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Bipolare Störung

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Als Bipolare Störung oder "Bipolare affektive Störung" wird eine affektive Störung bezeichnet, bei der wiederholt depressive Phasen (mit übernormal gedrückter Stimmung und vermindertem Antrieb) und manische Phasen (mit überdrehter gehobener oder gereizter Stimmung und vermehrtem Antrieb, oder abgeschwächt als so genannte hypomanische oder hypomane Phasen auftreten.) Dazwischen tritt in der Regel eine Besserung ein. Antrieb und Gemüt befinden sich dann wieder innerhalb der Normalschwankungen zwischen diesen beiden Extrempolen. Bei längerem Verlauf mit mehreren Episoden können jedoch Residual-Symptome zurück bleiben. Die Bipolare Störung ist also eine sehr ernste "Stimmungs- und Antriebskrankheit". Sowohl für manische als auch für hypomanische und depressive Episoden gibt es Kriterien-Kataloge, bei denen einige Symptome erfüllt sein müssen und auch über eine definierte Zeit lang anhalten müssen, um eine Diagnose zu treffen. Eine solche Auflistung von Symptomen findet sich beispielsweise in der "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems" (ICD), einer von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebenen internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsproblemen. Sie wurde 1992 fertig gestellt, allerdings wird jedes Jahr eine aktualisierte Version heraus gegeben, trägt aber immer die Bezeichnung ICD 10. Die aktuelle Ausgabe der ICD wird als ICD-10 2005 bezeichnet. Ein nationales (US-amerikanisches) Klassifikations-System findet sich im "Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders" (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen, abgekürzt als DSM IV). Seit 1996 existiert eine deutsche Publikation des DSM 4 (DSM-IV). Typische Symptome finden sich aber auch in den Wikipedia-Artikeln über Depression und Manie.

Früher wurde für diese Störung auch der Begriff "manisch-depressive Erkrankung" oder, von dem Psychiater Emil Kraepelin, gar "manisch-depressives Irresein" verwendet, umgangssprachlich wird sie mitunter als "manische Depression" bezeichnet. Auch die Bezeichnungen "manisch-depressive Erkrankung" oder "manisch-depressive Krankheit" sind noch heute gebräuchlich.

Ein unter Psychiatern und Behörden übliches, aber nicht immer ganz korrekt benutztes Synonym für die Bipolare Störung ist bipolare Psychose oder affektive Psychose. Der Begriff "Psychose" wird in der Fachwelt unterschiedlich verwendet: Einige subsumieren nur "Wahn" darunter, andere gebrauchen ihn für gravierende psychische Störungen, zu denen die Bipolare Störung - trotz des vielleicht "harmlos" erscheinenden Wortes "Störung" sicher gehört.

Sternennacht (1889) von Vincent van Gogh, bei dem Fachleute vermuten, dass er an einer bipolaren Störung litt.

Forschungsgeschichte und Bezeichnungen

Die bipolare Störung ist schon seit langem bekannt. Erste Schriftzeugnisse aus der Antike belegen bereits die Kenntnis der beiden Zustände, zunächst als gesonderte Krankheiten durch Hippokrates und einige Jahrhunderte danach bereits eine Erkenntnis der Zusammengehörigkeit von Depression und Manie durch Aretaeus von Kappadokien.

Hippokrates von Kos beschrieb bereits im 5. Jahrhundert vor Christi Geburt die Melancholie (entspricht der heutigen "Depression"). Er nahm an, dass sie durch einen Überschuss an "schwarzer Galle" entstehe, die von der organisch erkrankten Milz ins Blut ausgeschieden werde, den gesamten Körper überflute, ins Gehirn eindringe und Schwermut verursache. Mit dieser Vorstellung ist der griechische Begriff "Melancholia" eng verzahnt ((griechisch: μελαγχολια) von (μελας, melas, "schwarz", + χολη, cholé, "Galle")). Hippokrates verwendete auch bereits den Begriff "Mania (Manie)", um einen Zustand der Ekstase und Raserei zu beschreiben. Dieser griechische Begriff (griech. μανία manía = Raserei) hielt sich seitdem bis heute in der Wissenschaft. Statt des griechischen Wortes "Melancholie" wird heute der Fachbegriff "Depression" für den anderen Extrempol dieser Erkrankung verwendet, der aus der lateinischen Sprache stammt (lat. depressio „Niederdrücken“).

