründer der Stoischen Schule, vertreten. Gegenüber den autoritären theokratischen Ideen Platons nahm Zenon vom Individuum ausgehend eine – aus heutiger Sicht – durchaus als libertär zu verstehende Gegenposition ein. Auch Aristipp[os] (um 435 bis 366 v. u. Z.), der Sokrates-Schüler und Begründer des Hedonismus, scheint ein herrschaftsfreies Gemeinwesen befürwortet zu haben. Er dachte dabei, wohl ebenso wie Zenon, eher an eine "Anarchie" der Weisen.
1796 bezeichnete der Kulturphilosoph und Schriftsteller der Romantik, Friedrich von Schlegel (1772 bis 1829), in seinem "Versuch über den Republikanismus" die Anarchie als "absolute Freiheit", d. h. als ein im Gegensatz zur Despotie verstandenes Ideal, das "durch Annäherung erreicht werden kann".
Drei Jahre zuvor hatte Johann Gottlieb Fichte (1762 bis 1814) in seinem "Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution", ohne den Ausdruck Anarchie explizit zu gebrauchen, die libertäre These vertreten, dass der Staat die Aufgabe habe, sich selbst überflüssig zu machen, und ausdrücklich betont, dass die Menschheit sich diesem Ziel der Staatenlosigkeit immer mehr nähert.
1808 charakterisiert Johann Wolfgang von Goethe die Anarchie als notwendiges Ferment des kulturellen und wissenschaftlichen Fortschritts: "Ob wir gleich, was Wissenschaft und Kunst betrifft, in der seltsamen Anarchie leben, die uns von jedem erwünschten Zweck immer mehr zu entfernen scheint, so ist es doch eben diese Anarchie, die uns nach und nach aus der Weite ins Enge, aus der Zerstreuung zur Vereinigung treiben muß." Und 1821 dichtet er in den "Zahmen Xenien": "Warum mir aber in neuester Welt / Anarchie gar so gut gefällt ? – / Ein jeder lebt nach seinem Sinn, / Das ist nun also auch mein Gewinn. / Ich lass einem jeden sein Bestreben, / Um auch nach meinem Sinne zu leben."
Ludwig Börne (1786 bis 1837), neben Heinrich Heine einer der geistigen Gründerväter der literarischen Erneuerungsbewegung des "Jungen Deutschland", war vermutlich der erste, der sich in Deutschland auch in einem politischen Sinn offen für die Anarchie aussprach. In seiner Kritik eines 1825 in Paris veröffentlichten Buches, den "nouvelles lettres provinciales", befürwortet er sie folgendermaßen:
- "Nicht darauf kommt es an, daß die Macht in dieser oder jener Hand sich befinde: die Macht selbst muß vermindert werden, in welcher Hand sie sich auch befinde. Aber noch kein Herrscher hat die Macht, die er besaß, und wenn er sie auch noch so edel gebrauchte, freiwillig schwächen lassen. Die Herrschaft kann nur beschrängt werden, wenn sie herrenlos – Freiheit geht nur aus Anarchie hervor. Von dieser Notwendigkeit der Revolution dürfen wir das Gesicht nicht abwenden, weil sie so traurig ist. Wir müssen als Männer der Gefahr fest ins Auge blicken und dürfen nicht zittern vor dem Messer des Wundarztes. Freiheit geht nur aus Anarchie hervor – das ist unsere Meinung, so haben wir die Lehren der Geschichte verstanden."
Libertäre Tendenzen lassen sich auch bei Wilhelm von Humboldt (1767 bis 1835) finden, wie zum Beispiel in seiner Schrift "Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen", welches er nach eigenem Zeugnis mit der Intention verfasste, "der Sucht zu regieren entgegenzuarbeiten".
In der Schrift "Die Philosophie der Tat", die 1843 als Artikelserie in der von Georg Herwegh herausgegebenen Zeitschrift Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz erschien, definierte Moses Hess (1812 bis 1875) Atheismus und Kommunismus als analoge Erscheinungsformen der Anarchie:
- "Die Anarchie, auf welche sich die beiden Erscheinungsformen, Atheismus und Kommunismus zurückführen lassen, die Negation aller Herrschaft, im geistigen wie im sozialen Leben, erscheint zunächst als schlechthinige Vernichtung aller Bestimmung, mithin aller Wirklichkeit. Aber es ist in der Tat nur das äußerliche Bestimmtwerden, die Herrschaft des einen über den anderen, was die Anarchie aufhebt. Die Selbstbestimmung wird hier so wenig negiert, daß vielmehr deren Negation (die durch 'das Bestimmtwerden von außen' gesetzt (wird)) wieder aufgehoben wird. Die durch den Geist geschaffene Anarchie ist nur eine Negation der Beschrängtheit, nicht der Freiheit. Nicht Schranken, welche der Geist sich selbst setzt, bilden den Inhalt seiner freien Tätigkeit – also dieses Sichsetzen, Sichbestimmen oder Sichbeschränken ist es nicht, was vom freien Geist negiert werden kann, sondern das Beschrängtwerden von außen."
Unüberhörbar ist auch das individualanarchistische Credo in den von Moses Hess zu dieser Zeit veröffentlichten Schriften. Noch vor Max Stirner propagierte er die Autonomie des Individuums:
- "Der Wert der Anarchie besteht darin, daß das Individuum wieder auf sich selbst angewiesen wird, von sich ausgehen muß ... Wenn ich eine Macht außer oder über meinem Ich glaube, so bin ich von Außen beschrängt ... Ebenso kann ich im sozialen Leben mich selber bestimmen, in dieser oder jener bestimmten Weise tätig sein, ohne eine äußere Schranke meiner Tätigkeit anzuerkennen – ohne einem Anderen das Recht einzuräumen, mich zu beschränken."
Umgangssprachlich und von seinen politischen Gegnern wird der Begriff Anarchie jedoch oft mit Unordnung, Zerstörung und Chaos gleichgesetzt. Als politisch diffamierendes Schlagwort gegen andere ist der vom Begriff Anarchie abgeleitete Ausdruck Anarchist[in] erst seit der französischen Revolution bekannt. Allem Anschein nach war es der Girondist Jaques Pierre Brissot, der den Begriff 'Anarchist' in einer Wahlrede vom 23. Mai 1793 als erster zur Diskreditierung des politischen Gegners benutzte.
In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die deutsche Rote Armee Fraktion (RAF) und andere als terroristisch geltende Gruppierungen wegen ihrer extremen Militanz, mit der sie bis zur tödlichen Konsequenz für andere und sich selbst gegen Symbolfiguren der herrschenden Staatsgewalt aus Politik, Wirtschaft und Justiz vorging, fälschlich als anarchistisch bezeichnet und angesehen; dabei war sie nachweislich marxistisch-lenistisch und nicht anarchistisch ausgerichtet. Vor allem die Berichterstattung über die RAF in den meisten öffentlichen Medien führte zu einer "negativen Besetzung" der Begriffe Anarchie und Anarchismus in der BRD.
Anarchie als Ideal
Eine Denkrichtung sieht die Anarchie lediglich als eine Idealvorstellung, der man sich nur annähern kann. Aus der Betrachtung, dass Anarchie sein würde, wäre ein aufkommender Staat nichts anderes als eine kriminelle Organisation, die anarchistische Menschen unterjocht und deren Eigentum entwendet. Insofern unterscheidet sich ein Staat nicht von einer Mafia oder anderem kriminellen Gesindel, welches es auch in einer Anarchie geben würde. Der Unterschied ist nur, was man dabei unter einem "Staat" versteht. Die übliche Vorstellung von Staat ist ja, dass es sich um eine legitime Einrichtung handele. Dies ist aber aus der Sicht von Anarchisten eben nicht der Fall. Die historische Definition von Franz Oppenheimer in "Der Staat" ist dazu: "die Organisation legitimierter Plünderei". Wenn man also einen Staat gedanklich gar nicht anerkennt - und das tun Anarchisten ja auch nicht, dann lebten wir bereits in "Anarchie" - nur, dass sich diese Vorstellung wiederum aus der reinen Definition von Herrschaftlosigkeit verbieten würde.
Siehe auch: Alfred G. Cuzan: "Do we ever really get out of anarchy?"
Anarchie als Lebenshaltung
Zunächst war die anarchistische Idee ein Gedankenmodell für das gesellschaftliche Leben, ohne politische Ausrichtung. Aufgrund der - seit Jahrtausenden in vielen Kulturen bestehenden - auf Autortität beruhenden Organisation des Zusammenlebens, war jedoch ein revolutionäres, politisches Element im Anarchismus schon immer latent vertreten. Der Anarchismus ist trotzdem eher als philosophische, denn als politische Strömung zu sehen, viele Anarchisten lehnen auch heute noch eine Beteiligung am politischen System, oder anderen konkreten Aktionen, kategorisch ab. Sie sind der Meinung, der Zustand der Herrenlosigkeit könne den Menschen nicht aufgezwungen werden, da dies ein klassisches Paradox sei (das selbe Problem besteht auch bei der Frage, wie der Kommunismus zu erreichen sei, hier heißt die, mehr oder weniger gute Lösung Sozialismus), vielmehr müsse sich die Gesellschaft von innen heraus einem Zustand der Anarchie immer weiter nähern. Das ist auch der Grund, warum Anarchisten im Laufe der Geschichte immer wieder an Revolutionen beteiligt waren, sie wollten die Gesellschaft ein wenig verbessern, um so ihrem Ziel ein Stück näher zu kommen, es war jedoch meistens nicht ihre Absicht, den Zustand der Anarchie zu erzwingen.
Aktionsformen
Der Anarchismus hat stets versucht direkt politisch zu handeln. Aus diesem Ansatz leiten sich verschiedene Aktionsformen ab, wie z.B. die Direkte Aktion.
Richtungen
Im zwanzigsten Jahrhundert bildeten sich nun aber politische Strömungen heraus, deren Selbstverständnis es ist, Anarchisten zu sein, obwohl man sie mit dem klassischen Anarchismus nur noch schwer in Verbindung bringen kann, welcher in jüngster Zeit, da als idealistische Utopie verpönt, immer mehr an Bedeutung verliert. Hier gibt es nun im Wesentlichen zwei Richtungen:
Der so genannte Anarchokapitalismus spricht sich bewusst gegen den Staat aus, da die Teilnahme am Staat erzwungen ist. Der "Links"-Anarchismus hatte dagegen weniger den Zwang des Staates im Auge, sondern mehr strukturelle Ziele, die für sich genommen gegebenenfalls auch herrschaftliche Instrumente verlangten, um sie überhaupt durchsetzen zu können.
Die folgende Beschreibung des Anarchismus bezieht sich auf den "linken", vom Kommunismus beeinflussten, Anarchismus.
Der Anarchismus strebe nach dieser Auffassung eine Gesellschaft an, dessen politische Entscheidungen von der Basis ausgehen.
Dazu wird Selbstorganisation von den Vertretern dieses Anarchismus" als Mittel angesehen. Das Leben solle auf kleinstmöglicher politischer Ebene geregelt werden. Als wichtigste politische Einheit gelten demnach Stadtteilorganisationen, in denen lokale Angelegenheiten gemeinsam zu entscheiden sind.
Demnach solle der Mensch die ihn betreffenden Entscheidungen selbst gemeinsam mit anderen fällen dürfen, weshalb sich diese Anarchisten auch immer gegen den Staat wenden, da in der Demokratie die Politik immer nur von einer kleinen Machtgruppe (Politiker/Konzern/Parteien), d. h. oligarchisch entschieden werde.
