Narkose
Die Narkose (v. griech. ναρκάειν „erstarren, schlafen“) oder auch Allgemeinanästhesie ist ein medikamentös herbeigeführter, kontrollierter Zustand der Bewusstlosigkeit, dem nach Bedarf Schmerzausschaltung und Muskelerschlaffung beigefügt werden. Die Narkose ermöglicht die Durchführung von besonders schmerzhaften und auch anderweitig nicht vom Patienten tolerierten Prozeduren in der Human- und Veterinärmedizin. Eine wissenschaftliche Beschreibung der Narkose lautet "pharmakologisch induziertes, reversibles Koma" - eine für Laien eher beunruhigende Beschreibung. Die Narkoselehre ist ein Teilgebiet der Anästhesiologie. Sie wird in Deutschland, wie in den meisten Industriestaaten, von speziell weitergebildeten Fachärzten durchgeführt (Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Anästhesist). In den USA und in Schweden werden die meisten Narkosen beispielsweise von Narkoseschwestern verabreicht.
Patient, Eingriff und Anästhesist
Die Durchführung einer Narkose ist bei verschiedenen medizinischen Eingriffen vorteilhaft:
- Narkosen ermöglichen erst bestimmte medizinische Eingriffe. So sind schon mittlere Eingriffe in der Bauchhöhle kaum durchführbar ohne völlige Muskelerschlaffung - ein Zustand, der sich nur unter Narkose oder rückenmarksnaher Regionalanästhesie realisieren lässt.
- Narkosen reduzieren das Risiko chirurgischer Eingriffe. Zur Frage nach dem Narkoserisiko gehört die Kenntnis, wie auch das Risiko einer Behandlungsmaßnahme vermindert werden kann. Im Rahmen großer operativer Eingriffe müssen die Folgen des sog. Operationstraumas vom Anästhesisten behandelt werden. Aber auch schon durch Stressvermeidung kann die Narkose langfristige Gefährdungen des Patienten unterbinden. So führen beispielsweise stressbedingte Schädigungen atherosklerotischer Plaques durch Blutdruckanstiege auch Monate bis Jahre später zu Infarkten, Embolien usw.
Was tut der Patient?
Wie alle medizinische Prozesse erfordert die Narkose nicht nur vom Arzt, sondern auch vom Patienten aktives Vorgehen.
Der Patient arbeitet mit dem Narkosearzt (Anästhesist) gemeinsam für seine Sicherheit. Besonders bei ambulanten Eingriffen in Narkose ist das medizinische Team auf die Kooperation des Patienten angewiesen.
Die Vorgehensweise muss in jedem Fall mit dem Anästhesisten abgesprochen werden.
Um den sicheren Verlauf von Narkosen bei planbaren Operationen zu gewähleiten, ist auf einen leeren Magen zu achten, um Aspirationen (das Eindringen von Mageninhalt in die Atemwege) zu vermeiden (siehe unten im Abschnitt Komplikationen). Sollte die Magenentleerung nicht durch besondere Erkrankungen gestört sein oder sprechen nicht andere Gründe dagegen, kann heute folgendes Vorgehen (für Erwachsene) empfohlen werden:
Nach modernen Richtlinien ist es erlaubt, 6 Stunden vor Operationen eine Kleinigkeit zu essen (z. B. eine Weißbrotscheibe).
Bis zu 2 Stunden vor der Narkose können geringe Mengen (150-200 ml) einer klaren Flüssigkeit eingenommen werden. Dazu gehören z. B. klarer Apfelsaft oder Früchtetee, der etwas gezuckert sein sollte. Auf keinen Fall dürfen in diesem Zeitraum trübe Getränke oder gar Milch eingenommen werden. Auch die Industrie stellt geeignete Produkte (z.B. Präparat "PreOP" der Fa. Nutrica) zur Verfügung.
Rauchen und auch Kaugummikauen sind zu vermeiden, da dadurch die Magensäureproduktion angeregt wird. Das bedeutet: nach einer Zigarette gilt der Magen nicht mehr als leer.
Die derzeitigen Empfehlungen über die Einnahme von Arzneimitteln im Zusammenhang mit Operation und Narkose sind komplex. In diesem Zusammenhang sind Medikamentenwirkung, Begleiterkrankungen und die Art von Operation und Narkose zu bedenken. Die Vorgehensweise muss deshalb mit dem Anästhesisten abgestimmt werden.
Was tut der Anästhesist?
Der Anästhesist versetzt den Patienten durch Dämpfung oder Unterdrückung von Bewusstsein und Schmerzempfindung in einen Zustand, in dem höchst traumatische Prozeduren ohne Schaden toleriert werden können (siehe Abschnitt Ziele).
