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Infantizid (Zoologie)

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Infantizid ist ein aus dem Englischen entlehnter Fachausdruck (infanticide) für das Töten von Nachkommen der eigenen Art. Während man ihn im Englischen ganz allgemein mit Bezug auf Tiere und Menschen benutzt, wird er im Deutschen eher in Bezug auf Tiere verwendet und ist insofern abgrenzbar gegenüber dem ausschließlich auf Menschen bezogenen Begriff Kindestötung. Im Unterschied zum Kannibalismus hat der Infantizid nicht zwingend das Auffressen der Opfer zur folge.

Infantizid tritt praktisch bei allen wehrhaften Arten auf, also nicht nur bei Raubtieren wie dem afrikanischen Löwen und dem europäischen Braunbär, sondern auch bei vielen Vögeln, bei vermutlich allen Nagetieren und bei Primaten. Aufgrund verhaltensbiologischer Beobachtungen wird es beispielsweise Ratten, Mäusen und Erdmännchen ebenso zugeschrieben wie Mantelpavianen, Hulmanen, Schimpansen, Berggorillas und selbst Delfinen. Verlässliche Berichte gibt es ferner von Wasseramseln und Staren.

Infantizid im Tierreich muss daher als ein natürliches Verhalten angesehen werden.

Infantizid bei Löwen

Das bekannteste Beispiel für Infantizid bei Tieren entsprang aus Freilandbeobachtungen bei Löwen. Wird ein Rudelführer von einem jüngeren und kräftigeren Männchen verdrängt, so tötet der neue Rudelführer häufig alle Jungtiere. Zugleich kann es dann aufgrund der Auseinandersetzungen im Rudel zu mutmaßlich auf sozialen Stress zurückgehenden Fehlgeburten kommen. Im Ergebnis kann sich der neue Rudelführer relativ rasch mit den Löwinnen seines neuen Rudels verpaaren und eigene Nachkommen zeugen.

Von Soziobiologen wird diese Folge eines Rangordnungskampfes dahingehend gedeutet, dass der Löwe so eine maximale Zahl an Nachkommen zeugen kann. Ferner gilt diese Form des Infantizids als Beleg dafür, dass nicht die Arterhaltung als Ergebnis von Evolutionsprozessen anzusehen ist, sondern die Erhaltung und Weitergabe der Erbanlagen von bestimmten, durchsetzungsfähigen Individuen.

Ökologische und verhaltensbiologische Faktoren

Infantizid kann vielfältige Ursachen haben. In vielen Fällen sind die Ursachen noch immer unbekannt, und Erklärungsversuche sind häufig bloße Mutmaßungen.

Am häufigsten wird Infantizid als Folge von Rangordnungskämpfen, von Revierkämpfen, von Übervölkerung und Nahrungsknappheit beschrieben.

  • Junge führende oder säugende Weibchen sind häufig nicht paarungsbereit; ein im Rangordnungs- oder Revierkampf siegreiches Männchen erhöht seinen Fortpflanzungserfolg, wenn es die Nachkommen des besiegten Rivalen ausschaltet.
  • Übervölkerung kann zu häufigeren aggressiven Auseinandersetzungen mit Artgenossen führen, was zu einer generellen Steigerung der Angriffsbereitschaft führen kann. Jungtiere können sich gegen Attacken weniger gut wehren und sind somit eher Opfer als ausgewachsene Individuen. Der Infantizid kann auch unbeabsichtigtes Nebenresultat von Rivalenkämpfen oder erneuter Paarung sein (z.b. erdrückte Jungtiere bei Seelefanten).
  • Besonders von Laien wird Infantizid bei Haustieren gelegentlich mit einer Entwicklungsstörung der Jungen oder mit einer unerkannten Krankheit begründet. Verhaltensstudien an Hausmäusen und Ratten konnten jedoch nur ausnahmsweise einen solchen Zusammenhang feststellen. Gerade bei Nagetieren kommt es immer wieder vor, dass wohlgenährte und mobile Nestlinge getötet werden, während deutlich schwächere Individuen überleben.
  • Verknappung von Nahrung oder anderen Ressourcen kann zur Tötung eines Teils oder der gesamten Nachkommenschaft führen, wenn als Alternative der Verlust aller Nachkommen oder gar fortpflanzungsfähiger Tiere wahrscheinlich ist.
  • Häufig angeführt wird ferner immer wieder und ganz allgemein "sozialer Stress" als Auslöser für Infantizid. Dieser Auslösemachanismus ist jedopch schwer zu beweisen, da vom Beobachter nicht immer spezifische, äußere Reize (so genannte Stressoren) benannt werden können. Nachzuweisen ist zumindest die Tötung von Jungtieren (auch die Aufgabe des Nestes oder Jungtiers bedeutet dessen sicheren Tod) bei einigen Wildtierarten durch die Mütter nach wiederholter Störung.