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Vertrauen

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Unter dem Begriff Vertrauen wird die Annahme verstanden, dass Entwicklungen einen positiven oder erwarteten Verlauf nehmen. Ein wichtiges Merkmal ist dabei das Vorhandensein einer Handlungsalternative. Dies unterscheidet Vertrauen von Hoffnung. Vertrauen beschreibt auch die Erwartung an Bezugspersonen oder Organisationen, dass deren künftige Handlungen sich im Rahmen von gemeinsamen Werten oder moralischen Vorstellungen bewegen werden. Vertrauen wird durch Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Authentizität begründet,[1] wirkt sich in der Gegenwart aus, ist aber auf künftige Ereignisse gerichtet.

Die Verwendung des Begriffs ist in den Wissenschaften unterschiedlich und auch innerhalb einer Disziplin oft umstritten.

In der Soziologie wird häufig die Definition von Niklas Luhmann zitiert, wonach Vertrauen ein „Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität“ und zudem eine „riskante Vorleistung“ sei.[2] Dort, wo die rationale Abwägung von Informationen – aufgrund unüberschaubarer Komplexität, wegen Zeitmangels zur Auswertung oder des gänzlichen Fehlens von Informationen überhaupt – nicht möglich ist, befähigt dann das "Vertrauen" zu einer auf Intuition gestützten Entscheidung. Luhmann definiert Vertrauen weiter als einen Akt der Selbstdarstellung: „Vertrauen ist dann die generalisierte Erwartung, dass der andere seine Freiheit, das unheimliche Potential seiner Handlungsmöglichkeiten, im Sinne seiner Persönlichkeit handhaben wird – oder genauer, im Sinne der Persönlichkeit, die er als die seine dargestellt und sichtbar gemacht hat. Vertrauenswürdig ist, wer bei dem bleibt, was er bewusst oder unbewusst über sich selbst sichtbar gemacht hat“.[3] Rational-logische Definitionen dieser Art klammern allerdings eine wichtige Komponente aus. Denn das Wort Vertrauen ruft bei unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen emotionalen Erfahrungen unterschiedliche Assoziationen hervor. Der Begriff Vertrauen ist demnach nicht allgemein- rational definierbar. Er enthält eine irrational- emotionale Komponente, die sich logisch- rationalen Definitionen entzieht.

Umgangssprachlich wird Misstrauen oft als das Gegenteil von Vertrauen angesehen, was wissenschaftlich jedoch differenziert eingeschätzt wird. Nach Luhmann ist Misstrauen ein „funktionales Äquivalent“ zu Vertrauen, da es ebenfalls Komplexität reduziert und zu auf Intuition basierten Entscheidungen befähigt. Die Gleichzeitigkeit von Vertrauen und Misstrauen ist kein Widerspruch, sondern steht in Abhängigkeit von der sozialen Situation, die bei Luhmann durch Komplexität gekennzeichnet ist.

Etymologie

Vertrauen ist als Wort seit dem 16. Jahrhundert bekannt (althochdeutsch: „fertruen“, mittelhochdeutsch: „vertruwen“) und geht auf das gotische „trauan“ zurück. Das Wort „trauen“ gehört zu der Wortgruppe um „treu“ = „stark“, „fest“, „dick“.

Relevanz für die Wissenschaften

  • In den Wirtschaftswissenschaften spielt der Begriff Vertrauen in einer Vielzahl von Disziplinen eine Rolle. Jedoch gibt es Uneinheitlichkeiten bei den Definitionen, den Begriffsverwendungen, den verwandten Konstrukten und den implizierten Mechanismen, was eine einheitliche Vertrauenstheorie in den Wirtschaftswissenschaften verhindert; siehe Vertrauen (Wirtschaft).
  • Besondere Bedeutung kommt dem Konstrukt „Vertrauen“ auch im Rahmen des Marketing und Vertriebs zu. So spielen bei produktpolitischen Entscheidungen die Vertrauenseigenschaften eine große Rolle, bei der Preisfindung wiederum das Preisvertrauen (Erwartung, dass ein Unternehmen den Preis ausschließlich eigennützig festlegt). In der Distributionspolitik entscheidet das Vertrauen in die Absatzwege über den Erfolg eines Produktes (beispielsweise Vertrauen in neue Medien oder den Handel von Waren über das Internet (siehe zum Beispiel Peter Ludwig, 2005), und die Kommunikationspolitik muss sich mit einem geringen Vertrauen in die Aussagen der Werbung auseinandersetzen. Entscheidend ist Vertrauen schließlich auch im Markenmanagement: Dort spricht man von Markenvertrauen als einer der wesentlichen Einflussgrößen der Kundenloyalität bzw. Markentreue. Hierzu liegen bereits einschlägige empirische Studien vor (siehe Weblinks).
  • In der Soziologie stellte Niklas Luhmann Vertrauen als einen „Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität“ dar. Weiterhin wird soziales Vertrauen als Ergebnis von Sozialkapital untersucht (siehe Putnam, Bowling Alone]. Möllering (2006) gibt einen Überblick über die verschiedenen Theorieströmungen und identifiziert – in Anlehnung an Georg Simmel – das Aufheben von Ungewissheit als das Kernproblem des Vertrauens.
  • In der Kommunikationswissenschaft wird öffentliches Vertrauen als Prozess und Ergebnis öffentlich hergestellten (das heißt in der Regel medienvermittelten) Vertrauens in öffentliche Akteure und Systeme untersucht, so etwa in der Theorie öffentlichen Vertrauens von Günter Bentele.
  • In der Politikwissenschaft ist vor allem das als Institutionenvertrauen bezeichnete Vertrauen der Bevölkerung in die Fähigkeit von Institutionen, Kontrolle über Ressourcen, Handlungen und Ereignisse im Sinne der Bevölkerung auszuüben, wichtig.
  • In der Verwaltungswissenschaft werden Möglichkeiten zum Auf- bzw. Ausbau des Vertrauens nach Ethikeklats und Korruptionsfällen diskutiert (Verwaltungsethik).
  • In der Entwicklungspsychologie spricht man vom Urvertrauen.
  • Im (öffentlichen und privaten) Recht wird „Vertrauen“ als schützenswertes Rechtsgut behandelt (siehe: Treu und Glauben).
  • In der Wahrscheinlichkeitstheorie und der Zuverlässigkeitstheorie spricht man vom Vertrauensbereich, wenn dieser den wahren Parameter der Grundgesamtheit mit einer Sicherheitswahrscheinlichkeit überdeckt.
  • In der neurochemischen Forschung wird das Hormon Oxytocin als an der Vertrauensbildung beteiligt angesehen.

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise und Quellen

  1. Hans Rudolf Jost: Komplexitätsfitness, Zürich (2000) ISBN 3-905327-11-2
  2. Niklas Luhmann: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. UTB, Stuttgart 2000, ISBN 3825221857, S. 27
  3. Niklas Luhmann: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. UTB, Stuttgart 2000, ISBN 3825221857, S. 48
Wiktionary: Vertrauen – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen