Komparatistik
Die vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft (Komparatistik) ist die Wissenschaft von den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Literaturen verschiedener Kulturen. Sie vergleicht einzelne Dichtungen, Dichter oder Strömungen in verschiedenen Kulturen oder die Nationalliteraturen in ihrem gesamten Verlauf; sie erforscht die Einflüsse bestimmter Schriftsteller oder literarischer Strömungen auf andere Literaturen und untersucht die Geschichte einzelner Gattungen, Stoff- oder Motivkreise (Weltliteratur). Außerdem beschäftigt sich die Komparatistik mit dem Vergleich der einzelnen Künste und untersucht auf diese Weise Intermediale Prozesse und Transformationen der Sprache.
Siehe auch: vergleichende Sprachwissenschaft, Diskursanalyse, Cultural Studies
Traditionelle Arbeitsbereiche und
Komparatistik – Vergleichende Literaturwissenschaft
Die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (Komparatistik) beschäftigt sich mit Literatur in grenzüberschreitender Perspektive. Die Grenzüberschreitung ist dabei nicht politisch zu verstehen, denn nationale Grenzen sind in den seltensten Fälle auch kulturelle. Vielmehr ist die Komparatistik interkulturell ausgerichtet, d.h. sie betrachtet literarische Phänomene (Stoffe, Themen, Gattungen usw.) im internationalen Vergleich.
Sie interessiert sich also nicht so sehr dafür wie beispielsweise der deutsche Roman der Moderne aussieht, sondern welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser im Kontrast zu französischen oder englischen Romanen der Moderne aufweist. Tertium comparationis (das gemeinsame Dritte) wäre also die Moderne - als übernationales Phänomen.
Außerdem überschreitet die Komparatistik disziplinäre Grenzen, vergleicht Literatur mit anderen künstlerischen Formen (Malerei, Musik, Film usw.), ordnet Literatur mediengeschichtlich und soziologisch ein, tritt geistes- und ideengeschichtlich auf ihre spezifische Art in "Konkurrenz" zu philosophischen Fragestellungen. Ziel ist es dabei häufig, zu allgemeingültigen und theoriefähigen Aussagen zu gelangen. Gerade die Theoriebildung in literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive ist eine spezifische Domäne der Komparatistik.
Allgemeine Literaturgeschichte
Die komparatistische Forschung ist in der Literaturgeschichte natürlich stark von den Erkenntnissen der Einzelphilologien abhängig, weswegen der Studentenschaft empfohlen wird, Vorlesungen in Germanistik, Anglistik usw. zu besuchen, um das nötige historische Wissen zu erlangen. Weil die Komparatistik dies nicht leisten kann, konzentriert sie sich auf systematische Fragestellungen im internationalen Kontext. Vor allem Periodisierungs- und Epochenfragen spielen dabei die zentrale Rolle. Im Laufe der literaturhistorischen Forschungen hat es unzählige Versuche gegeben, das heterogene Gefüge literarischer Beziehungen zeitlich zu gliedern. Dabei wurden je nach Standort des Betrachters Begriffe aus unterschiedlichen Seinsbereichen auf bestimmte Zeitabschnitte angewandt. Es ist deshalb darauf zu achten, welche Kriterien die entscheidende Rolle bei der Benennung einer literarischen Epoche gespielt haben.
So bezeichnet der Begriff Renaissance eine ganz Europa umfassende kulturelle Entwicklung, die eigentlich alle künstlerischen, sozialen und ökonomischen Bereiche beinhaltet. Anders sieht es beim Begriff Barock aus, der ursprünglich eine Stilbezeichnung in der Architektur und Bildenden Kunst meint, aber schließlich auch auf andere Künste übertragen wurde. Aufklärung bezieht sich auf eine geistesgeschichtliche, vor allem philosophisch geprägte Entwicklung. Es gilt darauf zu achten, wann eine Epochenbezeichnung entstanden ist. So sind Begriffe wie Renaissance und Aufklärung in der jeweiligen Zeit geprägt worden, doch erst aus der historischen Distanz ist eine systematische Charakterisierung möglich. Problematisch sind zu weitgefasste bzw. zu enge Epochenbezeichnungen: Die Triade Antike - Mittelalter - Neuzeit sagt fast nichts aus, während einen sehr kurzen Zeitraum umfassende Begriffe meist nur innerhalb bestimmter kultureller Grenzen von Bedeutung sind (z.B. Sturm und Drang in Deutschland, Restauration in England usw.).