Die natürliche Atmung ist dabei sowohl durch den Eingriff aber oft auch durch die Narkose selbst beeinträchtigt. Der Anästhesist hat somit für eine ausreichende Atmung (d. h. Sauerstoffversorgung) des Patienten zu sorgen. So muss er ständig die Atmung des betäubten Patienten überwachen, die Atemwege offenhalten (siehe Abschnitt Sicherung der Atemwege) und ggf. für Beatmung sorgen.

Für die Durchführung der Narkose benötigt der Anästhesist technische Hilfsmittel. Mit einem Narkosegerät (Abb.) kann er den Patienten beatmen und neben Sauerstoff auch gasförmige und verdampfbare Narkosemittel (siehe Abschnitt Narkotika) zuführen. Injizierbare Narkosemittel werden oft mit speziellen programmierbaren Spritzenpumpen verabreicht.
Es ist Aufgabe des Anästhesisten, durch permanente Überwachung Zustandsänderungen und Normabweichungen des Patienten zu erfassen, die sich oft durch die eigentliche Behandlung (zum Beispiel Blutverlust durch eine Operation) ergeben. Es gibt dazu ein umfangreiches Programm an Überwachungsmaßnahmen (siehe Abschnitt Überwachungsmaßnahmen).
Der Anästhesist interpretiert die Beobachtungen und Messergebnisse und verfügt im Notfall über geeignete Maßnahmen, um aufgetretene Störungen im Zustand des Patienten zu korrigieren (beispielsweise durch Bluttransfusion).
Eine Narkose umfasst also:
- Narkosedurchführung
- Sicherstellung der Atmungsfunktion
- Überwachung des Patienten
- Therapie von Störungen
Operationen werden heute in Teamarbeit durchgeführt. Während sich die Arbeit des Operateurs auf die Durchführung des Eingriffes konzentriert, sind für die Narkose und lebenserhaltende Maßnahmen der Anästhesist und der Anästhesiepfleger zuständig.
Vor jeder Anästhesie ist eine Untersuchung des Patienten durch den Anästhesisten erforderlich. Danach wird der Patient über Art und Risiko des vorgeschlagenen Anästhesieverfahrens aufgeklärt. Stehen unterschiedliche Verfahren (z. B. Narkose oder Regionalanästhesie) zur Wahl, so ist der Wunsch des Patienten zu berücksichtigen. Anschliessend leistet der Patient seine schriftliche Einwilligung in das Verfahren. Die Patientenaufklärung sollte spätestens am Vorabend der geplanten Operation erfolgen (Beispiel unter Weblinks).
Geschichte (Auswahl)
Es finden sich antike und mittelalterliche Quellen für künstlich herbeigeführte schlafähnliche (hypnotische) und schmerzfreie (analgetische) Zustände:
etwa 3500 v. Chr. | Genesis II, 21: "Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm seiner Rippen eine und schloss die Stätte zu mit Fleisch" |
etwa 1200 v. Chr. | Asklepios (Griechenland): unter Anwendung eines Trunkes wird Schmerzunempfindlichkeit für chirurgische Eingriffe herbeigeführt |
etwa 1300 | Guy de Chaliac (Frankreich): berichtet erstmals über Komplikationen während der Anwendung von Schlafschwämmen |
Im ausgehenden Mittelalter und anfangs des industriellen Zeitalters wurden die entscheidenden Grundlagen für die Entwicklung der modernen Narkose gelegt:
1546 | Valerius Cordus (Deutschland): Synthese von Äther. |
1771 | Joseph Priestley, Carl Wilhelm Scheele (England und Schweden): Entdeckung des Sauerstoffs. |
1775 | Priestley (England): Synthese von Lachgas |
1831 | Samuel Guthrie, Justus von Liebig, Eugene Soubeiran (Europa): Synthese von Chloroform |
Die Anfänge der wissenschaftlichen Anästhesie (Narkose) sind untrennbar mit den Namen Horace Wells, William Thomas Green Morton, John Snow und James Young Simpson verbunden:

Horace Wells (1815-1848, amerikanischer Zahnarzt) wohnte einer öffentlichen Vorführung des experimentierenden Chemikers G. Q. Colton bei, der einen jungen Mann Lachgas inhalieren ließ. Dabei konnte Wells beobachten, wie dieser sich zufällig, unter dem Einfluss des Gases zwar schwer am Schienbein verletzte, Schmerz aber anscheinend nicht verspürte. Wells testete mit Coltons Hilfe die Methode bei der Extraktion eines Zahnes mit Erfolg. Die Demonstration im Massachusetts General Hospital der Harvard-Universität (Boston) endete aber im Fiasko, da der Patient trotz Lachgasgabe unter Schmerzen litt. Wells veröffentlichte seine Ergebnisse 1847. Das Lachgas geriet aber in der medizinischen Fachwelt zunächst aufgrund der Bostoner Vorführung in Vergessenheit. Zu Unrecht, denn Lachgas ist das einzige Anästhetikum der Pionierzeit (wie Äther, Chloroform), das heute auch in Industriestaaten noch in Anwendung ist. | |
William Thomas Green Morton (1819-1868, amerikanischer Zahnarzt) erkannte die Bedeutung des Äthers zu Narkosezwecken und führte am 16. Oktober eine erfolgreiche Narkose vor (siehe Bild oben), an gleicher Stelle wie vor ihm der glücklose Wells. Dieses Datum gilt als die Geburtsstunde der modernen Anästhesie (AINS 2003;38). | |
James Young Simpson (1811-1870, schottischer Geburtshelfer) suchte unter dem Eindruck der Nachteile des Äthers nach einem alternativen Narkosemittel und fand das Chloroform. Dabei hat er sich auf der Suche nach dem geeigneten Mittel seiner Familie bedient. Die Wirkung der unterschiedlichen Dämpfe muss beeindruckend gewesen sein. Ein Zeitgenosse berichtete, dass er die Aufgabe übernommen hatte, ab und zu bei den Simpsons vorbei zu schauen, ob sich dort noch alles beim Rechten befände. | |
John Snow (1813-1885, britischer Anästhesist) war der erste Arzt, der sich ausschließlich der Anästhesiologie widmete. Er entwickelte u. a. 1847 den ersten Ätherverdampfer. 1853 ermöglichte er vermittels einer Äthernarkose die schmerzlose Geburt des Prinzen Leopold durch Königin Viktoria. |
Narkoseziele und Narkosemittel
![]() |
Die drei Komponenten der Narkose (Schlaf, Schmerzfreiheit und Muskelentspannung) lassen sich im Sinne ihres Wirkortes klar voneinander trennen. Die Ausschaltung des Bewusstseins ist an die Beeinflussung höherer Gehirnstrukturen gebunden, die Schmerzausschaltung erfolgt durch die Blockierung spezieller Rezeptoren und die Relaxation unterbricht die Erregungsübertragung an der Nerven-Muskel-Schnittstelle (motorische Endplatte). |
Schlaf-, Schmerzmitteln und Muskelrelaxantien überschneiden sich oft in ihren Wirkungen. So wirken die starken Schmerzmittel (Opioide) auch schlafanstoßend. Zudem gibt es Interaktionen zwischen den Medikamenten. In den meisten Fällen verstärken sie gegenseitig ihre Wirkung. |
Ziele
Die Narkose ist durch drei Eigenschaften gekennzeichnet:
- Bewusstseinsverlust (Hypnose), hiermit wird psychischer Stress während einer Operation vermieden.
- Schmerzausschaltung (Analgesie)
- Muskelentspannung (Relaxation) macht verschiedene Operationen technisch erst möglich. So sind große Bauch-Operationen (zum Beispiel an Darm und Magen) erst unter Muskelentspannung möglich geworden, die aber nicht bei allen Eingriffen notwendig ist.
Die Narkose führt zu einer erwünschten Reflexdämpfung.
Die wichtigste Eigenschaft der Narkose ist die Herbeiführung eines künstlichen "Schlafes" (wissenschaftlich gesehen handelt es sich eigentlich um einen Komazustand). Auf die Muskelrelaxation wird häufig verzichtet. Selbst die Schmerzausschaltung ist in Abhängigkeit vom Eingriff gelegentlich nicht notwendig. Trotzdem trägt das Verfahren, auch wenn nur "Schlaf" herbeigeführt werden sollte, die Bezeichnung Narkose, weil mit dem Schlaf Reflexe eingeschränkt werden.
Der gelegentlich gebrauchte Begriff Sedierung (Beruhigung) wird für einen Zustand zwischen Wachheit und Schlaf verwendet. Die Reflextätigkeit wird graduell eingeschränkt.
Mittel
Entsprechend den Zielen der Narkose (s. o.) werden die verwendeten Medikamente wie folgt eingeteilt.
- Hypnotika (Schlafmittel)
- Analgetika (schmerzdämpfende Mittel)
- Muskelrelaxantien (Mittel zur Erschlaffung der Willkürmuskulatur)
Eine umfassendere und vergleichende Darstellung findet sich unter dem Stichpunkt Narkotika.
Schlafmittel
Bei den Schlafmitteln (Hypnotika) finden sich einige medizinische Gase, volatile (dampfförmige) und injizierbare (einspritzbare) Medikamente. In Ausnahmefällen können bestimmte Hypnotika auch intranasal, oral, sublingual, rektal, intramuskulär oder subkutan verabreicht werden.
