Kindertaufe
Mit Kindertaufe wird die Taufe Unmündiger bezeichnet. Sie ist in den Volkskirchen und in einigen Freikirchen (zum Beispiel bei den Methodisten) die Regel, wird jedoch in anderen sogenannten taufgesinnten Kirchengemeinschaften strikt abgelehnt (siehe auch Erwachsenentaufe, Gläubigentaufe).
Begründung der Kindertaufe
Die Praxis der Kindertaufe war schon früh umstritten. Schon Tertullian (160-230 n. Chr.) kritisiert die damals übliche Praxis. Von ihren Vertretern wird sie auf folgende Weise verteidigt:
Neutestamentliche Bibelstellen, die zur Begründung der Kindertaufe herangezogen werden
- Matthäus 19,13-15: Jesus segnet Kinder und spricht ihnen das Reich der Himmel zu.
- Matthäus 28,19-20: Der Missionsauftrag Jesu in folgender (sprachlich möglichen) Übersetzung: "Darum gehet hin in alle Welt und machet zu Jüngern alle Völker, indem ihr sie tauft ..." (sprachlich neutrale Übersetzung: "Darum geht hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker, wobei ihr sie tauft ...")
- Johannes 3,5: Jesus im Gespräch mit dem Pharisäer und Ratsherr Nikodemus: "Jesus antwortete: Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen."
- 1. Korintherbrief 1,17: Paulus berichtet, er habe Stephanas und sein "Haus" (seine Familie) getauft.
- 1. Korintherbrief 7,14: Die Kinder gläubiger Eltern sind geheiligt.
- Apostelgeschichte 10,44-48; 16,15; 16,25-34 und 18,8: Die Apostel taufen einzelne Personen mit ihren "Häusern" (Familien).
Kritiker der Kindertaufe bringen gegen die angeführten Belegstellen folgende Einwände: Keine der genannten Bibelstellen berichtet ausdrücklich von einer Kindertaufe. Jesus segnet die Kinder, tauft sie aber nicht. Er spricht sogar den ungetauften Kindern das Reich der Himmel zu. - Wenn die Kinder gläubiger Eltern ohnehin geheiligt sind, warum sollten sie dann getauft werden? - Bei den "Haus"- beziehungsweise Familientaufen wird nicht berichtet, dass unter den Täuflingen Säuglinge oder Kleinkinder gewesen sind. Eine genauere Betrachtung der genannten Textstellen lässt aber darauf schließen, dass neben den mündigen Erwachsenen auch Unmündige (Sklaven, Knechte und Kinder) gewesen sind. Dem Autor der Apostelgeschichte ist das selbständige Taufbegehren offensichtlich wichtig gewesen, sonst hätte er nicht so eindeutig die Reihenfolge Glaube, dann Taufe beschrieben. Interessant ist in diesem Zusammenhang der späte (!) Einschub in Apostelgeschichte 8,37; auf die Frage des äthiopischen Kämmerers, ob er getauft werden könne, antwortet Philippus: "Wenn du von ganzem Herzen glaubst, so kann es geschehen!" Der Kämmerer bekennt: "Ich glaube dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist!" und wird auf dieses Bekenntnis hin getauft.
Vertreter der Kindertaufe halten demgegenüber daran fest, dass die genauere Betrachtung der genannten Textstellen darauf schließen lasse, dass neben den mündigen Erwachsenen auch Unmündige (Sklaven, Knechte und Kinder) getauft wurden. Dass gerade in dieser wichtigen Frage die Erwähnung des eigenen Taufbegehrens fehlt, lasse stutzig werden. Die Apostelgeschichte scheine gerade nicht der Meinung gewesen zu sein, dass das selbständige Taufbegehren wichtig gewesen sei, sonst hätte sie nicht formuliert: "Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst Du und dein Haus (!) selig..."
Dogmatische Begründung der Kindertaufe
Viele Theologen sehen den neutestamentlichen Befund für eine Begründung als dürftig an: "Kennt das Neue Testament die Kindertaufe? Es ist eindeutig zu sagen: Berichte über den Vollzug der Taufe berichten davon nichts."(Evangelische Kirche im Rheinland (Herausgeberin): Kindertaufe - Pflicht oder Verpflichtung?, S. 19)
Die Mehrzahl dieser Theologen halten die Kindertaufe dennoch für evangeliumsgemäß, da sie - besser als die Erwachsenentaufe - die Gnade Gottes veranschauliche: "Die Predigt des Wortes, die Predigt auch der Taufe und die Predigt des Kinderevangeliums (Matthäus 19,13-15; Einfügung des Verfassers) stimmen überein: das Heil Gottes ist an keine Vorleistung des Menschen geknüpft." (aaO, S. 18). Kritiker der Kindertaufe stimmen dieser Behauptung zu - und lehnen gerade deshalb die Kindertaufe als Bedingung des Heilsempfangs ab.
