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Unitarier – Religionsgemeinschaft freien Glaubens

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Die Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft (von lat.: unitas, Einheit; DUR) ist eine nicht-christliche, panentheistische humanistische Religionsgemeinschaft in der Tradition der freireligiösen Gemeinden.

Verbreitung

Die Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft hat etwa 1100 Mitglieder.

Lehre

Die Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft besitzt kein religiöses Dogma und ist deshalb eine freie Religionsgemeinschaft. Es gibt aber Grundgedanken der Gemeinschaft, die dem Einzelnen als Interpretationsmöglichkeit angeboten werden.

Zentrale Grundsätze sind der Glaube an die Einheit allen Seins, das vom Wesen des Göttlichen durchdrungen ist, und der Glaube an die menschliche Vernunft. Als Gegenstück zum christlichen Glaube, Liebe, Hoffnung wird oft Freiheit, Vernunft, Toleranz angeführt.

Die deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft sieht sich, wie die meisten anderen unitarischen Gemeinschaften, aber im Gegensatz zu wenigen unitarischen Religionsgemeinschaften, die sich noch als christlich, aber anti-trinitarisch verstehen, als völlig losgelöst vom Christentum.

Die unitarische Religion ist eine an der Welt und auf das Diesseits ausgerichtete Religion. Religiosität wird als dem Menschen angeboren gesehen und soll den Menschen menschlicher, freiheitlicher, toleranter und liebesfähiger machen. Die Interpretation der Welt bleibt dabei unbedingt dem Einzelnen überlassen. Damit wird auch die Verantwortung für das eigene Handeln und Unterlassen vom Menschen als unverzichtbar eingefordert.

Gemeinsame unitarische Glaubensaussagen werden in notwendigen, wenn auch unregelmäßigen Abständen durch Konsens innerhalb der Gemeinschaft den Erkenntnissen der Zeit angepasst.

Vorgeschichte

Die Deutschen Unitarier haben sich aus dem Christentum und organisatorisch aus den Freien Protestanten heraus entwickelt, die sich noch als Christen empfanden. 1876 wurde in Rheinhessen die "Religionsgemeinschaft Freier Protestanten" gegründet. Die Gründung erfolgte im Zuge der Auswirkung einer neuen Kirchenverfassung der Hessischen Landeskirche, mit der Kirchensteuern eingeführt wurden. Die Kirchensteuer sollte die Kirche unabhängig machen, führte jedoch zu einem Proteststurm der rheinhessischen Gemeinden, wobei die Ablehnung damit begründet wurde, dass Geldopfer freiwillig, aus Liebe, gegeben werden müssten. Besonders die kirchliche Linke machte sich diese Ablehnung der Kirchensteier zu eigen. Es gab zahlreiche Protestversammlungen im ganzen Land, die in einer Austrittswelle mündeten.

Der Pfarrer Balthasar Matty, der bereits eine wichtige Rolle in den Märztagen der Revolution von 1848 spielte und damals für die Einführung der Republik eintrat, übernahm die Führung und erreichte die Bildung einer Organisationsstruktur. Das von ihm entworfene Bekenntnis war noch christlich-trinitarisch geprägt. 1878 umfassten die Freiprotestanten 4779 Mitglieder.

Im Jahr 1909 wurde Rudolf Walbaum Pfarrer der freiprotestantischen Religionsgemeinschaft in Rheinhessen. Er war zunächst Pastor der lutherischen Landeskirche Niedersachsens, wurde aber wegen liberaler Äußerungen gemaßregelt und fand schließlich zu den rheinhessischen Freiprotestanten. Auf einem Kongress liberaler Theologen 1910 in Berlin fand er Kontakt zu amerikanischen Unitariern. Walbaum gab 1911 den Freiprotestanten den Beinamen "Deutsche Unitarier" und ihre Zeitschrift erhielt den Untertitel Deutsch-unitarische Blätter. Auch die freireligiöse Gemeinde Frankfurt bekennt sich 1926 zum Unitarismus und nennt sich seitdem Unitarische freireligiöse Gemeinde. 1927 schließt sie sich mit den rheinhessischen Freiprotestanten zum Deutschen Unitarierbund zusammen.

Unter der Führung Walbaums fand nicht nur die Abkehr vom trinitarischen Christentum statt, sondern generell die Abkehr von einem verbindlichen Glaubensbekenntnis. An dessen Stelle trat die "vollständige geistige Freiheit in religiöser Hinsicht statt Gebundensein an Glaubensbekenntnisse oder Konfessionen". Es wird der Gebrauch der Vernunft in religiöser Hinsicht sowie "weitgehende Toleranz gegenüber den verschiedenen religiösen Ansichten und Bräuchen" (Walbaum, Religiöser Unitarismus, 1947) postuliert. Walbaum ist über 40 Jahre die maßgebliche Persönlichkeit der Deutschen Unitarier. Zu Beginn des NS-Regmes verlieren die Deutschen Unitarier Mitglieder. Die Mitgliederzahl reduziert sich auf etwa 1500 Mitglieder.

Nach 1945 konstituieren sich die freiprotestantischen Gemeinden neu, die durch Neumitglieder verstärkt werden. Die rheinhessische Urgemeinschaft umfasst 15 Gemeinden mit zusammen etwa 1000 Mitgliedern.

Walbaums Buch "Religiöser Unitarismus" findet bei vielen Menschen, die aus der Kirche ausgetreten waren und in diese nicht zurückkehren wollten, Anklang, was ab 1947 zu zahlreichen Gemeindegründungen führt.

Neuorganisation der Deutschen Unitarier nach 1945

Nach dem Krieg werden die Gemeinden der Deutschen Unitarier wieder aktiv. Insbesondere in der britischen und amerikanischen Zone wurden sie hierbei unterstützt, weil die Besatzungstruppen aus ihren eigenen Ländern Unitarier kannten. In die Gemeinden strömten viele Neumitglieder und zahlreiche neue Gemeinden außerhalb des traditionellen freiprotestantischen Verbreitungsgebietes in Rheinhessen wurden gegründet. Besonders in Flüchtlings- und Gefangenenlagern wird durch Rudolf Walbaum intensive Aufbauarbeit geleistet. 1947 findet eine Besprechung über eine Neuorganisation der Gesamtorganisation auf dem Klüt bei Hameln statt, bei der neben Rudolf Walbaum unter anderen Gerhard Bednarski (dem späteren Nachfolger Walbaums im Pfarramt der freiprotestantischen Gemeinden), Georg Stammler, Eberhard Achterberg, Herbert Böhme und Herbert Grabert sowie Marie-Adelheid Prinzessin Reuß zur Lippe (wozu es allerdings unterschiedliche Darstellungen gibt) beteiligt sind. Herbert Böhme, führender Kulturfunktionär der SA und ehemaliger Fachschaftsleiter für Lyrik in der Reichsschriftumskammer gründete nach seinem Eintritt 1947 in die DUR kurz vor seiner Haftentlassung noch im Internierungslager Hohenasperg eine Lagergruppe der DUR. Achterberg findet schließlich ebenfalls zu den Deutschen Unitariern und übernimmt für 14 Jahre die Redaktion der "Unitarischen Blätter", die nun unter dem Titel "Glaube und Tat" erscheinen. Walbaum stirbt 1948, worauf die Religionsgemeinschaft auseinanderzubrechen droht. Das wird durch die Einigung auf der Generalversammlung am 19. September 1948 in Eppelsheim durch die einstimmig angenommene "Eppelsheimer Formel" verhindert.

Am 8. Oktober 1949 beteiligen sich die Deutschen Unitarier an der Gründung des Dachverbandes Deutscher Volksbund für Geistesfreiheit, dem bei der Gründung sehr unterschiedliche Organisationen der freireligiösen, freigeistigen und freidenkerischen Bewegung angehören. Neben den Deutschen Unitariern werden der "Bund freireligiöser Gemeinden Deutschlands", der "Deutsche Freidenkerverband", der "Deutsche Monistenbund" und einige kleinere Verbände Mitglieder des Dachverbandes. Aufgrund der beträchtlichen Spannweite und Heterogenität der angehörenden Organisationen kommt es immer wieder zu Aus- und Eintritten.

1950 wurde bei der Ersten Hauptversammlung der Deutschen Unitarier nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland in Hameln eine neue Satzung angenommen und der Name der Religionsgemeinschaft in Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft (DUR) geändert, die sich jedoch weiterhin in der Tradition der „freien Protestanten“ sah. Der DUR schlossen sich auch Mitglieder aus der Deutschen Glaubensbewegung um Wilhelm Jakob Hauer, einer Sammlungsbewegung für freireligiöse, atheistische bis völkische Gruppen in der Zeit des Nationalsozialismus, an. Der Zustrom neuer Mitglieder - die Mitgliederzahl wuchs auf 6000 Mitglieder an - führte dazu, dass die traditionellen "Freien Protestanten" in eine minoritäre Lage gerieten. Hinzu kam eine stark heidnische, antichristlich und völkische Ausrichtung, am exponiertesten vertreten durch Herbert Böhme, dessen Wirken letztendlich den Austritt eines beträchtlichen Teiles der Freien Protestanten verurachte, die sich den freireligiösen Gemeinden anschlossen. Dies mündete 1954 im Austritt der freiprotestantischen "Urgemeinden" als "Unitarische Religionsgemeinschaft Freie Protestanten KdöR".

1952 gründeten Teile der damaligen Deutschen Unitarier-Jugend gemeinsam mit rechtsextremen Jugendverbänden die Wiking-Jugend. Der heute noch existente Bund Deutsch-Unitarischer Jugend wurde 1956 von jungen Mitgliedern gegründet.

1970 wird die gemeinnützige Unitarische Akademie e. V. als Einrichtung zur Bildungsarbeit gegründet. Die Unitarische Akademie wird Mitglied im Paritätischen Bildungswerk und im Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Zur Sozial- und Jugendarbeit besteht ein gemeinnütziges Hilfswerk der Deutschen Unitarier e. V., das ebenfalls Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband ist. Das Hilfswerk unterhält die Jugend- und Freizeitstätte Klingberg in Ostholstein.

1989 spaltete sich der (1997) ca. 300 Mitglieder zählende völkisch ausgerichtete Bund Deutscher Unitarier, Religionsgemeinschaft europäischen Geistes um Sigrid Hunke von der DUR ab. In einer Broschüre des neuen Bundes "Bausteine" mit dem Untertitel "Ad Fontes", wird auf die Spaltung bezug genommen und die angebliche Abkehr der DUR von der "heidnischen" und "antichristlichen" Ausrichtung thematisiert: "Auf die Unverträglichkeit dieser Ansätze (der neuen DUR, Anmk.d.Verf.) mit dem, was das deutsche Unitariertum und seine herausragenden Exponenten - wie etwa Eberhard Achterberg, Herbert Böhme, Fritz Castagne, Sigrid Hunke und Friedrich Schöll - jahrzehntelang erarbeiteten und vertraten, wird in (...) der hier vorliegenden Schrift ausführlich eingegangen."

Präsident der Deutschen Unitarier ist Eike Möller aus Hamburg.

Mitgliedschaften

Die Deutschen Unitarier sind Mitglied im "Dachverband freier Weltanschauungsgemeinschaften (DfW)", dem u.a. auch der "Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands K.d.ö.R.", der "Bund für Geistesfreiheit (bfg) Bayern K.d.ö.R." und der "Humanistische Freidenkerbund Brandenburg e.V." angehören. Der DFW sieht sich als Vertreter freigeistiger, kirchenfreier Menschen und steht "für Humanismus, Toleranz und Menschenrechte, für ein friedliches Zusammenleben der Menschen unabhängig von ihren religiösen, weltanschaulichen und politischen Anschauungen und für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Mensch und Natur." Der DFW ging 1991 aus dem Deutschen Volksbund für Geistesfreiheit (DVfG) hervor, dem die DUR ebenfalls schon angehörte.

Außerdem sind die Deutschen Unitarier Mitglied im Weltbund für religiöse Freiheit (International Association for Religious Freedom (IARF)) sowie als einzige der in Deutschland vertretenen unitarischen Religionsgemeinschaften im Internationalen Rat der Unitarier und Universalisten (International Council of Unitarians and Universalists (ICUU)), der die Koordinationsstelle der meisten unitarischen Religionsgemeinschaften weltweit ist.

Bekannte deutsche Unitarier

  • Sigrid Hunke (1913-1999, ehemaliges Mitglied der NSDAP, wurde 1950 Mitglied und war von 1971 bis 1983 Vizepräsidentin. Sie verließ 1989 die DUR und trat dem Bund Deutscher Unitarier, Religionsgemeinschaft europäischen Geistes bei.
  • Wolfgang Deppert (* 1938), Physiker, Professor für Philosophie an der Universität Kiel, seit 2003 emeritiert, FDP-Mitglied, ehemaliger "Leiter des geistigen Rates" der DUR.
  • Eberhard Achterberg vor 1945 Chefredakteur der Nationalsozialistischen Monatshefte, später langjähriger (14 Jahre) Schriftleiter der Zeitschrift Glaube und Tat – Deutsch-unitarische Blätter
  • Lothar Stengel von Rutkowski, NS-Rassentheoretiker, Dichter, seit 1936 Mitherausgeber der Zeitschrift "Deutscher Glaube" (1934-1944), Mitbegründer und wisssenschaftlcher Sekretär der Freien Akademie (gegr. 1957)
  • Herbert Böhme, nationalsozialistischer Dichter, trat 1947 den Deutschen Unitariern bei, Erster Sprecher des Klütkreises und ihr Vordenker bis in die 50er Jahre.

