Jeanny
Jeanny ist ein Lied des österreichischen Sängers Falco, das einen der größten Skandale in der Geschichte der deutschsprachigen Popmusik auslöste.
Das Lied wurde 1985 veröffentlicht und erreichte Anfang 1986 Nummer Eins in Deutschland und blieb es für acht Wochen.
Der Text des Liedes handelt von der Beziehung des Sängers zu einem Mädchen namens Jeanny. Dieser Text kann sehr vieldeutig interpretiert werden. Er besteht aus vier Strophen, von denen eine auf englisch gesungen und wiederholt wird.
Song und Video-Clip können als eine kryptische Hommage an den Serienmörder und Schriftsteller Jack Unterweger (1950-1994) betrachtet werden. Falco war von dessen 1983 erschienener Autobiographie "Fegefeuer - Eine Reise ins Zuchthaus" offenbar tief beeindruckt und könnte von den plastischen Szenen des Buchs intensiv inspiriert worden sein. Der zum Schriftsteller mutierte Prostituiertenmörder war damals eine ´cause celebrě´ in Wiens Gesellschaftsszene und Falco begann, die Bestrebungen verschiedener intellektueller Zirkel für eine Freilassung des resozialisierten Mustergefangenen zu unterstützen. Die Rezeption von Jeanny (Part I) in Österreich war vor allem vor diesem Hintergrund vom übrigen deutschprachigen Raum verschieden. Daher hatte das Lied hier auch einen subtileren, gesellschaftskritischen aber eventuell auch zynischeren Subtext. Die weitere tragische Entwicklung Unterwegers, der nach seiner 1990 erfolgten Freilassung weitere elf Frauenmorde beging und nach seiner zweiten Verurteilung zu lebenslanger Haft ohne Bewährungsmöglichkeit 1994 Suizid beging, gibt Falcos Werk den Anschein einer fast surrealen prophetischen Qualität. Dieser Interpretationsansatz wurde allerdings ausserhalb Österreichs weitgehend ignoriert und lässt viele gängige Interpretationen von Jeanny (Part I + II) sehr verflacht erscheinen.
Kaum zur Nummer Eins in den Hitlisten geworden, kamen Vorwürfe auf, Jeanny verharmlose oder verherrliche eine Vergewaltigung, obwohl im Text nicht von Gewalt die Rede ist. Allerdings zeigt der Text stark die Sichtweise, die ein Vergewaltiger gegenüber seinem Opfer haben kann. Der Sänger interpretiert darin das Geschehen extrem aus seiner Sicht. Die irre Weise, in der der Text vorgetragen wird, lässt auch den Schluss zu, dass es sich um einen Stalker handelt, der sein Opfer der verschmähten Liebe wegen entführt und sie in seinem Wahn umbringt. Das wird dadurch bestärkt, das der dazugehörige Video-Clip so interpretiert werden konnte, als singe darin ein psychopathischer Serienmörder von seinem Opfer. Hier die umstrittenste Passage:
Dein Lippenstift ist verwischt
Du hast ihn gekauft und
Und ich habe es gesehen
Zuviel Rot auf deinen Lippen
Und du hast gesagt "mach mich nicht an"
Aber du warst durchschaut.
Augen sagen mehr als Worte
Du brauchst mich doch, hmmmh?
Alle wissen, dass wir zusammen sind
Ab heute
Jetzt hör' ich sie!
Sie kommen!
Sie kommen Dich zu holen.
Sie werden Dich nicht finden.
Niemand wird dich finden!!
Der englische Textteil gibt eine ähnlich subjektive Sichtweise der Beziehung zu Jeanny wieder, jedoch in appellativer Weise und in einem anderen Stil gesungen:
Jeanny, life is not what it seems
Such a lonely little girl in a cold, cold world
There's someone who needs you
Jeanny, quit livin' on dreams
Jeanny, life is not what it seems
You're lost in the night
Don't wanna struggle and fight
Der Teil Newsflash des Liedes, gesprochen von dem damals sehr populären Tagesschau-Nachrichtenssprecher Wilhelm Wieben, berichtet von einem "dramatischen Anstieg der vermissten Personen" und "einem weiteren tragischen Fall" einer seit 14 Tagen verschwundenen 19-Jährigen, bei der die Polizei die Möglichkeit eines Verbrechens nicht ausschließen könne. Der Newsflash erweckt den Eindruck es könne sich um einen Serienmörder handeln.
Der dazugehörige Video-Clip verstärkt den Eindruck, beim Sänger handle es sich um einen psychotischen Mörder; Falco wird am Ende in Zwangsjacke innerhalb einer Gummizelle gezeigt, wo er von einem aufreizend gekleideten Mädchen geneckt wird. Obwohl keinerlei Verfremdungseffekte benutzt werden, kann der Eindruck entstehen, bei dem Mädchen handle es sich um die Halluzinationen des geisteskranken Mörders. Das Video spielt zudem auf den Film M – Eine Stadt sucht einen Mörder von Fritz Lang an, in dem Peter Lorre einen Serienkindermörder spielt. Der Mörder wird in dem Film von einem blinden Ballonverkäufer identifiziert und mit einem "M" aus Kreide auf dem Rücken markiert. Falco trägt ein aufgemaltes "F" auf dem Rücken, auch der blinde Ballonverkäufer wird gezeigt.
Verschiedene Fraueninitiativen riefen zum Boykott des Liedes auf. Der Norddeutsche Rundfunk, der Sender Freies Berlin und der Bayerische Rundfunk schlossen sich "aus ethischen Gründen" dem Boykott an und spielten das Lied gar nicht mehr, andere Sender sendeten das Lied nur noch in Hitparaden.
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Bonn lehnte einen Antrag, das Lied als jugendgefährdend zu indizieren, am 17. April 1986 ab.
Coming home (Jeanny Part II)
1986 veröffentlichte Falco die Single "Coming home (Jeanny Part II)", in der die mögliche Sichtweise stark relativiert wird.
Coverversionen und Trivia
1986 erschien von Mike Krüger unter dem Titel Willi go eine Parodie auf Jeanny (Part 2). Im selben Jahr coverte Frank Zander diesen Titel.
1998 veröffentlichte die Punkband Die Strafe eine Coverversion des Liedes auf einer Vinyl-Single. Im Jahr 2001 wurde der Titel erneut von der Gruppe Reamonn zusammen mit Xavier Naidoo gecovert. 2005 erschien von Fettes Brot der Titel An Tagen wie diesen, dem die Melodie von Jeanny zugrunde liegt.
Posthum wurde noch ein weiterer Jeanny-Titel, "Where Are You Now? (Jeanny Part III), veröffentlicht. Diese wurde jedoch nie kommerziell auf einem Tonträger veröffentlicht sondern ausschließlich kostenlos zum Download angeboten. Um dieses Lied ranken sich viele Theorien: Einige gehen von einer Aufnahme aus dem Jahre 1986/87 beziehungsweise 1989 aus, die Falco jedoch selbst aufgrund mangelhafter Qualität ablehnte. Wiederum andere sind der Auffassung der Song sei aus der englischen Jeanny-(Part-I)-Version zusammen mit einem neuen, nicht von Falco eingesungenen Teil, zusammengebastelt worden.
Der angebliche Abschluss der Jeanny-Trilogie beinhaltet, ebenso wie das Original "Jeanny", einen Newsflash. Dieser trägt die Information, dass Jeanny noch am Leben sei.