Faust. Eine Tragödie
Faust. Der Tragödie erster Teil, kurz Faust I, ist ein Drama des deutschen Schriftstellers Johann Wolfgang von Goethe, das 1808 veröffentlicht wurde. Es gilt als eines der bedeutendsten und meist zitierten Werke der deutschen Literatur. Das Drama greift die vielfach von anderen Autoren beschriebene Geschichte des Doktor Faustus auf und weitet sie zu einer Menschheitsparabel aus.
Faust I wurde von Johann Wolfgang von Goethe im Jahr 1806 vorläufig beendet. Der Veröffentlichung von 1808 folgte 1828/29 die überarbeitete Fassung in der Ausgabe letzter Hand. Vorangegangen war 1790 der Teildruck Faust. Ein Fragment; die Entstehung der Textfassung des so genannten Urfaust (wohl 1776 oder 1777) lässt sich nicht mehr in allen Einzelheiten klären.
Einordnung
Faust I, genauso wie Faust II, entstand über mehrere Jahre und ist ein Querschnitt durch Goethes Leben. Goethe selbst bezeichnete „Faust“ als „summa summarum“ seines Lebens. Dies drückt sich in einer Vielzahl unterschiedlicher und teils widersprüchlicher Stilrichtungen, inhaltlicher Betonungen und Charakterausdeutungen aus.
Faust I ist kein Drama der geschlossenen Dramenform (mehr), das sich aber auch nicht einwandfrei der offenen Dramenform zuweisen lässt. Auch einer Literaturepoche entspricht es nicht eindeutig: Es weist sowohl Elemente der Klassik, des Sturm und Drang als auch der Romantik auf. Zusätzlich bedient Goethe sich der Satire und Funktionen des Mysterienspiels in einigen Szenen.
Die einzelnen Szenen besitzen insgesamt eine eher lose Anbindung an die Gesamthandlung. Eine grobe strukturelle Gliederung wird meist in der Einteilung in Gelehrtentragödie und Gretchentragödie vorgenommen (siehe unten), die jedoch nicht unbedingt ist.
Inhalt
Protagonisten
Ausführlichere Charakterisierungen siehe unten
- Heinrich Faust, ein Gelehrter
- Mephistopheles, kurz: Mephisto, der Teufel
- Gretchen, kurz für: Margarete, Fausts Geliebte
- Marthe, Gretchens Nachbarin
- Valentin, Gretchens Bruder
- Wagner, Fausts Famulus
Gliederung
Faust. Der Tragödie erster Teil kann formal in zwei Teile eingeteilt werden: Die drei Prologe und die eigentliche Haupthandlung. Diese wird gängigerweise, dem Inhalt entsprechend, in die Gelehrtentragödie und die Gretchentragödie eingeteilt.
Vorspiel

Das Stück besitzt drei vorgestellte Einleitungen, die der Gesamthandlung einen Rahmen geben.
Zueignung (1 - 32)
In der „Zueignung“ berichtet Goethe vom Schaffensprozess des Werkes und seiner autobiographischen Dimension.
Vorspiel auf dem Theater (33 - 242)
Darauf folgt das „Vorspiel auf dem Theater“, in dem drei Personen, der Direktor, der Dichter und die Lustige Person über die Frage diskutieren, was Theater sein soll. Dem Direktor kommt es dabei vor allem auf hohe Einnahmen an, die lustige Person sucht Ruhm als Schauspieler, während dem Dichter ein inhaltlich wertvolles Stück wichtig ist.
Wie auch in verschiedenen Inszenierungen (z. B. von Gustav Gründgens) umgesetzt, lassen sich die Charaktere in ihren Ansichten auf Mephistopheles (lustige Person), Faust (Dichter) und Wagner (Direktor) übertragen.
Prolog im Himmel (243–353): Die Wette
Der Prolog im Himmel (243–353) nimmt das erste Mal Bezug auf die eigentliche Handlung des Faust. In Anlehnung an die Hiobswette im Alten Testament will Mephistopheles mit Gott um die Seele des Faust wetten. Die nihilistische Weltansicht des Teufels wird dabei exemplarisch der positiv-bejahenden Gottes gegenübergestellt.