Kontroversen

Die Kritik und Kontroverse in und um die DUR bezog sich von Anfang an auf religiöse und politische Ausrichtungen. Bereits nach der Hauptversammlung und Umbenennung in die DUR 1950 haben sich traditionell orientierte Gemeinden abgespaltet. In der Zeit als Sigrid Hunke Ehrenvorsitzende war, wurde die DUR verstärkt durch die Öffentlichkeit wahrgenommen und kritisch beleuchtet. Immer wieder wurden Vorwürfe der "Sektenhaftigkeit" und Vorwürfe der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankengutes erhoben.

Laut Auskunft der Unitarischen Gemeinschaft hat man aufgrund interner demokratischer Meinungsbildungsprozesse frühere Tendenzen rechtsgerichteten Gedankengutes isolieren können. Vertreter dieser völkisch-nationalen Richtung hätten dann die Gemeinschaft entweder verlassen oder seien wegen gemeinschaftsschädigenden Verhaltens und Verstoßes gegen die Grundgedanken von der Gemeinschaft ausgeschlossen worden. Dazu zähle auch die oben erwähnte Sigrid Hunke, die bis 1983 Ehrenvorsitzende und Vizepräsidentin war.

Zahlreiche Prozesse mit Kritikern (von Scientologen bis Antifaschisten) wurden in den 80er und 90er Jahren geführt, welche meistens von der DUR verloren wurden, weil es letztendlich entweder um Meinungsfreiheit ging oder aber das Gericht zum Urteil kam, dass Vorwürfe nicht völlig unbegründet sind. Als Beispiel sei hier eine kurze Passage aus dem Urteil des Landesgerichts Hamburg (Az.: 324 0 589/98) von 1999 zitiert, wo es um einen Rechtsstreit zwischen Scientology und dem Sektenexperten Prof. Dr. Ralf Abel ging:

"Der Kläger muß den Vorwurf, daß er langjährige braune Sektenerfahrung habe, jedoch letztlich als Folge seines früheren Verhaltens hinnehmen. Denn der Kläger ist unstreitig mehrere Jahre Mitglied der Deutschen Unitarier gewesen; einer Organisation, die nach einem Urteil des Hans. OLG Hamburg als Nazi-Sekte bezeichnet werden darf. (…) So war noch im Jahre 1972 verantwortlicher Schriftleiter der von den Deutschen Unitariern herausgegebenen Publikation Glaube und Tat Dr. Eberhard Achterberg; noch im Jahr 1978 war Fritz Castagne Mitglied des Redaktionsstabes der Zeitschrift unitarische blätter (ehemals Glaube und Tat) und gehörte zu jener Zeit Dr. Alarich Augustin zu deren ständigen Mitarbeitern. Ausgehend vom Vortrag des Beklagten hat Dr. Augustin sogar noch in den 80-iger Jahren Beiträge für die unitarischen blätter verfaßt. Unstreitig waren diese Personen jedoch im Nationalsozialismus wichtige NS-Funktionäre. So war Eberhard Achternberg Schriftleiter der Zeitschrift Nationalsozialistische Monatshefte und Leiter für Juden und Freimaurerfragen im NSDAP-Amt Rosenberg; Fritz Castagne war NSDAP-Reichstagsabgeordneter sowie Reichsamtsleiter der Deutschen Arbeitsfront und Dr. Augustin war SS- Untersturmbandführer und nach dem Ende des Nationalsozialismus leitender Funktionär des SS-Ahnenerbe." [1]

Literatur

  • unitarische blätter. Zweimonatszeitschrift - Zeitschrift für ganzheitliche Religion und Kultur der Deutschen Unitarier Religionsgemeinschaft e.V.
  • Was GLAUBEN SIE eigentlich (neu erschienen: verfasst von einem Arbeitskreis und verschiedensten Mitgliedern der Religionsgemeinschaft Deutsche Unitarier - Verlag Deutsche Unitarier - ISBN 3-922483-07-0
  • Religion ohne Kirche: Die Bewegung der Freireligiösen. Ein Handbuch, hrsg. von Friedrich Heyer, Stuttgart: Quell Verlag, 1977 (Eine Publikation der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen).