Metaphysik

Die Metaphysik (lat. metaphysica, von gr. metá „nach, über“ und phýsis „Natur, natürliche Beschaffenheit“, d.h. „was nach der Natur kommt“) ist die Erzdisziplin und Grundwissenschaft der Philosophie. Sie betrachtet die ersten Voraussetzungen, Ursachen und Prinzipien sowie den Sinn bzw. die letzten Zwecke des Seienden und hat dabei stets die Gesamtwirklichkeit im Blick. Eine Aussage ist dann metaphysisch, wenn sie eine gehaltvolle Aussage über etwas machen will („synthetisch über etwas urteilt“), was prinzipiell jeder menschlichen Erfahrungsmöglichkeit entzogen („transzendental“) ist: Ihr Bereich sind die nicht empirisch untersuchbaren Bereiche der Wirklichkeit, d.h. sie befasst sich mit Fragestellungen, die sich einer naturwissenschaftlichen Bearbeitung grundsätzlich entziehen.
Als „Erste Philosophie“ (prima philosophia) versammelt die Metaphysik die großen Fragestellungen und Systementwürfe, die sich um die zentralen Probleme der theoretischen Philosophie drehen: die letzten Fundamente, die allgemeinsten Strukturen und Gesetzlichkeiten, die ersten Gründe und Ursachen und der Sinn aller Wirklichkeit bzw. Wirklichseins sowie das Bleibende und den Zusammenhang in allem Wechsels der Erscheinungen. Dabei beansprucht jeder metaphysische Entwurf automatisch seine Letztgültigkeit: In ihrer Universalität stellt die Metaphysik die Wurzel aller philosophischen Disziplinen dar, die sie zugleich umgreift.
Metaphysik scheint auf natürliche Weise im Menschen angelegt zu sein. Immanuel Kant hat sie als „unhintertreibliches Bedürfnis“ bezeichnet, Arthur Schopenhauer definierte den Menschen gar als „animal metaphysicum“, also als „metaphysiktreibendes Tier“. Zugleich stellt sich hier aber auch die Frage, wie der Mensch mit seinen begrenzten geistigen Möglichkeiten an den ewigen und „göttlichen“ Wahrheiten, die er hier zu ergründen trachtet, teilhaben können soll.
Begriffsgeschichte
Ursprünglich wurde mit „Metaphysik“ ein Werk des Aristoteles benannt, welches aus 14 Büchern allgemeinphilosophischen Inhalts bestand. Der Peripatetiker Andronikos von Rhodos (1. Jahrhundert) ordnete in der ersten Aristotelesausgabe diese Bücher hinter dessen 8 Bücher zur Physik ein (tà metà tà physiká). Dadurch entstand der Begriff der „Metaphysik“, der also eigentlich bedeutet: „das, was hinter der Physik im Regal steht“, aber natürlich gleichzeitig didaktisch meint: „das, was den Ausführungen über die Natur folgt“ bzw. wissenschaftlich-systematisch bedeutet: „das, was nach der Physik kommt“.
Seit der Spätantike wird mit „Metaphysik“ auch die philosophische Disziplin benannt. In manchen Zeiten diente der Begriff gleichsam als Synonym für „Philosophie“ überhaupt. Auf der anderen Seite wurde das Adjektiv „metaphysisch“ aber auch in sehr abwertender Weise in der Bedeutung „zweifelhaft spekulativ“, „unwissenschaftlich“ oder „nicht-empirische Gedankenspielerei“ gebraucht.
Einführung
Themen der Metaphysik
Die Metaphysik fragt insbesondere nach den letzten bzw. ersten Gründen des Seins und des Seienden, insofern es seiend ist. Die beiden unhintergehbaren, zentralen Fragen lauten:
- Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?
- Worin besteht die Wirklichkeit des Wirklichen - was ist das Sein des Seienden?
Damit sind die Ursprünge und Gründe, die Elemente und Fundamentalbedingungen des Seienden als solchen angesprochen und die Konstruktion und Deutung eines Zusammenhangs alles Seienden.