Der Herr ist entschlossen, Faust, der ihm jetzt nur „verworren dient“, „bald in die Klarheit zu führen“. Wenn er Mephisto erlaubt, Faust zu verführen, solange er auf der Erde lebt, so nur, um Faust auf die Probe zu stellen. – Gott verkündet: „Es irrt der Mensch, solang er strebt“ Im Prolog wird bereits angedeutet, dass Faust erlöst werden wird, und die Wette somit eine Scheinwette bleibt: „Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewusst.“ Mephisto darf Faust verführen, damit dieser durch Irrtümer zur Wahrheit kommen kann.
Der Tragödie Erster Teil, Gelehrtentragödie
Nacht (354–807) Erkenntnisgrenzen – Suizidgedanke
In einem Monolog des Protagonisten erfährt der Zuschauer, dass der Gelehrte Faust vor einer Wende seines Lebens steht: Er ist trotz seines großen und umfassenden Wissens mit seiner Erkenntnis um die Welt unzufrieden geblieben. Er will Aufschluss über den Sinn des Seins, über das, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Aus seiner Verzweiflung zieht er den Schluss, „dass wir nichts wissen können“.
Die Methoden der Wissenschaft scheinen ihm nicht als hinreichend, das von ihm Gewünschte zu erfahren. In einem Buch von Nostradamus glaubt er, die magischen Gesetze der harmonisch wirkenden Natur zu erkennen. Er beschwört den Erdgeist, der ihn verspottet und in seine Grenzen zurückweist: „Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!“
Fausts lerneifriger und bornierter Famulus Wagner betritt Fausts Kammer und wird von Faust mit unterschwelliger Ablehnung empfangen. Wagner symbolisiert den Typus des Wissenschaftlers, der sein ganzes Wissen aus Büchern zusammenträgt. Er ist eitel und vertritt ein spießerisches Bildungsbürgertum. Faust hingegen will sich ganz in die Natur einfühlen, er lässt sich vom Verlangen nach göttlichem Wissen, Emotion und Intuition leiten.
Wieder alleine, will Faust sich aus Verzweiflung und in einem letzten Wunsch der Grenzüberschreitung mit einer Phiole Gift töten. Durch die Osterglocken wird er jedoch vom Suizid abgehalten, nicht durch die christliche Botschaft, sondern durch die Erinnerung an glückliche Kindertage: „Erinnerung hält mich nun mit kindlichem Gefühle / Vom letzten, ernsten Schritt zurück.“
Vor dem Tor (808–1177)
Aus der Isolation des Studierzimmers tritt Faust am nächsten Tag mit Wagner in die kontrastierende frühlingshafte Natur, die dem promenierenden Volk zum gesellschaftlichen Auftritt dient. In der Idylle der Osterspaziergänger offenbart Faust Wagner seinen sinnlichen und geistigen Durst, seine innere Zerrissenheit: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen: die eine hält in derber Liebeslust sich an die Welt mit klammernden Organen; die andre hebt gewaltsam sich vom Dunst zu den Gefilden hoher Ahnen.“ Ein seltsamer Pudel schließt sich Faust und Wagner an und folgt ihnen.
Studierzimmer (1178–2337) Der Teufelspakt
Faust übersetzt den Anfang des Johannesevangeliums, wobei er sich recht schwer tut, denn er weiß nicht, auf welche Weise er den Anfang des selben zu deuten hat. Schließlich ringt er sich dazu durch, "Am Anfang war die Tat" als sinngemäße Übersetzung stehen zu lassen. Die Tat ist es auch, die ihm den Augenblick, der verweilen soll, bringt. Faust findet die Verwirklichung seiner selbst im Dienste an der Allgemeinheit [Deichbauingenieur]. Der Pudel, von Faust mit Zaubersprüchen magisch bedrängt, wird in einer Metamorphose zu Mephisto in der Verkleidung eines fahrenden Schülers, der sich Faust vorstellt als „[e]in Teil von jener Kraft, / Die stets das Böse will und stets das Gute schafft“ und als „[...] Geist, der stets verneint“.
Faust schlägt dem Teufel einen Pakt vor, doch Mephisto, der durch einen Zufall gefangen ist, will noch nicht auf den Vorschlag eingehen. Er schläfert Faust ein, befreit sich von seinem magischen Bann und erscheint dann wieder.
