Angewandte Geophysik
Die Angewandte Geophysik ist jenes Teilgebiet der Geophysik, in dem alle praxisorientierten und wirtschaftlich bedeutungsvollen Verfahren zusammengefasst werden.
Vier Gruppen von Methoden
Die Angewandte Geophysik kennt eine Vielzahl von Methoden - so vielfältig eben auch der Erdkörper, seine Gesteine und unterirdischen Strukturen sind, seine Fluide und auch manchmal austretende Gase. Man gliedert sie üblicherweise nach ihren wichtigsten Mess- und Auswertungs-Methoden:
- Potenzialverfahren - vor allem Schwere- und Magnetfeld der Erd(krust)e
- Wellenverfahren - Erkundung des Untergrundes mit seismischen Wellen oder mit Radar
- radiometrische Verfahren
- geochemisch-physikalische Verfahren.
Potenzialverfahren
Nutzen die Besonderheiten physikalischer Felder und ihre Wirkungen auf die Messpunkte an der Erdoberfläche zur Erkundung der Tiefe. Dazu gehören:
Genaue Messungen des Erdschwerefeldes (Schwerkraft und evtl. auch Schweregradienten) gestatten die Ortung von Dichte-Änderungen der Gesteine im Untergrund, was auf Lagerstätten, Hohlräume, Fels-Auflockerung etc. schließen lässt.
Die Vermessung natürlicher und künstlicher elektrischer Felder lässt vor allem auf Änderungen des Widerstandes schließen. Damit kann man wasserhältige Schichten, Porenstrukturen etc. erkunden.
Eine detaillierte Vermessung des Erdmagnetfeldes auf dem Boden ("terrestrisch") oder vom Flugzeug oder Hubschrauber ("Aeromagnetik") spiegelt die Existenz magnetischer Gesteine im Untergrund wider. Bei der Modellierung des zugehörigen Potenzials sind Querverbindungen zum Schwerepotenzial der Gravimetrie möglich.
Messung der Erdwärme beziehungsweise des Wärmeflusses, Interpretation hinsichtlich der Wärmeleitfähigkeit und der Temperaturen im Untergrund.
Wellenverfahren
erlauben die Erkundung von Erdkruste und evtl. Erdmantel mit seismischen Wellen und mit Radar. Bei ersteren ist zwar der Messaufwand erheblich, doch auch die Eindringtiefe und die Aussagekraft über unterirdische Schichtungen.
Messung und Interpretation natürlicher Erdbeben. Dieses Gebiet wird oft nicht zur angewandten, sondern zur allgemeinen Geophysik gezählt.
Messung und Interpretation künstlicher Erdbeben. Diese mechanischen Wellen zerfallen in Stoßwellen, Scherwellen (P- und S-Wellen) und andere Wellentypen und werden an Formationsgrenzen gebeugt oder reflektiert, wenn sich dort Dichte oder Elastizität des Gesteins ändern. Die Seismik ist vor allem für die Exploration (Erkundung) von Erdöl und Erdgas wichtig, weil sich diese Kohlenwasserstoffe in typischen, aufgewölbten Strukturen ansammeln. Die Stoß- und Scherwellen werden von Geofonen aufgezeichnet, die in Profilen oder flächenhaft ausgelegt und mit Kabeln verbunden sind. Die Beben werden auf verschiedene Weise ausgelöst:
- Sprengungen in tiefen, verdämmten Bohrlöchern,
- Vibroseis - schwere Lastfahrzeuge mit vibrierenden Bodenplatten,
- Schlaghammer; für relativ dünne Schichten wie etwa zur Vermessung von Gletschern kann auch ein schwerer manueller Hammer mit elektrischen Kontakten genügen („Hammerschlag-Seismik“).
oder "Ground Penetrating Radar", GPR) - vor allem zur Ortung von kleineren Unregelmäßigkeiten und metallhaltigen Strukturen im Untergrund, etwa bei der Untersuchung von Müllhalden oder bereits abgedeckten Deponien, aber auch in der Archäologie.
Da im Regelfall sowohl die Gravimetrie als auch die Seismik mehrdeutige Ergebnisse liefern, ergänzen sie sich in vielen Fällen. Sinnvollerweise wird man zur Erzielung eindeutiger Interpretationen möglichst viele geologische Daten einbringen - beispielsweise über die Gesteinsarten, den Bereich ihrer Dichtewerte (etwa 2,0 bis 3 g/cm³) und die Neigung ihrer Schichten an der Erdoberfläche.
Elektromagnetische Verfahren im Frequenzbereich
- Magnetotellurik
- VLF
- Spektrale Induzierte Polarisation
- Kernspinresonanz (NMR, oberflächig SNMR)
Geochemisch-physikalische Methoden
- Geochemische Verbreitungsmessungen
- Methoden mit Radon und anderen Gasen
- Radioaktivität
Bohrloch-Geophysik
Im Zusatz zu den Oberflächenmessungen zählen hierzu Mess-Sonden in Bohrlöchern, beispielsweise als Dichte-Logging, für elektrischen Widerstand und Wärmeleitfähigkeit, Gammastrahlung, Akustische Emissionssonden, Magnetometer usw. (Siehe auch: Kontinentales Tiefbohrprojekt)
Querverbindungen
Bei fast allen oben angeführten Methoden und Methodensgruppen ergeben sich Querverbindungen zu anderen geowissenschaftlichen Fächern. Beispiele dafür sind:
- Geodäsie - zur Gravimetrie und Potenzialtheorie
- Hydrologie - v.a. zur Geoelektrik
- Geotechnik - Seismik und Bodenmechanik
- Meteorologie - Radon- und andere Gase, Temperatureffekte usw.
- Aeronomie und Ionosphärenforschung - beispielsweise in der Magnetik.
Doch wirken die Ergebnisse der angewandten Geophysik auch auf die anderen Bereiche innerhalb der Geophysik zurück - vor allem
- auf die allgemeine Geophysik, was Struktur und Aufbau des Erdkörpers betrifft,
- auf die theoretische Geophysik, welche das Potenzial von physikalischen Feldern erforscht oder die Ausbreitungsgleichungen von seismischen Wellenen, die Frage der Bezugssysteme oder die verwendeten Grundlagen und Koordinatensysteme, sowie die Querverbindung zur Astronomie herstellt,
- die experimentelle Geophysik, die im Labor jene Gesteins-Parameter bestimmt, die der Geophysiker "im Feld" zur Deutung seiner Messungen benötigt. Beispiele sind die Schallgeschwindigkeit verschiedener Materialien, die E-Moduln, die spezifische Dichte, die Porosität und Porenradienverteilung, Permeabilität, Wärmeleitfähigkeit und magnetische Suszeptibilität.
Alle diese Zusammenhänge erleichtern der angewandten Geophysik die erfolgreiche Suche nach unterirdischen Strukturen und Standortanalysen, sowie nach Lagerstätten, Vorkommen von Wasser oder Erzen. Die vielen Abhängigkeiten komplizieren allerdings auch die Theorie und die Software.
Ziviltechniker und Organisationen
Speziell die Sedimentbecken - auf denen der Großteil der Menschheit lebt - sind der Geophysik gut zugänglich; für deren angewandte Forschung gibt es in der BRD seit 2002 ein Schwerpunktprogramm. Auch zur Ermittlung von potenziell geeigneten Endlagerstätten für Abfälle, für Atommüll und für Deponien werden Methoden der Geophysik - nebst anderen Fachgebieten - angewandt. In der Praxis arbeiten hier vielfach Ziviltechniker im selbständigen Beruf und in Kooperation mit Ingenieurgeologen. Nur bei größeren, überwiegend der Forschung dienenden Projekten geben Institute von Hochschulen, von Akademien oder Fachabteilungen von (Landes)-Regierungen den Ton an.
Der weite Bereich des Umweltschutzes hat viele, vor allem jüngere Geophysiker dazu gebracht, sich auf diesen neueren Feldern zu spezialisieren. Auch gehen bei fast allen größeren Bauvorhaben genaue Untersuchungen des Baugrundes voraus (Standfestigkeit, Wasserverhältnisse usw.) und neuerdings in der Landwirtschaft Methoden der "Agrogeophysik".
Die verschiedenen Gebiete haben ihre jeweils eigenen Organisationsformen auf fachlichen und regionalen Ebenen - etwa die technischen Aufgabenbereiche und die Rohstofferkundung.
Die eher globalen Untersuchungs- und Forschungsthemen sind eher im Rahmen der IUGG (Internationale Union für Geodäsie und Geophysik) und ihren sieben Assoziationen angesiedelt, die alle vier Jahre ihre Generalversammlung abhält und dabei über 5.000 Fachleute zu großen Kongressen vereint. Dazwischen finden jährlich einige hundert Tagungen für spezielle Bereiche statt, beispielsweise im Rahmen der europäischen EGU und der amerikanischen AGU.