Chromosom
Ein Chromosom ist ein langer, kontinuierlicher Desoxyribonukleinsäure-Strang (DNA), der im Zellkern einer eukaryontischen Zelle liegt und viele Gene enthält. Chromosomen wurden 1842 von Karl von Naegli entdeckt. 1910 zeigte Thomas Hunt Morgan, dass die Chromosomen die Träger der Gene sind.
Während der Mitose (Kernteilung) ziehen sich die Chromosomen zu so genannten Metaphasechromosomen (Zwei-Chromatiden-Chromosomen) zusammen. Nur in diesem Zustand sind sie unter einem Mikroskop sichtbar. In Eukaryonten existieren die Chromosomen im "entspannten" Zustand als geordnete Knäuel im Zellkern, wo sie um Histone (strukturelle Proteine, siehe Abbildung 1) gewickelt sind; in diesem Zustand werden sie auch als Chromatin bezeichnet. Prokaryonten besitzen keine Histone und keinen Zellkern; ihr (einzelnes) "Bakterienchromosom" ist daher vergleichsweise ungeordnet. Im entspannten Zustand ist die DNA zur Transkription, Regulation und Duplikation (Replikation) fähig.
Chromosomen in Eukaryoten
Abbildung 1 : Verschiedene Phasen der Chromosomenkondensation.
- Einzelsträngige DNA
- Chromatinstrang (DNA mit Histonen)
- Kondensiertes Chromatin während der Interphase mit Centromer
- Kondensiertes Chromatin während der Prophase
- Metaphasechromosom
Es werden zwei Typen von Chromatin unterschieden:
- Euchromatin, dessen DNA aktiv ist, d.h., in Protein exprimiert werden kann
- Heterochromatin, das hauptsächlich aus inaktiver DNA besteht. Es scheint strukturelle Funktionen in den verschiedenen Kondensationsstufen auszuüben. Heterochromatin kann in zwei Untertypen unterteilt werden:
- Konstitutives Heterochromatin, das nie exprimiert wird. Es findet sich im Bereich des Centromers und besteht gewöhnlich aus repititiven DNA-Sequenzen.
- Fakultatives Heterochromatin, das manchmal exprimiert wird.
In den frühen Stadien der Mitose kondensieren die Chromatinfäden zunehmend. Sie werden so von einer zugänglichen Quelle genetischer Information zu einer nicht mehr lesbaren, kompakten Transportform. Im Verlauf dieses Prozesses bilden die beiden zusammengehörigen Chromatiden (kondensierte Chromatinfäden) über das verbindende Centromer ein Zwei-Chromatiden-Chromosom. Ein Spindelapparat sorgt für die Trennung der Chromatiden jedes Metaphasechromosoms und ihren Transport zu entgegengesetzten Zellpolen. Dazu werden lange Mikrotubuli sowohl an den Kinetochoren des Centromers als auch an gegenüberliegenden Enden der Zelle befestigt. Während der Mitose ziehen die Mikrotubuli die beiden Chromatiden auseinander, so dass jede Tochterzelle eine Chromatide (= je ein Ein-Chromatid-Chromosom) erhält. Sobald sich die Zelle geteilt hat, werden die Tochterchromatiden zu Chromatinfäden dekondensiert, die dann wieder als Träger der genetischen Information zugänglich sind und sich später wieder zu Zwei-Chromatiden-Chromosomen verdoppeln.
Trotz ihres wirren Aussehens sind Chromosomen hochgradig strukturiert (Abbildung 2). So liegen Gene mit ähnlicher Funktion im Chromosom häufig nebeneinander, aber nicht im linearen Chromatinfaden. Der kurze Arm eines Chromosoms kann durch ein Satellitenchromosom verlängert sein, das für ribosomale RNA kodiert.
Abbildung 2 : Chromosom.