Neben der Idee des Seins ist auch die Idee des Nicht-Seins und die Formen des relativen und des absoluten Übergangs zwischen beiden Thema der Metaphysik: Veränderung und Entstehen/Vergehen sowie die damit eng verknüpften Begriffe der Möglichkeit und des Vermögens.
Im einzelnen sind die Gegenstände, die sich daraus für die Behandlung durch die Metaphysik ergeben sind unter anderem Gott, Sein, Nichts, Wirklichkeit, Geist, Seele, Materie, Natur, Wahrheit, Freiheit, Unsterblichkeit, Werden, Vergehen, Anderswerden usw. Eine weitere Problematik ist, ob es Bestimmungen gibt, die jedem Seienden als solchem zukommen, also Grundzüge des Seins selbst (Transzendentalien). Auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Individuellem und Allgemeinen (Universalienproblem) gehört dazu und insbesondere auch die Frage nach dem Verhältnis der Wirklichkeit als solcher und der Wirklichkeit, die sich dem Menschen durch sein Erkenntnisvermögen darbietet. Thema der Metaphysik ist auch die Frage, in welchem Verhältnis Wert- und Seinsaussagen zueinander stehen (vgl. „naturalistischer Fehlschluss“).
Die Metaphysik entwickelt die zentralen Kategorien der Philosophie: Form/Materie, Akt/Potenz, Wesen, Sein, Substanz, Wahrheit, Gott, Seele etc. Ihr Begriffsinstrumentarium stellt die Grundlage für die philosophischen Einzeldisziplinen dar, die sich aus ihr entwickelt haben. Ihre Methode kann seit Kant nur die der transzendentalen Deduktion sein: Aufweis und spekulative Entfaltung der Überzeugungen, die wir immer schon voraussetzen, um überhaupt erkennen und handeln zu können (Transzendentale Methode).
Systematik der Metaphysik
Traditionell wird in die Metaphysik in einen allgemeinen (metaphysica generalis) und einen speziellen (metaphysica specialis) Zweig geschieden; den ersten bildet die Ontologie, der andere wird durch die philosophische Theologie, Psychologie und Kosmologie gebildet:
- Die allgemeine Metaphysik hat von allen Wissenschaften die höchste Abstraktionstufe; sie fragt nach den allgemeinsten Kategorien des Seins und heißt deshalb auch Fundamentalphilosophie. Sie beschäftigt sich damit, was Dinge, Eigenschaften oder Prozesse ihrem Wesen nach sind und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Sofern sie das Seinende als Seiende untersucht spricht man von Ontologie bzw. Seinslehre. Diese untersucht das Sein, d.h. sie sucht vor allem zweckfrei-theoretische Einsichten in das Wesen und die allgemein-elementarsten, fundamental-letzten Gründe und Prinzipien des Seins zu gewinnen. Dabei kann der Gegenstandsbereich sehr weit gefasst sein, wenn auch Gott, logische Gebilde oder Erkenntnisprozesse eingeschlossen werden.
- Die rationale Theologie fragt nach der ersten Ursache allen Seins, d.h. nach Gott als dem höchsten Sein und als Grund aller Wirklichkeit. Diese philosophische Teildisziplin wird auch Natürliche Theologie genannt.
- Die rationale Psychologie beschäftigt sich mit der Seele als einfacher Substanz (Anthropologie).
- Die rationale Kosmologie untersucht das Wesen der Welt, d.h. den Zusammenhang alles Seienden im Ganzen. Als Lehre des Aufbaus der materiellen Welt als ein natürliches System physischer Substanzen fällt sie schon seit der Antike im wesentlichen mit der Naturphilosophie zusammen.
Daneben gehörte eine eine kritische Reflexion über ihre eigenen Grundbegriffe, Grundsätze und Argumentationsstrukturen ebenso von Beginn an zur Metaphysik wie eine Abgrenzung gegenüber den übrigen philosophischen Disziplinen und zu den Einzelwissenschaften (Physik, Mathematik, Psychologie usw.).
Methodik der Metaphysik
Metaphysik kann auf verschiedene Weisen vorgehen:
- Sie ist spekulativ, wenn sie von einem obersten Grundsatz ausgeht, von dem aus sie schrittweise die Gesamtwirklichkeit deutet. Ein solches höchstes Prinzip könnte etwa die "Idee", "Gott", das "Sein", die "Monade", der "Weltgeist" oder auch der "Wille" sein.
- Sie ist induktiv, wenn sie in im Versuch, die Ergebnisse aller Einzelwissenschaften in einer Gesamtschau zu betrachten, ein metaphysisches weltbild zu entwerfen versucht.
- Sie kann aber auch als reduktiv (weder induktiv noch subjektiv) begriffen werden, wenn man sie nur als spekulative Überhöhung jener Überzeugungen auffasst, die immer schon vom Menschen vorausgesetzt werden muss, um überhaupt erkennen und handeln zu können.
Metaphysische Positionen
Metaphysik vor Immanuel Kant
Antike
Bereits bei den Vorsokratikern scheint das zentrale Motiv der Metaphysik in der Frage auf, aus welchem Stoff oder Element alles besteht, d.h. schon am Beginn der Philosophie steht der Versuch, das Weltganze aus einem einzelnen, einigendem (Ur-)Prinzip (arché) zu begreifen.
Nicht der Stoff, sondern die Form ist bei Platon das Eigentliche der Dinge und der Wirklichkeit. Diese Formen oder Ideen - und damit die eigentliche und wahre Wirklichkeit - sind der sinnlichen Wahrnehmung unzugänglich in einem eigenen „Reich der Ideen“ befindlich. Die Ideenlehre ist die erste Zweiweltenlehre (Dualismus) in der Metaphysik.

Für Aristoteles, der die Metaphysik als eigenständige Disziplin begründet, markiert diese den absoluten Anfang aller Philosophie, die allen einzelwissenschaftlichen Fragestellungen - etwa denen der Physik, Mathematik, Biologie oder Psychologie - vorangeht. Deren Forschungen beschäftigen sich jeweils nur mit bestimmten Teilgebieten oder Aspekten der Wirklichkeit bzw. des Seienden, nicht aber mit den eigentlichen zugrundeliegenden Voraussetzungen dieser Wirklichkeit bzw. des Seienden. Weil in ihr die Grundgesetze der theoretisch thematisierten Wirklichkeit untersucht werden nennt Aristoteles die Metaphysik auch Philosophia prima („Erste Philosophie“), die der Secunda philosophia („Zweite Philosophie“), nämlich der Untersuchung der Natur („Physik“) vorausgeht.
Die aristotelische Metaphysik ist Wissenschaft vom Wesen des Seienden wie den ersten Gründen des Seins. Sie bemüht sich um begriffliche Bestimmung dessen, was ist, d.h. sie reflektiert die begrifflichen Strukturen der Wissensbildung - auch in Hinblick auf die Erfahrungswissenschaften. Aristoteles unternimmt den Versuch, mit Hilfe allgemeingültiger logischer Prinzipien wie dem Satz vom verbotenden Widerspruch oder tertium non datur die Philosophie auf sicherem Boden zu begründen.
Die Klärung der ontologischen Grundlagen ist zugleich die Suche nach der Einheit und All-Einheit des Seienden als Grund aller Wirklichkeit. Als alleinige Ursache allen Seins ist für Aristoteles niemand anderes als Gott anzusehen. Die Metaphysik geht also zwangsläufig zusammen mit der natürlichen Theologie. Zusammen mit einigen Platonischen Dialogen, deren idealistische Ansätze Aristoteles verwandelnd aufnimmt, blieb die „Metaphysik" des Aristoteles bis heute das Grundbuch der Metaphysik, das die metaphysische Fachterminologie (s.o.) geformt hat (siehe auch Aristotelismus).
Mittelalter
Im Mittelalter wird die Metaphysik als die „Königin der Wissenschaften" (Thomas von Aquin) betrachtet. Sie steht vor der Aufgabe, die antike Überlieferung mit den Vorgaben der christlichen Lehre zu vereinen. Vorbereitet durch den spätantiken Neuplatonismus versucht sie, das „wahre Sein“ und Gott spekulativ, d.h. mit Hilfe der reinen Vernunft zu erkennen.
Zentrale Themen der mittelalterlichen Metaphysik sind die Unterschiede zwischen dem göttlichen und dem weltlichen Sein (Analogia entis), die Lehre von den Transzendentalien und die Gottesbeweise. Gott ist der unzweifelhafte, absoluter Grund der Welt. Er hat diese aus dem Nichts geschöpft (creatio ex nihilo) und in ihrer Ordnung „nach Maß und Zahl“ (Weisheit 11,20) gefügt. Beeinflusst von der antiken platonischen Philosophie manifestiert sich Metaphysik als Dualismus von „Diesseits“ und „Jenseits“, von „blosser sinnlicher Wahrnehmung“ und „reinem Denken als vernünftigem Erkennen“, von innerweltlicher „Immanenz“ und außerweltlicher „Transzendenz“.
Ein Grundproblem der mittelalterlichen - wie der gesamten Metaphysik - ist es, wie ist es der menschlichen Rationalität überhaupt möglich sein kann, dass sie an den ewigen und absoluten göttlichen Wahrheiten Anteil hat.
Beginn der Neuzeit
Mit Beginn der Neuzeit, die den Beginn des Niedergangs der traditionellen ontologisch-theologischen Metaphysik markiert, wird der Mensch selbst zum alleinigen Maßstab der Philosophie (Subjektivismus): René Descartes verfolgt als erster den methodischen Ansatz, die Metaphysik in das Subjekt „hineinzuholen“ und sie auf reiner, von empirischer Erfahrung freier, subjektiver Gewissheit zu gründen. Er nahm an, daß der Mensch angeborene Ideen (ideae innatae) von Phänomenen wie „Gott“ oder der „Seele“ besitze, die von höchster, unhinterfragbarer Klarheit und Gewissheit sind. Der Empirismus (John Locke, David Hume) hingegen bestritt hingegen die Existenz solcher angeborener Ideen als Grundlage der Wirklichkeitserkenntnis und stand damit naturgemäss der Metaphysik eher skeptisch gegenüber.
Das erste Buch, was sich eigens mit der Metaphysik beschäftigte, waren die Disputationes metaphysicae (1597) des Franciscus Suárez gewesen. Hieran schloss die scholastische Schulmetaphysik an, die durch die Verbindung mit der Lehre Descartes von Christian Wolff zu einer abschliessenden Synthese gebracht wurde, die Kant als „die klassische Form der Metaphysik“ empfand.
Gleichzeitig wird sie den Zeitgenossen aber auch immer fragwürdiger: Metaphysik wird als „dunkel“, „dogmatisch“ und „nutzlos“ empfunden; Johann Georg Walch diffamiert sie gar als „philosophisches Lexikon dunkler Kunstwörter, das nicht den geringsten Nutzen schafft".
Immanuel Kants Kritizismus

Kants Transzendentalphilosophie bedeutet dann auch für die Metaphysik die „kopernikanische Wende". Kants Einstellung gegenüber der Metaphysik ist dabei paradigmatisch. Sie ist nurmehr eine „Worthülse“, er kritisiert sie als „Träume eines Geistersehers", andererseits fühlt er sich dennoch ihrem universalen Anspruch verpflichtet. Er will eine Metaphysik begründen, „die als Wissenschaft wird auftreten können“. Zu diesem Unterfangen muss er untersuchen, ob und wie Metaphysik überhaupt möglich ist. Auch für Kant sind die letzte Fragen und allgemeinen Strukturen der Wirklichkeit mit der Frage nach dem Subjekt verknüpft,
Das bedeutet für Kant, die Fundamente und Strukturen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit genau zu prüfen, denn nur über das, was im Bereich der Möglichkeiten unseres Erkenntnisvermögens liegt, kann überhaupt vom Menschen geurteilt werden. Alles läuft also auf eine detaillierte Analyse der menschlichen Erkenntisfähigkeiten hinaus, nämlich einer kritischen Prüfung der reinen, d.h. anschauungslosen Vernunft (Kritik der reinen Vernunft, 1781/87). Entscheidend ist dabei die epistemologische Vorgabe Kants, dass uns die Wirklichkeit nicht so erscheint, wie sie eigentlich („an sich“) ist, sondern nur auf die Weise, wie sie uns aufgrund der besonderen Struktur unseres Erkenntnisvermögens erscheint.
Da wissenschaftliche Erkenntnis stets auf Erfahrung angewiesen ist, kann der Mensch keine Urteile über Dinge fällen, die anschaulich nicht gegeben sind (wie „Gott“, „Seele“, „Weltganzes“). Die traditionelle Metaphysik ist daher unmöglich, weil der Mensch nicht über die Fähigkeit der geistigen Anschauung verfügt, die allein ein Nachprüfen der metaphysischen Hypothesen erlauben würde. Da das Denken keine diesbezügliche Wirklichkeitserkenntnis zu liefern vermag, bleibt es in dieser Frage rein spekulativ-konstruktiv. Kants Auffassung nach ist es folglich prinzipiell nicht möglich, zu einer rationalen Entscheidung der zentralen Fragen zu kommen, ob es einen Gott, eine Freiheit des Willens, eine unsterbliche Seele gebe. Sein Fazit lautet:
- „Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann; denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann; denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.“ (Quelle: [1])
Kant versucht, die Metaphysik neu als eine Theorie der Postulate zu begründen, das heißt als eine Theorie der theoretischen Überzeugungen über das letzte Sein, die der sich als sittlich verstehende Mensch notwendig als wahr voraussetzen muß.
Nachkantische Metaphysik
Die Möglichkeit einer Metaphysik nach Immunel Kant bleibt umstritten. Ironischerweise stellt der deutsche Idealismus mit (Fichte, Schelling, Hegel) den - vorerst letzten - Höhepunkt der metaphysischen Systeme dar, obgleich sie sich alle als direkte Nachfolger oder Vollender der Kantischen Philosophie sehen. Die spekulative Philosophie erlebt ihren letzten Gipfelpunkt in den grossen, umfassenden idealistischen Lehrgebäuden. Ab der Mitte 19. Jahrhunderts tritt dann eine starke Ernüchterung ein. Das Wort vom „Zusammenbruch der metaphysischen Systeme“ macht die Runde.

Die Erfolge der Naturwissenschaften führen dazu, dass sich der Positivismus durchsetzt. Als Aufgabe des menschlichen Geistes wird nun die Beherrschung und Berechnung der Wirklichkeit gesehen, nicht mehr die Frage nach ihrem Sinn. Die Naturwissenschaften insgesamt übernehmen nun vorläufig die Rolle der Grundlagenwissenschaften. Diese sehen in der Metaphysik nur die falschen Fragen gestellt oder reine Scheinprobleme behandelt und fordern die Abdankung einer Disziplin, die in ihrem „vorwissenschaftlichen Fragen“ (Auguste Comte) nach dem Wesen und Sinn der Dinge nur die Wirklichkeit "verfälscht". Die Umgestaltung der Philosophie zu einer reinen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie unter Aufgabe ihres metaphysischen Charakters hat dann in der Folge zu der absehbaren Instrumentalisierung der ehemaligen Universalwissenschaft durch die Einzelwissenschaften geführt. Die Metaphysik sollte nun nur noch „Weltanschauungen“ entwerfen, die ein „allgemeines Bedürfnis“ nach Sinn und Orientierung befriedigen soll.