Der griechische Arzt Aretaeus von Kappadokien vermutete ähnliche körperliche Ursachen, erkannte aber bereits im 1. Jahrhundert nach Christus eine Zusammengehörigkeit der beiden extremen Zustände, die als Gegenpole so weit auseinander liegen und beschrieb somit als erster die Bipolare Störung: "Meiner Ansicht nach ist die Melancholie ohne Zweifel Anfang oder sogar Teil der Krankheit, die Manie genannt wird ... Die Entwicklung einer Manie ist vielmehr eine Zunahme der Krankheit als ein Wechsel in eine andere Krankheit."Vorlage:Ref

Während des Mittelalters geriet dieses rationale Konzept in Vergessenheit, ebenso die Ursachensuche auf körperlich bedingte Faktoren. Dämonen und Hexen galten nun als Ursache der Erkrankung, und nicht wenige derer, die der Hexerei bezichtigt waren, fielen diesem "Irrsinn" der "normalen" Bevölkerung und Instanzen zum Opfer. Auch Betroffene wurden als "Besessene" verteufelt, verfolgt und umgebracht. Das wesentlich "modernere" und aufgeklärtere Konzept des Aretaeus von Kappadokien, der wie Hippokrates von körperlichen Ursachen ausging, griffen erst französische Forscher wieder auf. Jean-Pierre Falret beschrieb im Jahr 1851 "la folie circulaire" (= zirkuläres Irresein) als einen Wechsel von Depressionen, Manien und einem gesunden Intervall, Jules Baillarger drei Jahre später sein Konzept der "folie à duoble forme" als unterschiedliche Erscheinungsformen der selben Krankheit, wobei nicht unbedingt ein freies Intervall zwischen diesen beiden Extremzuständen liegen muss.Vorlage:Ref Der deutsche Psychiater Emil Kraepelin nannte 1899 diese Erkrankung des "circulären Irreseins" auch "manisch-depressives Irresein", wobei er auch schon Mischzustände erkannte, bei denen manische und depressive Symptome gleichzeitig vorkommen. Auch für Kraepelin waren Manien und Depressionen Ausdrucksformen ein- und derselben KrankheitVorlage:Ref.

In der NS-Zeit machten sich die Psychiater zu Helfershelfern des Nazi-Rassenwahns, wenn sie ihn nicht selbst hervorzubringen halfen und sich aktiv an den Untaten beteiligten. Enthusiastisch trugen prominente deutsche Psychiater zur "Vernichtung unwerten Lebens" bei. Zehntausende psychisch kranker Menschen, darunter als "cirkulär Irre" eingestufte bipolar Erkrankte wurden in den Vergasungs-Anstalten der "Aktion T4" ermordet. Es hieß, man habe ihnen "Euthanasie" angedeihen lassen, einen "schönen Tod", der für sie "Erlösung" gewesen wäre und man habe den "Volkskörper" von kranken, schwächenden, unwerten Elementen und Erbgut gereinigt.

1949 traf Karl Kleist eine erbbiologische Unterscheidung unipolarer und bipolarer Krankheitsformen und 1966 unterschieden Jules Angst und Carlo Perris bipolare Erkrankungen und unipolare Depressionen.Vorlage:Ref "Bi-" ist hierbei eine Vorsilbe lateinischen Ursprungs mit der Bedeutung "zwei", unter "Pol" versteht man eines von zwei (äußersten) Enden. Das eine Ende wird hierbei als das extreme Gegenteil des anderen Endes betrachtet. In "bipolar" steckt auch die Bedeutung, dass sich beide Enden gegenseitig bedingen, ähnlich wie sprichwörtlich die "Zwei Seiten einer Medaille" - oder eben wie bei den Extrempolen Manie und Depression.