Der Gebrauch des Wortes Hypnotikum kann irreführend sein. Dieser Begriff wird im alltäglichen Sprachgebrauch für Suggestionsverfahren verwandt, die mit dem eigentlichen sprachlichen Ursprung (griech. ῦπνος „Schlaf“) nichts zu tun haben. In der Anästhesiologie und der Pharmakologie wird das Wort Hypnose in seiner ursprünglichen Bedeutung benutzt und kennzeichnet den Zustand der Bewusstlosigkeit.
Gase und Dämpfe
- Gase
- Lachgas, Xenon
- volatile Anästhetika
- Äther, Chloroform, Halothan, Enfluran, Isofluran, Sevofluran, Desfluran
Volatile Substanzen liegen unter Standardbedingungen in flüssiger Form vor. Diese Narkosemittel werden durch spezielle Verdampfer dem Frischgas beigefügt. (siehe Narkotika)
Injektionsnarkotika
Diese Medikamente liegen in flüssiger, gelöster Form vor. Sie müssen injiziert (eingespritzt) werden.
Die gebräuchlichsten Medikamente sind Thiopental-Natrium (z. B. Trapanal®) aus der Gruppe der Barbiturate, das Propofol und das Etomidat. Seltener werden Stoffe aus der Gruppe der Benzodiazepine eingesetzt.
Aufnahme und Elimination eines Injektionsnarkotikums unterscheiden sich prinzipiell von den Inhalationsnarkotika. Während die Gase im Wesentlichen durch die Atmung dem Organismus zugeführt oder entzogen werden, erfolgt die Zufuhr bei den Injektionsnarkotika durch Einspritzen (Injektion) und die Elimination durch Verstoffwechslung in der Leber oder Ausscheidung durch die Nieren.
Analgetika (Schmerzmittel)
Die in der Anästhesie verwendeten Analgetika sind
- Opioide
- Nichtopioid-Analgetika
- Ketamin (Sonderfall)
Bei den Opioiden sind Fentanyl, Sufentanil, Alfentanil und Remifentanil im allgemeinen Gebrauch. Wegen seiner extrem kurzen Wirkdauer ist Remifentanil besonders gut im Rahmen der TIVA (siehe unten) einsetzbar.
Die Nicht-Opioid-Analgetika sind zur Verwendung während der Narkose nicht geeignet. Ihre Wirkung, die auf der Hemmung des Enzyms Cyclooxygenase beruht, ist nicht unmittelbar. Diese Substanzen werden vorrangig zur Behandlung des postoperativen Schmerzes eingesetzt.
Ketamin, die unter Hypnotika schon genannte Substanz, hat unter anderem μ- und δ-agonistische Eigenschaften und ist deshalb auch ein gutes Analgetikum, aber auch ein potentes Hypnotikum. In letzter Zeit kommt sein Isomer S-Ketamin in Gebrauch, das ungefähr doppelt so stark und nebenwirkungsärmer ist.
Muskelrelaxantien
Muskelrelaxantien (siehe dort die Definition) kommen in Abhängigkeit von zugrunde liegendem Eingriff und dem Narkoseverfahren in Anwendung. So sind die Operationen in den großen Körperhöhlen, wie Brustkorb und Bauch, ohne Muskelrelaxantien nur schwer durchführbar.
An anderer Stelle, wie beispielsweise in der Kniegelenkchirurgie oder Eingriffen an der Körperoberfläche sind sie entbehrlich.
Gebräuchliche Mittel sind unter anderem Suxamethonium, Pancuronium, Alcuronium, Mivacurium, (Cis-)Atracurium, Rocuronium und Vecuronium.
Narkosestadien

Es werden
- Einleitung (syn.: Anflutung)
- Unterhaltung (syn.: statische Phase)
- Ausleitung (syn.: Abflutung)
der Narkose unterschieden.
- Einleitung
- Phase, in der die zur Narkose verwendeten Medikamente im Organismus eine zu ihrer Wirkung ausreichende Konzentration erst erreichen müssen. Es kommt in der Einleitungsphase zu umfangreichen Umverteilungsvorgängen zwischen Kompartimenten des Organismus. Entscheidend ist die Konzentration am Wirkort (hier Gehirn). In diesem Zeitraum ist eine andere medizinische Intervention (beispielsweise OP) nicht möglich.
- Unterhaltung
- Die Medikamente haben eine ausreichende Konzentration im Gehirn erreicht. Konzentration und damit Wirkung ermöglichen die medizinische Intervention (zum Beispiel die OP). In dieser Phase wird die Medikamentenzufuhr dem wechselnden Bedarf angepasst. Die Notwendigkeit dazu kann sich mit dem Fortschreiten der Operation ergeben, da die Regionen der Intervention unterschiedlich schmerzempfindlich sind.
- Ausleitung
- Nach Beendigung der Intervention werden die Narkosemittel aus dem Organismus eliminiert.
Einleitung und Ausleitung sind in medizinischem Sinne nicht von Nutzen, deshalb sollen diese Phasen möglichst kurz sein. Die Narkosemittel unterscheiden sich diesbezüglich in ihren physikalisch-biologischen Eigenschaften (s. u.). Moderne Narkosemittel erfüllen diese Forderung immer besser.
Systematik der Narkoseformen
Narkosesystem
Das Narkosesystem beschreibt das engere technische Prinzip zur Verabreichung von Gasen unter der Narkose. Es ist ein Teil des Narkosegerätes, das zusätzlich Vorrichtungen zur Bevorratung und Dosierung von Gasen enthält.
Klassen | Beschreibung |
---|---|
Nichtrückatemsysteme | Narkosen können im Rahmen der technischen Durchführung anhand des Narkosesystems systematisiert werden. In der Abbildung oben ist ein halbgeschlossenes Narkosekreissystem dargestellt, wie es am häufigsten in Anwendung ist. |
Rückatemsysteme |
Detaillierte Angaben hierzu unter Artikel Narkosesystem.
Sicherung der Atemwege (airway management)
Durch zentrale Dämpfungsvorgänge ist unter der Narkose einerseits die Spontanatmung tendenziell eingeschränkt (Hypoventilation) und in vielen Fällen gezielt aufgehoben. Durch manuelle oder maschinelle Beatmung wird die Sauerstoffversorgung und CO2-Abatmung sichergestellt.
Andererseits führen die oben genannten Dämpfungsvorgänge zur Erschlaffung der Schlundmuskulatur. Besonders in Rückenlage kommt es dabei zu einem Zurückrutschen der Zunge, die dabei die Atmwege verlegt. Die im Folgenden beschriebenen Verfahren dienen durch das sog. "Offenhalten der Atemwege" dem Narkoseverfahren. Sie haben unterschiedliche Risiken und Nebenwirkungen.
Klassen | Beschreibung |
---|---|
Intubation | unter Einführung eines Schlauches (Trachealtubus) durch Mund oder Nase in die Luftröhre zum sicheren Abdichten der Atemwege. Der Vorgang wird als endotracheale Intubation bezeichnet. Zu Komplikationen siehe unten unter Intubationsschäden. |
Gesichtsmaske | Der Sauerstoff und evtl. die Narkosegase werden über eine vor Mund und Nase dicht aufgesetzte Maske zugeführt. Das Offenhalten der Atemwege erfolgt durch spezielle Handgriffe (ESMARCH) und Lagerung des Kopfes (leichte Reklination des Kopfes). |
Larynxmaske | Eine speziell geformte Kehlkopfmaske sichert die Atemwege und ermöglicht die Beatmung. |
Larynxtubus |
Narkotikum
Narkosen können unter dem Aspekt betrachtet werden, welches Narkotikum zur Unterhaltung (siehe Abschnitt Phasen) benutzt wird.
Klassen | Beschreibung |
---|---|
Inhalationsnarkose | Verwendung von gas- oder dampfförmigen (volatilen) Narkosemitteln (beispielsweise Lachgas, Halothan, Sevofluran) |
iv.-Anästhesie | Verwendung von injizierbaren Narkosemitteln (Barbiturate, Propofol, Opioide) |
Balancierte Anästhesie | Verwendung von injizierbaren Narkosemitteln zur Narkoseeinleitung (Barbiturate, Benzodiazepine, Propofol, Etomidate), Aufrechterhaltung der Narkose unter Einsatz von volatilen Narkosemitteln (s.o.), Analgesie mit Opioiden. Die balancierte Anästhesie ist die derzeit am häufigsten verwendete Narkoseform. |
TIVA | Totale Intravenöse Anästhesie unter ausschließlicher Verwendung von injizierbaren (einspritzbaren) Anästhetika. Man kombiniert ein Schlafmittel (Propofol, Methohexital) mit einem schmerzstillenden Mittel (Remifentanil, Fentanyl). Die Kombination Propofol/Remifentanil zeichnet sich durch relativ gute Steuerbarkeit und weitestgehendes Ausbleiben von PONV aus (siehe Narkotika und Abschnitt Komplikationen und Nebenwirkungen) |
Neuroleptanalgesie | Zustand der Schmerzfreiheit (Analgesie) durch hochdosierte Opioide mit durch Neuroleptika induzierter Gleichgültigkeit (Affektindifferenz, Neurolepsie, "Mineralisation") den Ereignissen gegenüber. Wird die Neuroleptanalgesie durch Stickoxydul (Lachgas) ergänzt, so bezeichnet man das Verfahren als Neuroleptanästhesie. Ein kritischer Punkt bei der Neuroleptanästhesie ist die nicht immer vollständige Hypnose, da diese nicht durch ein spezifisches Hypnotikum, sondern als Summe der Nebenwirkungen der anderen Substanzen (Opioid, Neuroleptikum, Stickoxydul) entsteht. Die klassische, reine Neuroleptanästhesie (Typ II) wird deshalb heute eher selten und dann nur nach vorausgegangener starker Prämedikation mit Benzodiazepinen verwendet. Die Neuroleptanalgesie, die eigentlich keine Narkose, sondern eine Analgosedierung darstellt, wird bei bestimmten Indikationen (endolaryngeale Eingriffe, Bronchoskopien, blind-nasale Wachintubation) noch relativ häufig angewandt. |
Der im deutschen Ärzterecht (Kassen- und Privatarztrecht) verwendete Begriff der Kombinationsnarkose bezeichnet lediglich die gleichzeitige Verwendung mehrerer Narkosemittel. Dabei ist es unerheblich, ob dabei Inhalations- oder Injektionsnarkotika in Anwendung kommen. Diese Vorgehen ist jedoch die Regel, da nur in sehr seltenen Fällen noch eine Mono-Narkose durchgeführt wird (z.B. Kindernarkosen für diagnostische Untersuchungen).
Überwachungsmaßnahmen/Sicherheit
Die intraoperativen Überwachungsmaßnahmen sind für Deutschland im Medizinproduktegesetz und in der Medizingerätebetreiberverordnung festgelegt. Beide Gesetze stellen die Umsetzung der europäischen Norm EN 740 dar. Außerdem existiert eine Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin (DGAI) zur Überwachung der Narkose und für die Ausstattung von Narkosearbeitsplätzen.
Damit existiert ein Set von Austattungsnormen und Überwachungsmaßnahmen, das der Standardisierung von Narkosearbeitsplätzen dient.
Nach EU-Norm müssen folgende Parameter gemessen werden [3]:
- inspiratorische O2-Konzentration
- Anästhesiegaskonzentration
- Atemwegsdruck (bei Beatmung)
- exspiratorisches Atemvolumen (bei Beatmung)
- Diskonnektionsalarm (bei Beatmung, meist über den Atemwegsdruck getriggert)
- Kapnographie (Darstellung der CO2-Verlaufkurve)
Weiterhin überwachte Parameter sind nach DGAI:
- kontinuierliches EKG-Monitoring, sowie Herzfrequenz und Blutdruck
- Sauerstoffsättigung des Blutes (SaO2)
Bei entsprechender Indikation müssen nach anerkannten berufsständischen Regeln invasive Verfahren, wie arterielle Blutdruckmessung in Anwendung kommen.
Fakultativ, derzeit noch nicht vorgeschriebene Verfahren sind:
- EEG-Messungen (gelten als geeignet zur Bestimmung der Bewusstseinslage, nicht der Schmerzbeeinflussung) [2]
Vorerkrankung und Narkose
Die nachstehende Liste versucht typische und aus fachlicher Sicht interessante Erkrankungen aufzuführen, die mit der Narkose in Verbindung stehen. Diese Aufzählung kann aber nur eine Auswahl enthalten.
maligne Hyperthermie | Die maligne Hyperthermie ist eine seltene Erkrankung, die in Zusammenhang mit Narkosen zu schwerwiegenden Komplikationen führen kann. Hierbei kommt es zu einer Stoffwechselentgleisung mit extrem hohen Anfall an Kohlendioxid, Kreislaufüberstimulation und evtl. Erhitzung des Körpers. Durch sofortige Therapie konnte die Letalität (tödliche Verläufe) auf nahezu 0% reduziert werden. Wichtigstes Medikament zur Therapie ist Dantrolen. |
restless legs-Syndrom | Kennzeichnend für das restless legs-Syndrom sind Missempfindungen in den Extremitäten, die zum Bewegungszwang führen. Bei dieser relativ häufigen Erkrankung älterer Menschen ist die Verwendung von Propofol kontraindiziert (nicht angezeigt), da es zu einer akuten Verstärkung der Missempfindungen führt. |
Myasthenia gravis | Die Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung mit Bildung von Antikörpern gegen die Actylcholinrezeptoren der Muskelzelle im Bereich der Muskelendplatte. Die Erkrankung ist durch Schwäche der Willkürmuskulatur gekennzeichnet, in einem ausgeprägtem Stadium durch Beeinträchtigung der Atmung. Muskelrelaxantien dürfen nur in sehr eingeschränktem Umfang angewendet werden. |
Nebenwirkungen und Komplikationen
Die primär anästhesiebedingte Mortalität soll bei 0,05 Promille liegen, d. h. bei 5 von 100000 durchgeführten Narkosen.
