Reichswehr
Reichswehr war von 1921 bis 1935, während der Weimarer Republik und den ersten Jahren der Zeit des Dritten Reiches, der offizielle Name der deutschen Streitkräfte. Mit der Einführung der Wehrpflicht 1935 änderte sich die Struktur und der Name in Wehrmacht. Ihr Oberbefehlshaber war laut Weimarer Verfassung der Reichspräsident.
Entstehung
Nach dem für Deutschland verlorenen Ersten Weltkrieg, den das Militär nicht akzeptieren wollte (siehe: Dolchstoßlegende), stellte die bisherige Oberste Heeresleitung (OHL) Wilhelm Groener dem Rat der Volksbeauftragten unter Friedrich Ebert die Dienste der Armee zur Verfügung (siehe: Ebert-Groener-Pakt) und sicherte damit ihr Bestehen. In den folgenden unruhigen Zeiten unterstützte die Armee vor allem den Kampf gegen Linke.
Die Kriegsgegner beschränkten 1919 mit den Artikeln 159 bis 213 des Versailler Vertrags die Militärstreitkräfte des Deutschen Reiches stark, um erneute Angriffe Deutschlands zu unterbinden.
Das Heer durfte maximal 100.000 Soldaten umfassen, die Marine höchstens 15.000. Da die Zahl so beschränkt war, wurden die erlaubten Soldaten sehr gut ausgewählt und ausgebildet. Es mussten auch erfahrene Soldaten eingesetzt werden, die aus der Armee der Kaiserzeit kamen, und jetzt auch die neuen Soldaten auswählten. Eine Luftwaffe sowie die Wehrpflicht waren gänzlich verboten, außerdem war die Art und der Umfang der Bewaffnung beschränkt, schwere Artillerie, Panzer, U-Boote und Großkampfschiffe verboten. Die Bestimmungen wurden von der Interalliierten Kontrollkommission überwacht.
Bei der Verringerrung der Zahl der aktiven Offiziere wurden mehr Mitglieder des Bürgertums als des Adels entlassen, so dass der adelige Anteil unter den Offizieren 1925 bei 24% gegenüber 9% während des Weltkriegs lag. In der Zeit nach der Revolution wurde die Armee gebraucht und es konnte keine Demokratisierung durchgeführt werden. Die Armee vertrat deswegen ein konservatives, monarchistisches Weltbild. Sie identifizierte sich somit nicht mit der Republik oder lehnte diese sogar ab.
Schon bald nach dem Kriegsende 1918 vereinigten sich zurückkehrende Soldaten und Verbände zu Freikorps und bildeten mit der sogenannten Schwarzen Reichswehr die Vorläufer der Reichswehr. Am 6. März 1919 wurde aus den Verbänden durch Gesetz der Nationalversammlung die Vorläufige Reichswehr gebildet. Sie bestand aus der Vorläufigen Reichsmarine und dem Vorläufigen Reichsheer. Am 30. September wurde daraus das Übergangsheer. Am 23. März 1921 wurde durch das Wehrgesetz die Reichswehr geschaffen. Den Oberbefehl über alle Teile der Reichswehr (Reichsheer und Reichsmarine) übte der Reichswehrminister aus. Für die Unteroffiziere und Soldaten betrug die Dienstzeit zwölf Jahre, für Offiziere 25 Jahre; sie wurden auf die Weimarer Verfassung vereidigt.
Die Reichswehr hatte mit "rechten" Wehrverbänden wie den Freikorps ein gutes Verhältnis. Diese entstanden unter anderem, weil Personen, die bisher nur das Kriegshandwerk gelernt hatten, nach dem Versailler Vertrag nicht mehr in der zahlenmäßig beschränkten Reichswehr dienen konnten. Die Reichswehr hatte so eine Reserve für den Ersatz ausgeschiedener Soldaten oder für eventuelle Einsätze. Da die Reichswehr sich nicht in innenpolitische Konflikte einmischen wollte, übernahmen diese Aufgabe die Wehrverbände. Es gab enge Verbindungen, beispielsweise war Hindenburg Ehrenvorsitzender des Stahlhelms und des Kyffhäuserbundes.
Das Reichsheer bestand aus sieben Infanteriedivisionen und drei Kavalleriedivisionen, es gab zwei Gruppenkommandos, eines in Berlin und eines in Kassel. Die Marine war auf ein Kommando für die Nordsee und eines für die Ostsee aufgeteilt.