Verlaufsformen

Episoden beider Art treten häufig, aber nicht ausschließlich nach einem belastenden Lebensereignis auf. Nach einigen Phasen der Krankheit können sich innere Rhythmen ausbilden, die auch unabhängig von äußeren Ereignissen wirken. Während mitunter - vor allem wenn schnell erkannt und richtig behandelt - nach der ersten oder den ersten Episoden keine weiteren mehr auftreten, tritt die Bipolare Störung bei vielen als eine lebenslange, chronische Erkrankung in Erscheinung. Bei der Bipolaren Störung werden die normalen Ausschläge von Depression und Euphorie überschritten, die Gegenpole sind viel extremer. Eine Depression wird als viel schlimmer empfunden als das "Depressiv-Drauf"-Sein, das auch viele gesunde Menschen manchmal durchmachen. Eine Manie ist viel stärker als normale Glücksgefühle, oder als normale Gereiztheit ("Dysphorie") und als normaler Antrieb und Euphorie. Die Phasen der Manie äußern sich häufig in starker Aktivität in Beruf und freiwilligem Engagement. Während einer Manie konzentriert der Betroffene oft seine volle Kapazität auf Teilaspekte seine Lebens, wobei andere Aspekte vernachlässigt werden oder völlig ignoriert werden. So kann es vorkommen, dass der Betroffene seine gesamte Energie auf sein berufliches oder freiwilliges Engagement oder für einen neuen Partner verwendet, gleichzeitig aber seine sozialen Kontakte oder seinen Haushalt völlig vernachlässigt. In der Tat kann die vermehrte Leistungsbereitschaft zunächst auch zu Erfolgen führen. So kann der Erkrankte während einer Manie, mehr noch aber bei einer Hypomanie, bei vorhandener Begabung sehr respektable Leistungen vollbringen. Unter einer "Hypomanie" versteht man eine nicht so stark ausgeprägte Manie, eine Hypomanie liegt jedoch bereits deutlich über einem normalen Aktivitäts- und/oder Stimmungs-Ausschlag "nach oben". Die Auswirkung der Krankheit auf ein Engagement bezieht sich also insbesondere auf dessen Umfang sowie die Interpretation des Geleisteten durch den Erkrankten. Der Betroffene kann sich aber auch in Dinge hineinsteigern, die absolut realitätsfremd sind (Wahn). Dies ist vor allem der Fall, wenn er während der Manie in einen Größenwahn verfällt (Megalomanie). Dabei kann auch ein religiöser Größenwahn auftreten, in dem Betroffene sich für auserwählte Propheten oder für große Rächer im Namen Gottes halten können, neue Schriftzeichen entwickeln, ihre eigene Himmelfahrt vorhersagen, Berechnungen des Datums für den drohenden Weltuntergang anfertigen, der Phantasie für weitere Aktivitäten sind keine Grenzen gesetzt. Auch wegen des durch die Manie hervorgerufenen, oder sie auslösenden, teils extremen, Schlafmangels können solche Wahnvorstellungen, aber auch Halluzinationen hervorgerufen werden.
Wenn berechnete Ereignisse nicht eintreffen ändern sie ihre Strategie und entwickeln neue Taktiken, mit denen sie mitunter effektiv ihre Angehörigen terrorisieren können. Häufig treten auch Mischzustände auf, dabei ist die Grundstimmung depressiver Natur, aber gleichzeitig ist ein erhöhter Tatendrang vorhanden. Depressive Gedanken werden in die Tat umgesetzt, sodass das Suizidrisiko in diesen Zuständen wesentlich höher ist als in der reinen Depression. Die Depression verkehrt alle Aspekte der Manie ins Gegenteil und zwingt den Betroffenen zu Apathie und Lustlosigkeit. Bei dieser Erkrankungsphase höchsten Leidens erscheint sehr oft der Tod als besserer Zustand, man ist hoch suizidgefährdet. Auch beschämen dann oft Dinge, die man in der Manie gemacht hat (oft wahllose Affären, unüberlegte schädigende Geldausgaben, zu deutliche Worte z.B gegenüber dem Arbeitgeber, Chaos, fehlende Rücksicht auf Beziehungen, ...).

Das erstmalige Auftreten der Krankheit kann in jedem Alter geschehen. Häufigkeit und Dauer der einzelnen Phasen sind sehr unterschiedlich; generell lässt sich jedoch sagen, dass manische Phasen in der Regel etwas kürzer dauern als depressive Episoden, dass die Intervalle zwischen den Phasen im Lauf der Zeit kürzer werden und dass mit zunehmendem Lebensalter häufiger depressive Phasen auftreten und diese länger andauern.