Faust verflucht sein irdisches Leben, und Mephisto bietet ihm nun den Pakt an. Faust verlangt nach den „Tiefen der Sinnlichkeit“, zu denen ihm Mephisto während seiner Lebzeiten verhelfen soll. Mephisto verspricht ihm „die kleine, dann die große Welt“ (Hinweis: Faust I: Reise durch die kleine Welt; Faust II: Reise durch die große Welt), als Gegenleistung für Fausts Dienste im Jenseits. Zusätzlich wettet Faust, Mephisto werde es nicht gelingen, ihm einen solchen "höchsten Augenblick" zu verschaffen. Faust akzeptiert, nach altem Brauch wird mit Blut unterschrieben. (Anmerkung: Die Stelle im Wortlaut ist ein Punkt großer Interpretationsdifferenzen; einige Interpreten gehen von einem Pakt, einige von einer Wette aus. Genau wie die Auflösung des Paktes in Faust II handelt es sich um keine eindeutige Stelle)
Die folgenden Szenen zeigen die Fahrt durch die "kleine" und die "große" Welt. Sie bestätigen, was für Faust in Überschätzung seiner Macht klar war: Er kann die Wette nicht verlieren, weil er nie zufrieden sein wird und deshalb auch der "höchste Augenblick" nicht eintreffen wird. Mephisto scheint den Pakt nicht einhalten zu können, denn er will Faust seine Wünsche nicht erfüllen, sondern ihn mit "seiner Welt" ablenken. Nie verschafft er Faust das, was er eigentlich will; immer versucht er, Faust mit oberflächlichen Genüssen zu betören und ihn in weiterer Folge in schwere Schuld zu verstricken.
Saufende Studenten, denen Mephisto durch Weinzaubereien Angst einjagt, sollen Faust als erster Station der Weltenreise in der Szene „Auerbachs Keller“ unterhalten, doch dieser ist nur gelangweilt. Mephisto ist mit seinem ersten Verführungsversuch gescheitert, Faust erwartet anderes von ihm.
Der Tragödie Erster Teil, Gretchentragödie
Hexenküche (2338–2604) Faust wird verjüngt
Die Gretchentragödie beginnt. Faust wird durch Vermittlung Mephistos in einer Hexenstube durch den Zaubertrank einer Hexe verjüngt. Bereits vorher wird er durch die schöne Helena, die er im Zauberspiegel erblickt, in Bann geschlagen und liebestoll gemacht.
Straße, Abend, Spaziergang (2605–2864) Gretchen
Als Faust in einer kleinen Stadt auf der Straße Margarete sieht, verlangt er von Mephisto, dass er sie ihm beschaffe. Mephisto erwähnt Schwierigkeit in Bezug auf die Unverdorbenheit Gretchens. Er stellt ein Schmuckkästchen in Gretchens Schrank, das ihre Neugierde weckt; das Mädchen bringt den Kasten zu seiner Mutter, die ihn dem Pfarrer übergibt. Der Teufel soll nun einen neuen besorgen.
Der Nachbarin Haus, Straße (2865–3072)
Gretchen zeigt verunsichert Frau Marthe Schwerdtlein den neuen Schmuck und diese rät, ihn hier bei ihr heimlich zu tragen.
Mephisto bringt Frau Marthe die erlogene Nachricht, ihr verschollener Mann sei gestorben. Unter dem Vorwand, einen zweiten Zeugen beibringen zu können, vereinbart er mit Marthe ein Treffen im Garten, bei dem auch Gretchen anwesend sein soll.
Faust ist in der darauf folgenden Szene Straße allerdings zunächst nicht bereit zu lügen. Erst durch Mephistos geschickte Rhetorik wird er so weit auf Gretchen gelenkt (sexualisiert oder verliebt?), dass er schließlich einwilligt zu lügen um sie zu sehen.
Garten ff. (3073–3835) Die Gretchenfrage
Bei dem Treffen hofiert Mephisto ironisch Marthe und hat alle Mühe, ihre unverhüllten Anträge abzuweisen. Gretchen gesteht Faust ihre Liebe, sie spürt aber instinktiv, dass ihr Begleiter unaufrichtige Beweggründe besitzt.