Zu einer gerechten Gesellschaft gehöre eine gerechte Wirtschaft, weshalb Anarchisten autoritäre Wirtschaftsordnungen, wie die von einigen Marxisten geforderte, ablehnen, und eine selbstorganisierte Wirtschaft anstreben.
Wichtige Richtungen
- Individualistischer Anarchismus (Form des Liberalismus) – die Gesellschaft als Ansammlung unabhängiger Individuen. (Tucker)
- siehe auch Errico Malatesta: Individualismus und Kommunismus im Anarchismus: [1]
- Mutualismus – Großeigentum soll auf Kleineigentümer aufgeteilt werden, diese kooperieren miteinander. (Proudhon)
- Kollektivistischer Anarchismus – Arbeiterklasse entscheidender Faktor. (Bakunin)
- Kommunistischer Anarchismus - Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen (Kropotkin )
- Anarchosyndikalismus – Gewerkschaften als Basis
- Anarchopazifismus - Gewaltfreie Umsetzung
- Pogo-Anarchismus, siehe APPD
- Anarchafeminismus
- Postanarchismus
- Sozial Revolutionismus
- Anarchokapitalismus
- Primitivismus
Geschichte
18. Jahrhundert
Bereits 1793 formuliert William Godwin in seinem Werk Enquiry concerning political justice, dass jedwede obrigkeitliche Gewalt als ein Eingriff in die private Urteilskraft anzusehen ist. Seine Ideen wurden jedoch lange Zeit nicht aufgenommen. Erst Pierre Joseph Proudhon stellt die wesentlichen Elemente des Anarchismus in seinem Werk Qu'est-ce que la propriété? ou recherches sur le principe du droit et du gouvernement (1840) (Was ist Eigentum? oder Forschungsarbeiten zum Grundsatz des Rechts und der Regierung) zusammen und formuliert: "Eigentum ist Diebstahl."
19. Jahrhundert
Terrorismus - Die "Schwarze Internationale"
Später, im 19. Jahrhundert, waren es Revolutionäre wie Michail Bakunin, die Bedarf für Gewalt zur Verteidigung der Arbeiterklasse gegen Unterdrückung durch die herrschende Klasse sahen. Bakunin war schon während der Märzrevolution von 1848/1849 auch an führender Stelle bei regionalen Aufständen beteiligt, beispielsweise im Mai 1849 im Königreich Sachsen am Dresdner Maiaufstand, der zunächst die Anerkennung der vom preußischen König abgelehnten Reichsverfassung (vgl. Reichverfassungskampagne) zum Ziel hatte, aber von sächsischem und preußischen Militär niedergeschlagen wurde.
Einige der frühen Anarchisten unterstützten politische Gewalt durch Bombenattentate oder die Ermordung von Staatsoberhäuptern wie Zar Alexander II. von Russland (1881).
Diese Aktionen - von Kropotkin anlässlich eines internationalen revolutionären Kongresses 1881 in London als Propaganda der Tat bezeichnet - , wurden aber von anderen als kontraproduktiv oder ineffektiv angesehen.
Schon einige Jahre zuvor hatten symbolträchtige Anschläge auf Kaiser Wilhelm I. und die Könige von Spanien und Italien stattgefunden. Am 24. Juni 1894 aber tötete der junge italienische Einwanderer Sante Jeronimo Caserio, der dem anarchistischen Umfeld zuzurechnen war, den französischen Präsidenten Sadi Carnot. Dies war der Höhepunkt einer ganzen Serie von anarchistischen Anschlägen in Frankreich. Weiterhin zu erwähnen ist der Anarchist Leon Czolgosz, der am 6.September 1901 in Buffalo (New York) auf den Präsidenten William McKinley schoss. McKinley starb acht Tage später.
Die Attentate führten dazu, dass die gesamte internationale Gemeinschaft sich bedroht fühlte. Es war nicht allein Frankreich von solchen Attentaten betroffen. Die 1890er-Jahre wurden als ein "Jahrzehnt der Bomben" bezeichnet. Anschläge mit Dynamit - einer ganz neuen Erfindung - in rascher Folge richteten sich gegen Monarchen, Präsidenten und Minister. Andere trafen offizielle Gebäude.
