Bipolare Störung
Als Bipolare Störung wird eine affektive Störung bezeichnet, bei der wiederholt depressive Phasen (mit übernormal gedrückter Stimmung und vermindertem Antrieb) und manische Phasen (mit überdrehter gehobener oder gereizter Stimmung und vermehrtem Antrieb, oder abgeschwächt als so genannte hypomane Phasen) auftreten. Dazwischen tritt in der Regel eine Besserung ein. Bei längerem Verlauf mit mehreren Episoden können jedoch Residual-Symptome zurück bleiben.
Die Bipolare Störung ist also eine sehr ernste "Stimmungs- und Antriebskrankheit". Sowohl für manische als auch für hypomanische und depressive Episoden gibt es Kriterien-Kataloge, bei denen einige Symptome erfüllt sein müssen und auch über eine definierte Zeit lang anhalten müssen, um eine Diagnose zu treffen. Früher wurde für diese Störung auch der Begriff "manisch-depressive Erkrankung" oder gar "manisch-depressives Irresein" (Kraepelin) verwendet, umgangssprachlich wird sie als "manische Depression" bezeichnet.
Ein unter Psychiatern und Behörden übliches, aber nicht immer ganz korrekt benutztes Synonym für die Bipolare Störung ist bipolare Psychose oder affektive Psychose.
Je nach der Häufigkeit der Stimmungsumschwünge unterscheidet man weiterhin auch Rapid Cycling (mindestens vier Stimmungsumschwünge im Jahr), Ultra Rapid Cycling (Stimmungsumschwünge innerhalb von wenigen Tagen) und Ultra Ultra Rapid Cycling (Umschwünge innerhalb von wenigen Stunden, das Selbstmord-Risiko ist hierbei besonders hoch).
Viele Besucher von Kunstmuseen und Konzerten sowie viele Leser wären überrascht, wüssten sie, wie viele Künstler, Komponisten, Literaten bipolar waren, an affektiven Störungen litten. Vermutlich ist eine stark ausgeprägte Empfindsamkeit und die Erhöhung des Antriebs z.B. in der Hypomanie ursächlich dafür. Allerdings sollte man dabei nicht übersehen, dass viele solcherart Betroffener sich suizidierten (Virginia Woolf, Sylvia Plath, "Falco", Vincent van Gogh, etc.) und man sollte nicht vergessen, dass die subjektiv als positiv empfundene Hypomanie eine Episode ist, die depressive Episoden nach sich zieht, die in die Manie umschlagen kann, und dass jede Krankheitsepisode die Prognose ungünstiger werden lässt.
Verlaufsformen
Episoden beider Art treten häufig, aber nicht ausschließlich nach einem belastenden Lebensereignis auf. Die Betroffenen sind sehr empfindlich gegenüber Stress. Genetische Veranlagung spielt eine Rolle. Es sind innere Rhythmen, die auch unabhängig von äußeren Ereignissen wirken. Die Bipolare Störung ist eine lebenslange, chronische Erkrankung. Oft erkennen die Betroffenen ihre Krankheit nicht, denn man geht meist davon aus, dass es anderen innerlich genauso geht. Nichtbetroffene kennen auch glückliche oder gereizte Zustände auf der einen, und depressive Stimmungen auf der anderen Seite. Auch ihre Stimmung und ihr Antrieb pendelt und ist nicht immer gleich. Bei der Bipolaren Störung werden allerdings die normalen Ausschläge überschritten, die Gegenpole sind viel extremer. Das können Nichtbetroffene meist nicht nachvollziehen. Eine Depression wird als viel schlimmer empfunden als das "Depressiv-Drauf"-Sein, das auch viele gesunde Menschen manchmal durchmachen. Eine Manie ist viel stärker als normale Glücksgefühle, Gereiztheit und normaler Antrieb.
Die Phasen der Manie äußern sich häufig in starker Aktivität in Beruf und freiwilligem Engagement. Gerade diese Aktivität wird dem Betroffenen aber an dieser Stelle möglicherweise zum Verhängnis, da sie von Außenstehenden als übertrieben, aufdringlich oder gar anmaßend empfunden werden kann. Oft führt eine Manie zu Selbstüberschätzung und Übertreibung. Der Betroffene kann sich angeblich vollbrachte Leistungen durchaus auch nur einbilden.
Während einer Manie konzentriert der Betroffene oft seine volle Kapazität auf Teilaspekte seine Lebens, wobei andere Aspekte vernachlässigt werden oder völlig ignoriert werden. So kann es vorkommen, dass der Betroffene seine gesamte Energie auf sein berufliches oder freiwilliges Engagement oder für einen neuen Partner verwendet, gleichzeitig aber seine sozialen Kontakte oder seinen Haushalt völlig vernachlässigt. In der Tat kann die vermehrte Leistungsbereitschaft auch zu Erfolgen führen. So kann der Erkrankte während einer Manie bei vorhandener Begabung sehr respektable Leistungen vollbringen.
Die Auswirkung der Krankheit auf ein Engagement bezieht sich also insbesondere auf dessen Umfang sowie die Interpretation des Geleisteten durch den Erkrankten. Der Betroffene kann sich aber auch in Dinge hineinsteigern, die absolut realitätsfremd sind. Dies ist vor allem der Fall, wenn er während der Manie in einen Größenwahn verfällt (Megalomanie). Dabei kann auch ein religiöser Größenwahn auftreten, in dem Betroffene sich für auserwählte Propheten oder für große Rächer im Namen Gottes halten können, neue Schriftzeichen entwickeln, ihre eigene Himmelfahrt vorhersagen, Berechnungen des Datums für den drohenden Weltuntergang anfertigen, der Phantasie für weitere Aktivitäten sind keine Grenzen gesetzt. Auch wegen des durch die Manie hervorgerufenen, oder sie auslösenden, teils extremen, Schlafmangels können solche Halluzinationen und Wahnvorstellungen hervorgerufen werden.
Wenn dann berechnete Ereignisse nicht eintreffen, fallen die Betroffenen oft in die Depression, oder sie ändern ihre Strategie und entwickeln neue Taktiken, mit denen sie mitunter effektiv ihre Angehörigen terrorisieren können. Auch kann der Tod und das Böse verherrlicht werden, in diesen Phasen besteht hohes Suizidrisiko.
Die Depression verkehrt alle Aspekte der Manie ins Gegenteil und zwingt den Betroffenen zu Apathie und Lustlosigkeit.
Das erstmalige Auftreten der Krankheit kann in jedem Alter geschehen. Häufigkeit und Dauer der einzelnen Phasen sind sehr unterschiedlich; generell lässt sich jedoch sagen, dass manische Phasen in der Regel etwas kürzer dauern als depressive Episoden, dass die Intervalle zwischen den Phasen im Lauf der Zeit kürzer werden und dass mit zunehmendem Lebensalter häufiger depressive Phasen auftreten und diese länger andauern.
Bei Bipolaren Erkrankungen werden Erkrankungsformen unterschieden, die mit "Bipolar I", "Bipolar II" oder "Zyklothymie" klassifiziert werden. "Bipolar I" nennt man eine Bipolare Krankheit, bei der mindestens eine voll ausgeprägte Manie vorkommt oder vorgekommen ist. "Bipolar II" charakterisiert eine Erkrankungsform, die mit Hypomanien und - oft schweren - Depressionen einhergeht. "Zyklothymie" ist eine in den Ausschlägen schwächere Verlaufsform, die allerdings immer noch deutlich über den normalen Schwankungen liegt ("himmelhoch jauchzend - zu Tode betrübt"). Bei so genannten rezidivierenden Depressionen, das sind Depressionen, die - nach einem Zwischenzustand des Normalen - immer wieder kommen, steckt oft bei näherem Hinsehen eine "Bipolar II"-Störung dahinter. Die Hypomanien kommen Ärzten oft nicht zur Kenntnis, so dass die bipolare Störung dann nicht angemessen behandelt wird.
An Bipolarer Störung Leidende haben ein um ein Vielfaches erhöhtes Selbsttötungsrisiko. 15% begehen Selbsttötung. Besonders riskant sind Depressionen, bei denen die Lähmung des Antriebs noch nicht da ist oder etwas verbessert ist, so dass man seinen Vorsatz, der durch die verzerrte Sicht der Realität verursacht ist, umsetzen kann. Auch gemischte Phasen (Mischzustände), bei denen manische und depressive Symptome zugleich auftreten, bergen ein großes Selbsttötungs-Risiko.

Behandlung
Eine medikamentöse Behandlung erfolgt in der Regel mit Stimmungs-Stabilisierern wie Valproat oder mit Neuroleptika bei akuten Manien und/oder Antidepressiva; eine vorbeugende Behandlung erfolgt mit Stimmungs-Stabilisierern wie Lithium oder Antiepileptika wie Carbamazepin, Valproinsäure oder Lamotrigin. Bei Lithium kann es bei langer, regelmäßiger Einnahme (wie meist notwendig) zu Schädigungen der Leber führen. Neuerdings ist auch das Neuroleptikum Olanzapin als Phasenprophylaxe zugelassen. Die genauen Wirkungsweisen, insbesondere die des Lithiums, in Form von Lithiumcarbonat eingenommen, sind bisher noch ungeklärt. Manche Antidepressive beinhalten ein "Switch-Risiko". "Switch-Risiko" heißt, dass durch die antidepressive Behandlung Manien oder Hypomanien ausgelöst werden. Eine Bipolare Störung wird deswegen vorteilhafterweise anderes medikamentös behandelt als eine reine Depression. Auch deswegen ist eine genaue Diagnose von Vorteil, die auch für eine Phasenprophylaxe unumgänglich ist.
Ein Vorgehen im "Trialog" hat sich bewährt und ist ideal, d.h. dass Betroffene, Angehörige und Behandler (Ärzte, Therapeuten) möglichst zusammen arbeiten.
Sinnvoll ist auch oft eine auf die Krankheit abgestimmte kognitive Verhaltenstherapie (Psychotherapie) oder Soziotherapie oder Psychoedukation. Empfehlenswert sind außerdem Selbsthilfegruppen. Aufgrund der mangelnden Krankheitseinsicht der Betroffenen, insbesondere in manischen Episoden, muss eine Behandlung in der akuten Krankheitsphase oft gegen den Willen der Patienten erfolgen. Das in einer Manie gesteigerte Selbstbewusstsein kann auch dazu führen, dass der Betroffene seine Medikamente selbstständig absetzt, was das Risiko eines erneuten und stärkeren Ausbruchs der Störung in sich birgt. Partnerschaft und Beruf sind durch die langen und wiederkehrenden Episoden in Gefahr. Die Bipolare Störung gehört zu den zehn Krankheiten, die weltweit am meisten zu Behinderung führen. Die Lebenserwartung ist - auch ohne die erhöhte Suizidrate - verkürzt.
Siehe auch
Schizoaffektive Störung, Manie, Depression, Kategorie:Psychische Störung
Literatur
- Bräunig, Peter; Gerd Dietrich , Leben mit Bipolaren Störungen. Trias-Verlag 2004, ISBN: 3830430698
- Andreas Erfurth (Redaktion), Weißbuch Bipolare Störungen in Deutschland, Stand des Wissens - Defizite - Was ist zu tun?, Kurzfassung: ISBN 3-8311-4520-2, Langfassung: ISBN 3-8311-4521-0
- Meyer, Thomas D.; Martin Hautzinger; Manisch-depressive Störungen. Beltz Psychologie Verlags Union 2004, ISBN 3621275517
- Faust, Volker; Manie. Eine allgemeine Einführung in die Diagnose,Therapie und Prophylaxe der krankhaften Hochstimmung, Enke-Verlag 1997, ISBN 3432278616
- Kay Redfield Jamison: Meine ruhelose Seele. Die Geschichte einer manischen Depression. Goldmann-Verlag 1999, ISBN: 3442150302
- Petra Otto: Infarkt der Seele, Büro + Service GmbH Rostock, ISBN: 3899540395
- Dr. Renate Kingma (Redaktion): Mit gebrochenen Flügeln fliegen.... Menschen berichten über bipolare Störungen, Books On Demand 2003, ISBN 3-8330-0662-5
- In Balance. Leben mit Manie und Depressionen. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V., ISSN 1860-8106