Orgasmus
Der Orgasmus ist der Höhepunkt der Lustempfindung beim Geschlechtsverkehr, beim Masturbieren oder bei anderen sexuellen Handlungen.
Eine der ersten Beschreibungen eines Orgasmus stammt von Felix Roubaud (1855):
- Beim Orgasmus beschleunigt sich der Blutkreislauf ... Die blutunterlaufenen Augen werden trüb ... Die Atmung geht bei den einen keuchend und stoßweise, bei den anderen setzt sie aus ... Die gestauten Nervenzentren übermitteln nur noch unklare Empfindungen und Willenimpulse ... Die Gliedmaßen, von konvulsivischen Zuckungen und mitunter Krämpfen erfasst, bewegen sich nach allen Richtungen oder erschlaffen und werden hart wie Eisen; die aufeinander gepressten Kiefer lassen die Zähne knirschen, und manche Menschen erleben das erotische Delirium so stark, dass sie den Genossen ihrer Wollust vergessen und eine unvorsichtigerweise dargebotene Schulter bis aufs Blut beißen. (Zitiert nach Philippe Ariès und Georges Duby: Geschichte des privaten Lebens, Frankfurt 1989, Band 5, S. 310.)
Bei allen in der Folge beschriebenen Phänomenen soll nicht darüber hinweg getäuscht werden, dass der Orgasmus ein vornehmlich zentralnervöses Ereignis ist, das in seiner biologischen Funktion in keiner Weise geklärt ist. Besonders die Orgasmusfähigkeit der Frau gibt Rätsel auf, während man beim Mann argumentieren kann, dass der Orgasmus zwingende Voraussetzung für eine Ejakulation sei. Es gibt aber auch Ejakulationen ohne Orgasmus.
Masters und Johnson untersuchten in den 1960er Jahren den menschlichen sexuellen Reaktionszyklus und den dabei ablaufenden Orgasmus aus wissenschaftlicher Perspektive. Dabei mussten die Versuchspersonen ihren Koitus und Orgasmus unter Laborbedingungen durchführen. Es entstand eine Idealkurve, die eher für sexuelle Hochleistungssportler als für die Durchschnittsbevölkerung repräsentativ war. Masters und Johnson gingen vom Vorhandensein eines sexuellen Triebes aus, der lediglich einer effektiven Stimulation bedarf, um dann einen Orgasmus zu produzieren. Sie untersuchten primär die sexuellen Reaktionen derjenigen Menschen, die ein sexuelles Interesse hatten. Spätere Wissenschaftler warfen ihnen vor, durch ihre Forschungen Sexualität auf das Erreichen eines Orgasmus reduziert zu haben.
Während der Erregungsphase, die einige Minuten bis zu einer Stunde oder viel länger anhalten kann, gibt es vaskuläre (die Blutgefäße betreffende) Veränderungen in der Beckenregion, der Penis erigiert und die Klitoris erigiert ebenso. Während der Plateauphase wird ein individuell verschiedenes Maximum an Erregung erreicht. Während der Orgasmusphase haben (im glücklichsten Fall) beide Partner bzw. der/die Masturbierende eine sehr schöne Empfindung der Lösung der sexuellen Spannung, die sich aufgebaut hatte. Es kommt zu rhythmischen Kontraktionen (ungefähr alle 0,8 Sekunden) in der Genitalregion sowie anderen Muskelregionen und zum Anstieg des Blutdrucks sowie zu einer Beschleunigung der Atmung. Die Frequenz des Herzschlags kann sich verdoppeln. Während des Orgasmus wird beim Mann meist das Sperma ausgestoßen. Diese Ejakulation geht jedoch nicht zwingend mit dem Orgasmus einher, Männer können auch einen Orgasmus ohne Spermaausstoß bekommen und vice versa. Auch Frauen können eine klare Flüssigkeit aus dem G-Punkt Drüsenzentrum absondern, deren Bedeutung in der Unterstützung der Prostataflüssigkeit gesehen wird: Sollte das Prostata- Ejakulat des Mannes minderwertiger Konsistenz (zu dickflüssig, zu wenig) und dadurch die Beweglichkeit der Spermien dadurch behindert sein, kann die Frau dieses Defizit durch "Ihr" Ejakulat in gewisser Weise ausgleichen. Dazu kommt, dass dem weiblichen Ejakulat noch die Funktion des Base/Säure Ausgleichs in der Vagina zugeschrieben wird: Die Vagina muss von Natur aus einen sauren pH- Wert aufweisen, damit die Scheidenflora aus Milchsäurebakterien arbeiten kann. Spermien aber brauchen einen basischen pH- Wert. Das weibliche (basische) Ejakulat setzt den sauren pH- Wert für eine kurze Zeit außer Kraft, sodass der Samen unbehelligt in die Gebärmutter wandern kann. Der Gebärmuttermund wird unter dem Orgasmus der Frau rhythmisch in peristaltschen Bewegungen in die Samenflüssigkeit getaucht.
Während der Entspannungsphase wird der Blutdruck und die Atmung wieder wie nach allen Anspannungen auf Normalwerte reguliert. Nach einem Orgasmus brauchen die meisten Männer eine Refraktärphase, die auch wiederum einige Minuten oder länger dauern kann. Mit zunehmendem Alter kann diese mehrere Tage dauern.
Je nach Training des PC-Muskels erreichen Männer mehrere Orgasmen, hingegen sind Frauen in der Regel zu multiplen Orgasmen in rascher Folge fähig. Als biologischer Grund dafür wird gesehen, dass sich die (vorzeitliche) Frau früher von mehreren Männchen in rascher Folge begatten ließ und nur die Spermien des DNA- Stärksten Männchens die Möglichkeit hatten, zum befruchtungsfähigen Ei vordringen zu können. Neuere Forschungen bestätigen diese Theorie, indem sie wahre "Spermienkriege" im Unterleib der Frau nachweisen konnten, in welchem sich die Samenfäden unterschiedlicher Männer regelrecht gegenseitig "auffraßen".
Der Orgasmus dauert bei Männern und Frauen durchschnittlich einige Sekunden, durch Injakulation soll jedoch der männliche Orgasmus verlängert und intensiver empfunden werden können. Neueren neurophysiologischen Erkenntnissen zur Folge werden beim weibliche Orgasmus bestimmte Hirnregionen für bis über zwei Minuten deaktiviert, was eindeutig mit dem psychischen Erlebnis korreliert sein dürfte. Bei Männern konnte dieses relativ lang andauernde Geschehen nicht nachgewiesen werden (die Messauflösung lag in dem Bereich von zwei Minuten).
Die Enttäuschung, bei einem Geschlechtsverkehr keinen Orgasmus erreicht zu haben, scheint bei Frauen geringer zu sein als bei (heterosexuell aktiven) Männern. Gleichgeschlechtlich kopulierende Männer haben ein eher interaktions- als zielbetontes Liebesspiel; für manche von ihnen (nicht nur die sogenannt passiven) spielt der Orgasmus keine Rolle. Wegen des hohen Wertes, der dem Erreichen eines Orgasmus beim heterosexuellen Geschlechtsverkehr beigemessen wird, kommt es häufig dazu, dass zahlreiche Frauen, aber nach neueren Untersuchungen auch etliche Männer ihren Sexualpartnern einen Orgasmus vortäuschen. Nur 20 Prozent der deutschen Frauen und 41 Prozent der deutschen Männer haben nach einer Emnid-Umfrage im Auftrag der Frauenzeitschrift Marie Claire ihrem Partner noch nie einen Orgasmus vorgetäuscht. Dass Sex auch ohne Orgasmus befriedigend sein kann, fanden 54 Prozent der Interviewten. Jeder zweite Befragte meinte, dass der Orgasmus generell viel zu wichtig genommen wird. Für nur 28 Prozent der Frauen, aber immerhin für 42 Prozent der Männer ist er das Schönste am Sex.
Der Orgasmus gilt traditionell als der Abschluss des Koitus, kann jedoch auch bei allen anderen sexuell stimulierenden Praktiken erreicht werden, wie etwa der Masturbation, dem Oralverkehr oder anderen sexuellen Praktiken.
Es gibt keine Begrenzung für die Anzahl der Orgasmen, die ein Mensch während seines Lebens haben kann. Der speziell auf Männer bezogene Spruch „Nach 1.000 Schuss ist Schluss“ ist Unsinn; Spermien werden ab der Pubertät ein Leben lang gebildet, auch ist die Ejakulation von befruchtungsfähigem Sperma keine Voraussetzung für den Orgasmus.
Weiblicher Orgasmus
Da die Scheidenwand fast keine Nerven aufweist, können die meisten Frauen keinen Orgasmus erleben, wenn nicht gleichzeitig die Klitoris, der G-Punkt, A-Punkt oder andere erotische Zentren stimuliert werden. Aus diesem Grund nahm die Wissenschaft lange Jahre fälschlicherweise an, Frauen seien grundsätzlich nicht orgasmusfähig. Durch die hohe Priorität, die auch heute noch dem Vaginalverkehr und dem Orgasmus als "ultimes Ziel" des sexuellen Aktes beigemessen wird, empfinden sich viele Frauen, die noch nie einen koitalen Orgasmus erlebt haben, als sexuelle Versagerinnen und spielen deshalb ihrem Partner einen Orgasmus vor (siehe auch Orgasmuslüge) - auch um sein Selbstbewusstsein zu stärken und ihn nicht als Versager dastehen zu lassen. Die "Orgasmusfähigkeit" von Frauen nimmt mit zunehmender sexueller Erfahrung zu, da Frauen mit der Zeit lernen, durch welche Stimulationen sie zum Orgasmus kommen.
Der Orgasmus einer Frau besteht physiologisch gesehen aus rhythmischen Muskelkontraktionen der Vagina, der Gebärmutter und der Analmuskulatur. Ein durchschnittlicher Orgasmus besteht aus etwa 5, ein intensiver Orgasmus aus 10 bis 15 Kontraktionen. Während des Orgasmus erhöht sich der sex flush, d.h. die Durchblutung der obersten Hautschichten auf ein Maximum. Es verändern sich die Gehirnströme. Stärker als Männer trennen Frauen Orgasmus und sexuelle Befriedigung. Viele Umfragen und Untersuchungen bestätigen, dass viele Frauen zwar die intensivsten Orgasmen bei der Masturbation erleben, trotzdem aber mit ihrem Sexualleben in der Partnerschaft zufrieden sind.
In New Scientist vom 11. Juni 2005 wurde eine Studie an insgesamt knapp 1400 weiblichen Zwillingspaaren (eineiige und zweieiige) vorgestellt. Die Frauen im Alter von 19 - 83 wurden u.a. befragt, ob sie beim Masturbieren und beim Geschlechtsverkehr zum Orgasmus kommen. Nur 14 Prozent gaben an, beim Geschlechtsverkehr immer zum Orgasmus zu kommen; 16 Prozent, dass sie so nie zum Orgasmus kommen; 32 Prozent sagten, dass sie so nicht häufiger als jedes vierte Mal zum Orgasmus kommen. Beim Masturbieren kommen der Studie zufolge 34 Prozent der befragten Frauen immer zum Orgasmus, 14 Prozent nie.
Aufgrund des Studienansatzes mit ein- und zweieiigen Zwillingen schließen die Forscher um Tim Spector vom St. Thomas' Hospital in London, dass die Erbanlagen einen erheblichen Einfluss auf die Orgasmusfähigkeit der Frauen haben. Hierfür spreche besonders, dass beim Onanieren zwar der externe Faktor - sprich: ein Mann oder eine andere Frau - entfalle, gleichwohl aber eine noch deutlichere Korrelation zwischen sexuellem Erleben und verwandtschaftlicher Nähe nachweisbar war.
Die Forscher wiesen darauf hin, dass die verbreitete Erwartungshaltung und die damit verbundene Definition von "normal" (sprich: Frauen haben einen Orgasmus zu haben) nicht haltbar sei; man könne nicht mehr als jede fünfte Frau als "abnorm" einordnen.
Weblinks
- netdoktor.at: Der Orgasmus der Frau
- Orgasmen: Hat sie? (the-clitoris.com)
- www.wissenschaft.de: Vererbte Höhepunkte Weibliche Orgasmusfähigkeit hängt auch von den Genen ab
- www.wissenschaft.de: Gefühllose Höhepunkte Während des Geschlechtsakts werden bei Frauen die Gefühlszentren und andere Bereiche im Gehirn deaktiviert
- Beschreibung eines der ersten Orgasmusexperimente (1928)