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Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate

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IN KURZFORM:

Mehrwert kann nur aus menschlicher Arbeit gezogen werden. Der Wert der angewandten Maschinerie wird nur via Abschreibungen in den Produktionswert ÜBERTRAGEN. Maschinen schaffen (rein BETRIEBSWIRTSCHAFTLICH bzw. in der KOSTENRECHNUNG betrachtet!!) keine NEUEN Werte. Das macht ausschließlich menschliche Arbeit (natürlich unter Anwendung von guter Maschinerie um so mehr). WENN dann aber aufgrund des technischen Fortschritts (Automatisierung etc.) immer mehr allein Mehrwert schaffende Arbeit durch immer mehr Maschinerie (Kapital) ersetzt wird, wird damit auch der allein ausbeutbare, also allein PROFITE schaffende Teil RELATIV immer kleiner. Also sinkt langfristig die ProfitRATE als Verhältnis (Relation) der Profite zum eingesetzten, überproportional schnell wachsenden Kapital (Maschinerie etc.). Die Profite können ABSOLUT natürlich weiter steigen - und sie können, gerade WEIL immer bessere Maschinerie angewandt wird, auch AUF KOSTEN der KONKURRENZ steigen (die im Konkurrenzkampf zurückbleibt). Das wäre dann aber eben ein Steigen der Profitrate des EINEN Kapitalisten auf Kosten der vielen anderen (so genannte Surplus-Profite) - was an der ALLGEMEINEN Tendenz nichts ändert.

ALLGEMEIN:

Unter dem Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate versteht man, dass in der kapitalistischen Wirtschaft „gesetzesmäßig“, also aufgrund von Eigenschaften der kapitalistischen Wirtschaft selbst, eine Tendenz besteht, dass die Profitrate im gesamtwirtschaflichen Durchschnitt immer niedriger wird. Nach Marx’ Meinung ist die kapitalistische Wirtschaft durch innere Widersprüche geprägt, die sich eben auch in diesem Gesetz äußern, wonach, obwohl der einzelne Kapitalist um eine möglichst große Profitrate bemüht ist, gerade dadurch, durch das Zusammenwirken aller Kapitalisten, im Ergebnis tendenziell die Profitrate im Durchschnitt sinkt. Daher auch die Krisen im Kapitalismus.

„Tendenz“ kann dabei heißen, dass die gesamtwirtschaftliche Profitrate tatsächlich mit einigem Auf und Ab immer niedriger wird, Tendenz kann aber auch heißen, dass die Profitrate stabil bleibt, es aber dafür anderweitig zu bestimmten Auswirkungen kommt. Der US-Marxist Duncan Foley prägt das Bild vom Auto mit Rechtsdrall. Bemüht sich der Fahrer gegenzusteuern, fährt das Auto von außen gesehen gerade aus, aber der Fahrer ermüdet rascher, hat ein verkrampftes Genick usw. So kann äußerlich betrachtet die Profitrate stabil erscheinen, aber die Anzahl der Unternehmen nimmt laufend ab, die Arbeitslosigkeit steigt usw.

Von diesem Gesetz zu unterscheiden sind Vorstellungen, dass aufgrund äußerer Umstände die Profitrate tendenziell sinkt, etwa weil Bodenschätze immer knapper werden oder weil die Kapitalproduktivität „natürlicherweise“ abnimmt. Nach Marx ist es die Logik des Kapitals selbst, die zu dem Gesetz führt und das sich nicht trotz, sondern wegen des technischen Fortschritts ergibt.

Nach der "Politischen Ökonomie" von Karl Marx kann von den Faktoren des Produktionsprozesses nur die Arbeitskraft der Lohn-Arbeiter als so genanntes "variables Kapital" Mehrwert schaffen und damit den Sinn kapitalistischer Warenproduktion erfüllen (vgl. Arbeitswertlehre). Die von anderen Kapitalisten zugekauften Faktoren, die materiellen Faktoren (Sklaven als unfreie Arbeit und voll Eigentum der Kapitalisten gehören hier allerdings auch dazu), sog. "konstantes Kapital", übertragen bloß ihren Wert auf das Produkt (ebenfalls mit Hilfe menschlicher Lohnarbeit, der sog. Gratissdienst).

Durch die technische Entwicklung werden nun aber diese gegenständlichen Faktoren immer aufwändiger und verdrängen die Mehrwert schaffende "lebendige Arbeit", genauer Lohnarbeit, aus dem Produktionsprozess. Das heißt: Modernisierung um der weiteren Erzielung von Mehrwert willen trocknet tendenziell dessen Quelle aus.

Diese Beobachtung ist die einzige Bemerkung von Marx, aus der sich ein zwangsläufiger Untergang des Kapitalismus ableiten lässt; er wird mit der Realisierung seines Sinns und Zwecks (Entwicklung der Produktivkräfte) sinnlos und unmöglich. Zwar hielt es Marx für die historische Mission des Kapitals, die Produktivkräfte zu entwickeln, doch im fortgeschrittenen Stadium wird die Entwicklung des Kapitals durch Krisen geprägt.

Im Unterschied zu einer "Zusammenbruchstheorie" setzte der marxistische Leninismus auf revolutionäre Ergebnisse der "wachsenden Verelendung der Massen".

Zur Logik des Gesetzes

Zwei Begriffe:

  • Technische Zusammensetzung des Kapitals (TZK): Anzahl (oder Masse) der Produktionsmittel je Arbeiter.

Bei unveränderter Produktionstechnik bleibt die TZK und die Arbeitsproduktivität unverändert. Profit wird dazu verwendet, um nach Maßgabe der technisch gegebenen TZK mehr Arbeiter und mehr Produktionsmittel einzusetzen.

Ein Arbeiter - eine Schaufel
Datei:Schauffelradbagger.jpg
…ein Arbeiter - ein Schaufelradbagger - so steigt die TZK

Marx nimmt an, dass technischer Fortschritt damit einhergeht, dass die Profite dazu genutzt werden, um die TZK zu erhöhen. Dies geht dann aber zu Lasten der Anzahl der beschäftigten Arbeiter. Für den Kapitalisten rentiert sich die Erhöhung der TZK nur, wenn er so eine höhere Produktion erzielen kann als bei Beibehaltung der alten Produktionstechnik. Das heißt, die Erhöhung der TZK um einen bestimmten Prozentsatz muss zu einer Erhöhung der Arbeitsproduktivität um einen noch höheren Prozentsatz führen. Marx nimmt an, dass dies tendenziell dauerhaft der Fall ist. In dem Maße wie alle die TZK erhöhen wächst die Gesamtbeschäftigung langsamer, kann stagnieren oder gar schrumpfen.

Dann gerät aber die Individualrationalität der einzelnen Kapitalisten in Widerspruch mit der Kollektivrationalität des Gesamtsystems (Rationalitätenfalle). Einerseits werden Produktionstechniken mit höherer TZK und höherer Profitrate eingeführt, andererseits kommt es so zur Entwertung bestehender älterer Produktionsanlagen mit niedrigerer Arbeitsproduktivität und niedrigerer Profitrate (moralischer Verschleiß). Zieht man diesen moralischen Verschleiß von den Profiten ab, sinkt die Profitrate (nach Abzug des moralischen Verschleißes) im Durchschnitt.

Gilt diese Annahme, dann wird ein immer größerer Teil der Profite von vorneherein benötigt, um die TZK zu erhöhen, andernfalls würde der Kapitalist seine Konkurrenzfähigkeit verlieren. Dieser Teil der Profite stellt von vorneherein Kosten dar, um weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben. Man könnte dies als eine Art von moralischem Verschleiß, der sich nicht auf die Entwertung älterer Investitionen bezieht (moralischer Verschleiß ex post), sondern auf die laufenden Profite, als moralischen Verschleiß im vorhinein, moralischen Verschleiß ex ante bezeichnen.