Zum Vergleich: die primär anästhesiebedingte Mortalität von allgemeinchirurgischen Patienten soll bei 0,07-0,09 Promille liegen, die Gesamtmortalität liegt bei diesen Patienten jedoch bei 6 Promille (also knapp 100mal höher!). [Heck, M., Fresenius, M.: Repetitorium Anaesthesiologie 3. Aufl., 2001]
Im Folgenden eine (lückenhafte) Liste der Nebenwirkungen und Komplikationsmöglichkeiten von Narkosen:
Übelkeit und Erbrechen (PONV)
Relativ häufige Nebenwirkung (bis zu 80% bei gynäkologischen Eingriffen, im Allgemeinen 25-30% [1], bei ambulanten Eingriffen unter 5%). Diese Nebenwirkung (PONV = postoperative nausea and vomiting) geht meistens mit dem Gebrauch von bestimmten Opioiden in der Anästhesie einher und kommt nach der Wahl geeigneter Mittel seltener vor (z. B. TIVA mit Propofol und Remifentanil).
Als Risikofaktoren gelten [1]:
- weibliches Geschlecht
- Nichtraucher
- schon stattgehabte PONV oder "Reisekrankheit"
- anästhesieseitiger Gebrauch von Opioiden (besonders postoperativ), volatilen Anästhetika, Antagonisten der nichtdepolarisierenden Muskelrelaxantien
Intubationsschäden
Zahnschaden
Ein Zahnschaden ist eine seltene aber aufklärungspflichtige Komplikation der trachealen Intubation. Beim Einlegen des Tubus in die Luftröhre (lat. Trachea) wird in der Regel ein Laryngoskop verwendet, um die Zunge wegzudrängen und somit freie Sicht auf den Trachealeingang mit Stimmlippen und Kehlkopf zu haben. Bei diesem Vorgang kann es vereinzelt - insbesondere bei beengten Sichtverhältnissen - zur Schädigung von Oberkiefer-Frontzähnen kommen.
Die Häufigkeit wird mit 1:4500 (Warner ME, Benenfeld SM, Warner MA, Schroeder DR, Maxson PM. Anesthesiology. 1999 May;90(5):1302-5) angegeben. Seit den 90er Jahren wird häufig die Larynxmaske anstelle des Trachealtubus zur alternativen Sicherung der Atemwege genutzt. Bei Fehlen von Kontraindikationen vermindert der Einsatz der Larynxmaske die Häufigkeit dieser Komplikation.
Fehlintubation
Zum Zwecke der Beatmung wird normalerweise das Ende des Beatmungstubus in der Luftröhre (Trachea) platziert.
Fehlintubationen sind:
- Ösophagusintubation
- Hier wird der Tubus fehlerhaft in die Speiseröhre (Oesophagus) eingeführt. Damit kann kein Gasaustausch stattfinden. Klinisch fällt - in Abhängigkeit von der Sauerstoffvoratmung - rasch eine Zyanose auf. Die Kapnografie/-metrie zeigt keine expiratorischen CO2-Werte an. Gleichzeitige Kalibrierung des Sensors, Genuss kohlensäurehaltiger Getränke (Coca-Cola) oder Antazida-Einnahme kurz vor Messung können in seltenen Fällen zu Fehlinterpretationen führen (CO2-Blase im Magen). Abhilfe wird durch sofortige tracheale Umintubation geschaffen.
- endobronchiale Intubation
- Hierbei gelangt das distale Tubusende in einen der Hauptbronchien oder tiefer. Folge ist zumindest eine einseitige Ventilation mit resultierender pulmonaler Shuntdurchblutung. Die Diagnose kann durch Auskultation gestellt werden, wenn in der nichtbelüfteten Lunge das Fehlen von Ventilationsgeräuschen festgestellt wird.
- Die Therapie besteht im kontrollierten Zurückziehen des Tubus unter Beatmung. Das Stethoskop sollte auf der nichtbelüfteten Lunge liegen, während der Tubus langsam herausgezogen wird. Beim Auftreten von Atemgeräuschen liegt der Tubus korrekt.
- Im Rahmen der Thoraxchirurgie und Intensivmedizin kommen Techniken zur endobronchialen Intubation zweckgebunden in Anwendung. Das kann der gezielten Ruhigstellung eines Lungenflügels oder der seitengetrennten Beatmung dienen und somit gewollt sein.
- Verletzung der Trachea (Penetration)
- Durch tracheale Verletzung kann das Tubusende nach paratracheal gelangen. Es handelt sich um ein extrem seltenes Ereignis.
Aspiration von Mageninhalt
Die Aspiration von Mageninhalt ist eine der gefürchtetsten Komplikationen der Narkose.
In der Narkose sind normalerweise die Schutzreflexe erloschen. Dieser Zustand ist erwünscht. Es kann aber unter ungünstigen Verhältnissen dazu kommen, dass sich Mageninhalt passiv in den Rachen entleert und dann passiv in die Luftröhre und Lunge gelangt (Aspiration).
Hierbei können grobe Nahrungsbrocken zur Verlegung der Luftwege führen und die Ventilation beeinträchtigen. Die Folge ist die Ausbildung von Atelektasen, also unbelüftete Lungenabschnitten, die für den Luftaustasch nicht mehr zur Verfügung stehen. Im ungünstigsten Fall kommt es durch große Nahrungbrocken zur Verlegung der Luftröhre (Trachea), womit Atmung und Beatmung unmöglich werden können. Es sind Ventilphänomene beschrieben worden. Diese Komplikation ist akut lebensbedrohlich und muss innerhalb von Minuten behoben werden..
In anderen Fällen kann es bei Aspiration dünnflüssigen Magensaftes zur Verätzung des empfindlichen Lungengewebes kommen. Ursächlich ist der niedrige pH-Wert des Magensaftes. Man spricht von einer chemischen Pneumonitis, die zum ARDS führen kann. Dieses Krankheitsbild ist ebenfalls lebensbedrohlich und führt bei überstandener Krise oft zu Folgeschäden (Lungenfibrose). Die sog. Aspirationspneumonie (Mendelson-Syndrom) erfordert immer Behandlungsmethoden der Intensivmedizin.
Der Vermeidung dient normalerweise die Nahrungkarenz vor Narkosen. So muss jegliches Essen für mindestens 6 Stunden vor Narkosen vermieden werden. Die Einnahme von 450 ml einer klaren Flüssigkeit wird heute meistens im folgenden Zeitraum bis 2 Stunden vor der Narkose als unproblematisch angesehen, wenn es sich um sonst gesunde Patienten handelt (siehe auch Abschnitt "Was tut der Patient?").
Im Notfall oder unter besonderen Bedingungen muss das Risiko der Aspiration durch Medikamente (z. B. zur pH-Wert-Anhebung), bestimmte Narkosetechniken (Rapid Sequence Induction) oder Verwendung von Magensonden und -blockern minimiert werden.
Intraoperative Wachzustände (Awareness)
Die Inzidenz von Awareness wird mit bis zu 2 % angegeben, wobei herzchirurgische und gynäkologische Eingriffe besonders häufig genannt werden. Andere Quellen geben eine Inzidenz von 0,02 % für Awareness mit Erinnerung und bis zu 80 % (!) für Awareness ohne Erinnerungsmöglichkeit an.
Die Ursache liegt in der unzureichenden Narkosemittelbedarfsdeckung des Patienten, sei es durch Schwierigkeiten in der Interpretation der Narkosetiefe (z. B. Einsatz von Muskelrelaxantien, vorbestehender Drogenabusus) oder durch technische Dysfunktionen (z. B. Störungen in der zentralen Gasversorgung).
Als wichtigste Vermeidungsstrategie wird - wo möglich - der Verzicht auf die Anwendung von Muskelrelaxantien angesehen, so können reflexhafte Gliedmaßenbewegungen das drohende Gewahrwerden anzeigen. Andererseits wird der Einsatz von Benzodiazepinen und der kombinierte Einsatz von volatilen Anästhetika empfohlen.
In manchen Einrichtungen wird das Neuromonitoring in Form von EEG- und EP-Analysen eingesetzt. Die EP-Analyse hat dabei Nachteile, da sie einer Alles-oder-Nichts-Regel zu folgen scheint. Zwischenschritte sind nicht zu ermitteln. Durch EEG-Analyse können demgegenüber Indizes erstellt werden, die unterschiedliche Narkosetiefen aufzeigen können. Durchgesetzt haben sich numerische Indices (z. B. von 100 (wach) bis 0 [Nulllinie im EEG, dh. Narkose ist zu tief], die durch Analyse der Powerspectra des Roh-EEGs mittels Fast-Fourier-Transformation erstellt werden. Diese Information sollen zukünftig in einem Regelkreis zur automatischen Steuerung der Hypnotikum-Zufuhr verwendet werden.
Die Verfahren sind größtenteils noch in der Entwicklung. Es gibt aber schon eine Reihe einsatzbereiter Geräte (Narkotrend [siehe Abb. des Narkosegerätes oben], BIS, Siemens EEG-Pod, Dräger pEEG).
Siehe auch
Literatur
- Apfel C. C. und N. Roewer: Postoperative Übelkeit und Erbrechen, Der Anästhesist 4:2004 S. 377ff
- Schmidt G. N. et al: Comparative Evaluation of Narkotrend, Bispectral Index and classical electroencephalographic variables during Induction; Maintenance and Emergence of a Propofol/Remifentanil Anesthesia; Anesth Analg 2004;98:1346-53
- Lips U.: Monitoring; in Pichlmayr, Jaeger: Kompendium Anästhesiologie; ecomed, 2004, ISBN 3-609-71360-7