Die Reichswehr in den Krisenjahren
Die Reichswehr verhielt sich in den Folgejahren grundsätzlich staatstreu. Allerdings war ein großer Teil des nur noch viertausend Mann umfassenden Offizierskorps adlig und einem konservativ-monarchistischen Weltbild verhaftet, in der Regel standen deshalb seine Mitglieder der parlamentarischen Demokratie eher ablehnend gegenüber. 1919 ließ sich Adolf Hitler von der Münchener Reichswehrverwaltung anwerben, um Veranstaltungen politischer Parteien und Zirkel zu bespitzeln, die damals wie Pilze aus dem Boden schossen. Gleichzeitig wurde Hitler zu Schulungen für Propaganda-Redner geschickt.
Im März 1920 entschloß sich die politische Führung nicht zum Einsatz der Reichswehr im Kampf gegen den Kapp-Putsch. Der Chef des Truppenamtes - dem getarnten Generalstab der Reichswehr - Hans von Seeckt hatte sich vorher mit der angeblichen Formulierung Truppe schießt nicht auf Truppe dagegen ausgesprochen. Seeckt besaß allerdings auch keine Kommandogewalt über die Verbände. Der oberste Militär der Reichswehr, der Chef der Heeresleitung Walter Reinhardt, hatte sich für den Einsatz der treuen Reichswehrverbände ausgesprochen. Der linke Märzaufstand, der während des Kapp-Putsches im Ruhrgebiet und Sachsen begann, wurde hingegen ohne Kompromisse, teilweise von Personen, die am Kapp-Putsch beteiligt waren, niedergeschlagen. Als Folge des Putsches wurde der bisherige Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) durch Otto Geßler (DDP) ausgetauscht.
Die Reichswehr war in der Folgezeit unter Seeckt und Geßler staatstreu und wurde entpolitisiert, sie beteiligte sich nicht an den inneren Auseinandersetzungen, und Angehörige der Reichswehr hatten kein Wahlrecht.
Sie wurde damit vom politischen System losgelöst und durch die Autonomie bei der Auswahl des Personals, durch ihren eigenen Wertekodex und ihrer Meinung, dem Staat und nicht der Staatsform zu dienen, zum Staat im Staate. Die Armee war damit schwer zu kontrollieren. Die Soldaten waren konservativ und hatten Verbindungen zu rechten Organisationen wie dem Stahlhelm.
Seit 1921 versuchte die Führung der Reichswehr im Geheimen in Zusammenarbeit mit der Roten Armee entgegen dem Versailler Vertrag die Reichswehr zu erweitern, neue Waffensysteme einzuführen und eine Luftwaffe aufzubauen. Deutschland unterstützte die Entwicklung moderner Technologien und konnte eigene Soldaten in der Sowjetunion ausbilden lassen.
Im Februar 1923 reiste der neue Chef des Truppenamtes, Generalmajor Hasse, zu Geheimverhandlungen nach Moskau. Deutschland unterstützte den Aufbau der sowjetischen Industrie, Kommandeure der Roten Armee erhielten eine Generalstabsausbildung in Deutschland. Dafür erhielt die Reichswehr die Möglichkeit, Artilleriemunition aus der Sowjetunion zu beziehen, Flieger- und Panzerspezialisten auf sowjetischem Boden auszubilden und dort chemische Kampfstoffe herstellen zu lassen. Auf dem Flugplatz Lipezk wurden etwa dreihundert Militärpiloten, der Stamm für eine Jagdfliegerwaffe, ausgebildet. Bei Kasan wurden Panzerfachleute ausgebildet, allerdings erst ab 1930 und nur ungefähr dreissig. Bei Saratow wurden Kampfstoffe entwickelt.
Die Ruhrbesetzung 1923 zeigte auch die Schwäche der Reichswehr. Als Reaktion auf einen Versuch in Bayern, eine Rechtsdiktatur zu errichten, übertrug Ebert im November die vollziehende Gewalt auf Reichswehrminister Geßler. Damit lag die Gewalt in der Realität bei Geßler, dem Chef der Heeresleitung, der eine Reichsexekution gegen die Regierung unter Gustav Ritter von Kahr verhinderte. Beteiligt war auch Otto von Lossow, der bayerische Wehrkreiskommandeur. Er wurde von Geßler seines Amtes enthoben. Wie Seeckt in einem Brief, den er nicht abschickte, schrieb, sympathisierte er mit der Regierung in München und betrachtete die Weimarer Verfassung nicht als noli me tangere (dt.: Rühr mich nicht an), sondern sie widerspreche seinem politischen Denken. Weiterhin führte er in dem Brief aus, dass er auf Grund des fehlenden Vertrauens der Reichswehr zur Regierung von Gustav Stresemann einen Bürgerkrieg voraussieht, der nur durch einen Umschwung der Regierung verhindert werden kann. Er äußerte die Überzeugung, dass sich eine Regierung ohne seine Unterstützung der Reichswehr nicht lange halten könne. Als Seeckt am 3. November seine Bereitschaft zur Kanzlerschaft andeutete und Ebert dies mit Hinweis auf außenpolitische Gründe und seiner Unentbehrlichkeit als Chef der Heeresleitung ablehnte, akzeptierte Seeckt die Ablehnung und wollte von einem Putsch, wie ihn einige hohe Offiziere gefordert hatten, nichts wissen. In der Folge der Diktatur kam es in München zum Hitlerputsch (siehe auch: Geschichte Bayerns).