Entscheidend ist vielleicht weniger die so sinkende Profitrate, als vielmehr die Tatsache, dass rationales Verhalten der einzelnen Kapitalisten dazu führt, dass im Zuge von „Rationalisierungsinvestitionen“ tendenziell zu wenig Arbeitsplätze geschaffen werden, die Beschäftigung sogar schrumpfen kann. Dies führt in Ergänzung zur Reservearmee zu einer wachsenden „Lazarusschicht“.

Man kann dieses Szenario anhand einer Funktion des technischen Fortschritts darstellen. Eine Erhöhung der TZK führt zu einer überproportionalen Erhöhung der Arbeitsproduktivität, wie in der Abbildung dargestellt, wobei hier unterstellt ist, dass dies erst ab Zuwachsraten der TZK von über 1 % gilt. Ist dies gegeben, rentiert sich für die Kapitalisten eine möglichst hohe Erhöhung der TZK, sie werden ihre ganzen Profite in die Erhöhung der TZK investieren, nicht in die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze.

Nicholas Kaldor dagegen nimmt an, dass sich die Funktion des technischen Fortschritts "wohl verhält", bei ihm führen Zuwachsraten der TZK über einen bestimmten Wert hinaus nur noch zu unterproportionalen Erhöhungen der Arbeitsproduktivität, so dass sich die Erhöhung der TZK für die Kapitalisten nur bis zu einer bestimmten Rate rentiert. Was darüber hinaus an Profiten verfügbar ist, kann dann zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze verwendet werden.

Eine Widerlegung des Gesetzes

Der japanische Wirtschaftswissenschaftler Nobuo Okishio hat auf Grundlage der neoricardianischen Schule bzw. auf dem von Piero Sraffa entwickelten Modell den Nachweis zu führen versucht, dass unter den von Karl Marx gemachten Annahmen

  • der Arbeitseinsatz wird vermindert
  • die TZK wird gesteigert
  • der Reallohn der Arbeiter bleibt konstant in dem Sinne, dass der Lohn so bemessen wird, dass sich die Arbeiter je geleisteter Arbeitseinheit immer nur einen bestimmten Warenkorb an Konsumgütern leisten können
  • die neue Technik wird von einem Unternehmer nur eingeführt, wenn sie für ihn (wenigstens zunächst) zu einer höheren Profitrate führt

nicht nur vorübergehend für den Pionierunternehmer, der als erster die neue Produktionstechnik einführt, ein Anstieg der Profitrate ergibt, sondern dass auch dauerhaft, wenn sich die neue Produktionstechnik in der jeweiligen Branche verallgemeinert hat, die Allgemeine Profitrate erhöht hat. Dieses Okishio-Theorem widerspricht also dem Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate.

Literatur

Marxistische Beiträge, die das Gesetz befürworten:

  • Heinz-J. Bontrup: Arbeit, Kapital und Staat. - Plädoyer für eine demokratische Wirtschaft. PapyRossa-Verlag Köln. Zweite Auflage 2005. ISBN 3-89438-326-7
  • Alan Freeman (1996): Price, value and profit - a continuous, general, treatment in: Freeman, Alan und Carchedi, Guglielmo (Hrsg.) "Marx and non-equilibrium economics". Edward Elgar, Cheltenham, UK, Brookfield, US
  • Henryk Grossmann: Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems. Leipzig 1929 (neu herausgegeben: Archiv sozialistischer Literatur 8, Verlag Neue Kritik Frankfurt 1970)

Marxistische Beiträge, die das Gesetz (eher) ablehnen:

  • Duncan K. Foley: Understanding Capital: Marx's Economic Theory. Harvard University Press 1986. ISDN 0674920880
  • Michael Heinrich: Die Wissenschaft vom Wert. Westfälisches Dampfboot, 2003. ISBN 3-89691-454-5
  • Nobuo Okishio, Technische Veränderungen und Profitrate (1961, dt. in: H.G. Nutzinger/ E. Wolfstetter [Hrsg.] Die Marxsche Theorie und ihre Kritik, 2 Bde., Ffm., 1974).

  • Sraffa, Piero: Warenproduktion mittels Waren. Nachworte von Bertram Schefold (1976 [Erstveröffentlichung 1960]), Suhrkamp-Verlag Frankfurt/Main