Gretchen stellt Faust die berühmte Gretchenfrage: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Sie will Faust zwar in ihr Zimmer lassen, doch hat sie Angst vor ihrer Mutter. Faust gibt ihr ein Fläschchen mit einem Schlaftrunk, die Katastrophe nimmt ihren Lauf, der Schlaftrunk enthält nämlich Gift. In den folgenden Szenen hat Gretchen erste Vorahnungen, dass sie schwanger ist. Das Gespräch am Brunnen mit ihrer Nachbarin über eine ledige Mutter, bestätigt den Verdacht, dass Gretchen schwanger ist. Und als sie erfährt, wie schlecht die gesellschaftliche Stellung einer solchen Frau ist, gerät sie in Bedrängnis und bekommt es mit der Angst zu tun. Der Soldat Valentin, Gretchens Bruder, erfährt vom Fehltritt seiner Schwester. Mephisto ficht mit ihm, lähmt ihm die Hand und sorgt dafür, dass Valentin von Faust umgebracht wird. Der Sterbende verflucht Gretchen als „Metze“ (Hure).
Gretchen merkt, dass sie schwanger ist, und in der Domszene erlebt sie während einer Messe die Vision des Jüngsten Gerichts.
Walpurgisnacht ff. (3836–4404)
Siehe auch Walpurgisnachtstraum.
Mephisto zieht Faust in der dritten Station der Verführung von der Ebene der Liebe auf eine sexuell-besinnliche Ebene, um ihn von Gretchens Schicksal abzulenken.
Ein alter Volksglaube besagt, dass sich in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai auf dem Brocken im Harzgebirge die Hexen zu einem Fest mit dem Teufel treffen. Das Fest ist eine kultische Feier des Bösen und Dämonischen.
Mephisto, hier als Junker Volland mit Pferdefuß auftretend, lockt Faust in die Arme einer jungen nackten Hexe, doch diesem erscheint ein „blasses, schönes Kind“, das „dem guten Gretchen gleicht“. Faust möchte zu Gretchen zurück.
Gretchen hat in ihrer Verzweiflung das neugeborene Kind ertränkt, ist dafür zum Tode verurteilt worden und erwartet ihre Hinrichtung. Faust fühlt sein schuldhaftes Versagen und macht Mephisto Vorhaltungen, der aber deutet ihn darauf hin, dass Faust selbst Gretchen ins Verderben gestürzt habe: „Wer war’s, der sie ins Verderben stürzte? Ich oder du?“ Auch macht Mephisto deutlich, wer den Pakt angezettelt habe: „Drangen wir uns dir auf, oder du dich uns?“ Ein böser Geist beschuldigt sie ihrer Verfehlungen.
Kerker (4405–4615) Gretchens Erlösung
Faust dringte in den Kerker ein, Mephisto hat ihm den Schlüssel verschafft und den Wächter eingeschläfert.
Gretchen ist dem Wahn verfallen und erkennt anfangs Faust nicht mehr. Dieser will sie zur Flucht überreden, doch sie weigert sich, weil sie erkennt, dass Faust sie nicht mehr liebt, sie nur mehr bemitleidet. Gretchen bewahrt so für sich die reine Liebe. Als sie Mephisto sieht, erschrickt sie und empfiehlt sich Gott: „Gericht Gottes! Dir hab ich mich übergeben!“. Mephisto drängt Faust aus dem Gefängnis mit den Worten: „Sie ist gerichtet“. Die Erlösung Gretchens erweist sich jedoch in den letzten Worten des Stückes: „Sie ist gerettet“.
Charaktere
Mit der Tendenz und der Intention, grundsätzliche Bedingungen des Menschseins nachzuweisen, besitzen alle Charaktere im Faust zwar einen gewissen eigenen Charakter, sie dienen aber vordergründig dazu, ein allgemeines Prinzip und menschliche Archetypen darzustellen. Auf diese Fragestellung weist bereits die Rahmenhandlung, die himmlische Wette, hin, die nach dem Sinn des Menschen fragt.
