Riemannsche Mannigfaltigkeit
Eine riemannsche Mannigfaltigkeit oder ein riemannscher Raum (nach Bernhard Riemann) ist die mathematische Beschreibung einer gekrümmten Fläche, auf der anders als in der Ebene z.B. die kürzesten Strecken zwischen Punkten nicht Geradenstücke, sondern gekrümmte Kurven sind, und die Winkelsumme von Dreiecken nicht unbedingt 180° ist. Der etwas allgemeinere Begriff der pseudoriemannschen Mannigfaltigkeit ist in der Relativitätstheorie von entscheidender Bedeutung.
Mathematische Definition
Eine riemannsche Mannigfaltigkeit ist eine differenzierbare n-dimensionale Mannigfaltigkeit M mit einer Funktion g, die in jedem Punkt ein Skalarprodukt des Tangentialraums definiert, d.h. eine positiv definite symmetrische Bilinearform
- ,
die differenzierbar von p abhängt, d.h. bei gegebenen differenzierbaren Vektorfeldern ist
eine differenzierbare Funktion.
g heißt riemannsche Metrik, ist aber keine Metrik im Sinne der metrischen Räume. Man kann aber mit Hilfe von g eine Metrik im Sinne der metrischen Räume wie folgt definieren:
dabei durchläuft alle differenzierbaren Wege, die und verbinden, und bezeichnet die Länge von , die wie folgt definiert ist:
Die so definierte Metrik d induziert wieder die ursprüngliche Topologie von M. Weil man zeigen kann, dass jede differenzierbare n-dimensionale Mannigfaltikeit riemannsche Metriken besitzt, bedeutet dies, dass jede differenzierbare n-dimensionale Mannigfaltikeit metrisierbar ist.
Ein Weg, der lokal (d.h. für ausreichend nahe beieinander liegende Punkte) die kürzeste Verbindung realisiert, heißt Geodäte.
Beispiel
Wir möchten eine Halbkugel als Riemannsche Mannigfaltigkeit auffassen: Die Funktion hat als Bild die obere Halbkugel Die partiellen Ableitungen von
und sind für alle linear unabhängig. Das bedeutet, dass das Differential von vollen Rang hat, daher ist eine Riemannsche Mannigfaltigkeit und hat die Riemannsche Metrik
,
wobei Vektoren tangential am Punkt und das Standardskalarprodukt auf ist.
Anschauung
Der Begriff der riemannschen Mannigfaltigkeit fasst die anschauliche Vorstellung einer gekrümmten Fläche. (Allerdings nur insoweit, als diese Krümmung nur mit Hilfe von Entfernungsmessungen entlang der Fläche und ohne Rückgriff auf den umgebenden Raum festzustellen ist.) Geht man beispielsweise vom Nordpol der Erde in irgendeine Richtung 10000 km weit, so erreicht man den Äquator, man kann ihn also als "Kreis" um den Nordpol mit "Radius" 10000 km auffassen. Er hat aber nicht die erwartete Länge
sondern nur 40000 km. Das zeigt, dass die Erde nicht flach ist.
Die mathematische Entfernungsmessung funktioniert nach dem physikalischen Prinzip der Momentangeschwindigkeit, d.h. die Länge eines Weges ergibt sich aus dem Mittelwert der Geschwindigkeiten, mit denen der Weg beschritten wird, multipliziert mit der Zeit. Die mathematische Präzisierung der Momentangeschwindigkeit (als Vektor) ist der Tangentialvektor, und eine riemannsche Mannigfaltigkeit ist mathematisch nichts anderes als eine differenzierbare Mannigfaltigkeit, auf der es eine kohärente Längenmessung für Tangentialvektoren gibt.
Historie
Der Begriff, im wesentlichen schon in seiner modernen Form (von parakompakten Räumen war damals noch nicht die Rede, statt mit Kurven und Tangentialvektoren wurde mit infinitesimalen Linienelementen operiert), wurde von Bernhard Riemann in seinem Habilitationsvortrag Über die Hypothesen welche der Geometrie zu Grunde liegen am 10. Juni 1854 an der Universität Göttingen eingeführt. Gauß' Theorie der gekrümmten Flächen war eine extrinsische Beschreibung, d.h. mithilfe des umgebenden Raumes, Riemanns intrinsischer Ansatz ist dagegen ganz im Geiste der modernen Mathematik. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts waren so genannte nichteuklidischer Geometrien diskutiert worden. Die riemannsche Geometrie ordnet sie in einen allgemeinen Rahmen ein, die dort betrachteten "Geraden" sind Geodäten für gewisse natürliche riemannsche Metriken. Der Begriff der riemannschen Mannigfaltigkeit bildete später auch die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie.
Die Möglichkeit, den uns umgebenden physikalischen Raum mit verschiedenen Maßbegriffen ausstatten zu können, führte im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jh. zur Unterscheidung des physikalisch Wahren vom mathematisch Wahren und damit zur Etablierung der Mathematik als eigenständiger Wissenschaft.
Weblinks
- Bernhard Riemann: Ueber die Hypothesen, welche der Geometrie zu Grunde liegen, Inauguralvorlesung, Thema von Carl Friedrich Gauß vorgeschlagen