Bei bipolaren Erkrankungen werden Erkrankungsformen unterschieden, die mit "Bipolar I", "Bipolar II" oder "Zyklothymie" klassifiziert werden. "Bipolar I" nennt man eine Bipolare Krankheit, bei der mindestens eine voll ausgeprägte Manie vorkommt oder vorgekommen ist. "Bipolar II" charakterisiert eine Erkrankungsform, die mit Hypomanien und - oft schweren - Depressionen einhergeht. "Zyklothymie" ist eine in den Ausschlägen schwächere Verlaufsform, die allerdings immer noch deutlich über den normalen Schwankungen liegt ("himmelhoch jauchzend - zu Tode betrübt"). Bei so genannten rezidivierenden Depressionen, das sind Depressionen, die - nach einem Zwischenzustand des Normalen - immer wieder kommen, steckt meist bei näherem Hinsehen eine "Bipolar II"-Störung dahinter. Die Hypomanien kommen Ärzten oft nicht zur Kenntnis, so dass die Bipolare Störung dann nicht angemessen behandelt wird.

Je nach der Häufigkeit der Stimmungsumschwünge unterscheidet man weiterhin auch Rapid Cycling (mindestens vier Stimmungsumschwünge im Jahr), Ultra Rapid Cycling (Stimmungsumschwünge innerhalb von wenigen Tagen) und Ultra Ultra Rapid Cycling (Umschwünge innerhalb von wenigen Stunden, das Selbstmord-Risiko ist bei "Rapid Cycling" besonders hoch und die Prognose besonders schlecht).

An Bipolarer Störung Leidende haben aber generell ein um ein Vielfaches erhöhtes Selbsttötungsrisiko. 15-20 % begehen Selbsttötung. Das ist ein Durchschnittswert. In manchen Gegenden, wie für Schottland nachgewiesen, ist die Selbsttötungsrate 23mal höher als im Bevölkerungsdurchschnitt, und in manchem Lebensabschnitt - wie im Zeitraum der zwei bis fünf Jahre nach der Erstmanifestation - ereignen sich besonders viel Suizide.Vorlage:Ref Besonders riskant sind Depressionen, bei denen die Lähmung des Antriebs noch nicht da ist oder bereits wieder etwas verbessert ist, so dass die Selbsttötung umgesetzt werden kann. Auch gemischte Phasen (Mischzustände), bei denen in quälender Weise manische und depressive Symptome zugleich auftreten, bergen infolge der dysphorischen bzw. verzweifelten Stimmung und des enorm hohen Antriebsniveaus ein Selbsttötungs-Risiko. Ein weiterer Grund kann sich sogar bei klarer Überlegung zwischen den Phasen halten: Viele Experten halten die Depression für die Krankheit, bei der man am meisten leidet. Bipolare mit ungünstiger Prognose und vielen Phasen zuvor wissen darum, dass wieder und wieder Depressionen kommen werden.


Ursachen

Die Ursachen-Forschung für manisch-depressive Erkrankungen steht erst am Anfang. Die Gründe für die Entstehung der Krankheit sind demzufolge noch weitgehend unklar. Dennoch verdichten sich Hinweise für folgende Faktoren:

Bipolare Störungen kommen in Familien gehäuft vor. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Verwandte ersten Grades von Menschen mit einer Bipolar I-Störung ebenfalls daran erkranken, ist gegenüber der normalen Bevölkerung siebenfach erhöht. Deren Risiko, an irgend einer Form von Gemütsleiden - an einer affektiven Störung also - zu erkranken, ist sogar um das 15- bis 20fache erhöhtVorlage:Ref. Bei eineiigen Zwillingen - sie sind genetisch völlig identisch - ist bei 60 Prozent der Fälle der zweite Zwilling ebenfalls von der bipolaren Störung betroffen, falls der erste erkrankt ist. Allerdings wird daraus auch deutlich, dass trotz 100prozentig gleichen Erbguts keine 100prozentige Übereinstimmung bei der Krankheit bestehtVorlage:Ref. Dies weist darauf hin, dass genetische Faktoren eine wichtige Rolle bei den Ursachen, bei der Krankheits-Entstehung spielen, dass aber auf der anderen Seite bei dieser Krankheit das Erbgut nicht die einzige Rolle spielt. Unterschiedliche Faktoren aus der Umwelt, die in der Lebensgeschichte wirken, wie traumatische Ereignisse (Trennungen, Mobbing und Bossing, Verlust des Arbeitsplatzes, Vertreibung und Verfolgung), sind hier von Bedeutung, ebenso verheerend wirkt sich auch sonstiger Stress aus (hierbei sind Bipolare viel verletzlicher als Nichtbetroffene, so kann sogar Wohnungswechsel Phasen auslösen), vor allem auch psychosozialer Stress, Konflikte in der Partnerschaft, in Familie und Beruf (auch hier sind Betroffene viel mehr gefährdet). Diskutiert wird auch eine Schwächung des Selbstwertgefühls, bei der eine tragende Säule des gesunden Zustandes wegfällt (Stavros Mentzos). Eine große Rolle bei auslösenden Faktoren spielt ein unregelmäßiger Tag-/Nacht-Rhythmus z.B. durch Schichtarbeit oder Lebenswandel, Schlafmangel, Überarbeitung, Alkohol - und sonstiger Drogenmissbrauch. Schlussendlich können jegliche Veränderungen phasenauslösend wirken. Bis zu 75 Prozent der Betroffenen berichten im reflektierenden Rückblick, dass sie unmittelbar vor der ersten spürbaren Krankheitsepisode intensiven Stress hatten, Stress allerdings, der bei nicht vulnerablen (= solcherart verletzlichen, von Vulnerabilität betroffenen) Menschen keine manische oder depressive Episode ausgelöst hätte, da sie Stress besser körperlich verarbeiten.Vorlage:Ref Spätere Krankheits-Phasen können immer weniger mit stressenden Ereignissen erklärt werden, bzw. minimaler Stress kann sie bereits auslösen.

Die bipolare Erkrankung ist also keine klassische, reine Erbkrankheit, die etwa gemäß der Mendelschen Regeln dominant oder rezessiv vererbt würde. Dennoch tragen nach heutigem Wissensstand verschiedene Gene zum Erkrankungsrisiko bei. So wurden bei Manisch-Depressiven Veränderungen vor allem auf den Chromosomen 18, 4 und 21 festgestelltVorlage:Ref, so z.B. an einem Gen, das auf Wirkungen von Stress auf das Nervensystem Einfluss ausübt. Auch genetische Codierungen für das episodenhafte Denken können betroffen sein. Weiter ist ein Gen wirksam, das für Stoffe zur Ausbildung von Nervenscheiden und auch bei Veränderungen in der Pubertät verantwortlich ist. Gene für Monoaminoxidase (MAO), für Serotonin-Transport, für den Aufbau des Noradrenalin-Stoffwechsels sind ebenfalls betroffen.Vorlage:Note Die Transmitterstoffe, die in Synapsen zwischen den Nervenzellen bei der Informations-Übermittlung hemmend oder verstärkend wirken, zeigen bei Bipolaren mengenmäßige Abweichungen von dem Zustand bei Nichtbetroffenen. Besonders die Transmitter, die chemischen Überträgerstoffe Serotonin, Dopamin und Noradrenalin sind hier zu nennen. Auch der Stresshormon-Gehalt im Blut Erkrankter scheint erhöht zu sein (Cortisol, Adrenalin, Noradrenalin).

Jedes einzelne Gen bzw. jeder einzelne genetische Defekt hat hierbei nur einen relativ geringen Effekt. Solche Anlagenträger sind recht verbreitet. Kommen allerdings - zufälligerweise - viele solcherart wirkende Gene bei einer Person zusammen, so hat sie eine große Disposition, bei auslösenden Faktoren im Laufe des Lebens an der bipolaren Störung zu erkranken.Vorlage:Ref Die Entstehung der bipolaren Störung ist also höchstwahrscheinlich multifaktoriell bedingt. Sowohl genetische Faktoren als auch psychosoziale Auslöser dürften eine Rolle spielen, d.h. das Erbgut gibt vor und die Umgebung hat weiteren Einfluss.

Die Ursachen sind noch nicht genau bekannt und erklärt, man weiß bei den einzelnen Medikamenten nicht, weshalb sie wirken bzw. weshalb sie oft erst nach Wochen wirken und bei einem recht hohen Prozentsatz gar nicht. Hingegen weiß man gut, was Erkrankten gut tut und was sie meiden sollen. Es ist viel Wissen vorhanden über Manien vermeidendes Verhalten im Vorfeld und über antidepressives Verhalten, Kriterien für den Schweregrad liegen vor, und Wissen um Phasenprophylaxe, das in Therapien und Psychoedukation umgesetzt werden kann. Hochfrequentes "rapid cycling", das bei Schwerstkranken vorliegt, ist sehr schwierig zu behandeln und man weiß noch kaum, wie der schlechten Prognose abgeholfen werden kann. In den letzten Jahren hat man sich intensiv der Erforschung und der Öffentlichkeitsarbeit zugewandt, so dass weitere Erkenntnisse zu erwarten sind.


Behandlung

Eine angemessene medikamentöse Behandlung erfolgt in der Regel mit Stimmungsstabilisierern. Bei akuten Manien oder dem Vorherrschen starker Manien werden oft atypische Neuroleptika verabreicht. Antidepressiva werden bei akuten Depressionen oder bei rasch wiederkehrendem (rezidivierendem) Erscheinen vieler Depressionen empfohlen. Eine vorbeugende Behandlung der bipolaren Störung geschieht mit Stimmungsstabilisierern wie Lithium oder Antiepileptika wie Carbamazepin, Valproinsäure oder Lamotrigin. Neuerdings ist auch das Neuroleptikum Olanzapin als Phasenprophylaxe zugelassen. Die genauen Wirkungsweisen, insbesondere die des Lithiums, in Form von Lithiumcarbonat eingenommen, sind bisher noch ungeklärt.

Bei vielen Antidepressiva kann es bei Betroffenen zu einem Umschlagen in die Manie oder Hypomanie kommen ("Switch", "Switch-Risiko"), deswegen sind nicht alle Antidepressiva bei Bipolaren gleichermaßen geeignet.

Viele dieser Medikamente haben Nebenwirkungen, die den Betroffenen weitere schwere Probleme schaffen können, wie z.B. Gewichtszunahme. Auch wirken nicht alle Medikamente bei jedem. Es kann sehr belastend sein, wenn erst viele Medikamente durchprobiert werden müssen, bis endlich ein geeignetes gefunden ist, zumal diese Medikamente meist erst nach einiger Zeit Wirkung zeigen, und so lange abgewartet werden muss. Auch dies weist darauf hin, dass noch nicht genau bekannt ist, warum bei einer Person manche Medikamente wirken und manche nicht, warum sie meist erst nach einiger Zeit wirken.

Sinnvoll ist auch eine auf die Krankheit abgestimmte kognitive Verhaltenstherapie (Psychotherapie) oder Soziotherapie oder Psychoedukation. Empfehlenswert sind außerdem Selbsthilfegruppen, wie sie sich etwa im "Bipolar-Netzwerk" zusammengeschlossen haben.

Neben der regelmäßigen Medikamenten-Einnahme hat sich ein Erkennen der persönlichen Frühwarnzeichen der depressiven, manischen oder gemischten Phasen bewährt und ein rechtzeitiges Gegensteuern durch entsprechendes Verhalten (z.B. antidepressive Tätigkeiten bei Gefahr einer Depression, antimanisches Verhalten wie genügend Schlaf, Beschränkung, Reizabschirmung bei der Gefahr einer Manie). Kann auch eine voll ausgeprägte, schwere Phase dadurch nicht verhindert werden, so kann im Vorfeld oder beim Beginn ein schwerer Ausbruch abgemildert werden.

Neben Stress und Schlafmangel wirken sich auch Koffein, Alkohol und andere Drogen bei Bipolaren sehr ungünstig aus. Auch hier kann man gegensteuern.

Eine sehr häufige Komorbidität (Begleiterkrankung) ist Alkoholmissbrauch. Bei Erwachsenen ist Alkohol- und sonstiger Drogenmissbrauch mit 2/3 sogar die häufigste Komorbidität, während bei Heranwachsenden die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) die häufigste Begleiterkrankung mit ebenfalls 2/3 davon Betroffener darstellt, gefolgt von Substanzmittelmissbrauch. Panikstörungen und Persönlichkeitsstörungen sind weitere häufige Begleiterscheinungen. Koffein wirkt scheinbar anregend, in Wirklichkeit wirkt es sich jedoch ungünstig auf die Schlafdauer aus und fördert Nervosität und Unruhe, Bipolare sind in besonderer Weise anfällig dafür und könnten eine Manie dadurch triggern. Alkohol wirkt sich - neben der Gefahr einer Abhängigkeit - entgegen populärer Ansichten, negativ auf Schlaftiefe und Schlafdauer aus und verstärkt Depressivität.

Aufgrund der mangelnden Krankheitseinsicht der Betroffenen, insbesondere in manischen Episoden oder bei akuter Suizid-Gefahr, muss eine Behandlung in der akuten Krankheitsphase bei Manien oder schweren Depressionen manchmal gegen den Willen der Patienten erfolgen.


Kreative und berühmte Bipolare

Die Liste berühmter Künstler, Wissenschaftler, Entdecker und Politiker, bei denen eine Bipolare Störung bekannt ist oder vermutet wird, ist lang. Einige suizidierten sich vermutlich in Folge dieser Krankheit, wie beispielsweise Virginia Woolf, Sylvia Plath, Robert Schumann und Vincent van GoghVorlage:Ref, um jeweils Beispiele aus den Bereichen Prosa und Lyrik, Musik und Kunst zu nennen. In seinen Tagebüchern und Briefen berichtete van Gogh über seine Depressionen, und einige Ärzte diagnostizierten eine Manie. Seine Phasen brachten ihn bis ins "Irrenhaus". Sein Bruder Cor beging Suizid, sein ihn aushaltender Bruder Theo beschrieb in seinen zahlreichen Briefen an Vincent van Gogh dessen Kampf mit der Depression. Sein Bild "Sternennacht" kann man auch als Chiffre für Bipolarität sehen. Auch Paul Gauguin, mit dem van Gogh teilweise zusammen lebte, war möglicherweise bipolar Vorlage:Ref.

Nach einer Untersuchung von Kay Redfield Jamison von 1994 beträgt die Häufigkeit bipolarer Erkrankungen bei "kreativen" Persönlichkeiten das 10fache der Häufigkeit bei der Allgemeinbevölkerung. Mehr als ein Drittel aller zwischen 1705 und 1805 geborenen englischen und irischen Dichter litten gemäß Jamison an bipolaren Erkrankungen, mehr als die Hälfte an StimmungsstörungenVorlage:Ref.

Ernest Hemingway war bipolar, Georg Friedrich Händel und Edvard MunchVorlage:Note, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven und Thomas Alva Edison ... die Liste bipolarer Prominenter ist lang, und die Dunkelziffer sicherlich hochVorlage:Ref. Dies gilt auch für die Gegenwart: Weltberühmte Musiker wie Sting oder Tom Waits, national bekannte wie Falco, Filmregisseure wie Francis Ford Coppola ("Apoclaypse Now") oder Schauspieler wie Jean Claude van Damme sind bekanntermaßen von bipolaren Störungen betroffenVorlage:Note. Dies gilt auch für die Gegenwart: Musiker wie Sting oder Tom Waits, national bekannte wie Falco, Filmregisseure wie Francis Ford Coppola ("Apoclaypse Now") oder Schauspieler wie Jean Claude van Damme sind vermutlich von bipolaren Störungen betroffenVorlage:Note. Die Kreativitätsschübe erfolgen in der hypomanen Phase. In der Manie ist eher Durcheinander und Überdrehtheit vorherrschend sodass Betroffene in dieser Phase oftmals Schaden anrichten und nichts Vernünftiges leisten können, während rezidivierende Depressionen, die bei Bipolaren besonders quälend sind, die Betrofffenen aus der Bahn werfen und lähmen. Durch moderne Behandlungs-Methoden kann die Kreativität erhalten bleiben.

