Kirchenmusik
A. Definition
Dem Wortsinn nach ist Kirchenmusik die in einer Kirche (als Gebäude) gebrauchte Musik oder die spezifische Musik der sich als Kirche verstehenden Gemeinschaften, im Allgemeinen aber die gottesdienst-liche Musik der großen christlichen Kirchen.
B. Die Anfänge
Um die Kirchenmusik, so wie wir sie heute kennen, zu verstehen ist es sinnvoll sich die Anfänge vor Augen zu führen.
„ Wir Christen brauchen ein einziges Instrument, das Wort des Friedens, mit dem wir Gott verehren, nicht aber das alte Psalterium, die Pauken, Trompeten und Flöten.“
Clemens von Alexandrien (um 150-216; Leiter der alexandrinischen Katechetenschule
Schon in den Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas in der Bibel wird von liturgischer Musik gesprochen. So hat schon Jesus und seine Jünger beim letzten Abendmahl nach dem Sprechen des Dankgebetes einen Lobgesang angestimmt. Aber auch in den Briefen des Heiligen Paulus finden sich gesungene Hymnen.
Bevor im Jahre 49 griechische Musikstrukturen in die christliche Liturgie aufgenommen wurden, war die frühchristliche Musik noch stark von der synagogalen Praxis beeinflusst.
Erwähnenswert ist au-ßerdem, dass die früh-christliche Musik keine Musikinstrumente an-wandte, sondern ledig-lich aus menschlichen Stimmen bestand. Allein durch die „von Gott geschaffene menschliche Stimme“ sollte „der Lobpreis Gottes erklingen“ (Paulus, 1 Kor. 14, 7ff).
C. Die Kirchenmusik im Mittelalter
I. Im Frühmittelalter
Zu Beginn des Mittelalters war die Kirchenmusik identisch mit dem so genannten Gregorianischen Gesang, einem nach Papst Gregor I. um 600 benannter einstimmiger, liturgischer Gesang. Ebenso gewannen Choralbücher an Bedeutung.
II. Im Hochmittelalter
1. Entwicklung der Mehrstimmigkeit
Im frühen Hochmittelalter kam es dann zur Entwicklung der Mehrstimmigkeit und somit bildeten sich auch neue musikalische Gattungen, die im Frühmittelalter mit dem einstimmigen Gregoria-nischen Gesangs nicht mög-lich waren. Wegen der neuen Mehr-stimmigkeit klafften nun aber die liturgischen Bücher von der kirchenmusikalischen Realität ab. Somit gab es bis zum zweiten Vatikanum eine Abtrennung zwischen Kir-chenmusik und Liturgie.
2. Die erste Erwähnung des Wortes „Kirchenmusik“
Um das Jahr 1300 wurde das Wort „Kirchenmusik“ erstmals von dem Musiktheoretiker Johannes de Grocheo verwendet und zwar für den Gregorianischen Gesang im Gegensatz zu den Mehrstimmigen Gattungen.
3. Vom Konzil von Vienne und seinen Auswirkungen
Auf dem Konzil von Vienne, das in den Jahren 1311 und 1312 stattfand, forderten die Dominikaner das Verbot der Motette (=geistliches Chorwerk). Daraufhin versuchte Papst Johannes XXII. das entstandene Problem durch Verbot bestimmter Satztechniken zu lösen, hat aber auch „gewisse Neurer“ angesprochen. Wichtig sind nun die Auswirkungen des Diskretes. Das Diskret hatte zwar keinen Einfluss auf die musikalische Entwicklung, bewirkte aber, dass man vielerorts diese Entwicklung der Motette abschloss.
Somit kam es schon im 14. Jahrhundert zu der Verwendung einer Orgel im Gottesdienst. Jedoch wurden die Gesänge nicht verdrängt, sondern die liturgische Musik war oft von Abwechslung zwischen Orgel und Gesängen geprägt. Andere Instrumente wurden jedoch kaum verwendet.
=III. Im Spätmittelalter
Im Laufe des 15. Jahrhunderts kam man von den meist lokalen musikalischen Praktiken zur so genannten gemeineuropäischen Musikkultur, die durch das Konzil von Konstanz entscheidend vorangetragen wurde. Das heißt nun, dass Hofkapellen nun die „Funktion musikalischer Institutionen“ erhielten und es kam somit zu einer Gründungswelle von Kapellen an Kathedralen, Stiftskirchen und Stadtkirchen. Nebenbei ist ebenfalls erwähnenswert, dass die bedeutendsten Komponisten bis ins 16. Jahrhundert meist nur Niederländer waren. Erst dann traten auch deutsche Komponisten hervor.
Im 16. Jahrhundert kam es mit der Reformation zur Spaltung der Kirche in den Katholizismus und den Protestantismus.
Somit müssen wir nun die katholische und evangelische Kirchenmusik getrennt voneinander betrachten.
D. Die katholische Kirchenmusik
I. Die Reform der Kirchenmusik auf dem Konzil von Trient
Auf dem Konzil von Trient 1545 gab es zwei unterschiedliche Auffassungen über die Reform der Kirchenmusik: Die Einen suchten die Tradition von Messe und Motette, die Anderen eine neue, wortgezeugte Kirchenmu-sik, das das Madrigal (= mehr-stimmige, solistische Vokalkom-position) zum Vorbild haben soll-te. Das Konzil endete jedoch nur mit einem Verbot von „anstö-ßigen Melodien“. Außerdem wird auf dem Konzil die Frage der Textverständlichkeit durch den Mailänder Kardinal Borromeo aufgegriffen. Jedoch wurde nur ein nicht entwicklungsfähiger Satzstil angefertigt. Die eigentliche Bedeutung des Konzils für die Kirchenmusik liegt darin, dass von nun ab die Kirchenmusik als „Ausschmückung“ der Liturgie betrachtet wurde.
II. Die Kirchenmusik im 17. und 18. Jahrhundert
Im Umkreis der katholischen Reform taucht der Begriff „Kirchenmusik“ mit neuer Bedeutung wieder auf: Man verstand unter ihm nun die Musik der Messen und Motetten. Jedoch kam der Begriff dann schon wieder in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts außer Gebrauch. Während des Barockzeitalters war die Kirchemusik Teil der musi-kalischen Repräsentation weltlicher und geistlicher Fürsten und die kir-chenmusikalischen Stile wurden nun Stufen des Gottesdienstzere-moniells der Fürstenhöfe. Aber auch Jesuiten und Franziskaner setzten die Kirchenmusik bewusst als Mittel zum Anreiz für einen Gottesdienstbesuch ein.
Im Allgemeinen wurde die Kirchenmusik in diesen beiden Jahrhunderten für den normalen Tagesbedarf komponiert. Diese Lieder sind uns bis heute überliefert und lassen uns diese Herkunft unschwer erkennen. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wuchs dann eine bürger-liche Kirchenmusikkultur heran.
Zusammenfassend für diese beiden Jahrhunderte kann man sagen, dass die Kirchenmusik nur als lokale Sitte verstanden wurde, jedoch nicht als allgemeines Repertoire.
III. Die Kirchenmusik im 19. und 20. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert trat der Begriff „Kirchenmusik“ erneut wieder auf und diesmal mit wieder anderer Bedeutung: Man verstand nun unter diesem Begriff das Ideal einer „Heiligen Tonkunst“, die sich von der weltlichen Musik abhebt. Die Musik ist aber nicht heilig, weil sie sich auf den Gottesdienst bezieht, sondern „das Herz unmittelbar zu Gott erhebt“. Im Jahre 1868 wurde der „Allgemeine Cäcilien-Verein“ gegründet, der es sich zur Aufgabe gesetzt hat, die „wahre katholische Kirchenmusik“ (so der Verein) zu finden und das kirchliche Chorwesen zu fördern.
Außerdem wurde zu Ende des 19. Jahrhunderts das Komponieren von Kirchenmusik zur Spezialdisziplin von Kirchenmusikern. Die namhaften Komponisten des 19. Jahrhunderts, wie Liszt oder Bruckner haben nur sehr wenig Musik für Gottesdienste komponiert. Interessant ist auch die Entwicklung der Kirchenmusik in Frankreich. Im Gegensatz zu den übrigen europäischen Ländern lehnte sich in Frankreich die Kirchenmusik der weltlichen Musik an.
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist wesentlich davon gekennzeich-net, dass die katholische Kirchenmusik nicht mit der raschen Entwick-lung der weltlichen Musik mithielt. In Deutschland entstand nach dem Ersten Weltkrieg eine katholische Kirchenmusik, die nunmehr ein anderes Verhältnis zur Liturgie aufweisen kann, als die unter dem Punkt 1 behandelte Kirchenmusik nach dem Konzil von Trient. Charakteristisch für den hieraus entstandenen Musikstil ist ein durchsichtiger, liedhafter Text.
IV. Die Kirchenmusik nach dem Zweiten Vatikanum
Das Zweite Vatikanische Konzil bezeichnet die „überlieferte Kirchenmu-sik“ als „wertvollen Schatz, den es zu pflegen und zu mehren gilt“ (Liturgie-konstitution vom 4.12.1963). Somit kam es unter anderem auch zur Förderung von Kirchenchören. Diese Liturgiekonstitution stellt die ge-samte Kirchenmusik auf neue Grund-lagen: Die Kirchenmusik selbst und nicht mehr das Sprechen der Gesangstexte durch den Priester ist liturgischer Vollzug. Das heißt nichts anderes, als dass die Kirchenmusik nun Ausdrucks-form der Gemeinde im Gottesdienst ist und dass Chor und Musiker Teil dieser Gemeinde sind. Ebenso wurde nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil die jeweilige Lan-dessprache in die Liturgie aufgenommen, die dann auch Auswirkungen auf die Kirchenmusik haben sollte: Die Kirchenmusik wurde nun geöffnet für die verschiedenen Gattungen des Volksgesangs sowie auch für evangelische Kirchenmusik und zeitgenössige Musik. Daraufhin wurde schließlich im Jahre 1975 ein neues Gesangbuch mit dem Namen „Gotteslob“ aufgelegt, das heute noch in seiner wesent-lichen Art in Verwendung ist.
V. Die Kirchenmusik außerhalb des Abendlandes
Das Zweite Vatikanische Konzil sah die Notwendigkeit der Berücksich-tigung der Besonderheiten der verschiedenartigen Musikkulturen. Da-raus entwickelte sich vielerorts eine eigenständige Kirchenmusik. Im nachfolgenden nun einige Beispiele für die außereuropäische katho-lische Kirchenmusik:
Die Kirchenmusik auf dem amerikanischen Kontinent ist in vielerlei Hinsicht mit der des Abendlandes verbunden. In Australien bildeten sich dagegen viele unterschiedliche Stilrichtungen, die in vielfacher Hinsicht gefördert wurden. Wie auf dem amerikanischen Kontinent, so ist die japanische Kir-chenmusik dem europäischen Musikleben weitgehend zugewandt. Neuerdings versucht man durch eine Besinnung auf eine reiche musi-kalische Vergangenheit eine eigene katholische Kirchenmusik zu schaffen.
E. Die evangelische Kirchenmusik
I. Die Anfänge
Die evangelische Kirchenmusik wurde durch Martin Luther und dem protestantischen Kantor J. Walter begründet. Beide verwendeten das Wort „Kirchenmusik“ jedoch nicht. Es ging um die Musik als Schöpfergabe, also um den gottesdienstlichen Gebrauch. Im Mittelpunkt standen der deutschsprachige Choral und der Gemeindegesang.
Johannes Calvin hatte ebenfalls die Bedeutung der Kirchenmu-sik für den Gottesdienst er-kannt, ließ aber wegen seiner Ansicht der Gefahr des ästhe-tischen Genusses der Kirchen-musik nur den einstimmigen Gemeindegesang zu.
Ulrich Zwingli verbannte aus diesem Grunde die Kirchenmusik völlig aus dem Gottesdienst.
II. Die weitere Entwicklung bis zum 19. Jahrhundert
Die Eigenständigkeit der evangelischen Kirchenmusik entfaltet sich an dem, an mittelalterliche Formen anknüpfenden, lutherischen Kirchenlied. Die typische Lesungsmusik waren oft Evangeliensprüche.
Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde dann schließlich der Begriff „Kirchenmusik“ eingeführt. Doch er sollte lediglich die Funktion der Musik beschreiben, jedoch nicht den Stil.
Während der Aufklärung verfielen die alten gottesdienstlichen Formen, die alten Kirchenlieder wurden modernisiert und es kam allgemein zur Emanzipation des Geisterlebens. Die Aufklärung war somit eine Epoche des Niedergangs der Kirchenmusik.
Durch die romantische Restauration im 19. Jahrhunderts gab es zwar eine Rückkehr zur Überliefung. Jedoch versuchte man nur Vergangenes wiederherzustellen. Die Folge war, dass sich die evangelische Kirchenmusik nun selbst ins Abseits der allgemeinen musikalischen Entwicklung gestellt hatte. Das äußerte sich auch im Komponierverhalten der großen Komponisten jener Zeit, wie Mendelssohn Bartholdy oder Brahms, die kaum Kirchen-lieder komponierten.
III. Die Kirchenmusik im 20. Jahrhundert
Verbunden mit der liturgischen Erneuerung wurde die Kirchenmusik in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wieder gleich-bedeutend mit gottesdienstlicher Musik, wobei man sich unter anderem an der Reformation orientierte.
Seit Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 kam es zu einer großen Ent-faltung der Kirchenmusik. Die Voraussetzung dafür war die Wiederher-stellung eines hauptberuflichen Kantorenstands.
Ab der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts führte die Komplizierung der Kompositionsverfahren zu einem neuen Auseinandertreiben zwischen kirchenmusikalischer Moderne und gottesdienstlicher Ge-brauchsmusik.
F. Stile der Kirchenmusik
Die Kirchenmusik hat im Laufe von zwei Jahrtausenden viele verschiedene Stile hervorgebracht. Um sie ein wenig zu ordnen kann man unter anderem zwischen einstimmigen und mehrstimmigen Stilen unterscheiden. Unten habe ich die wichtigsten Stile kurz zusammen-gefasst und teilweise mit Beispielen versehen:
I. Der Gregorianische Choral
Der Gregorianische Choral ist ein einstimmiger liturgischer Gesang der römischen Kirche in lateinischer Sprache. Er ist benannt nach Papst Gregor I., der um 600 eine Reformierung der Liturgie vornahm.
II. Der Lutherische Choral
Der Lutherische Choral geht auf Martin Luther zurück, der den gemeinsam in deutscher Sprache gesungenen Choral als zentrales Mittel des evangelischen Gottesdienstes verwendete. Dabei bediente sich Luther populärer Volkslieder und beliebter Melodien.
III. Die Passionsmusik
Die Passionsmusik ist die gesungene Leidensgeschichte Jesu von seiner Gefangennahme bis zur Kreuzigung. Die Passion wird in der Karwoche an vier Tagen nach den Berichten der Evangelisten gelesen und gesungen. Außerdem gibt es das so genannte Passionsspiel, das von der Liturgie losgelöst ist und gesprochen wird.
Beispiele: Matthäus-, Lukas- und Johannespassion 1665/66 von Heinrich Schütz;
Johannespassion 1724 und Matthäuspassion 1727 von J. S. Bach
IV. Die Kantate
Die Kantate ist eine Vokalkomposition mit instrumentaler Begleitung. Sie entstand zu Anfang des 17. Jahrhunderts und gehört nicht immer zur Kirchenmusik. Erst seit der Zeit Johann Sebastian Bachs handelt es sich auch bei der Kantate um eine Choralkomposition.
V. Das Kirchenlied
Das Kirchenlied wird üblicherweise in der jeweiligen Landessprache gesungen und ist meist strophisch aufgebaut. Gesungen wird es in Gottesdiensten aber auch oft zu Prozessionen und Wallfahrten. Man kann es in katholisches und evangelisches Kirchenlied unterteilen.
Beispiele: „Komm, Gott Schöpfer“ (Martin Luther) „Laudato sii“ „Lobe den Herren“
G. Die Kirchenmusik in der Praxis
I. Die Kirchenmusik im Gottesdienst
Die Musik in den Gottesdiensten bilden heute meist gesungene Lieder. In den letzten Jahrzehnten ist es zu einem starken Liedaustausch zwischen den deutschsprachigen Ländern gekommen. Die ge-sungenen Lieder werden mit einer Orgel begleitet. Zu Festtagen werden meist größere Werke mit Hilfe des Kirchenchores aufgeführt.
„Eine Kirche, die nur noch Gebrauchsmusik macht, verfällt dem Unbrauchbaren und wird selbst unbrauchbar“ Joseph Kardinal Ratzinger (aus: Theologisches zur Kirchenmusik)
Häufig lässt sich im Gottesdienst aber auch populäre christliche Musik wieder finden, denn seit über 40 Jahren existiert in Deutschland eine christliche Popmusikszene.
II. Der Kirchenmusiker
Der Kirchenmusiker hat es zur Aufgabe die Musik in einem Gottesdienst zu gestalten, bzw. zu leiten. Neben dem Orgelspiel geschieht dies auch durch die Leitung musi-kalischer Gruppen und Chöre. Der Kirchenmusiker arbeitet vorwiegend in Kirchengemeinden und verbringt einen beträchtlichen Teil seiner Arbeitszeit auf der Or-gelempore der Kirche. Teilweise nehmen Kirchenmusiker aber auch Lehraufträge an Bildungsstätten des Musiklebens wahr oder erteilen privaten Musikunterricht.
(Textspender: Referat über Kirchenmusik von Thommess