Die Kindertaufe wird von manchen ihrer Vertreter außerdem als "Angebot des Heils" betrachtet, dem "die Antwort des Glaubens" (zum Beispiel bei der Firmung oder Konfirmation) folgen muss.
Vor allem in der reformierten Theologie wird die Taufe als Bundeszeichen des neuen Bundes betrachtet - analog zur Beschneidung, dem Bundeszeichen des Alten Bundes. Da letztere auch an (allerdings nur männlichen!) Kindern vollzogen wurde, hat die Taufe unmündiger Kinder - so die Argumentation - ebenfalls ihre Berechtigung.
Geschichte der Kindertaufe
Alte Kirche
Der Taufe in der frühen Kirche ging meist ein Katechumenat voraus, in dem die Taufbewerber auf ihre Taufe vorbereitet wurden. Eindeutige Dokumente für die Praxis der Kindertaufe stammen aus dem 3. Jahrhundert:
- Tertullian, Jurist und Kirchenlehrer aus Nordafrika, setzt sich kritisch mit der Säuglingstaufe auseinander.
- Cyprian, Bischof von Karthago, befürwortet eine Taufe "sofort nach der Geburt".
- Hippolyt, Presbyter der römischen Christengemeinde, entwickelt eine Taufordnung für Säuglinge und Kleinkinder, "für welche deren Eltern sprechen sollen".
- Origines, Theologe aus Caesarea in Palästina, stellt in seinen Schriften fest, die Kindertaufe sei apostolisch, d.h. schon in der Urchristenheit geübt worden.
Der bedeutsamste Meilenstein auf dem Weg zur allgemeinen Praxis der Kindertaufe war der theologische Disput zwischen Augustinus und Pelagius. In diesem Streit um die Sünde des Menschen und die Gnade Gottes ging es insbesondere um die Erbsünde und die Heilsnotwendigkeit der Säuglingstaufe. Die Kirche entschied sich nach einigem Schwanken für die augustinische Position und ordnete Anfang des 5. Jahrhunderts die Taufe von Kindern christlicher Eltern sofort nach der Geburt an, "um sie der Gefahr der Verdammnis zu entreißen, die ihnen droht, falls sie ungetauft sterben ...".
Allerdings lässt sich dadurch nicht erklären, wieso die Kindertaufe auch in den nichtlateinischen Ostkirchen durchgängige Praxis wurde, denn dort wurde Augustinus (der nur lateinisch schrieb) kaum wahrgenommen, und die Erbsündenlehre fand dort eine ganz andere Ausprägung.
Dass die Kindertaufe zunehmend die Regel wurde, hatte einen weiteren Grund: Im 4. Jahrhundert erfolgte öffentliche Anerkennung der christlichen Gemeinde im römischen Reich. 311 (312?) erließ Kaiser Konstantin die Mailänder Konstitution, in der das Christentum als "religio licita" bezeichnet wurde. Der Entwicklung zur Volkskirche war damit die Tür geöffnet worden. Durch das Reichsdekret des Kaisers Theodosius wurde schließlich die christliche Kirche im Jahre 380 Staatsreligion. Die Kirchenzugehörigkeit aller Bürger wurde seitens des Staates angeordnet.
Reformationszeit
Erst in der Reformationszeit wurde die Berechtigung der Kindertaufe wieder deutlich in Frage gestellt - nicht allein durch die Täufer, die sie radikal ablehnten. Selbst Martin Luther scheint anfänglich ein Gegner der Kindertaufe gewesen zu sein. In einer Predigt zu Matthäus 8,1ff sagte er unter anderem:
- "Taufe hilft niemand, ist auch niemand zu geben, er glaube denn für sich selbst, und ohne eigenen Glauben niemand zu taufen ist. Der Glaube muss vor oder je in der Taufe vorhanden sein ... wo wir nun nicht können beweisen, dass die jungen Kinder selbst glauben und eigenen Glauben haben, da ist es mein treuer Rat und Urteil, dass man stracks abstehe, je eher, desto besser, und taufe nimmermehr kein Kind, damit wir nicht die Hochgelobte Majestät Gottes mit solchen Alfanzen und Gaukelwerk, dahinter nichts ist, spotten und lästern." (Martin Luther: Predigt am 3. Sonntag nach Epiphanias zu Matth. 8,1ff)
- Im Großen Katechismus (S. 549) lehrt er: "Die Taufe bleibt, falls der Glaube fehlt, ein bloßes und wirkungsloses Zeichen."
Luther kommt aber dann zu der Auffassung, dass auch Säuglinge Glauben hätten, ja ihnen der Glaube durch die Taufe "eingeflößt" würde und sprach sich - in der Auseinandersetzung mit den Täufern - immer schärfer für die Praxis der Kindertaufe aus. In der Weimarer Gesamtausgabe der Werke Luthers findet sich folgendes Luther-Zitat (30/II, S. 596):
- "Und ich wollt hoch und teuer drum wetten, dass der Teufel durch die Rottengeister und Wiedertäufer eben das im Sinn hat und nur darum die Kindertaufe aufheben und nur die Alten und Großen taufen will. Denn seine [des Teufels] Gedanken sind gewiß die: wenn ich die Kindertaufe weg habe, so will ich mit den Alten schon so weit kommen, dass sie die Taufe verziehen und aufschieben, bis sie ausgebubet haben, oder bis aufs letzte Stündlein, außerdem will ich sie schon fein von der Predigt abhalten, dass sie mir weder von Christus noch von der Taufe etwas lernen und halten ..."
Zwingli hielt die Taufe nur für ein Symbol. Auch er stand anfänglich der Gläubigentaufe positiv gegenüber, favorisierte die Kindertaufe aber später aufgrund seiner Auseinandersetzung mit der Täuferbewegung. Johannes Calvin hingegen befürwortete von Anfang an die Beibehaltung der Kindertaufe.
Schließlich werden in der von Melanchthon verfaßten Confessio Augustana, dem Glaubensbekenntnis der Lutherischen Kirche die sogenannten Wiedertäufer mit ihrer Ablehnung der Kindertaufe fünfmal verdammt (CA, Artikel 5, 9, 12, 16 und 17).
Gegenwart
In der Gegenwart ist die volkskirchliche Praxis der Kindertaufe innerhalb der Kirchen neu diskutiert worden. Ausgangspunkt dieser Diskussion war die 1967 erschienene Schrift Karl Barths "Die Taufe als Begründung des christlichen Lebens". Barth unterscheidet in dieser Schrift zwischen "Wassertaufe" und "Taufe durch den Heiligen Geist". Die Wassertaufe sei Menschenwerk, die Taufe mit dem Heiligen Geist sei Gottes Werk. Beides müsse deutlich voneinander unterschieden werden. Während sich in der "Geistestaufe" Gott dem Menschen zuwende, wende sich in der Wassertaufe der Mensch Gott zu. Aus diesem Grund plädierte Barth für die Erwachsenentaufe als die menschliche "Antwort des Glaubens".
Auch die geistlichen Bewegungen der 1970er und 1980er Jahre (Jesus People, Charismatische Bewegung und andere) haben in vielen Kirchen die Taufdebatte neu entfacht. Menschen - darunter auch Mitglieder von Volkskirchen - ließen sich nach sogenannten "Bekehrungserlebnissen" erneut taufen. Dies hat in den Volkskirchen u.a. dazu geführt, die empfangene Kindertaufe bei ihren Mitgliedern durch Taufgedächtnisgottesdienste und Tauferneuerungsfeiern erlebbar zu machen und dem Begehren einer sogenannten Wiedertaufe entgegen zu treten.
Kindertaufe und Namensgebung
Die Praxis der Säuglingstaufe hat zu einem tiefgreifenden Missverständnis geführt, was die Beziehung von Taufe und Namensgebung angeht. Dieses Missverständnis drückt sich unter anderem in folgenden Wörtern aus: Schiffstaufe und sich umtaufen lassen (sinnbildlich für: einen Namenswechsel vornehmen). Die neutestamentliche Taufe hat ursprünglich mit einer Namensgebung des Täuflings nichts zu tun. Täuflinge wurden und werden auf den Namen des dreieinigen Gottes beziehungsweise auf den Namen Jesus getauft, nicht auf ihren eigenen. Die Säuglingstaufe hat diesem Missverständnis Vorschub geleistet, da sie an Neugeborenen vollzogen wird und somit Namensgebung und Taufe in einem engen zeitlichen Rahmen zusammen bringt. Zwar war es in der frühen Kirche (nicht allerdings zur Zeit des Neuen Testaments) hin und wieder üblich, dass mündig Getaufte ihren alten heidnischen Namen ablegten und sich einen neuen - meist biblischen - Namen zulegten. Dieser Usus spiegelt noch in in der Sitte, anlässlich der Firmung einen zusätzlichen Firmnamen anzunehmen.
Literatur
- Karl Barth: Die Taufe als Begründung des christlichen Lebens (1967)
- George Beasley-Murray: Die christliche Taufe
- George Beasley-Murray: Gesichtspunkte zum Taufgespräch heute (Kassel 1965)
- Markus Barth: Die Taufe - ein Sakrament? (Zollikon-Zürich 1951)
- Karl Ferdinand Müller / Walter Blankenburg (Herausgeber): LEITURGIA. Handbuch des evangelischen Gottesdienstes. 5. Band: Der Taufgottesdienst (Kassel 1970)
- Friedrich Sondheimer: Die wahre Taufe. Ein Bekenntnis zur Taufe der Gläubigen (Kassel o.J.)
- Evangelische Kirche im Rheinland: Kindertaufe - Pflicht oder Verpflichtung? (Düsseldorf 1968)
- Arno Backhaus: Kindertaufe - was die Bibel darüber sagt
- Wolfram Kerner: Gläubigentaufe und Säuglingstaufe (Diss. Heidelberg, Norderstedt 2004)
Siehe auch
Weblinks