Dissoziative Persönlichkeitsstörung
Dissoziative Persönlichkeit
Dissoziationsmodell
Das Dissoziationsmodell hat sich im 19. Jhd. aus der Assoziationspsychologie entwickelt und wurde anfangs zur Interpretation von Hysterie, Vorgängen bei Hypnose und von Beobachtungen von Verdoppelungen oder Vervielfachungen von Persönlichkeiten angewandt. In den Theorien der damaligen Zeit (um 1880) wurde vor allem das Trauma als Auslöser von Dissoziationen gesehen. Erst 1970 bekam das Dissoziationsmodell wieder Beachtung, nachdem es zwischen 1920 und 1970 deutlich weniger aktuell war. Dissoziation bedeutet eine Unterbrechung des Stroms des Bewusstseins, Abspaltung von Gefühlen, Körperwahrnehmung und Emotionen, der Erinnerung, der Identität und der Wahrnehmung der Umwelt.
Verschiedene Dissoziationen
Die dissoziative Persönlichkeit manifestiert sich durch das Heraustreten aus momentanen Situationen. Dabei kann es zu einem Verlust des Ich-Gefühls kommen, d.h. dem Abbrechen des Kontaktes zwischen dem Beobachter-Ich und dem leiblich erfahrenen Ich. Im dissoziativen Zustand rückt man ausschließlich in die Rolle des Beobachters, entfernt sich also von der eigenen körperlich und geistig erfahrenen Identität. Dieser Zustand wird bezeichnet als Heautoskopie. Die Dissoziation vom Kontroll-Ich führt zu impulsiven Handlungen und affektiven Ausbrüchen. Dissoziation in Form von Hypnose stellt den Verlust der Selbststeuerung dar; dieser kann auch ausgelöst werden durch schwierige innere und äußere Situationen, in denen sich die Persönlichkeit befindet. Das Ablösen von der Identität des Erwachsenen und das Einschalten eines kindlichen Wahrnehmens und Reagierens wird gedeutet als Manifestation von dissoziativen Ich-Anteilen, die mit dem Erwachsenen-Ich nicht in Verbindung stehen. Die Dissoziation der persönlich-individuellen Identität zeigt sich in alternierenden Persönlichkeitsanteilen oder multiplen Persönlichkeiten mit relativer Selbständigkeit. Es handelt sich dabei um Teil- oder auch Schein-Persönlichkeiten, die jeweils abwechselnd dominieren. Dabei kommt es zu teilweiser oder vollständiger Amnesie, wodurch die Teil-Persönlichkeiten im betreffenden Moment als vollständige Persönlichkeiten erlebt werden. Die schwerste Form der Dissoziation ist die Fragmentierung, d.h. die Entstehung einer Multiplen Persönlichkeit.
Die dissoziative Persönlichkeit
Laut DSM-IV und ICD-10 zählen das Borderline-Syndrom und die Schizophrenie nicht zu den dissoziativen Störungen, obgleich sie in jeweils verschiedenen Ausmaßen dissoziative Kriterien aufweisen. Eine dissoziative Persönlichkeit machen die folgenden Kriterien aus: Zwei oder mehr unterscheidbare Persönlichkeiten oder Persönlichkeitszustände, jede mit ihrem relativ zeitüberdauernden Wahrnehmungsmuster, ihrem Bezug auf und Denken über die Umwelt und sich selbst und dem entsprechenden Verhalten. Die zweite Persönlichkeit unterscheidet sich deutlich von der ursprünglichen Persönlichkeit bezüglich Identität, sexuelle Identität, sexuelle Orientierung, Alter, Intro- bzw. Extraversion, Umgang mit Affekten, Handschrift und neuropsychologische Befunde. Die ursprüngliche Identität ist sich der alternierenden Teil-Identitäten nicht bewusst; die sekundäre Persönlichkeit kann sich wahlweise anderer Personen bewusst oder unbewusst sein. Begleitsymptome oder -syndrome sind psychogene Körperstörungen, Drogenmissbrauch, Selbstschädigung, Suizidabsichten, variierende Beziehungen, Realitätsstörungen und akustische Halluzinationen. Dissoziationen können auftauchen in geordneten Dämmerzuständen, beim Wiedererleben traumatischer Situationen und in der Deprealisation gegenüber der Umwelt. Narzisstische Persönlichkeiten zeigen Dissoziationen im Kippen zwischen extremer Wertlosigkeit und hoher Grandiosität; Borderline-Persönlichkeiten dissoziieren infolge ihrer fehlenden stabilen Identität meist situationsgebunden; bei Schizophrenen wird das Ich in elementare Erfahrungsdimensionen gespalten. Verbindend ist die Tatsache der klaren Trennung verschiedener Persönlichkeitszustände, ohne dass ein Abgleich zwischen diesen möglich ist.
Symptome
Dissoziationen können einerseits lediglich internalisiert stattfinden, d.h. die Umwelt erfährt nichts von den Vorgängen in der Psyche der dissoziativen Persönlichkeit. Zumeist treten sie in solchen Fällen in der Form der Entrückung, des Phantasierens und der Trance auf. Auch in Dämmerzuständen findet Dissoziation statt, ohne dass sie externalisiert, also nach außen getragen, wird. Externalisierte Dissoziationen treten durch das aktive Interagieren der abgespaltenen Teil-Persönlichkeit mit ihrer Umwelt auf. Die Persönlichkeit hat dann eine andere Identität, andere Vorlieben, die denen der Ursprungs-Persönlichkeit meist konträr gegenüberstehen. Die dissoziierte Persönlichkeit kann meist Dinge ausleben, die die Ursprungs-Persönlichkeit tabuisiert oder verdrängt hat. Dementsprechend ist sie oft auch in Herkunft, Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung und Intro- bzw. Extraversion das genaue Gegenteil der ursprünglichen Persönlichkeit. Durch die Dissoziation wird das Ausleben repressiver Bedürfnisse dieser ursprünglichen Persönlichkeit ermöglicht. Während die Ursprungs-Persönlichkeit zumeist keine Wahrnehmung der Dissoziation hat, sondern einer Amnesie bezüglich dieser Zustände unterliegt, kann sich die abgespaltene sekundäre Persönlichkeit teilweise sehr wohl der anderen Persönlichkeit bewusst sein und sich auch in Äußerungen oder Handlungen auf diese beziehen. Die sekundäre Persönlichkeit kann so z.B. selbstschädigendes Verhalten, von dem dann auch die Ursprungspersönlichkeit betroffen ist, an den Tag legen; hierbei wäre die Autoaggression ein unterdrückter Wunsch der Ursprungspersönlichkeit, der durch die Aggression der sekundären Persönlichkeit ausgelebt wird.
Therapie
Durch meist jahrelange Therapie dissoziativer Patienten ist es möglich, ein Bewusstsein gegenüber abrupten Ortswechseln oder Zeitsprüngen in der Wahrnehmung der Patienten zu bewirken. In vielen Fällen gelingt es mittlerweile, ein Bewusstsein über die andere/n Persönlichkeiten oder Zustände zu etablieren . Die am meisten angewandte Methode bei der Behandlung dissoziativer Patienten ist eine Gesprächstherapie, bei der durch Aufarbeitung der Traumata eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen erreicht werden kann. Sehr bewährt haben sich auch Verfahren wie z.b. das Katathyme Bilderleben, die EMDR-Technik oder die Bildschirmtechnik bei der Aufarbeitung der nicht mehr erinnerbaren Traumata.