Privatisierung
Unter Privatisierung versteht man:
- Die bloße Umwandlung einer öffentlichen Einrichtung (Regiebetrieb, Eigenbetrieb etc.) in ein Unternehmen mit privater Rechtsform (Beispiel: Deutsche Bundesbahn -> Deutsche Bahn AG). Sofern das Unternehmen danach weiterhin von der öffentliche Hand beherrscht wird, bezeichnet man diese Form als formelle Privatisierung.
- Der Verkauf von Anteilen der Öffentlichen Hand an einem privatrechtlichen Unternehmen ("echte Privatisierung"), meist über die Börse (Beispiel: Der Freistaat Bayern verkauft seine Anteile an der VIAG)
- Übertragung von Aufgaben, die bisher von staatlichen Einrichtungen erfüllt wurden, auf private Unternehmen (Beispiel: Bau und Betrieb einer Autobahn)
Im Sprachgebrauch wird häufig nicht sauber zwischen diesen unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffes "Privatisierung" unterschieden. Zur Verwirrung trägt auch bei, dass in der Praxis oft zwei der drei unterschiedlichen Sachverhalte kombiniert auftreten (Beispiele: Umwandlung und Aufteilung der Deutschen Bundespost in drei AGs und Verkauf von Telekom-Aktien, Verkauf der Bundesdruckerei an ein privates Unternehmen).
Das Gegenteil der Privatisierung ist die Verstaatlichung.
Vorteile der Privatisierung
Befürworter verweisen darauf, dass sich erwiesen habe, dass privat geführte Unternehmen Aufgaben effizienter als etwa die Öffentliche Hand erledigen würden. Öffentlich geführte Unternehmen seien oft Verlustgeschäfte. Es komme zu Kosteneinsparungen. In den privatisierten Bereichen entstehe auch eine wünschenswerte eine neue Service-Kultur, die an die Stelle einer vormaligen Beamtenmentalität trete. Der Markt könne Bedürfnisse besser erfüllen als eine oft schwerfällige (staatliche) Verwaltung. Durch Konkurrenz verschiedener Anbieter steige die Qualität.
Die Deutsche Telekom etwa bietet, verglichen mit der vormaligen staatlichen Gesellschaft, eine Vielzahl mehr an Services, Dienstleistungen und Produkten an.
Die teilweise Privatisierung der Sendefrequenzen des Fernsehens unter Helmut Kohl (Privatfernsehen) brachte einen grossen Zuwachs an Programmvielfalt und somit mehr Auswahlmöglichkeiten für den Konsumenten. Die öffentlich-rechtlichen Sender waren so gezwungen, Programmpläne umzustellen und mehr auf ähnlich populäre Sendungen zu setzen.
Zudem solle sich der Staat grundsätzlich aus möglichst vielen privatisierbaren Bereichen zurückziehen und sich auf Kernaufgaben beschränken, weil dies nach manchen Theorien (Liberalismus, Neoliberalismus) letztendlich das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung fördert.
Siehe auch: Subsidiarität in der Staatstheorie
Kritik an der gängigen Privatisierungspraxis
Kritiker führen an, dass bei Privatisierungsvorhaben staatliche Monopole nicht einfach durch private Monopole ersetzt werden dürfen. Dies müsste zumindest durch geeignete Maßnahmen der Wettbewerbspolitik verhindert werden, denn obwohl i.A. anfangs der Preis für privatisierte Produkte/Dienstleistungen fällt, steigt er umso mehr nach einer gewissen Zeit durch die privaten Monopolhalter, da diese nun einfacher die Preise ihren Gewinn-Interessen anpassen können. Ein weiterer Punkt ist oft, dass privatisierte Unternehmen auf die öffentlich finanzierte Infrastruktur zurückgreifen, ohne jedoch diese Investitionen ausreichend finanziell entschädigt zu haben. Als Beispiele für private Monopole und vormals öffentlich finanzierte Infrastruktur in Deutschland werden oft die Strom-Großkonzerne oder die Post und Deutsche Telekom genannt.