Ein schwieriges Problem für die Forschung bietet die zeitliche Begrenzung einer Epoche, ihre Dauer. Nach welchen Kriterien kann man bestimmen, wann beispielsweise das Barockzeitalter endet und die Aufklärung beginnt? Es gilt herauszufinden, ob zu einem bestimmten Zeitpunkt etablierte Normen oder literarische Konventionen an Einfluss verlieren oder eindeutig mit ihnen gebrochen wird und so aus diesem Bruch etwas Neues entsteht, das ebenfalls wieder zur Norm wird. Diese Veränderungen müssen nicht unbedingt ästhetischer Natur sein, sondern können mit einer veränderten Weltanschauung oder mit politischen und ökonomischen Entwicklungen einhergehen.
Wenn in der Literaturgeschichte (aber auch in anderen Bereichen) eine Norm oder Konvention von einer anderen abgelöst wird, spricht man von Paradigmenwechsel. Gerade auf internationaler Ebene ist es normal, daß Entwicklungen in einem größeren Kontext nicht gleichzeitig ablaufen. Dementsprechend muß man sich darüber im klaren sein, dass beispielsweise ein Begriff wie Romantik zwar ein gesamteuropäisches Phänomen bezeichnet, in Deutschland, England und Frankreich jedoch ungleichzeitig einsetzt, zumal die Literaturen der einzelnen Länder sich gegenseitig beeinflussten und dadurch auch eine jeweils spezifische Ausprägung von Romantik entstand (so wird Goethe in Frankreich teilweise zu den Romantikern gezählt!). Die allen Ländern gemeinsamen Grundzüge der Romantik sind Betrachtungsgegenstand der Komparatistik, die soziolinguistischen Eigenarten Aufgabengebiet der Einzelphilologien. Im Zusammenhang mit historischer Ungleichzeitigkeit einer literarischen Epoche spricht man von Phasenverschiebung.
Thematologie
(Stoff- und Motivgeschichte, Mythosforschung) Die Thematologie beschäftigt sich mit dem inhaltlichen Material der Dichtung und seinen spezifischen literarischen Umsetzungen. Dabei werden nicht nur historische Ausprägungen bestimmter Stoffe und Motive, sondern auch die Themen und Inhalte der Literatur, der Mythen, Symbole u.ä. untersucht. Als Stoff bezeichnet man (neben dem vom Autor erfundenen) das Material, das sich im Laufe der Literaturgeschichte fest etabliert und immer wieder aufgegriffen wird (beispielsweise Don Juan, Oedipus, Faust usw.). Der Stoff ist an feste Elemente gebunden, die ihn unverwechselbar machen und auf die er nicht verzichten kann, um als bestimmter Stoff erkannt zu werden. Diese festen Elemente sind die Motive, die in der Regel abstrakter sind als das, was sie konstituieren. So ist der Don Juan-Stoff an die Motive Verführung und Bestrafung gebunden, die jedoch selbst nicht an diesen speziellen Stoff gebunden sind. Vielmehr können sie mit anderen Motiven (Liebe, Hass, Eifersucht, Freundschaft, Einsamkeit usw.) kombiniert werden, um neue Stoffe zu bilden. Motive sind zumeist allgemeine Eigenschaften oder Grundkonstanten des Lebens. Damit ein bestimmter Stoff als solcher erkannt wird, muss er unverwechselbare Kernmotive aufweisen, die historisch unverändert (invariabel bzw. invariant) bleiben, weswegen die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten eines Dichters hauptsächlich in der ästhetischen, der formalen Umsetzung einer stofflichen Vorgabe bestehen. Je nach den weltanschaulichen und ästhetischen Vorstellungen einer Epoche erfahren Stoffe ständig Aktualisierungen, d.h. ein Stoff regeneriert sich im Laufe der Zeit, weil sich die Rahmenbedingungen für die literarische Produktion verändern. Diese Rahmenbedingungen (sozial, psychologisch, ästhetisch, historisch usw.) können auch der Grund sein für die Dominanz bestimmter Stoffe oder Motive innerhalb einer Epoche (beispielsweise das Vanitas-Motiv im Barock) bzw. für den Sinnverlust eines Stoffes.