Die Häufung der mehr oder weniger zeitgleichen Attentate in verschiedenen Ländern erweckte den Eindruck, es gebe eine Art "Schwarze Internationale" und führte zu einer Zusammenarbeit der internationalen Staatengemeinschaft gegen den Anarchismus. Das Konzept der Schwarzen Internationale wurde zu einem Kampfbegriff und führte aufgrund der terroristischen Anschläge von Anarchisten zu einer Reduktion des Anarchismus auf Terroranschläge.
Anarchistischer Kommunismus
Peter Kropotkin entwickelte in seinem Buch Gegenseitige Hilfe (1897) einen anarchistischen Kommunismus, dessen wissenschaftlicher Aspekt auf der Evolutionstheorie basiert, sich jedoch gerade gegen Sozialdarwinismus ausspricht. Die Zusammenarbeit sei in der Natur wichtiger als der Konkurrenzkampf gewesen.
20. Jahrhundert
Im frühen 20. Jahrhundert wurden in Europa die Anarchisten-Gruppen in Russland auch von den Kommunisten (vgl. auch Kommunistische Partei) verdrängt bzw. gewaltsam niedergeschlagen (Säuberungsaktionen gegen Anarchisten gegen Ende der russischen Revolution - Niederschlagung des anarchistischen Arbeiter- und Soldatenaufstandes in Kronstad. Schon in den 1870er Jahren hatte der Konflikt um die revolutionäre Führungsrolle einer Partei zwischen Karl Marx und Michail Bakunin bis 1876 zur Auflösung der Ersten Internationale (genauer der Internationalen Arbeiterassoziation, IAA) geführt.
Arbeiterbewegung
Anarchisten spielten in vielen Arbeiterbewegungen, Aufständen und Revolutionen des 19. und 20. Jahrhunderts eine Rolle. Dazu gehören etwa die Mexikanische Revolution von 1910 bis 1919 mit der Bauernarmee unter Führung von Emiliano Zapata, die Oktoberrevolution 1917 in Russland und die nach ihrem führenden Partisanen Nestor Machno benannte Bewegung der Machnowzi (Machnotschina = Machnobewegung) zwischen 1917 und 1921 in der Ukraine; auch in der kurzlebigen Münchner Räterepublik von 1919 waren zeitweise Anarchisten wie Gustav Landauer und der Dichter Erich Mühsam an der Räteregierung beteiligt; ebenso im Spanischen Bürgerkrieg zwischen verschiedenen Gruppen der Republikaner und der faschistischen Bewegung unter General Franco zwischen 1936 und 1939. In diesem Bürgerkrieg kontrollierten Anarchistengruppen, insbesondere die große und einflussreiche anarchosyndikalistische Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo CNT mit ihrem militanten Arm, der anarchistischen Federación Anarquista Ibérica (FAI) große Teile des östlichen Spaniens. Auch heute noch ist die 1922 gegründete anarchosyndikalistische Internationale ArbeiterInnen-Assoziation (IAA) in vielen Ländern Amerikas und Europas in Arbeitskämpfen aktiv.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich hauptsächlich in den USA die neue politische Theorie des rechts-Libertarismus. Diese Ideologie ist gegen den stetig wachsenden Einfluss des Staates auf die Wirtschaft, und ist dem klassischem Liberalismus des 18. und frühen 19. Jahrhundert näher als den bisherigen linken anarchistischen Traditionen. Dieser Libertarismus wird aber von den meisten Anarchisten anderer Richtungen als reinste Form des Kapitalismus abgelehnt.