Sensible Bereiche wie Gesundheit, Bildung oder soziale Einrichtungen dürfen Kritikern zufolge nicht einer reinen Marktlogik überantwortet werden (Kommodifizierung), da sie Aufgaben erfüllten, die über ökonomische Fragen hinausgingen, und somit nicht nach Maßstäben von Rentabilität (im ökonomischen Sinn) geführt oder beurteilt werden dürften (Humanismus).
Kritiker beklagen auch, Profitstrategien auf jeder einzelnen Verteilstufe mit immer mehr privaten Akteuren führten zu keiner Vergünstigung, sondern eher zur Verteuerung von privatisierten Diensteistungen, dazu kämen z.B. neue Kosten für Werbung auf einen offenen Markt, aber auch die Notwendigkeit von mehr Verwaltung, größere staatliche Regulierungsbehörden, die ihre Kontrollfunktion auch gegen große ausländische Konzerne behaupten müssten; häufige Kundenwechsel von einem Anbieter zum Anderen und entsprechende Bürokratie, vielfache Rechtshändel in einem hoch komplexen und sehr unstetigen Markt.
In Zuge einer Privatisierung kann die öffentliche Hand Dienstleistungen (Entsorgung von Abwasser und Müll; Versorgung mit Wasser und Energie; Kommunikation; Verkehr; Gesundheit; Bildung etc.) verkaufen. Im Gegensatz zu den Kommunen, die keiner Konkurrenz und Gewinnverpflichtung unterliegen, sondern einer Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl unterliegen, bedeutet das, dass private Unternehmen diesen Regeln nicht unterliegen. Dies führt, laut Kritikern, für den Bürger demnach nicht zu einer Verbesserung, sondern eher zu massiven Verschlechterungen in Qualität, Verfügbarkeit und Preis. Grund ist, dass private Anbieter ihren Gewinn maximieren wollen, so dass alle Kostenfaktoren wie Personal, Instandhaltung/Reparatur und Investitionen u.a. unter erhöhten Druck geraten. Es hat sich in der jüngeren Vergangenheit gezeigt, dass sowohl weltweit als auch in Deutschland z.B. im Bereich Trinkwasser-Versorgung eine Privatisierung zu höheren Endverbraucherpreisen, geringerer Trinkwasser-Qualität (weniger Qualität bedeutet geringere Herstellungskosten), Personal-Abbau im Unternehmen (geringere Personalkosten) und mangelhaftem Instandhaltungs-Verhalten (als Folge mehr Wasser-Verlust, dadurch wiederum höhere Preise nötig) geführt hat.
In den 1980er-Jahren wurden in Großbritannien Spar- und Kostenprogramme erstellt, Kommunalverantwortliche durch Kostenverantwortliche ersetzt. Bekannt sind Slogans von Margaret Thatcher wie "Privat ist besser als der Staat" und "Eine Gesellschaft gibt es nicht, nur die Summe der Individuen". Die Hoffnung war: besser, billiger und effizienter - mehr Leistung für weniger Geld.
Kritiker widersprechen dem und verweisen z.B. auf Engpässe bei der Energieversorgung, so etwa Stromabschaltungen in Kalifornien, angeblich wegen fehlender Investitionen in Netzkapazitäten und Kraftwerksbauten, wobei Zusammenhang mit dem Enron-Skandal offenbar wurde, dass die Stromknappheit in Kalifornien teilweise künstlich herbeigeführt worden war, indem Stromerzeuger das Angebot an elektrischer Energie absichtlich verringerten, um die Preise in die Höhe zu treiben. Kritiker hinterfragen die sichere Versorgung mit stabilen Preisen am Strommarkt ("Versorgungssicherheit").
In Schweden waren 2000 70 000 Haushalte ohne Strom. Zu wenig Personal für Reparaturen wurde eingeplant, Gewerkschaften zufolge war dies eine Folge der Liberalisierung. Wegen der Stromknappheit infolge der Deregulierung des Strommarkts musste der Notstand ausgerufen werden.