Heinrich Faust
Es gibt zwei klassische Elemente der Interpretation des Faust-Charakters:
Der erste, oft auftauchende Erklärungsansatz ist die Ausdeutung von Faust als „dem Menschen schlechthin“. Faust erscheint in dieser Deutung als Verkörperung der Summe aller menschlichen Eigenschaften, der positiven wie der negativen. Im titanischen Charakter Fausts verbinden sich somit sowohl die teuflischen, mephistophelischen Eigenschaften wie Nihilismus, Destruktivität, Schuldhaftigkeit und Egozentrismus, als auch die göttlichen, positiven Eigenschaften wie Streben nach dem Guten, die Fähigkeit zur Erkenntnis und des Mitgefühls. In Faust zeigen sich diese Elemente in ihren Extremen. Die Wette mit dem Teufel ist also der Versuch des Menschen überhaupt, die Grenzen des Menschlichen zu sprengen und damit im Umkehrschluss zu erfahren, was der Mensch ist.
Das zweite Element der Faustinterpretation ist die These, dass Faust im Gegensatz zur ersten These in keinster Weise als Repräsentant des Menschlichen gesehen werden kann. Faust ist ein Mensch, gefangen in einer extremen Polarität. Faust selber spricht davon, wenn er sagt: „Zwei Herzen schlagen gar in meiner Brust“. Auch während des weiteren Dramenverlaufs tritt Fausts Gespaltenheit oft zu Tage. So ist er kontinuierlich sowohl dem Himmel als auch der Hölle, also dem Teuflischen, zugetan. Fausts Gemütszustände schwanken zwischen Ruhe oder Tatendrang, Systole und Diastole und er gibt sich selten ausschließlich einem Teil dieser beiden Gegensätze hin. Faust ist somit kaum als Repräsentant der Menschheit, sondern eher als Ausnahmeexistenz zu verstehen. Sein Titanismus, also sein Streben nach der Ganzheit der Erkenntnis und des Daseins, lässt ihn eher exorbitant, denn menschlich erscheinen. Stärker noch wiegt die Tatsache, dass Faust als normaler Mensch in einer unmenschlichen, beziehungsweise für Menschen nicht nachahmbaren Grenzlage aufzufassen ist. Sein übermenschlicher Drang, stets noch weiter zu streben und wider allen Irrtümern nicht aufzugeben, macht ihn zu solch einem Menschen. Auch die Fähigkeit Fausts zur Nutzung der Magie unterstreicht diese These. Faust bedient sich übernatürlicher Mittel, einerseits der Magie, andererseits des Teufels, um die Transzendenz zu erreichen. Er durchdringt die Welt auf eine magische Weise, auf eine Weise, die nicht jedem Menschen zusteht und mithilfe von Methoden, die nicht jedem Menschen möglich sind. Faust wird hierdurch zu einem Menschen in einer außergewöhnlich gesteigerten Grenzlage erhoben. Faust symbolisiert und zeigt somit auf, wo die Grenzen eines Menschen liegen und macht dessen Maximum sichtbar. Durch Faust zeigt Goethe, wo die absoluten, nicht mehr steigerbaren Möglichkeiten, sowie die absoluten und unüberwindbaren Grenzen des Menschen liegen.
Die Frage, ob Faust als typischer Mensch gelten kann, muss demnach differenziert betrachtet werden. Dennoch ist zu beachten, dass Faust schon vom Beginn der Tragödie an durch die Worte des Herrn zum Repräsentanten ausgewählt wurde. Der Mensch ist ebenso ein polares Wesen, wie Faust es ist. Im Menschen mischen sich Schwarz und Weiß zu Grau. Das Innere des Menschen ist grau und trübe, ebenso wie das Faustische. Der Mensch strebt nach Fortschritt und immer mehr Wissen. Analog hierzu strebt auch Faust immer weiter, hindurch durch alle Irrtümer und wider alle Umstände. Dennoch bleibt im Raum stehen, wie Faust eigentlich als Ausnahmeexistenz auftritt und handelt. Er besitzt magische Fähigkeiten und paktiert mit dem Teufel, beides Dinge die ein Normalsterblicher nie erfahren kann. Er bleibt aber dennoch unwiderlegbar ein typisches Beispiel eines Menschen. Am treffendsten für die These, ob Faust als Menschheitsvertreter gelten kann, bleibt die Einschätzung, dass Faust in der Vordergrundshandlung eine beispielslose Ausnahmeexistenz darstellt, in der Hintergrundshandlung des Dramas jedoch die beispielhafteste Vertretung für die Menschheit überhaupt ist.
Mephistopheles
Mephisto ist eine klassische Figur, die in einer Grunddeutung dem Teufel der Bibel entspricht. Er ist damit Teil des christlichen Weltbildes und stellt den Gegenpart zum biblischen Gott dar. Deutlich wird dies u.a. im „Prolog im Himmel“. Gleichzeitig ersichtlich wird, dass er in einem solchen Weltplan letzten Endes Gott untergeordnet ist.
Doch die Rolle von Mephistopheles erstreckt sich über mehr Bedeutungen als nur diese. Über Goethes ohnehin sehr freien Begriff von Christentum stellt Mephisto allgemein das (philosophische) Prinzip der Verneinung, des Chaos und des Nichts dar. Mephistos Einordnung in die Konstruktion des Faust ist also nicht alleinig im moralischen Schema „gut – böse“ zu suchen.
Mit einem neutralen Blick, der das gesamte Stück und die mögliche Intention Goethes in einem Gesamtzusammenhang sieht, kann man Mephisto auch als niedere Natur des Menschen deuten. Ohne unsere geistige, höhere Natur würden wir uns wie ein Tier verhalten. Jedoch hat uns Gott, wie in Faust in der Einführung beschrieben, auf diese Welt geschickt um zu streben. Mephisto wird so zu der Triebfeder unserer Entwicklung, wenn sie vom wahren Ich, von Faust als Mensch, gezügelt und genutzt wird. Daher beschreibt sich Mephisto auch als Kraft, die das Böse will, aber das Gute schafft. Ohne unsere tierische Natur wäre also keine Entwicklung möglich, so wie ein Reiter sein Pferd braucht, brauchen wir den Körper und seine Triebe, wenn wir sie zügeln. Dafür ist Mephisto ein Sinnbild.
Gretchen/Margarete
Die Rolle der Margarete, im Stück auch diminuierend Gretchen genannt, hat Goethe klassischen Motiven entnommen, insbesondere die Stoffe des „Gefallenen Mädchens“ und der Kindsmörderin, die auch in anderen zeitgenössischen Stücken nachzuweisen sind. Als Vorlage besaß er zudem den Prozess der real existierenden Susanna Margaretha Brandt, die wegen Kindesmordes zum Tode verurteilt wurde. Zugleich wandte er mit der Faust-Gretchen-Tragödie das alte Schema der schichtübergreifenden Liebe an.
Gretchen ist wesentlich geprägt durch einen starken christlichen Glauben. Dem aufgeklärten, intelligent-überheblichen Pantheismus Fausts setzt sie ein bodenständiges Bekenntnis zu konventioneller Moral und dogmatischer Frömmigkeit entgegen, das zu ihrer Erlösung in Faust I führt.
Gretchen ist ein einfaches und ungebildetes, naives junges Mädchen, das hart arbeitet: Vers 3111-3112: „Wir haben keine Magd; muß kochen, fegen, stricken / Und nähn, und laufen früh und spat“
Sie lebt in ihrer kleinbürgerlichen Umwelt, die gleichzeitig eine Idylle und Beengung durch strenge Werte und Normen darstellt.
Ihre Mutter steht dabei für Religion, Sitte und Moral, die Freundin Lieschen für den Neid und die Schadenfreude der kleinbürgerlichen Welt. Ihr Bruder Valentin prahlt mit ihr als tugendhafter Schwester und erweist sich letztendlich als mitleidslos und selbstgerecht, indem er sie als Hure brandmarkt.
Ihre Nachbarin Marthe Schwerdtlein unterläuft die bürgerliche Moral und erlaubt ihr, den geschenkten Schmuck bei ihr aufzubewahren.
Zu Beginn des Stücks ist ihr Vater bereits lange tot und sie kümmert sich um ihre gesundheitlich angeschlagene, aber nichts desto weniger strenge Mutter. Ihr älterer Bruder, Valentin, ist Soldat. Aufopferungs- und liebevoll hatte Gretchen sich auch um ihre jüngere Schwester gekümmert, die jedoch gestorben ist.
Sie ist durch Fausts Interesse an ihr überrascht und lässt sich dennoch von ihm ins Verderben ziehen: Ihre Mutter tötet sie versehentlich mit einem Schlaftrunk, den Faust ihr gegeben hat, ihr Bruder Valentin, der gleichzeitig ihr letzter Beschützer ist, wird von Faust ermordet und ihr uneheliches Kind ertränkt sie, weshalb sie zum Tode verurteilt wird.
Hinweise zum Verständnis
Das Stück ist fast gänzlich reimend geschrieben und liefert viele der bekanntesten Zitate der deutschen Sprache. Mephistopheles wird als schalkhafter intelligenter Geist dargestellt, der die menschlichen Eitelkeiten verlacht und ausnutzt.
Grundthema ist der Konflikt des Menschen zwischen dem Streben nach Höherem, wie es Faust anfänglich tut, und der Sinnlosigkeit dieses Strebens, wie es Faust schmerzvoll erkennen muss. Sein ganzes Wissen erscheint Faust sinnlos, da es ihm nicht hilft zu ergründen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Sein ewiges Streben nach der Ergründung der Schöpfung hindert ihn daran, das Leben zu genießen und er verfällt der Depression. Als er dem Teufel (Mephisto) begegnet, verwettet er seine Seele, dass ihn Mephisto nicht Zufriedenheit schaffen kann, da er sich des Gegenteils absolut sicher ist.
- „Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
- So sei es gleich um mich getan!
- Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
- Daß ich mir selbst gefallen mag,
- Kannst du mich mit Genuß betrügen-
- Das sei für mich der letzte Tag!
- Die Wette biet ich!“
Siehe auch: Johann Faust, Faust II, Walpurgisnachtstraum, Murnaus "Faust - eine deutsche Volkssage", Gretchenfrage
Des Weiteren durchzieht das gesamte Werk die Ambivalenz der Begriffe „Systole“ und „Diastole“. Die Handlung befindet sich im ständigen Wandel zwischen „Begrenzung“ und „Entgrenzung“. Besonders deutlich wird dies an der Figur des Faust, der sich entgrenzen möchte um auch die letzten Geheimnisse des Wissens zu entdecken und die großen Zusammenhänge zu verstehen. Um dies zu erreichen sind ihm Mittel wie die Beschwörung des Erdgeistes oder der geplante Freitod recht. Diese Versuche der Entgrenzung werden allerdings für Faust schmerzhaft niedergeschmettert(Hohn des Erdgeistes) oder durch den Gesang der Engel verhindert.
Ersichtlich wird dies auch an den Schauplätzen an denen Faust I handelt. Zu Beginn befindet sich der Protagonist in der Enge seines Studierzimmers und besucht auf seiner „kleinen“ Reise immer weitläufigere Areale. Das Ende jedoch schließt wieder in einem engen, systolischen Raum, dem Kerker in dem Gretchen auf ihre Hinrichtung wartet. Somit zeigt sich der ständige Wechsel zwischen Systole und Diastole, der oftmals als einziger Zusammenhalt der, wie Goethe selbst äußerte, „Schwammfamilie“ gilt.
Bedeutende Inszenierungen
- 24. Mai 1819 Uraufführung einzelner Szenen, Schloss Monbijou, Berlin
- 19. Januar 1829 Uraufführung des vollständigen ersten Teils, Braunschweig
- 1938 Welturaufführung beider Teile ungekürzt im Goetheanum in Dornach (Schweiz). Inszeniert von Marie Steiner.
- 1960 von Peter Gorski; mit Will Quadflieg (Faust), Gustaf Gründgens (Mephisto), Ella Büchi (Gretchen), Elisabeth Flickenschildt (Marthe), Max Eckard (Valentin), Eduard Marks (Wagner), Uwe Friedrichsen (Schüler)
- 1988 von Dieter Dorn, 1989 als Kinofilm; mit Helmut Griem (Faust), Romuald Pekny (Mephisto), Sunnyi Melles (Gretchen), Cornelia Froboess, Axel Milberg, Katja Riemann, Peter Lühr, Andrea Sawatzki, Rolf Boysen
- 1998 von Cordula Trantow; mit Karl-Walter Diess (Faust), Norbert Mahler (Mephisto), Elisabeth Degen (Gretchen), Angelique Duvier (Marthe), Gunnar Solka (Valentin), Fred Alexander (Wagner), Viola von der Burg (Hexe)
- 2000 von Peter Stein; beide Teile ungekürzt mit Bruno Ganz und Christian Nickel (als alter und junger Faust), Johann Adam Oest (Mephisto), Dorothée Hartinger, Corinna Kirchhoff und Elke Petri. Premiere am 22./23. Juli 2000 auf der Expo 2000 in Hannover, Aufführungsdauer (mit Pausen:) 21 Stunden.