Studentenbewegung
Mit der Studentenbewegung Ende der 1960er Jahre stieg das öffentliche Interesse am Anarchismus. Innerhalb der Studentenbewegung entstand ein Anarcho-Marxismus, der marxistische Theorie und anarchistische Praxis miteinander verband. In Großbritannien entstand Ende der 1970er Jahre der Punk als eine anarchistisch geprägte Subkultur. Vor allem die Band Crass sind hier als engagierte Anarchisten und Pazifisten zu nennen. Des Weiteren hatte der Anarchismus für Neue soziale Bewegungen (NSB) eine theoretische und praktische Bedeutung. Innerhalb der Autonomen als linksradikalem Flügel der NSB gab und gibt es eine große libertäre Strömung. Ende der 1990er Jahre nehmen Anarchisten eine postmoderne und poststrukturalistische Theorie auf. Dieser theoretische Ansatz wird unter dem Begriff Postanarchismus zusammengefasst.
Anarchismus heute
Anarchistische Gruppen existieren weiterhin weltweit. In den anglo-amerikanischen Ländern hat der Anarchismus in den letzten Jahren durch den dort auch anarchistisch geprägten Protest gegen die Globalisierung bei einigen Bevölkerungsschichten wieder ein wenig Ansehen erlangt.
In Deutschland existieren weiterhin klassische Anarchisten, einige Bedeutung haben die anarchosyndikalistische FAU/IAA und die anarcho-pazifistische Graswurzelrevolution. Die Autonomen gelten als zumindest stark vom Anarchismus beeinflusst.
Anarchistinnen und Anarchisten
- Günther Anders
- Puig Antich
- Alexander Berkman
- Michail Bakunin
- Hakim Bey
- Janet Biehl
- Étienne de la Boétie
- Murray Bookchin
- Noam Chomsky
- H.J. Degen
- Buenaventura Durruti
- Charles Fourier
- David D. Friedman
- Ernst Friedrich
- Emma Goldman
- William Godwin
- Daniel Guerin
- Karl Grün
- Max Hoelz
- Kurt Hafner
- Wolfgang Haug
- Moses Heß
- Ulrich Klan
- Peter Kropotkin
- Gustav Landauer
- Nestor Machno
- John Henry Mackay
- Errico Malatesta
- Louise Michel
- Johann Most
- Erich Mühsam
- Dieter Nelles
- Max Nettlau
- Pierre Joseph Proudhon
- Ravachol, (eigentl. Francois Claudius Koeningstein)
- Fermin Rocker
- Rudolf Rocker
- Murray Rothbard
- Sacco und Vanzetti, (Nikola Sacco, Bartholomeo Vanzetti)
- Abad de Santillán
- Augustin Souchy
- Max Stirner
- Clara Thalmann
- Benjamin Tucker
- Simone Weil
- Clara Wichmann
- Milly Witkopf-Rocker
Symbole
Allgemein
Entsprechend der Definition des Anarchismus als "herrschaftsfrei" wird von vielen Anarchisten grundsätzlich die Berechtigung von Symbolen, Flaggen oder auch Hymnen (z.B. von Nationalstaaten u.a.) kritisiert und der "Respekt" in Form von Achtungserweisen vor ihnen verweigert. Aus diesem Grund wird von manchen auch eine entsprechende Symbolik, die stellvertretend für den Anarchismus oder eine Teilbewegung des Anarchismus stehen soll, abgelehnt.
Dennoch wurden schon immer auch von Anarchisten und anarchistischen Gruppen Symbole verwendet.
Peter Kropotkin, der Begründer der Theorie des Kommunistischen Anarchismus im 19. Jahrhundert, propagierte die Rote Flagge als gemeinsames Symbol mit dem Sozialismus und Kommunismus.
Darüber hinaus entwickelten sich im 19. und 20. Jahrhundert weitere eigene Symbolismen. Die bekanntesten Symbole sind heute das eingekreiste A, die schwarz-rote Flagge, sowie die schwarze Flagge.
Auch wird oft eine einfache schwarze Flagge verwendet. Das Schwarz zeigt kein Herrschafts-Symbol an, und wird somit als Negation der Herrschaft angesehen.