Metaphysik im 20. Jahrhundert
Im 20. Jahrhundert sah sich die Metaphysik insbesondere aus dem Lager der sprachanalytischen Philosophie, des Logischen Empirismus sowie der Wissenschaftstheorie der Kritik ausgesetzt. Dabei hat man der Metaphysik immer wieder vorgeworfen, daß sie ihre (sprachlichen) Grundlagen nicht reflektiert und als Theorien ausgibt, was nur „Gefühle“ seien. „Metaphysiker sind Musiker ohne musikalische Fähigkeit" sagt Rudolf Carnap.
Andererseits gab es aber im 20. Jahrhundert auch neue Zugangsversuche zur klassischen Metaphysik. Die Phänomenologie Husserls war am Begründungsideal der Ersten Philosophie orientiert. Bei Martin Heidegger kam es ebenso zu einer Aufwertung der Ontologie, als er eine völlig verwandelte Seinstheorie vorlegte. Seine Fundamentalontologie, die sich der existenzialen Analytik des menschlichen Daseins verschrieben hatte, stellte einen für die Moderne radikal neuen Ansatz dar. Nicolai Hartmann („kategorialanalytische Schichtontologie“) und Alfred North Whitehead haben ebenfalls beachtliche Neuentwürfe gewagt.
Metaphysikkritik
Wegen ihrer vermeintlich unklaren Zielstellung, komplizierten Begriffsbildungen und Mangel an intersubjektiv überprüfbarem Erfahrungsbezug wurde die Metaphysik oft kritisiert. Die Kritik beruht jedoch häufig auf den Grundlagen des Empirismus. Dessen Grundsatz „Nur die Erfahrungserkenntnis ist wahr“ kann selbst jedoch nicht durch die Erfahrung gewonnen werden, was zu einer gewissen Selbstwidersprüchlichkeit führt.
Die Argumentationsformen der Metaphysik unterscheiden sich i.a. deutlich von denen der Naturwissenschaften. Als der naturwissenschaftlich sicherste Beweis wird das reproduzierbare Experiment angesehen, bei dem die Abhängigkeit einer messbaren Größe von einer variablen Größe unter Konstanthalten aller anderen Parameter untersucht wird. Solche Möglichkeiten bleiben natürlich verschlossen, wenn es um Fragen nach dem Ursprung der Welt oder des Seins geht. Hierauf beruht auch ein wesentlicher Punkt der Metaphysikkritik. Diese Kritik übersieht jedoch, dass jede Wissenschaft und damit auch die Naturwissenschaften metaphysische Prämissen hat. Was ein Experiment, Beweis etc. ist, kann selbst nicht experimentell begründet werden. Ein naiver „Anti-Metaphysiker“ ist also jemand, der sich seiner metaphysischen Vorentscheidungen nur nicht bewusst ist, der die philosophischen Grundlagen der Naturwissenschaften nicht ausreichend reflektiert hat.
- Dabei ist die Metaphysik nicht als Gegensatz zur Physik oder gar der Naturwissenschaft generell zu verstehen. Sie stellt naturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht unbedingt in Frage, sondern befasst sich vielmehr mit Fragestellungen, die sich einer naturwissenschaftlichen Bearbeitung grundsätzlich entziehen. Sie liefert die (wissenschaftstheoretische) Grundlage aller weiteren Philosophie sowie aller Einzelwissenschaften. Die Trennung von Metaphysik und Naturwissenschaften hat sich erst seit der Renaissance durchgesetzt. Frühere Philosophen waren oftmals Universalgelehrte: So finden sich unter den Schriften des Aristoteles sowohl Schriften metaphysischen Inhalts als auch Abhandlungen über Botanik und Zoologie. Für die Gelehrten der Antike war es nur konsequent, sich sowohl mit dem erfahrbaren Sein zu beschäftigen als auch Fragen nach dem letzten (bzw. ersten) Grund für dieses Sein zu stellen. Aus der Beschäftigung mit den konkreten Erscheinungen des Seins entstanden die die Naturwissenschaften, die sich mit den Verhältnissen der Dinge (des Seienden) befassen, die sie beschreiben und deren vielfältigen Zustände und Wechselwirkungen innerhalb der von uns erkennbaren Natur sie beschreiben.
Ein Hauptargument gegen die Metaphysik ist das Problem der Russellschen Antinomie. Diese beschreibt das Problem von Mengen, die sich selbst als Element enthalten. Betrachtet man Metaphysik nun als in gewisser Weise „absolut“, d.h. allen anderen „übergeordnete“ Wissenschaft, so ist es auf der anderen Seite auch wahr, dass Metaphysik zunächst eine Wissenschaft des Menschen ist, der selbst eben nicht absolut ist. Metaphysik ist in gewisser Hinsicht „Teil“ der Welt, andererseits gehen ihre Erkenntnisse über diese Welt hinaus, was jedoch nicht notwendig ein Widerspruch sein muss. Zur Auflösung des scheinbaren Widerspruchs ist zu bedenken, dass philosophische Probleme im allgemeinen nicht mit mathematischen Methoden und Begriffen gelöst werden können. Außerdem ist die logische Ebene von der ontologischen Ebene zu trennen.
Jede Kritik an der Metaphysik muss gleichzeitig eine metaphysische Position beziehen, da der negierende Teil zugleich eine These über das Verhältnis zwischen Geist und sinnlicher Erfahrung aufstellen muss. Meta-Physik kann sich zur Meta-Moral (Kant) oder Meta-Wissenschaft umdeklarieren, bleibt aber eben darin formal doch stets dem Metaphysischen verhaftet. Das Zitat von Theodor W. Adorno "Dass keine Metaphysik möglich sei, wird zur letzten" beschreibt dabei einen dem Agnostizismus verwandten Standpunkt. Es zeigt jedoch treffend die Selbstwidersprüchlichkeit der radikalen Ablehnung der Möglichkeit einer jeglichen Metaphysik.
Einen äußersten Standpunkt vertritt auch Ludwig Wittgenstein, der die Metaphysik grundsätzlich zum Schweigen bringen will, wenn er erklärt:
- „Worüber man nicht sprechen kann, darüber soll man schweigen."
Umstritten ist, ob er damit nicht etwa an das um das Unsagbare wissende Schweigen der Mystik gemahnte.
Zentrale Werke der Metaphysik
- Platon: Phaidon, Symposion u. a.
- Aristoteles: Metaphysik (Aristoteles)
- Thomas von Aquin: De ente et essentia (dt. Über das Sein und das Wesen)
- René Descartes: Meditationen
- Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie
- Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft
- Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Wissenschaft der Logik
- Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung
- Alfred North Whitehead: Prozess und Realität
- Martin Heidegger: Sein und Zeit
Siehe auch
Literatur
- Emil Angehrn: Der Weg zur Metaphysik. Vorsokratik, Platon, Aristoteles. Nachdr. Velbrück Wiss., Weilerswist 2005, ISBN 3-934730-95-7
- Emerich Coreth: Grundriß der Metaphysik. Innsbruck u.a. 1994, ISBN 370221951X
- Alois Dempf: Metaphysik. Versuch einer problemgeschichtlichen Synthese. Würzburg u.a. 1986, ISBN 3-88479-702-6
- Jörg Disse: Kleine Geschichte der abendländischen Metaphysik. Von Platon bis Hegel. Primus (u.a.), Darmstadt 2001 u.ö., ISBN 3-89678-412-9
- Friedrich Kaulbach: Einführung in die Metaphysik. 5. Aufl. WBG, Darmstadt 1991, ISBN 3-534-04853-9
- Friedo Ricken (Hrsg.): Lexikon der Erkenntnistheorie und Metaphysik. Beck, München 1984, ISBN 3-406-09288-8
- Jürgen-Eckardt Pleines: Philosophie und Metaphysik. Teleologisches und spekulatives Denken in Geschichte und Gegenwart. Olms, Hildesheim u.a. 1998, ISBN 3-487-10485-7
- Walter Schweidler: Die Überwindung der Metaphysik. Zu einem Ende der neuzeitlichen Philosophie. Königshausen und Neumann (u.a.), Würzburg 1986, ISBN 3-608-91438-2