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Chromosomenzahl |
Spezies |
Chromosomenzahl | ||
Fruchtfliege | 8 | Mensch | 46 | |
Roggen | 14 | Affe | 48 | |
Meerschweinchen | 16 | Schaf | 54 | |
Taube | 16 | Pferd | 66 | |
Schnecke | 24 | Huhn | 78 | |
Wurm | 32 | Karpfen | 104 | |
Schwein | 40 | Schmetterling | ~380 | |
Weizen | 42 | Farn | ~1200 |
Tabelle 1: Beispiele für (diploide) Chromosomenzahl
Innerhalb einer Spezies ist die Chromosomenzahl stets gleich (Tabelle 1). Asexuell reproduzierende Spezies haben einen Chromosomensatz, der in allen Körperzellen gleich ist. Sexuell reproduzierende Spezies haben somatische Zellen (normale Körperzellen) mit einem diploiden (doppelten) Chromosomensatz [2n], mit je einem Chromosom von Mutter und Vater (bei manchen Spezies auch polyploid, [Xn]), sowie Keimbahnzellen (reproduktive Zellen), die haploid sind (nur eine Chromosomen-Kopie beinhalten). Wenn männliche und weibliche (haploide) Keimbahnzellen verschmelzen (Befruchtung), durchläuft die (nun wieder diploide) Zelle die Meiose (Reifung der Eizelle). Dabei können die passenden Chromosomenpaare von Mutter und Vater Teile austauschen (crossover). Dadurch entstehen neue Chromosomen, wie sie weder Vater noch Mutter haben.
Um die Anzahl der (diploiden) Chromosomen eines Lebewesens festzustellen, können Zellen während der Metaphase im Reagenzglas mit Colchizin arretiert werden. Die Zellen können dann angefärbt werden (der Name Chromosom leitet sich von ihrer Anfärbbarkeit her), photographiert und in einem Karoygramm (auch Karyotyp genannt) angeordnet werden (Abbildung 3). Wie viele andere sexuell reproduzierende Spezies hat auch der Mensch gonosomen (spezielle Geschlechtschromosomen, im Gegensatz zu Autosomen für Körperfunktionen). Diese sind XX bei Frauen und XY bei Männern. Bei Frauen wird eines der X-Chromosomen inaktiviert und erscheint unter dem Mikroskop als Barr-Körperchen.
Datei:Menschliches karyogramm.png
Abbildung 3 : Karyogramm einer Frau.
Ein Fehler bei der Chromosomentrennung oder beim crossover kann zu schweren Krankheiten führen. Diese lassen sich in zwei Klassen einteilen:
- Chromosomenaberrationen oder teilweise Chromosomendysplasie, gewöhnlich das Resultat eines fehlerhaften crossover.
- Cri-du-chat Syndrom, das durch Deletion des kurzen Arms von Chromosom 5 hervorgerufen wird. Betroffene stoßen hochfrequente Laute aus, die an eine Katze erinnern. Sie haben weit auseinanderliegende Augen, einen kleinen Kopf und Kiefer, und sind geistig zurückgeblieben.
- Wolf-Hirschhorn Syndrom, hervorgerufen durch teilweise Deletion des kurzen Arms von Chromosom 4. Betroffene leiden unter schweren geistigen und Wachstumsstörungen.
- Fehlende oder zusätzliche Chromosomen als Resultat einer unvollständigen chromosomalen Segregation.
- Down Syndrom (zusätzliches Chromosom 21). Auch als Mongoloismus oder Trisomie 21 bezeichnet. Symptome sind zurückgebliebene Muskelentwicklung, asymmetrischer Schädel und geistige Retardierung.
- Klinefelters Syndrom (XXY). Männer mit diesem Syndrom sind gewöhnlich steril, haben ungewöhnlich lange Arme und Beine und sind sehr groß. Weitere Symptome sind Emotionslosigkeit, Müdigkeit, Apathie und eine erhöhte Tendenz zu psychatrischen Störungen.
- Turner Syndrom (X statt XX oder XY). Menschen mit diesem Syndrom haben unterentwickelte weibliche Geschlechtsmerkmale. Sie haben eine kleine Statur, tiefen Haaransatz, ungewöhnliche Augen- und Knochenentwicklung und eine "eingebeult" erscheinende Brust.
Eine Darstellung aller menschlichen Chromosomen und den mit ihnen assoziierten Krankheiten findet sich hier.