Im 20. Jahrhundert ist zum Beispiel der Don Juan-Stoff mit seinen Kernmotiven nicht mehr aktualisierbar, da eine liberale Gesellschaft, in der es kein religiöses Machtmonopol mehr gibt, Verführung nicht sanktioniert. Allein der reflektierte Umgang, zum Beispiel durch eine Parodie (siehe Max Frischs Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie), vermag den tradierten Stoff zu aktualisieren; allerdings verliert er dadurch seinen eigentlichen Sinngehalt, hat sich historisch überlebt. Stoffe sind also nicht immer aktualisierbar, d. h. sie bleiben historisch gebunden. Auffallend ist auch die Gattungsaffinität bestimmter Stoffe, weshalb ein Gattungswechsel besondere Aufmerksamkeit verlangt. So wird aus der Dramengestalt des Don Juan bei E. T. A. Hoffmann eine Figur in einer Erzählung - auch deshalb, weil das Drama in der deutschen Romantik eher eine untergeordnete Rolle spielt. Eng mit der Stoffgeschichte ist die Mythosforschung verbunden, zumal die im Mythos angelegten menschlichen Grundsituationen als Ur-Material aller Dichtung zu gelten haben, d.h. in vorliterarischer Zeit gründen. Im Gegensatz zum Stoff ist das Thema eines literarischen Werkes eher abstrakter Natur, beispielsweise eine zentrale Idee. Joseph Conrad schildert in Heart of Darkness nicht nur eine Reise in den afrikanischen Urwald, sondern eine Reise in die eigene Persönlichkeit, eine Hinterfragung des "zivilisierten" Menschen.
Rezeption
Viele der in den einzelnen Arbeitsbereichen der Komparatistik angesprochenen Aspekte sind auf einer anderen Ebene Teil der Rezeptionsproblematik. Wenn ein Autor im 20. Jahrhundert ein Don Juan-Stück schreibt, so hat er vorher natürlich ältere Bearbeitungen des Stoffes zur Kenntnis genommen, hat zum Beispiel Molière und Mozart rezipiert. Ein anderer Autor schreibt im 20. Jahrhundert einen Sonett-Zyklus, d. h. er kennt die historischen Vorläufer (Petrarca, Shakespeare) dieser spezifischen lyrischen Gattung. Der Literaturwissenschaftler, der eine neue Erzähltheorie formulieren will, tut gut daran, andere Erzähltheorien, die bereits existieren, zur Kenntnis zu nehmen, will er sich nicht dem Spott seiner Berufskollegen aussetzen. Wenn man so will, ist Rezeption das grundlegende Phänomen, das bei allen komparatistischen Fragestellungen berücksichtigt werden muss.
Das Wort Einfluß wird hauptsächlich in Zusammenhang mit der sogenannten Produktionsästhetik (die Betrachtung der Bedingungen und Elemente jeder literarischen Tätigkeit) benutzt und meint die Wirkung bestimmter Ereignisse auf einen Autor, der diesen Einfluß produktiv im eigenen Werk verarbeitet. So kann die Lektüre eines bestimmten Buches ihn beeinflussen, oder das Gesamtwerk eines anderen Autors, oder bedeutende ideengeschichtliche und historische Ereignisse (beispielsweise die Psychoanalyse, der Erste Weltkrieg, usw.). Es gibt aber auch den Einfluss einer ganzen Einzelliteratur auf eine andere (die griechische auf die römische), oder einer literarischen Bewegung auf eine andere u.ä. Diese einfache Kausalität wird heute nicht mehr ohne weiteres akzeptiert, vielmehr stellt man sich die Frage nach dem Warum. Warum wurde ein bestimmtes Buch zu einem Einfluß für einen anderen Autor, welche Rezeptionsbedingungen waren für diesen Prozess verantwortlich? Man kann das Phänomen Rezeption in drei große Forschungsgebiete einordnen (häufig werden die Begriffe synonym gebraucht):
a) Rezeptionsgeschichte. Sie untersucht historisch die Aufnahme bestimmter literarischer Texte (z. B. Faust im 19. und 20. Jahrhundert; oder die Shakespeare-Rezeption im 18. Jahrhundert in Deutschland), also die Wirkung von Literatur auf die Leserschaft oder andere Autoren (Wirkungsästhetik). b) Rezeptionsforschung. Sie betreibt empirische Leserforschung und ist deshalb auf aktuelle Daten angewiesen (es ist verständlicherweise sehr problematisch, Leserforschung des 18. Jahrhunderts zu betreiben). Hier stößt die Literaturwissenschaft an ihre Grenzen, da Leserforschung häufig eher Aufgabe der Soziologie oder der Psychologie ist, weil der Leser - nicht die Literatur - im Zentrum der Untersuchung steht. c) Rezeptionsästhetik. Allgemein formuliert, beschäftigt sie sich mit der Wechselwirkung Lektüre/Verarbeitung der Lektüre bzw. mit der Kommunikationssituation Autor-Text-Leser. In der Literaturwissenschaft kam es Ende der 60er Jahre zu einem Paradigmenwechsel, als die werkimmanente Textanalyse und die traditionelle Einflußforschung durch die Rezeptionsästhetik in den Hintergrund gedrängt wurden. Der Leser und auch der Autor als Leser wurden als unverzichtbarer Bestandteil literarischer Prozesse 'entdeckt' und die Mechanismen genauer untersucht, die sich bei der Lektüre abspielen und die auf die Lektüre folgen (v.a. in den 70er und frühen 80er Jahren).
Die Rezeptionsästhetik ist in den letzten Jahren wieder etwas in den Hintergrund getreten und von der Intertextualitätsdebatte abgelöst worden, d.h. zum einen von der konkreten Umsetzung von Rezeption in Produktion, zum anderen von der Frage nach den unbewussten Elementen (beispielsweise die Übernahme kultureller Werte und Moralvorstellungen) bei der produktiven Rezeption, von der Frage nach Text als komplexem Phänomen, als offenem System an sich.
Allgemein gesagt ist Intertextualität die Beziehung zwischen Texten, wobei man die Einzeltextreferenz (Integration eines Textes in einen anderen, beispielsweise durch Zitat, Anspielung, als Parodie, Pastiche, Travestie usw.) von der Systemreferenz (Beziehung zwischen einem Text und allgemeinen Textsystemen, beispielsweise bestimmten literarischen Gattungen) unterscheidet. Problematisch wird die Analyse von Intertextualität dann, wenn Autoren zwar intertextuell arbeiten, jedoch keine Kennzeichnung (durch Anführungszeichen oder Kursivschrift oder Namensnennung) vornehmen. Hier ist der Komparatist stark auf seine eigenen Kenntnisse bzw. andere Hilfsmittel (Sekundärliteratur) angewiesen. Andererseits besteht natürlich die Möglichkeit, dass ein Autor unbewusst intertextuelle Bezüge herstellt, die durch die Lektürekenntnisse des Lesers zum Vorschein kommen. In diesem Fall verlagert sich die Intertextualitätsforschung von der Autor-Text-Beziehung zur Text-Leser-Beziehung. Das Problem Intertextualität gehört zu den interessantesten und wichtigsten Forschungsgegenständen der Komparatistik, da es den Textbegriff erweitert hat und größeren Aufschluss darüber gibt, was einen literarischen Text in seinem Wesen ausmacht, wodurch er zu einer spezifischen künstlerischen Tätigkeit des Menschen wird.
Gattungsfragen
Bereits das Wort Gattung ist in der Literaturwissenschaft nicht unproblematisch, meint es doch die vier großen Genres Epik (heute eher: Erzählliteratur), Dramatik, Lyrik (nicht jedes Gedicht ist lyrisch!) und Gebrauchstexte (Sachliteratur, didaktische Texte, Gebrauchsanleitungen usw.) und die Untergattungen zu diesen Genres (Roman, Erzählung, Novelle, Tragödie, Komödie, Sonett, Ballade usw.). Die beiden wichtigsten Forschungsrichtungen sind die Gattungsgeschichte und die Gattungstheorie. Die Gattungsgeschichte verfolgt diachron und synchron die Entwicklung einzelner Gattungen in ihrer Geschichtlichkeit (beispielsweise die Geschichte des Romans). Dabei setzt sie unterschiedliche Schwerpunkte, z.B. die Unterteilung des Romans nach thematischen Aspekten (historischer Roman, Bildungsroman, Bewusstseinsroman, Stadtroman usw.). Eine klare Abgrenzung zu den formalen Kriterien einer Gattung ist dabei nicht immer möglich, weswegen inhaltliche Aspekte durchaus mit der Formgeschichte verbunden werden können. Im Gegensatz dazu ist die Gattungstheorie eher an ahistorischen Phänomenen interessiert. Sie versucht die in allen Epochen gültigen Konstanten einer Gattung aufzuzeigen, ist an sogenannten Universalien oder Invarianten interessiert. Eine weitere Möglichkeit, die Gattungsproblematik zu betrachten liegt in der Analyse der Gattungsrezeption, d.h. man fragt, ob bestimmte Gattungen in einer bestimmten Epoche stärker zur Kenntnis genommen werden als andere, ob bestimmte Gattungen eine Epoche dominieren oder prägend für sie sind. Auch die Haltung des Autors zu Gattungsvorbildern und -konventionen im Hinblick auf sein eigenes Schaffen ist Gegenstand dieses komparatistischen Arbeitsbereiches.
Literaturtheorie
Eng mit der Gattungstheorie verbunden ist die Literaturtheorie, die als Oberbegriff für alle systematischen Versuche, zu allgemeingültigen und typologischen Aussagen zu gelangen, gelten kann. Sie ist eng mit der philosophischen Disziplin der Ästhetik verwandt. Obwohl es sicherlich nicht ganz so einfach ist, kann man die Literaturwissenschaft in zwei große Gebiete einteilen: in die Literaturgeschichte und die Literaturtheorie, wobei jedes Gebiet dem anderen zuarbeitet. Die Literaturgeschichte betrachtet Literatur in ihrer historischen Gebundenheit an außerliterarische Phänomene (soziokulturell, politisch, ökonomisch, philosophisch usw.). Die Literaturtheorie hat sich zur Aufgabe gesetzt, das Wesen der Literatur zu ergründen und versucht, mit Hilfe komplexer methodischer Arbeitstechniken, Literatur als spezifische kreative Eigenschaft des Menschen zu definieren. Dabei betrachtet sie alle Faktoren, die konstituierend für ein literarisches Werk sind, beispielsweise die Produzentenebene (Autor), die Textebene und die Rezipientenebene (Leserschaft). Psychologische, ästhetische, soziologische und andere Phänomene spielen hier also eine bestimmende Rolle.
Die moderne Literaturtheorie ist keine Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts. Vielmehr steht sie in einer über zweitausendjährigen Tradition dichtungstheoretischer Überlegungen. Als erste Dichtungstheorie gilt Aristoteles Poetik (=Dichtungstheorie), die bis ins 18. Jahrhundert einflußreich ist. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Poetiken Regelbücher, in der rhetorischen Tradition stehende Anleitungen zum richtigen Dichten. Erst mit der Entstehung des Geniegedankens im 18. Jahrhundert und dem idealistischen Gedankengut der Romantiker wird Dichtung nicht mehr als an klare Regeln (normative Poetik) gebundene Tätigkeit, sondern als individuelle Leistung gesehen. Das hat zur Folge, daß später Dichtung dahingehend analysiert wird, wie sie effektiv aussieht und was sie leistet, nicht ob sie sich an vorgebene Normen und Konventionen hält. In der modernen Literaturtheorie (der aktuelle Begriff für Poetik oder Poetologie) gibt es deshalb keine Aussagen, die allgemeingültig wären, sondern nur an der tatsächlichen Literaturproduktion orientierte Aussagen.
Eine Literaturtheorie ist nur so lange allgemeingültig, bis ein literarischer Text auftaucht, der nicht mehr ins Schema passt. Dann muss die Theorie den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Allerdings versucht die Literaturtheorie dennoch zu Aussagen zu kommen, die auf alle Texte zutreffen, also ahistorische Konstanten aufzuzeigen. So hat zum Beispiel der Strukturalismus versucht, Erzähltexte so zu analysieren, dass sich Kriterien finden lassen, die für alle Erzähltexte gelten (Ein Erzähler erzählt ein Geschehen, wobei der Erzähler und das Erzählte zusammen die Grundstruktur aller Erzähltexte ausmachen). Andere Erzähltheorien sehen andere Elemente als typisch für Erzähltexte an (Perspektive, Erzählsituation usw.).
Die literarische Übersetzung
Beschäftigung mit Literatur meint Beschäftigung mit Sprache, denn literarische Texte sind Sprachkunstwerke. Bedeutet eine gründliche und analytische Lektüre bereits eine intensive Auseinandersetzung mit den sprachlichen Besonderheiten eines Textes, so gilt dies in besonderem Maße für Übersetzungen. Wenn wir Flauberts Madame Bovary in der deutschen Übersetzung lesen, so haben wir es mit einem deutschen Text, nicht mit dem Original zu tun. Bei der Lektüre verbinden wir mit den Worten nicht nur die inhaltlichen Aspekte des Romans, sondern auch bestimmte Konnotationen, die durch unsere Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis bedingt sind. Ein Engländer, der das Original liest, deutet bestimmte Worte vielleicht ganz anders, als wir das mit ihrer Übersetzung tun. Das heißt: jede Übersetzung ist Vermittlung eines literarischen Inhaltes, aber gleichzeitig auch eine kulturelle Verschiebung. Deshalb spricht man bei literarischen Übersetzungen häufig auch von produktiver, nicht von reproduzierender Rezeption, denn es findet nicht nur eine einfache Übertragung in eine andere Sprache statt, sondern ein komplizierter interkultureller Vorgang, bei dem der Übersetzer darüber hinaus selber ästhetische Fähigkeiten besitzen muss, um den poetischen Qualitäten des Originals einigermaßen gerecht zu werden.
Ein Übersetzer ist also Vermittler und selbst kreativer Autor. Man unterscheidet vor allem zwei Arten der Übersetzung: die produktionsorientierte und die rezeptionsorientierte Übersetzung.
Bei der produktionsorientierten Übersetzung liegt der Schwerpunkt auf der Ausgangssprache und dem Autor, d. h. der Übersetzer strebt eine große Nähe zum Original an, indem er sprachliche Besonderheiten übernimmt und imitiert, also die Ausdrucksebene betont (wörtliche Übersetzung). Seit der Romantik hat diese Art der Übersetzung ständig an Bedeutung gewonnen. Für den Leser bedeutet eine produktionsorientierte Übersetzung zunächst oft Irritation und Unverständnis, da im übersetzten Text das sprachlich und kulturell Fremde durchscheint.
Anders sieht es bei der rezeptionsorientierten Übersetzung aus, wo die Zielsprache und der Leser im Mittelpunkt stehen. Hier wird die Inhaltsebene betont und die sprachlichen Eigenheiten des Originals werden der jeweiligen Zielsprache angepasst, was in der Regel zu einer größeren Lesbarkeit führt, jedoch dem Original allzu oft nicht gerecht wird. In diesem Zusammenhang spricht man auch von freier Übersetzung, Umdichtung (sehr häufig bei Lyrik) oder gar Paraphrase.
Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, dass es eine ideale Übersetzung nicht geben kann: viele Worte lassen sich nicht wörtlich übersetzen, viele kulturelle Konnotationen gehen unweigerlich verloren oder müssen durch Hilfskonstruktionen ergänzt werden, wodurch ein völlig neuer Text entsteht. Der idealen oder kongenialen Übersetzung am nächsten käme ein Text, der ein ausgewogenes Verhältnis von Ausdrucksebene und Inhaltsebene reflektieren würde.
Für das Studium der Komparatistik bedeutet die Beschäftigung mit literarischen Übersetzungen natürlich gute Sprachkenntnisse, ein ausgeprägtes Sprachgefühl und das Gespür für kulturelle Eigenarten, die durch Sprache transportiert werden. Auch aus diesem Grund empfehlen sich längere Auslandsaufenthalte während des Studiums.
Interkulturelle Hermeneutik
(früher: Imagologie) Die Imagologie oder interkulturelle Hermeneutik gehört zu den diffizilsten Forschungsbereichen der Komparatistik, da das "Bild vom anderen Land" nicht nur Kenntnisse fremder Kulturen, Sprachen und Mentalitäten voraussetzt, sondern vor allem auch eine intensive Beschäftigung mit den Werten und Ansichten der eigenen Kultur verlangt. Der unbefangene Umgang mit der anderen Kultur ist prinzipiell ein Ding der Unmöglichkeit, da das Bild vom Anderen/Fremden immer geprägt ist durch eine Vielzahl von Faktoren, über deren Ausmaß nur vage Vorstellungen bestehen und die häufig durch die jahrhundertelange Weitergabe von Klischees bestimmt sind. Daraus ergeben sich zahlreiche Fragen: Was fällt mir bei der Betrachtung einer fremden Kultur besonders auf und was nicht? In welchem Maße entspricht die andere Kultur meinem eigenen Weltbild, und wie weit weicht sie davon ab? Betone ich deshalb das mir Vertraute oder das Unvertraute? Bemerke ich überhaupt kulturelle Eigenarten (beispielsweise soziale Regeln), wenn es vergleichbare in meiner eigenen Kultur nicht gibt?