Referenzen

  1. Vorlage:Note[Eberhard J. Wormer: Bipolar. Leben mit extremen Emotionen. Depression und Manie. - Ein Manual für Betroffene und Angehörige, München 2002, S. 47-54]
  2. Vorlage:Note[Jörg Walden, Heinz Grunze: Bipolare affektive Störungen. Ursachen und Behandlung, Stuttgart-New York 2003, S. 7f, ISBN 3-13-104993-6]
  3. Vorlage:Note[Eberhard J. Wormer: Bipolar. Leben mit extremen Emotionen. Depression und Manie. - Ein Manual für Betroffene und Angehörige, München 2002, S. 47-54]
  4. Vorlage:Note[Bräunig, Peter; Gerd Dietrich: Leben mit Bipolaren Störungen. Trias-Verlag 2004, S. 42-47, ISBN: 3830430698]
  5. Vorlage:Note[W. Maier: Genetische Aspekte bipolarer Depression. Vortrag auf dem "Wissenschaftlichen Symposium" der "Deutschen Gesellschft für Bipolare Störungen am 2. September 2005 in Bonn, Kurzfassung unter: http://dgbs.de/download/pdf/Jahrestag2005Abstracts.pdf]
  6. Vorlage:Note[M. Bauer: Neue Forschungsergebnisse bei bipolaren Störungen. Vortrag auf dem "Wissenschaftlichen Symposium" der "Deutschen Gesellschft für Bipolare Störungen am 1. September 2005 in Bonn, Kurzfassung unter: http://dgbs.de/download/pdf/Jahrestag2005Abstracts.pdf]
  7. Vorlage:Note[Anna Forsthoff, Heinz Grunze: Breites Spektrum möglicher Ursachen Bipolarer Störungen. Forschungsansätze und Hypothesen, in: "Der Neurologe und Psychiater"-Sonderheft 1/05, S. 5-7, hier aus: http://dgbs.de/download/pdf/04_Ursachen%20Bipolar.pdf]
  8. Vorlage:Note[Jörg Walden, Heinz Grunze: Bipolare affektive Störungen. Ursachen und Behandlung, Stuttgart-New York 2003, S. 11, ISBN 3-13-104993-6]
  9. Vorlage:Note Frederick K. Goodwin und Kay Refield Jamison: Manic depressive illness, Oxford University Press 1990, S. 332 - 367
  10. Vorlage:NoteBlumer D.: The illness of Vincent van Gogh. American Journal of Psychiatry, 2002
  11. Vorlage:Note[Eberhard J. Wormer: Bipolar. Leben mit extremen Emotionen. Depression und Manie. - Ein Manual für Betroffene und Angehörige, München 2002, S. 131-138]
  12. Vorlage:NoteRothenberg A.: Bipolar illness, creativity, and treatment. Psychiatric Quarterly, 2001. (Hinweis auf Bipolare Störung Edvard Munchs)

Literatur

  • Bräunig, Peter; Gerd Dietrich: Leben mit Bipolaren Störungen. Trias-Verlag 2004, ISBN: 3830430698
  • Eberhard J. Wormer: Bipolar – Depression und Manie. Leben mit extremen Emotionen. Knaur, München 2003, ISBN 3-426-66748-7
  • Andreas Erfurth (Redaktion): Weißbuch Bipolare Störungen in Deutschland, Stand des Wissens - Defizite - Was ist zu tun?, Kurzfassung: ISBN 3-8311-4520-2, Langfassung: ISBN 3-8311-4521-0
  • Meyer, Thomas D., Martin Hautzinger: Manisch-depressive Störungen. Beltz Psychologie Verlags Union 2004, ISBN 3621275517
  • Faust, Volker: Manie. Eine allgemeine Einführung in die Diagnose,Therapie und Prophylaxe der krankhaften Hochstimmung, Enke-Verlag 1997, ISBN 3432278616
  • Kay Redfield Jamison: Meine ruhelose Seele. Die Geschichte einer manischen Depression. Goldmann-Verlag 1999, ISBN: 3442150302
  • Petra Otto: Infarkt der Seele, Büro + Service GmbH Rostock, ISBN: 3899540395
  • Dr. Renate Kingma (Redaktion): Mit gebrochenen Flügeln fliegen.... Menschen berichten über bipolare Störungen, Books On Demand 2003, ISBN 3-8330-0662-5
  • Kay Redfield Jamison: Touched with fire. Manic-depressive illness and the artistic temperament, New York 1993, ISBN 0-684-83183-X

Spielfilme

  • Mr. Jones, USA 1993. Regie: Mike Figgis. Schauspieler: Richard Gere, Lena Olin, Anne Bancroft. Der Film stellt die bipolare Erkrankung an zwei Personen dar und ist immer noch einer der faszinierendsten Filmbeiträge zum Thema.
  • Mad Love, USA 1995. Regie: Antonia Bird. Buch: Paula Milne. Schauspieler: Drew Barrymore, Chris O'Donnell. Zwei Teenager verlieben sich, sie ist bipolar, er lernt, sie trotz ihrer Krankheit zu lieben.
  • Phenomenon, USA 1996. Regie: Jon Turteltaub. Schauspieler: John Travolta, Kyra Sedgwick, Robert Duval, Forest Whitaker, Ashley Buccille. Übermenschliche (meist vermeintliche) Fähigkeiten im Sinne hypomanischen und manischen Verhaltens.
  • Back from Madness: The Struggle for Sanity, USA 1996. Regie: Kenneth Paul Rosenburg. Es wird - neben anderen psychiatrischen Patienten - auch ein obdachloser Bipolarer dargestellt.