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Abchasien

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Lage Abchasiens in Georgien

Die im Süden des Kaukasus an das Schwarze Meer grenzende Abchasische Autonome Republik (georgisch აფხაზეთის ავტონომიური რესპუბლიკა, Apchasetis Awtonomiuri Respublika, abchasisch Аҧсны Аҳәынҭқарра, Aṗsny Aḥwənṭḳarra; v. georgisch Abschasi "Mensch") gehört zu Georgien, hat sich jedoch für unabhängig erklärt. Hauptstadt ist Sochumi. Die Einwohnerzahl beträgt nach offizieller Schätzung 320.000, laut UNO 200.000 und eine Fläche von 8.600 km².

Geographie

Abchasien liegt an der Nordküste des Schwarzen Meeres im Westen des Flusses Enguri in Georgien. Das bis auf einen schmalen, landwirtschaftlich genutzten Küstenstreifen gebirgige Land erreicht Höhen von über 4.000 Metern. Der Kaukasus trennt Abchasien von Tscherkessien. Das milde Klima hat dafür gesorgt, dass sich Abchasien vor allem in der Sowjetzeit zu einem beliebten Feriengebiet innerhalb der Sowjetunion entwickelt hat (Georgische Riviera). Es begünstigte auch den Anbau von Tabak, Tee, Wein und Obst, sodass die Landwirtschaft, ebenso wie die Nahrungs- und Genussmittelindustrie, einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren des Landes sind.

Einwohner

Die letzte sowjetische Volkszählung von 1989 hatte noch eine Einwohnerzahl von 500.000 ermittelt, davon 48% Georgier und 17% Abchasier. Im Verlauf des Sezessionskrieges wurden dann allerdings rund 250.000 Georgier vertrieben. Laut Volkszählung 2005 sind 192.000 (58%) der Bevölkerung Abchasen, 60.000 (18,2%) Armenier, 40.000 (12,9%) Georgier, 22.000 Russen und 6.000 (0,2%) Esten.

Geschichte

siehe auch: Liste der Herrscher von Abchasien

Frühe Geschichte

Die frühesten archäologischen Funde lassen sich auf das 4. Jahrtausend v. Chr. datieren. Etwa seit dem 9. Jahrhundert v. Chr. gehörte die Region zum Reich von Kolchis, das mit den Griechen intensiven Handel trieb. Im Rahmen der griechischen Kolonisation wurde dabei auch der Hafen von Dioskurias angelegt, das heutige Suchumi. Seit dem Jahr 63 v. Chr. gehörte Kolchis zum Königreich Egrisi, das im 1. Jahrhundert n. Chr. vom Römischen Reich abhängig wurde bzw. mit dessen Teilung von Ostrom bzw. Byzanz. In der Zeit Kaiser Justinians I. im 6. Jahrhundert wurden die Abchasen zum Christentum bekehrt. Seit dem 7. Jahrhundert war das Land unabhängiges Fürstentum des Byzantinischen Reiches und behielt diesen Status bis ins 8. Jahrhundert, als es mit dem georgischen Königreich Imereti vereinigt wurde. 1578 kam das Gebiet zwischen dem Hauptkamm des Kaukasus und dem Fluss Aras, d.h. Aserbaidschan und Georgien und damit auch Abchasien an das Osmanische Reich, das zwar 1639 Aserbaidschan und das östliche Georgien wieder verlor, das westliche Georgien mit Abchasien aber weiter beherrschte. In der Folgezeit trat dann die Mehrheit der abchasischen Bevölkerung zum Islam über, die Georgier hielten sich mehreitlich am Christentum fest.

Zahlreiche mittelalterliche georgische Kirchen und Klöster in Abchasien bezeugen die politische und vor allem kulturelle Zugehörigkeit Abchasiens zu Georgien.

Russische und sowjetische Herrschaft

Seit Ende des 18. Jahrhunderts stieß des russische Zarenreich Richtung Kaukasus vor. Das alte Königreich Georgien wurde 1801 russisch, die direkt westlich anschließenden Gebiete folgten in den Jahren darauf: Mingrelien 1803, Imeretien und Gurien 1804, das südliche Abchasien im Jahr 1810, der Hafen Poti und das nördliche Abchasien schließlich 1829. Allerdings kam es in der der Folge immer wieder zu Rebellionen gegen die Russen, zumal die Bergregionen Swanetien und Tscherkessien erst 1858 bzw. 1864 dem Zarenreich einverleibt wurden. Bereits 1857 musste in Sugdidi ein Aufstand niedergeschlagen werden und erneut 1866 in Suchumi. Das teil-autonome Fürstentum wurde von Russland 1864 endgültig beseitigt. Die antimuslimische Politik der nächsten Jahre führte dann dazu, dass viele muslimische Abchasier in das Osmanische Reich auswanderten. Der genaue Ablauf der Migrationsbewegungen in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. ist bis heute nicht genau geklärt, aber zugleich ein Streitpunkt zwischen Georgiern und Abchasiern und ihrer jeweiligen, von nationalen Interessen mitbestimmten Geschichtsschreibung. Fest steht nur, dass die Abchasen zu Beginn des 20. Jhs. zu einer Minderheit im eigenen Land geworden waren. So ist in einer zeitgenössischen Enzyklopädie des Jahres 1911 zu lesen, dass die Stadt Suchumi, damals 43.000 Einwohner, zu zwei Dritteln von mingrelischen Georgiern und zu einem Drittel von Abchasen bewohnt sei.

Die Oktoberrevolution von 1917 führte zunächst dazu, dass den Abchasen ein größeres Maß an Eigenständigkeit gewährt wurde, da dies der internationalistischen Ideologie der Kommunisten entsprach, sie aber zugleich auch auf Bündnispartner gegen die gegenrevolutionären Kräfte angewiesen waren. Auch Stalin, selbst Georgier, gewährte Abchasien 1931 formell den Status einer autonomen Republik innerhalb der Sowjetrepublik Georgien. Tatsächlich aber geriet Abchasien zunehmend unter den Druck der Regierung in Tbilisi, die in Georgien auf eine Zantralisierung und damit auf eine "Georgisierung" Abchasiens hinarbeitete. So wurde das Georgische zur Amtssprache auch in Abchasien erklärt, während der Gebrauch des Abchasischen verboten wurde; kulturelle Rechte wurden beschnitten und jeder Ansatz einer eigenständigen nationalen Identität wurde als konterrevolutionär diffamiert. Den stalinschen Säuberungen fielen auch in Abchasien tausende zum Opfer. Ihren Platz nahmen vielfach Georgier ein, die zur Ansiedlung in Abchasien ermuntert wurden. In den 50er und 60er Jahren wurde diese Ansiedlung noch durch die Einwanderung zahlreicher Armenier ergänzt, sodass heute die Armenier die größte Minderheit in Abchasien bilden.

Nach Stalins Tod ließen die Repressionen gegenüber den Abchasen deutlich nach. Nunmehr wurden den Minderheiten in der Sowjetunion und damit auch den Abchasen, weit reichende kulturelle Freiheiten gewährt und in der Verwaltung wurde durch Quotenregelungen sichergestellt, dass dort auch die Minderheiten entsprechend vertreten waren. Zum Teil führte dies aber wiederum zu Ressentiments auf Seiten der Georgier, die darin eine unfaire Bevorzugung der Abchasen innerhalb der georgischen Sowjetrepublik sahen.

Postsowjetische Zeit

Das abchasische Parlament, der Oberste Sowjet, erklärte im Juli 1992 Abchasien für unabhängig. Zu dieser Zeit waren in Abchasien die Anhänger des gestürzten georgischen Präsidenten Zwiad Gamsachurdia aktiv und sorgten dort für Unruhe. Als mehrere russische Güterzüge, die nach Armenien Güter transportierten, in Abchasien gestoppt und geplündert wurden, forderte Russland die damalige georgische Regierung auf, Sicherheit und Ordnung auf georgischem Territorium, wozu auch Abchasien zählt, zu gewährleisten. Zu diesem Zweck wurden in Absprache mit dem damaligen Parlamentsvorsitzenden Abchasiens Wladislaw Ardzinba Einheiten der georgischen Armee nach Abchasien geschickt, um die lebenswichtigen Wege (Bahn und Straße) zu sichern. Am 14. August 1992 rückten georgische Einheiten unter dem Befehl des damaligen Verteidigungsministers Tengis Kitowani in Abchasien ein. Als diese Einheiten Abchasien betraten, fielen sie unter massiven Beschuss der "abchasischen Armee". Gleichzeitig sprach W. Ardzinba im öffentlichen Fernsehen über eine Aggression Georgiens gegen den "unabhängigen abchasischen Staat" und rief die Abchaser auf, die Georgier mit allen zur Verfügung stehenden Mittel zu bekämpfen. Die von Russland militärisch unterstützten abchasischen Sezessionisten hielten nicht nur stand, sie gewannen den Krieg und vertrieben die gesamte georgische Bevölkerung aus Abchasien. Der Krieg dauerte etwas über ein Jahr, führte zu Kriegsverbrechen, vielen tausend Toten und zur Vertreibung von ca. 250.000 Georgiern, die in Abchasien gelebt hatten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz schätzte 1995, dass in der autonomen Republik rund 80.000 Abchasen, etwa 60.000 Armenier, 40.000 Russen und noch 12.000 ethnische Georgier lebten. Die meisten georgischen Flüchtlinge strandeten in Tiflis. 50.000 Flüchtlinge kehrten wieder in ihre Heimat zurück. 40.000 von ihnen wurden 1998 erneut vertrieben.

Im Mai 1994 wurden nach drei vergeblichen Anläufen unter Vermittlung der Vereinten Nationen ein Waffenstillstand vereinbart. Bislang sorgen 1.500 russische Soldaten als Friedenstruppe der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) für die Einhaltung des 1994 geschlossenen Waffenstillstandes zwischen Georgiern und Abchasen. Die Einhaltung des Abkommens wird durch eine 136köpfige VN-Beobachtermission (United Nations Observer Mission in Georgia UNOMIG) überwacht. Deutschland stellt mit elf Soldaten das größte Kontingent der Mission.

Wiederholt wurde vergeblich unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen über eine Beendigung des Konflikts verhandelt. Dabei ging es um eine Rückführung der Flüchtlinge und eine politische Lösung auf der Basis der territorialen Integrität Georgiens. Das scheiterte jedoch an der de facto Regierung Abchasiens, die stets auf einer völligen Unabhängigkeit beharrte.

Im Oktober 2001 entbrannte der bewaffnete Konflikt zwischen georgischen Partisanen und abchasischen Sicherheitskräften in der georgisch-abchasischen Grenzregion erneut. Auf Seiten der georgischen Partisanen kämpften dabei erstmals auch tschetschenische Milizen.

Deutschland zählt neben den USA, Großbritannien, Frankreich und Russland zu den fünf Freunden des abchasischen Friedensprozesses. Die im Juli 2002 vom VN-Sicherheitsrat verabschiedete Abchasien-Resolution, die einen Verbleib als autonome Republik im Staat Georgien vorsieht, gründet auf Vorschlägen des deutschen Diplomaten Dieter Boden, der von 1999 bis 2002 UNOMIG leitete. Obgleich regelmäßige Verhandlungen zur Beilegung des Konfliktes den zwischen den fünf Freunden, Abchasien und Georgien stattfinden, brachten sie bisher keinen Durchbruch. Kofi Annan, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, hat Abchasien aufgerufen, die samtene Revolution in Georgien für einen neuen Verhandlungsstart zu nutzen.

Politik

Präsident Abchasiens ist Sergei Bagapsch. Er wurde am 12. Januar 2005 ins Amt gewählt und löste am 12. Februar 2005 den Historiker Wladislaw Ardsinba ab. Bagapsch erhielt 91,54% der Stimmen, sein Gegenkandidat Jakob Lakoba 4,5%. Dem Wahlgang war eine verfälschte Wahl am 3. Oktober 2004 vorangegangen, bei der der frühere Premierminister Raul Chadschimba zum Sieger erklärt worden war. Nach langwierigen Auseinandersetzungen ordnete der Oberste Gerichtshof eine Wiederholung der Wahl im Januar an. Vollständig ordnungsgemäß war auch die Januarwahl nicht. In der ostabchasischen Provinz Gali lebende Georgier wurden an der Stimmabgabe gehindert.

Premierminister ist Alexander Ankwab, der bereits von 1992 bis 1993 Innenminister des Landes war. Er war damals für ethnische Säuberungen und die Vertreibung der Georgier aus dem Land verantwortlich.

Das abchasische Parlament hat in den Jahren 2002, 2003 und 2004 immer wieder erfolglos an die russische Legislative appelliert, assoziierte Beziehungen zu Abchasien herzustellen, die Autonome Republik vertraglich in das russische Zoll- und Währungssystem einzubeziehen sowie militärischen Schutz zu gewähren.

Die Menschenrechtslage in Abchasien ist nach Angaben der Vereinten Nationen prekär. Es gibt keine funktionierende Strafverfolgung, das Land wird von kriminellen Gruppen infiltriert und es fehlt die Möglichkeit Klagen einzureichen. 2004 wurde den Volksgruppen (siehe Urumer) das Recht entzogen, an Schulen in ihrer Muttersprache zu lernen.

Georgisch-abchasische Beziehungen

Die Regierung in Tiflis beabsichtigt, Abchasien nach dem Modell des Machtwechsels in Adscharien wieder in Georgien einzugliedern. Präsident Micheil Saakaschwili hat am 22. September 2004 vor der UN-Generalversammlung einen Drei-Stufen-Plan zur Beilegung der Konflikte in Abchasien und Südossetien vorgelegt. Eine erste Stufe sieht vertrauensbildende Maßnahmen zwischen regierungsunabhängigen Organisationen, Studenten, Journalisten, Ärzten, Sportlern und Müttern vor. Auf der zweiten Stufe sollen die Konfliktzonen unter internationaler Aufsicht demilitarisiert werden. Auf der dritten schließlich will Georgien Abchasien und Südossetien eine größtmögliche Autonomie gewähren.

Die Regierungen von Abchasien und Südossetien haben den georgischen Plan zurückgewiesen. Eine Rückkehr nach Georgien werde es nicht geben. Auch Russland lehnt eine Eingliederung Abchasiens in Georgien ab. Russland und Abchasien bemühen sich gemeinsam, Abchasien an Russland anzubinden. Am 10. September 2004 wurde die unterbrochene Eisenbahnverbindung zwischen Sochumi und Moskau wiederaufgenommen. Saakaschwili war darüber sehr erbost, weil er zuvor nicht konsultiert wurde.

Literatur

  • Mariam Lortkipanidse: Georgien und seine Autonomien: Kurzer Abriß der Geschichte Abchasiens, Atscharas und Südossetiens. In: Georgica. Bd. 15 (1992), S. 34-37
  • Lewan Toidse, Awtandil Menteschaschwili: Die Bildung der Autonomien in Georgien - Teil 1: Abchasien. In: Georgica. Bd. 15 (1992), S. 38-49
  • Alexander Kokeev: Der Kampf um das Goldene Vlies. Zum Konflikt zwischen Georgien und Abchasien. Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-928965-31-X
  • George Hewitt (Hrsg.): The Abkhazians. A Handbook. Curzon Press, London 1998, ISBN 0700706437
  • Bruno Coppieters: Westliche Sicherheitspolitik und der Konflikt zwischen Georgien und Abchasien. Bundesinstitut für Ostwissenschaftliche und Internationale Studien, Köln 1999, ISSN 04357183
  • Edward W. Walker: No peace, no war in the Caucasus: Secessionist conflicts in Chechnya, Abkhazia and Nagorno-Karabakh. Harvard University, John F. Kennedy School of Government, Cambridge, Mass. 1998
  • Tim Potier: Conflict in Nagorno-Karabakh, Abkhazia and South Ossetia: a legal appraisal. Kluwer Law International, The Hague 2001, ISBN 90-411-1477-7