Die anarchosyndikalistische Bewegung verwendet oft die Farben schwarz und rot zusammen, in der Fahne diagonal schwarz-rot bzw. rot-schwarz in zwei gleich große entsprechend gefärbte Dreiecke geteilt. Diese Symbolik taucht auch in einem ähnlich gestalteten rot-schwarzen fünfzackigen Stern auf.
Das A im Kreis
Das "A" in einem Kreis ist wohl das bekannteste Anarchismus-Symbol. Laut Peter Marshall (Demanding the Impossible S. 558) bezeichnet das eingekreiste "A" Proudhon's Maxime "Anarchie ist Ordnung."
Der Ursprung des eingekreisten "A"s ist aber immer noch unklar. Die erste öffentliche Verwendung dieses Symbols von Anarchisten geht wahrscheinlich auf den spanischen Bürgerkrieg zwischen 1936 und 1939 zurück. Oftmals wird seine Verwendung in der Gegenwart - seit etwa Anfang der 1980er Jahre -, vorrangig mit der Punk-Bewegung in Verbindung gebracht.
Mischformen
- Anarchosyndikalismus: schwarz-rote Fahne - Anarchie und Sozialismus
- Öko-Anarchismus: grün-schwarze Fahne
- Anarchokapitalismus: gelb-schwarze Fahne
Literatur
Einführungen
- Autorenkollektiv: Was ist eigentlich Anarchie, ISBN 387956700X
Klassiker
- Michael Bakunin :Staatlichkeit und Anarchie, ISBN 3879562334
- Alexander Berkman: ABC des Anarchismus
- Peter Kropotkin: Die Eroberung des Brotes, ISBN 3922209084
- Max Nettlau: Geschichte der Anarchie; Bibliothek Thélème, ISBN 3930819007
- Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum, ISBN 3150030579
- Pierre-Joseph Proudhon System der ökonomischen Widersprüche oder Philosophie des ElendsISBN 3879562814
Moderne Ansätze
- Stefan Blankertz: Das libertäre Manifest. Über den Widerspruch zwischen Staat und Wohlstand., ISBN 3831118698
- Murray Bookchin: Die Neugestaltung der Gesellschaft
- Ralf Burnicki: Anarchismus und Konsens, Verlag Edition AV, 2002
- Rolf Canzen ; Weniger Staat mehr Gesellschaft
- Bernd Drücke ; Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht? Anarchismus und libertäre Presse in Ost- und Westdeutschland, Verlag Klemm & Oelschläger, Ulm 1998, ISBN 3-932577-05-1
- Bernd Drücke, Luz Kerkeling, Martin Baxmeyer (Hg.) ; : Abel Paz und die Spanische Revolution. Interviews und Vorträge, Verlag Edition AV, Frankfurt/M. 2004, ISBN 3-936049-33-5
- Graswurzelrevolution (Hg.)Gewaltfreier Anarchismus ; Herausforderungen und Perspektiven zur Jahrhundertwende; Verlag Graswurzelrevolution 1999
- Silke Lohschelder: Anarchafeminismus. Auf den Spuren einer Utopie, Unrast Verlag 2000
- Murray N. Rothbard: Die Ethik der Freiheit, ISBN 3896650866
- Horst Stowasser: Leben ohne Chef und Staat, ISBN 3879561206
Sonstiges
- Tobi Blubb: Panokratie
- April Carter: Die politische Theorie des Anarchismus
- Hans Diefenbacher: Anarchismus, ISBN 3896780131
- Paul Eltzbacher: Der Anarchismus. Eine ideengeschichtliche Darstellung seiner klassischen Strömungen, Lieferbar
- Monika Grosche: Anarchismus und Revolution, Sydnikat A, 2004
- Hans-Hermann Hoppe: Demokratie. Der Gott, der keiner ist, ISBN 3933497868
- Jens Kastner: Politik und Postmoderne, Unrast-Verlag, 2000
- Lou Marin ; Ursprung der Revolte. Albert Camus und der Anarchismus, Verlag Graswurzelrevolution 1998
- Jürgen Mümken: Freiheit, Individualität und Subjektivität. Staat und Subjekt in der Postmoderne aus anarchistischer Perspektive ; Verlag Edition AV, 2003 [www.graswurzel.net/282/post.shtml]
- Jürgen Mümken: Anarchosyndikalismus an der Fulda. Die Geschichte der FAUD in Kassel und im Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus, Verlag Edition AV, 2004
- R. Rasch / H.J. Degen ; Die Richtige Idee für eine falsche Welt ? ; Oppo Verlag 2002
Organisationen
- FAU/IAA
- LÖPA Berlin
- Internationale der Anarchistischen Föderationen (IFA) [2]
- Internationale ArbeiterInnen-Assoziation (IAA)
Zeitungen
- Direkte Aktion
- Graswurzelrevolution
- Schwarzer Faden [3]
Weblinks
- Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus Berlin / Köln - Hajo Schmück zu: "Anarchie" - Zur Geschichte eines Reiz- und Schlagwortes.
Zitat: "Kaum ein anderer politischer Begriff besitzt eine solch bewegte Tradition als Reizwort in der öffentlichen Meinung wie das Wort Anarchie. Ursprünglich ein eher technisch verstandener Ausdruck zur Bezeichung von Führer- oder Herrschaftslosigkeit, diente das Wort schon bald den Mächtigen zur ideologischen Legitimierung ihrer Herrschaftsansprüche und später auch als rhetorischer Vorwand zur Diskreditierung und Kriminalisierung des politisch Andersdenkenden" [4]
- Anarchie Heute - Internetseite von Benedikt Huber.
- www.anarchismus.net - FAQ seite zum Anarchismus. Die Texte sollen (Zitat) "verständliche Antworten auf die häufigsten Fragen zum Anarchismus geben".
- Infoshop.org - Infoshop.org ist laut Selbstdarstellung "one of the oldest and most respected political websites. [They] provide a wealth of alternative news and information that often can't be found elsewhere on the Internet." FAQ zum Thema: [5]
- www.anarchismus.at - Diese österreichische Seite möchte mit ihren Seiten "klassische anarchistische Texte und Theorien sowie (anarchistische) Artikel zu aktuellen Themen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen." [6]
Auf dieser Seite ist auch eine umfangreiche Textsammlung zu finden [7], - George Mason University, [USA], Prof. Bryan Caplan - "Anarchist Theory FAQ or Instead of a FAQ, by a Man Too Busy to Write One". [8] (englisch)
- anarchosyndikalismus.org - Auf der Seite anarchosyndikalismus.org informieren laut Selbstdarstellung Gruppen und Initiativen über aktuelle Neuigkeiten und die Hintergründe zu den weltweiten Aktivitäten von AnarchosyndikalistInnen, sowie über den "libertären (also freiheitlichen)" Kommunismus. A. Nonameous: schrieb dort: "Kleiner Leitfaden zur Geschichte und den Inhalten des Anarchismus"[9]
- postanarki.net - Die Seite postanarki.net informiert mit Essays, Buchrezenzionen u.a. zum Thema Postanarchismus [10] (türkisch und englisch)]
- anarchismus.de - will Beiträge zu libertären und anarchistische Informationen, Ideen und Taten liefern.
- An Anarchist FAQ (englisch) das FAQ schlechthin zum Thema!
- SymbolikHier wird anarchistische Symbolik und die Farbherkunft auf eben diesen erklärt.
- deu.anarchopedia.org Anarchopedia - deutschsprachiges Wiki zum Thema Anarchismus
Siehe auch
Anarchosyndikalismus, Direkte Aktion, Münchner Räterepublik, Pariser Kommune, Rätedemokratie, Graswurzelrevolution, Liberalismus, Neue Linke, Sozialismus, Primitivismus, Pazifismus, Individualanarchismus, Mutualismus, Syndikalismus, Terrorismus, Libertarismus, Eigentum, Freiheit, Abolitionismus, Situationistische Internationale, Machnotschina tokipona:nasin pi lawa ala