- 2000 von Ingmar Thilo; mit Christian Ammermüller (Faust), Raphaela Zick (Mephisto), Ulrike Dostal (Margarete), Brigitte Hörrmann (Marthe), Max Friedmann (Dichter)
- 2003 von Manfred Gorr; mit David Gerlach (Faust), Uta Eisold (Mephisto), Johanna Bönninghaus (Gretchen), Christine Reinhart (Marthe), Peter Meyer (Valentin), Stefan Gille (Wagner)
- 2004 von Wilfried Hammacher am Goetheanum; Christian Peter (Faust), Paul Klarskov (Mephisto)
- 2004/2005 "Faust - Die Rockoper" von Rudolf Volz. Mit Alban Gaya(Faust), Falko Illing (Mephisto), Miriam Riemann (Gretchen) siehe [1]
Ausgaben
- Johann Wolfgang von Goethe: Faust - Erster Teil, Hamburger Leseheft Nr.29, ISBN 3-87291-028-0
Preisgünstigste Ausgabe, mit Nachwort und Anmerkungen. - E. Trunz (Hg.) Faust. München 1998, C.H. Beck, ISBN 3-406-31234-9
Preisgünstige wissenschaftlich zitierfähige Ausgabe, zum Einstieg geeignet. - A. Schöne (Hg.) Faust. Frankfurt am Main 1994, Deutscher Klassiker Verlag, ISBN 3-618-60270-7. Auch als preiswerte Taschenbuchausgabe erhältlich: Frankfurt am Main 2003, Insel Verlag, ISBN 3-458-34700-3
Zur vertiefenden Beschäftigung geeignet, zeigt den Faust-Text erstmals in Goethes ursprünglicher Gestalt (in modernisierter Orthographie), enthält einen hervorragenden Kommentarband. - Reclam-Universalbibliothek Nr. 1, Faust - Der Tragödie Erster Teil, Stuttgart 2000, ISBN 3-15-000001-7
- Vorlage:Gutenberg
- Als Webausgabe frei zugänglich bei DigBib.Org
- Alfred Raab: Unsä Göte: dä Faust und nu mehr Gwärch vom Göte in dä Närmbercher Mundort. Nürnberg: Hofmann, 1990, 95 S., ISBN 3-87191-150-X
Sekundärliteratur (Kommentare)
- H. Arens Kommentar zu Goethes Faust I. Heidelberg 1982, Carl Winter Universitätsverlag, ISBN 3-533-03184-5
Gilt als einer der wissenschaftlichen Standardkommentare. Der denkbar ausführlichste Zeilenkommentar zu Faust I, bietet neuartige, fundierte interpretatorische Zugänge. - A. Schöne Faust. Kommentare. Enthalten in: Goethe Faust. Frankfurt am Main 1994, Deutscher Klassiker Verlag, ISBN 3-618-60270-7
Ebenfalls ein moderner Kommentar, der nicht unreflektiert alte Lehrmeinungen übernimmt, übersichtlich und prägnant. - U. Gaier Faust-Dichtungen. Kommentar I. Enthalten in: Johann Wolfgang Goethe Faust-Dichtungen. Stuttgart 1999, Philipp Reclam jun. Verlag, ISBN 3-15-030019-3, Akt-, Szenen- und Zeilenkommentar, der die Offenheit für verschiedene Lesarten betont.
Weblinks
- Faust I in "Die freie digitale Bibliothek"
- Faust I im Projekt Gutenberg-DE (kommerziell)
- Interpretationshilfe zur Gelehrten- und Gretchentragödie
- Faust im Spielplan deutschsprachiger Bühnen
- Eine Zeittafel zur Figur des Faust in der Literatur
- Faust als Spiegel der Geschichte - Ein Vortrag zum Verständnis der Figur des Faust
- "Zitatsammlung zum Faust"
- Faust-Illustrationen von Eugène Delacroix
- Illustrationen zu Faust und Gretchen von Friedrich Kaskeline
- Gestalten aus Faust. Silhouetten von Paul Konewka.
- Faust-Illustrationen von August von Kreling
- Faust-Illustrationen von Hans Stubenrauch