Ziel der interkulturellen Hermeneutik ist also nicht nur das bessere Fremdverständnis, sondern auch eine Selbstanalyse durch Fremdanalyse. Nationale Stereotypen erkenne ich erst durch den Vergleich mit der anderen Kultur. Interessant ist dabei die Frage, wie solche Stereotypen entstehen, welche Rahmenbedingungen dafür verantwortlich sind. Gerade literarische Texte haben natürlich dazu beigetragen, andere Kulturen dem heimischen Publikum nahezubringen und ein Bild zu entwerfen, das häufig überhaupt nicht den Realitäten entspricht, da die eigene Perspektive absolut gesetzt wurde. In der Textanalyse sind mehrere Aspekte von besonderer Bedeutung: die andere Kultur als stofflicher Bestandteil (als Thema oder Motiv); als textueller Bestandteil (Intertextualität, beispielsweise Zitate in fremden Sprachen); als sprachliche Komponente (beispielsweise in der literarischen Übersetzung).
Die ständig zunehmende Internationalisierung und Globalisierung sozialer Kontakte lässt erahnen, in welchem Maße die interkulturelle Hermeneutik (nicht nur als komparatistische Disziplin, sondern in fast allen Sozial- und Geisteswissenschaften) zukünftig noch an Bedeutung gewinnen wird.
(früher: Wechselseitige Erhellung der Künste) Obwohl dieses Arbeitsgebiet der Komparatistik bereits seit dem Altertum praktiziert wird und v.a. Literatur und Malerei in Beziehung zueinander gesetzt werden, herrscht große Unstimmigkeit über die methodischen Grundlagen des sogenannten intermedialen Vergleichs. Dass Literatur und Malerei sich gegenseitig ergänzen können, ist einsichtig, zumal in einzelnen Kunstrichtungen oder Strömungen wie beispielsweise im Dadaismus Text und Bild eng miteinander verknüpft waren. Außerdem ist unumstritten, daß bestimmte Techniken der Malerei (z.B. der Kubismus) Einfluss auf die Produktion literarischer Texte und umgekehrt genommen haben. Nach welchen Kriterien jedoch die Darstellung verwandter Themen in Literatur und Malerei verglichen werden könnten, ist immer noch die zentrale Problemlage, wenn nicht die jeweiligen Spezialisten in den einzelnen Disziplinen getrennt voneinander arbeiten sollen. Vor allem Grundfragen der Rezeption und der Psychologie ästhetischer Wahrnehmung unterschiedlicher Medien müssten systematisch geklärt werden. Ähnliches gilt für Literatur und Film, Literatur und Musik.
Ziel der wechselseitigen Erhellung muß aus komparatistischer Sicht wohl die besondere Beziehung der Literatur zu anderen Künsten bleiben. Gleichzeitig kann die Komparatistik natürlich wichtige Grundlagen für eine allgemeine Kunsttheorie liefern, deren Aufgabe es wäre, eine Methodik mit entsprechender Begrifflichkeit zu entwickeln, die es erlaubte, zu allgemeingültigen Aussagen beim Vergleich unterschiedlicher Künste zu gelangen. Die philosophische Ästhetik (beispielsweise Kant und Hegel) hat dazu bereits vor zweihundert Jahren Ansätze geliefert, allerdings das Spezifische der einzelnen künstlerischen Disziplinen allzu oft vernachlässigt. Für den Literaturwissenschaftler von besonderem Interesse sind zum Beispiel direkte Bezüge zwischen Literatur und Malerei (visuelle Poesie, Kunst als Thema der Literatur, Übernahme künstlerischer Techniken, beispielsweise Collage und Montage) sowie künstlerische Mischformen, bei denen verschiedene Disziplinen zusammenwirken (Oper, Kunstlied, Film). Auch die Untersuchung thematischer Ähnlichkeiten kann sich als fruchtbar erweisen (z.B. Mythologie in Text und Bild), oder das individualpsychologische Phänomen der Doppelbegabung (E.T.A. Hoffmann als Dichter und Komponist, William Blake als Dichter und Maler).
Grundsätzlich muss bei jedem intermedialen Vergleich geklärt werden, welche Aspekte überhaupt miteinander verglichen werden können. Die Übertragung von Fachtermini einer Disziplin auf Gegenstände einer anderen gelingt dabei nur im seltensten Fall. Nur wenige Begriffe der allgemeinen Semiotik eignen sich wohl, um Phänomene in unterschiedlichen Künsten zu benennen. Die Bedeutung des Films als Mischform aus Bild, Ton und Text und die zukünftige Entwicklung im Multimedia-Bereich lassen eine gemeinsame Terminologie und Methodik jedoch unbedingt wünschenswert erscheinen.
Die Typen des Vergleichs
Obwohl der Begriff Komparatistik ausdrücklich den Vergleich anspricht, sollte man diesen Aspekt nicht überbewerten. In der Wissenschaft wird in allen Disziplinen mit Vergleichen gearbeitet. Er ist also nur eine grundlegende methodische Arbeitstechnik, die je nach Forschungsinteresse unterschiedlich angewandt wird. Allerdings muss man in der Komparatistik zwei Typen des Vergleichs voneinander trennen.
Der genetische Vergleich basiert auf direkten oder indirekten Kontakten und Einflüssen. Es besteht ein genetischer Bezug zwischen zwei oder mehreren Vergleichsgliedern, d.h. man stellt die Frage nach den kausalen Beziehungen zwischen zwei Autoren. Wie hat Goethe André Gide beeinflusst, wie verarbeitet Joyce im Ulysses Homers Odyssee. Hierbei handelt es sich um direkte Kontakte.
Von einem indirekten Kontakt lässt sich sprechen, wenn zum Beispiel ein Autor durch die Lektüre eines anderen Autors mit einem dritten Autor bekanntgemacht oder von ihm beeinflusst wird. Es findet in diesem Fall also eine Vermittlung durch eine zwischengeschobene Instanz statt. Dabei muss man unterscheiden zwischen bewussten und unbewußten indirekten Kontakten. Es kann also vorkommen, dass ein Autor eindeutig zu Schopenhauer Stellung nimmt, obwohl er dessen Schriften nur durch einen anderen Autor, nicht durch eigene Lektüre kennengelernt hat.
Es ist auch möglich, von Kontakt oder Einfluß zu sprechen, wenn ein Autor nicht direkt oder indirekt von einem einzelnen Autor beeinflusst wird, sondern von einer ganzen literarischen Strömung. So ist zum Beispiel Joyce sowohl direkt beeinflusst durch Homer, Dante, Shakespeare usw. als auch Kind seiner Zeit, der Gedanken und Ideen der literarischen Moderne, also einer bestimmten historischen Epoche.
Mit einem anderen Vergleichstyp hat man es zu tun, wenn man innerhalb der literarischen Moderne Autoren miteinander vergleicht. Es geht nicht mehr darum, festzustellen, wie beispielsweise Céline von einem spezifischen soziokulturellen Umfeld beeinflusst wurde, sondern wie verschiedene Autoren mit diesem Umfeld (auf internationaler Ebene, mit soziolinguistischen Unterschieden) in ihren literarischen Texten umgehen. Man vergleicht also Autoren, die ein gemeinsames Umfeld haben, ohne dass sie direkten oder indirekten Einfluss aufeinander hatten. In diesem Fall spricht man von einem kontrastiven bzw. typologischen Vergleich. Er basiert nicht auf Kontakten sondern auf Analogien. Bei diesem Vergleichstyp kommt es viel stärker darauf an, ähnliche literarische Erscheinungen miteinander in Beziehung zu setzen. Es ist zum Beispiel angebrachter, innerhalb einzelner Gattungen zu vergleichen (der Roman der Moderne) oder bei gattungsübergreifenden Vergleichen ähnliche literarische Inhalte zu wählen (Stadtproblematik in der Moderne).
Literatur
- Monika Schmitz-Emans u. Uwe Lindemann (Red.): Komparatistik 2002/2003. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Mit Beitr. in franz. Sprache, ISBN 3935025521
Siehe auch
Weblinks
- Komparatistik im Internet
- Gruppo04: web resources for comparative literary studies