In Großbritannien kam es nach der Privatisierung der Eisenbahn-Gesellschaften vermehrt zu Unfällen, mangelhaften Service-Leistungen und Verspätungen. Kritiker begründen dies mit Personal- und Instandhaltungs-Einsparungen (Rationalisierung). Dies führte zu einer Wieder-Verstaatlichung des britischen Eisenbahn-Netzes - Kritiker sprechen hier von dem Motto "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren".
Das Recht auf öffentliche Leistungen der Bürger wird verdrängt durch den Anspruch auf Rendite und Gewinn der Kapitalgesellschaften und Aktieninhaber. Gesellschaftliche Überlegungen müssen sich marktwirtschaftlichen Überlegungen unterordnen. Ist die Nachfrage nach einer Dienstleistung so gering, dass sie sich für einen Anbieter nicht rechnet, unterbleibt sie. Dies zeigt sich beispielsweise bei fehlenden Investitionen in Wasser- und Strom-Versorgung oder im Ausbau der Verkehrswege (Straße und Schiene), wenn mangels ausreichender Anzahl an Kunden und damit Gewinnerwartungen ein privater Investor/Betreiber ländliche Gebiete vernachlässigt oder komplett auslässt.
Privatisierung in Deutschland
Durchgeführte Privatisierungen auf Bundesebene
In der Bundesrepublik Deutschland wurden nach der Wiedervereinigung mehrere große Einrichtungen des Bundes in private Eigentumsformen umgewandelt:
- Deutsche Bundespost - in Deutsche Post AG, Deutsche Telekom AG und Deutsche Postbank AG
- Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn - in die Deutsche Bahn AG
- Deutsche Bundesdruckerei - in eine GmbH
- Lufthansa - schrittweise in eine AG
- Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahn - in Tank und Rast GmbH
- Große Teile des Staatseigentums der ehemaligen DDR. Diese wurden vorwiegend durch die Treuhandanstalt verkauft oder abgewickelt. Diese wurde 1994 in mehrere Organisationen aufgeteilt, die wichtigste davon war die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben.
Durchgeführte Privatisierungen auf Länderebene
- 2004 Privatisierung des Hamburger Landesbetriebs Krankenhäuser (12.400 Mitarbeiter) durch den CDU-Senat unter Ole von Beust trotz entgegenstehenden Ergebnisses eines Volksentscheids im Februar 2004 (77 Prozent gegen diese Privatisierung)
Geplante Privatisierungen auf Länderebene
- Im Mai 2005 beschließt der niedersächsische Landtag überraschend in einer Haushaltsklausur den Verkauf seiner 10 Landeskrankenhäuser, obwohl rechtlich nicht geklärt ist, ob dieser Verkauf so möglich ist. Schließlich werden in den Landeskrankenhäusern auch Patienten im Maßregelvollzug behandelt. Der Maßregelvollzug wird jedoch als ein Teil des Kernbereiches des staatlichen Gewaltmonopols angesehen. Privatisierungen in diesem Bereich sind jedoch verfassungsrechtlich unzulässig (dazu unten).
Verhinderte Privatisierungen in Deutschland
- In der Stadt Mülheim wird am 27. Februar 2005 per vorbeugendem Bürgerentscheid die Privatisierung der städtischen Betriebe mit 27.435 zu 5.870 Stimmen abgelehnt. Die bei diesem Verfahren erforderliche Mindeststimmenzahl wird knapp erreicht.
Rechtliche Aspekte der Privatisierung in Deutschland
Die Rechtslage in Deutschland setzt der Privatisierung nur wenige Grenzen. Das Grundgesetz enthält keinen abgeschlossenen Katalog der Staatsaufgaben. Selbst soweit das Grundgesetz z.B. über das Sozialstaatsprinzip gewisse öffentliche Aufgaben vorsieht, schreibt es nicht vor, dass diese zwingend durch den Staat erfolgen müssen, wenn private Träger dies ebenso gut erledigen können. Der liberale Grundrechtskatalog begünstigt den Abbau öffentlicher Monopole sogar. Auch die zunehmende Europäisierung des Wirtschaftsrechts schränkt den Spielraum staatlicher Wirtschaftstätigkeit zunehmend ein. Eine echte Grenze für Privatisierungen bietet in Deutschland jedoch der Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 Grundgesetz, der vorsieht, dass die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse in der Regel den Beamten zu übertragen ist. Dies verhindert z.B., dass die polizeilichen Aufgaben im engeren Sinn privatisiert werden.
Privatisierung in Österreich
In Österreich wurde zu Privatisierungszwecken die Österreichische Industrieholding AG gegründet. Sie hält als "Privatisierungsagentur" und Beteiligungsholding, Anteile an
- OMV AG,
- SGP Verkehrstechnik GmbH,
- Austria Mikro Systeme International AG,
- Austria Technologie & Systemtechnik AG,
- Böhler-Werke,
- VOEST-ALPINE STAHL AG,
- VA Tech AG,
- VAE AG,
- VAMED AG,
- TAMROCK VOEST-ALPINE Bergtechnik Ges. m. b. H.,
- Austria Metall AG,
- Österreichische Salinen AG,
- Austria Tabak AG
- Dachstein Fremdenverkehrs AG.
1998 wurden der ÖIAG darüber hinaus die Anteile des Bundes am Dorotheum und an der Österreichischen Staatsdruckerei, Austrian Airlines Österreichische Luftverkehrs AG und Flughafen Wien AG zur Beteiligungsverwaltung übertragen.
Privatisierung öffentlichen Raums
Es gibt auch eine Privatisierung öffentlicher Räume, etwa von Fußgängerzonen, Einkaufspassagen usw. Darunter versteht man, dass Öffentlicher Raum in die Verantwortung von privaten Firmen und Sicherheitsdiensten gegeben wird, die dann darüber bestimmen, wer sich in diesem Raum aufhalten darf. Hier gilt dann das Hausrecht des Eigentümers. Eine Grauzone sind Innenstadtbereiche, die eigentlich öffentlichen Raum darstellen, auf deren Gestaltung und Kontrolle aber die dort Handel treibenden mittels politischer Institutionen (Handelskammer, Lobby) Einfluss nehmen. Es werden etwa Obdachlose, Junkies, Punks und ähnliche Minderheiten von der Nutzung ausgeschlossen und von Polizei oder Sicherheitsdiensten entfernt, wenn sie nach Meinung der Handeltreibenden eine Belästigung für Einkaufende darstellen. Gegen diese Formen von vermeintlichen oder ganz realen Privatisierungen wendet sich die Reclaim the Streets-Bewegung. Siehe auch: Videoüberwachung
Privatisierungen in der Schweiz
In der Schweiz wurden bisher verschiedene staatliche Unternehmungen privatisiert, die grössten und wichtigsten davon sind:
- SBB
- Swisscom
- verschiedene Kantonalbanken
Anmerkung: Beim Verkauf der SWISS an die Lufthansa handelt es sich nicht um eine Privatisierung, da dort der Schweizer Staat vor allem finanziel beteiligt war.
Literatur
- Michel Reimon/Christian Felber: Schwarzbuch Privatisierung. Ueberreuter 2003. ISBN 3800039966
- Hans Herbert von Arnim: Rechtsfragen der Privatisierung, Schriftenreihe des Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler (Heft 82), Wiesbaden 1985
- Wolfgang Däubler: Privatisierung als Rechtsproblem, Luchterhand, Neuwied 1980, ISBN 3-472-08022-1
- Jörg Huffschmit: Die Privatisierung der Welt; Reader des wissenschaftlichen Beirates von Attac
Siehe auch
- Neoliberalismus, Interventionismus, Reform, Public Private Partnership, Cross-Border-Leasing, Verstaatlichung, Staatsbetrieb, Deregulierung, Welthandelsorganisation, Private Sector Development
Liste ehemaliger Staatsbetriebe
Weblinks
- Die Privatisierung der Welt - siehe Manuskript zum Download