Im Oktober und November 1923 kam es zu Reichsexekutionen gegen linke Regierungen in Thüringen und Sachsen, an denen sich die Reichswehr beteiligte.
Schon im Februar 1924 gab Seeckt die diktatorischen Vollmachten, die er von Ebert erhalten hatte, wieder ab.
Die Reichswehr in den Jahren der relativen Stabilität
1925 wurde mit dem Vertrag von Locarno eine gewaltsame Änderung der Westgrenzen ausgeschlossen, und 1926 trat Deutschland dem Völkerbund bei. Die Position der Reichswehr kann gut durch Gespräche zwischen Ebert und Seeckt dargestellt werden. Auf die Frage, wo die Reichswehr stehe, antwortete Seeckt: Die Reichswehr steht hinter mir. Auf die Frage, ob die Reichswehr zuverlässig sei antwortete er: Ob sie zuverlässig ist, weiß ich nicht, aber mir gehorcht sie.
Durch die Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten wurde er als Sieger von Tannenberg statt Seeckt zur Identifikationsfigur der Soldaten. Am 8. Oktober wurde Seeckt wegen der Teilnahmen eines Sohnes des früheren Kaisers an einem Manöver entlassen, allerdings gab es wahrscheinlich auch andere Gründe, wie die Kritik an der undemokratischen Führung der Reichswehr.
Ein Beispiel für die steigende Kritik war der Vorschlag von Reichstagspräsident Paul Löbe nach der Entlassung Seeckts, die Anstellung von Rekruten nur von deren körperlichen Tauglichkeit abhängig zu machen. Er wollte damit erreichen, dass die Zusammensetzung der Reichswehr der Zusammensetzung der Gesellschaft entspricht. Er erhielt heftigen Widerspruch von anderen Gruppen, die der Meinung waren, dies würde das Niveau der Reichswehr senken. Während in der Reichswehr der Krieg weiterhin als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele gesehen wurde, war die Politik mit dem Vertrag von Locarno und dem Dawes-Plan eher auf die Erhaltung des Friedens und der Völkerverständigung ausgerichtet. Seeckt und Offiziere waren gegen den Beitritt zum Völkerbund und sahen durch den Pazifismus der Linken auch ihre Existenz bedroht.
Nachfolger Seeckts wurde Wilhelm Heye, allerdings gewann vor allem der damalige Abteilungsleiter im Reichswehrministerium Kurt von Schleicher an Macht. Unter seiner Führung griff die Reichswehr stärker in die Politik ein, um ihre Ziele zu erreichen, und die Republik und die Reichswehr rückten näher zusammen. Die Reichswehr akzeptierte die Demokratie als Staatsform und Groener sah sie als wichtigen Teil des Volkes und Machtinstrument der Deutschen Republik.
Im Dezember 1926 legte der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann im Reichstag die Machenschaften offen und stürzte damit die Regierung unter Wilhelm Marx. 1931 wurde der Journalist Carl von Ossietzky wegen eines Berichts über die schon bekannte Zusammenarbeit wegen Landesverrats verurteilt.
1927 wurde die alliierte Militärkommission, die bis dahin die Abrüstung überwacht hatte, abgezogen.
Der Beschluss zum Bau des Panzerkreuzer A, der den Bestimmungen des Versailler Vertrags entsprach, aber dennoch kampfstark war und vor allem wichtig für das Prestige, brachte 1928 Hermann Müller und seiner Koalition Probleme. Für die Reichswehrführung war die Entscheidung zum Bau eine politische Grundsatzentscheidung. 1929 enthielt der Haushalt schon die erste Rate für das Panzerschiff B.
Der Gewinner der Annäherung zwischen Republik und Reichswehr war vor allem die Reichswehr. Sie erreichte eine Erhöhung des Wehretats, und ein Angriff auf die Reichswehr, wie zum Beispiel durch den Wehretat, sei ein Angriff auf den Staat.
Die Reichswehr und das Ende der Weimarer Republik
Durch die Präsidialkabinette ab 1930 wurde die Macht der Reichswehr wieder größer, da nun der frühere Chef der OHL, Hindenburg, an der Macht war. Heinrich Brüning wurde als ehemaliger Soldat von der Reichswehr akzeptiert und verschonte diese bei seiner unbeliebten Deflationspolitik. Franz von Papen und Kurt von Schleicher, ein General, überlegten die Reichswehr zur Abschaffung der Demokratie einzusetzen, außerdem war eines der Hauptziele die Revision des Versailler Vertrages, was im Interesse der Reichswehr lag.
Als 1930 drei Offiziere (Leutnant Richard Scheringer, Leutnant Hanns Ludin und Oberleutnant Hans Friedrich Wendt) wegen nationalsozialistischer Betätigung in der Reichswehr vor Gericht standen kam es zum Legalitätseid Hitlers.
Als 1931 die rechten Gruppen die Harzburger Front bildeten, waren auch hochrangige Mitglieder der Reichswehr anwesend.
1932 verbot Groener, der inzwischen auch Innenminister geworden war, die SA und verlor damit das Vertrauen der Reichswehr und musste daraufhin zurücktreten.
Beim Preußenschlag wurde die vollziehende Gewalt in Berlin und Preußen vorübergehend an die Reichswehr übertragen.
Die Reichswehr unter Hitler
Nach der Machtübernahme benötigte Adolf Hitler die Reichswehr für seine Außenpolitik und entschied sich, die Reichswehr mit ihren erfahrenen Offizieren und besseren Ausstattung zu unterstützen. Er stellte bereits am 3. Februar den Generälen sein Regierungsprogramm vor und garantierte ihnen, dass die Reichswehr der Waffenträger Deutschlands bleibe. Die Reichswehr hoffte einerseits auf eine Verstärkung der Bemühungen um eine Revision des Versailler Vertrags, den Aufbau eines starken Militärs und eines starken Staates, befürchtete aber auch, dass die Reichswehr von der 3 Millionen Mitglieder zählenden SA geschluckt würde. Im Rahmen des Röhm-Putsches, der von der Reichswehr unter anderem mit Fahrzeugen unterstützt wurde, wurde die SA ausgeschaltet, allerdings auch 2 Generäle der Reichswehr durch die SS getötet.
Am Todestag des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, dem 2. August 1934 ließ der Reichswehrminister Werner von Blomberg die Reichswehr auf die Person Hitlers vereidigen.
Am 16. März 1935 führte Adolf Hitler mit einem klaren Bruch des Versailler Vertrags die Wehrpflicht in Deutschland ein und benannte im selben Gesetz die Reichswehr in Wehrmacht um.
Führung der Reichswehr
Laut Weimarer Verfassung war der Reichspräsident der Oberbefehlshaber, im Frieden wurde er durch den Reichswehrminister als Ausüber der Befehlsgewalt vertreten. Die militärische Spitze war der Chef der Heeresleitung.
In der Weimarer Republik gab es zwei Präsidenten: Friedrich Ebert bis 1925, danach Paul von Hindenburg.
Anfangs war Gustav Noske Reichswehrminister, er wurde nach dem Kapp-Putsch von Otto Geßler abgelöst. 1928 übernahm Wilhelm Groener das Amt, 1932 und 1933 Schleicher. Nach dem Ende Schleichers ernannte Hindenburg eigenmächtig, nicht wie es in der Verfassung vorgeschrieben war auf Vorschlag des Kanzlers und kurz vor der Ernnenung Hitlers zum Kanzler, Werner von Blomberg zum Reichswehrminister. Er sollte dabei helfen, Hitler zu "zähmen", unterstützte diese aber beispielsweise durch die Vereidigung auf Hitler.
Chef der Heeresleitung war anfangs Walter Reinhardt. Nach dem Kapp-Putsch übernahm Seeckt trotz seiner Empfehlung nicht gegen den Putsch vorzugehen diesen Posten. 1926 bekam Wilhelm Heye diesen Posten. Großen Einfluß übte jedoch General Kurt von Schleicher aus. Schleicher erhielt in den nächsten Jahren großen Einfluss auf Hindenburg und zog im Hintergrund bei den Präsidialkabinetten die Fäden. Heye wurde 1930 von Kurt Freiherr von Hammerstein-Equord abgelöst, der den Posten bis 1934 behielt.
Siehe auch
Literatur
- Rainer Wohlfeil/Hans Dollinger: Die deutsche Reichswehr: Bilder, Dokumente, Texte; zur Geschichte des Hunderttausend-Mann-Heeres 1919-1933, Frankfurt am Main, 1972
- Möllers, Heiner: "Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr!" Legenden um den KApp-Lüttwitz-Putsch vom März 1920. In: Militärgeschichte. Heft 3, 2001. Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr.